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Deutsches Weich.
Berlin, 1. Nov. Dem Bunderat ist sicherem Vernehmen nach bereits der Etat des Auswärtigen Amts zur Beratung zugegangcn. — Der Entwurf eines Börsengesetzes wird, wie die „Nordd. Allg. Ztg." mitzuteilen weiß, dem Reichstage sofort nach Eröffnung der Session zugehen. Die Session soll nach anderen Meldungen am 26. November eröffnet werden.
Zur lippischen Erbfolge soll sich Fürst Bismarck nach der „Lippischen Landcszeitung" wie folgt geäußert haben: „Nach meiner staatsrechtlichen Ueberzeugung halte ich die Ecban- sprüche Sr. Erlaucht des Grafen Ernst zur Lippe-Biesterfcld für wohlbegründet und würde auch aus politischen, nicht nur aus rechtlichen Gründen für dieselbe einlreten, wenn ich noch im Amte wäre.
Magdeburg. Cafe Hohenzollern dahier war mit 1634 000 ^Hypotheken belastet, kam aber in der Zwangsversteigerung nur aus 780 000 ^ zu flehen, so daß also Million verloren ist.
Essen a. d. R. Geheimrat Krupp hat sämtliche Vorstände und Führer der freiwilligen Feuerwehren in Rheinland und Westfalen zur Besichtigung der neuen Einrichtungen im Feuerlöschwesen auf seinem Werke nach Essen eingeladen. Darnach wird Geheimrat Krupp seinen Gästen ein Festmahl geben.
Karlsruhe, 30. Okt. Der erste Versammlungstag der mittleren Städte des Landes in Rastatt hat sich auch mit einer viel erörterten Wirtschafts- bezw. wirtschaftlichen Frage befaßt, nämlich mit jener der Flaschenbierhandlungen. Bürgermeister Dr. Blankenhorn-Müllheim, der heute von seinem Bezirk in die Zweite Kammer Gewährte, glaubte eine Erledigung der Sache seitens der Regierung in Aussicht stellen zu können, Wonach diese Handlungsgeschäfte gleich den Wirtschaften besteuert werden sollen. Die Versammlung nahm hieraus von besonderer Beschlußfassung Umgang. Von anderen tiefer in dos politische Leben eingreifenden Wünschen sei derjenige der Vertretung dieser Städte bei einer künftigen Umgestaltung der Ersten Kammer erwähnt; ferner der Wunsch, daß bei Grund- und Pfandbuchführern nur eine Prüfung in den hier besonders erforderlichen Kenntnissen verlangt werden soll, nicht aber die Befähigung zum Richleramt oder zum Notariat, (also ähnlich wie in Wärt- temberg.)
Das Handwerk.
Ein bekannter Handwerksmeister schreibt der „D. W.":
Die Klagen des Handwerks gehören heute schon zu den täglichen Erscheinungen. Sie sind auch nicht neuen Datums, sondern so alt, wie das Handwerk selbst. Es wäre falsch, wollte man leugnen, daß die Handwerker augenblicklich einen Verzweiflungskampf kämpfen und von der Großindustrie immer mehr in die Enge gedrängt werden, ja daß bereits einzelne Handwerkszweige geradezu vernichtet worden sind und noch werden. , So gab es vor zwanzig Jahren noch Handwerker, die man heute kaum noch dem Namen nach kennt. Aber in schweren Kämpfen befanden sich die Handwerker auch schon früher. Zur Zeit des Zunftzwanges stand das Hand- werk in großen Städten hoch in Blüte, dagegen herrschten in kleinen Städten überaus klägliche Zustände, wie uns eine kürzlich in den Conrad- schen Jahrbüchern erschienene Arbeit des Re- gierungsaffeffors v. Rohrscheid in Merseburg beweist.
Wir glauben nicht, daß die so laut ertönenden Forderungen nach Befähigungsnachweis und Zwangsinnungen dem Handwerk wesentlich auf die Beine helfen werden. Es ist allerdings richtig, daß die schrankenlose Gewerbefreiheit teilweise zur „Gewerbefrechheit" ausgeartet ist und Zustände gezeitigt hat, die überaus beklagenswert sind. Indessen, gegen Ausschreitungen sind schon jetzt gesetzliche Hilfsmittel vorhanden. Außerdem erblicken wir in den Vorschlägen des Ministers v. Berlepsch zur Organisation des Handwerks weitere greifbare Mittel, um den Auswüchsen entgegenzutreten, die ungeziemend in Erscheinung getreten sind.
Wirksamen Schutz und Trutz für das Handwerk gewährt die von fanatischen Zwangszünftlern so verspottete „Selbsthilfe" durch Errichtung von Produktivgenossenschaften, Rohstoffgenossenschaften , Magazingenossenschaften, wie auch durch höchstes Streben nach Vervollkommnung zum Kunsthandwerker. Die Stärke des Handwerks in seiner Blüte lag nicht in dem Jnnungszwange, sondern in dem gemeinsamen Bezüge der Rohstoffe, in der teilweise gemeinsamen Produktion, in dem Handwerkerbildungswesen usw., also in der Selbsthilfe.
Anderseits aber hinderte das starre Festhalten am Althergebrachten, der Formelkram und der Zwang, der im Einzelnen eine Art Willenlosigkeit auferlegte, die Entwickelung der Individualitäten, der Selbständigkeit im Schaffen und Handeln, ganz abgesehen davon, daß manche tüchtige Kraft, der cs an den Vorbedingungen zum Eintritt in die Jnnungskaste fehlte, an dem harten Fels, welcher der Freiheit der Entwickelung entgegenstand, zerschellte und in Brüche ging.
Wir brauchen heute für das Handwerk ebensoviel Schutz wie Freiheit. Die Grenzen sind bei dem jetzigen Kulturstande zwischen dem Handwerker und dem Fabrikanten schwer zu ziehen — es giebt eigentlich eine Grenze dafür gar nicht mehr. Wenn man also die Handwerkerfrage lösen will, muß man sich der Industrie als solcher überhaupt annehmen. Ja, wir möchten behaupten, die Produktion überhaupt, ganz gleich, welcher Art sie ist, — auch die Landwirtschaft muß man einbeziehen — bedarf einer auf gesunden volkswirtschaftlichen Grundlagen beruhenden Reform, in der die individuelle Freiheit harmonisch mit weißen gesetzgeberischen Maßnahmen zu verbinden ist.
Gewiß, man soll auch am Alten pietätvoll festhalten, aber nur, wenn es gut und der Gegenwart förderlich ist. Was aber vor fünfzig Jahren zum Segen gereichte, kann heute zum Fluche werden. Unsere Zeit fordert gebieterisch zunächst den Zusammenschluß der einzeln« Ge- werbsstände zu vereintem Wirken, somit eine gewisse Korrektur des manchesterlichen Systems. Aber auch nur eine Korrektur, nicht einen vollständigen Umschwung. Der „Bund der Landwirte" hat gezeigt, daß er trotz aller Mängel und Einseitigkeit, die ihm anhaftet, eine Macht ist, mit der ernsthaft zu rechnen ist. Jetzt ist ein „Bund der Industriellen" auf ähnlicher Grundlage in der Bildung begriffen. Da fragt es sich wohl: Wie stehen die Handwerker zu diesem Bunde, der hauptsächlich an die Vertretung der mittleren und Kleinindustrie denkt? Der „Bund der Landwirte" hat sich Mühe gegeben, die Bildung einer gleichen Organisation unter den Handwerkern ins Leben zu rufen. Der Erfolg ist ausgeblieben. Und das ist unseres Erachtens auch sehr erklärlich. Die Handwerker sind Industrielle. Daher werden sie nur im Bunde mit diesen ihre Rechnung finden.
Württemberg.
Im nächsten Jahr findet bekanntlich in Stuttgart das deutsche Sängerfest statt und nun haben die Sozialdemokraten bei einer Reihe von Gesangvereinen in Stuttgart so lange agitiert, bis diese erklärten, sie würden sich an dem Sängerfest nicht beteiligen, wenn die Sozialdemokraten für ihre Parteiversammlungen nicht die Säle der Liederhalle bekommen würden. Das fehlt gerade noch, daß man den Stuttgarter Liederkcanz auf eine solche Art zwingt, sich in offenen Konflikt mit der Militärbehörde zu setzen, die dann das Spielen von Militärkapellen in der Stuttgarter Liederhalle ein für allemal verbieten würde. Es giebt Leute genug, welche der Meinung sind, das deutsche Sängerfest könne nur an innerem Gehalt gewinnen, wenn man die Sozialdemokraten nicht mit Gewalt dazu herbeizieht. Selbstverständlich ist jeder Sängerverein bei einem derartigen Feste willkommen, aber daß sich ein ganzes derartiges Fest unter dem Kommando einer politischen Partei und gar der sozialdemokratischen beugen soll, ist eine so dreiste Zumutung, daß der Stuttgarter Liederkranz hoffentlich auf seinem bisherigen Standpunkt beharrt. Er kann dies um- somehr als die gehässige Boykottierung aller
Liederkranzmitglieder durch die Sozialdemokraten sich als völlig wirkungslos erwiesen und nur so viel gezeigt hat, daß die Herrschsucht der Sozialdemokraten kein Maß und keine Rücksicht kennt.
Dem Oberhofmeister der Königin von Württemberg. Frhrn. von Reitzen st ein, der gegenwärtig in Gardone am Gardasee weilt, wurde dort eine große Geldsumme, sowie Pretiosen gestohlen. Bon den Dieben fehlt jede Spur
Ebingen, 1. Nov. Aus Meßstetten kommt die schreckliche Kunde von einem Vatermord. Ueber den Vorfall wird uns mitgeteilt: Am Montag war der 58 Jahre alte Johann Roth bei einer Hochzeit dort als Musikant thätig. Sein l8jähriger Sohn war Brautführer. In der folgenden Nacht scheinen die beiden zu Hause in Streit geraten zu sein, wobei der Vater von seinem Sohne ums Leben gebracht wurde, ob durch Erschlagen oder Abstürzen ist noch nicht festgestellt. Der Sohn versteckte den toten Vater im Stalle und gab den Leuten, die nach dem Verbleib desselben fingen, die Auskunft. sein Vater sei auf dem Viehhandel im Oberland. Der Landjäger von Oberd'gisheim schöpfte jedoch Verdacht; er forschte nach und fand heute früh den Leichnam. Der jugendliche Verbrecher ist verhaftet. Die Aufregung bei .der Ortseinwohnerschaft ist groß.
Ausland.
Mit 93 Stimmen gegen 44 weiße Zettel hat der neugcwählte Wiener Gemeinderal den Antijemitensührer Dr. Lueger zum Bürgermeister der österr. Hauptstadt gewählt. Ein Wiener Blatt wollte schon vor einigen Tagen erfahren haben, daß der Ministerpräsident und Minister d. Innern Graf Baden! die Wahl des Dr. Lueger dem Kaiser nicht zur Bestätigung vorlegen werde. Daraufhin sind einige Abgeordnete aus dem Hohcnwartklub zu Graf Badeni gegangen und haben von ihm eine diesbezügliche authentische Erklärung verlangt. Graf Badeni antwortete ausweichend, weshalb die betr. Abgeordneten ankündigten, sie würden aus dem Hoyenwartklub austreten und zu der christlich- fozialen Partei übertreten, falls Dr. Lueger nicht bestätigt würde. Da die parlamentarische Regierungsmehrheit ohnedies nur auf sehr schwachen Füßen steht, so könnte diese Stnnmverschicbung dem Ministerium sehr unangenehm werden, auch in anderer Beziehung wäre die Nichtbestätigung Dr. Luegers der antisemitischen Bewegung nur förderlich, denn bei einer etwaigen Auflösung des Wiener Gemeinderats müßten doch wieder Neuwahlen ausgeschrieben werden, welche dann sehr wahrscheinlich mindestens die seitherige Antisemitenmehrheit, möglicherweise aber sogar noch eine größere auf das Wiener Rathaus bringen würden und gerade derartige Vorgänge würden die Ausbreitung des Antisemitismus in ganz Oesterreich nur begünstigen.
Paris, 31. Okt. Der Prozeß gegen das der Spionage angeklagte Ehepaar Schwartz der gestern vor dem Zuchtpolizeigericht verhandelt werden sollte, wurde auf Ansuchen der erst gestern von Amtswegen beigestellten Verteidiger, die erklärten, die Akten noch nicht zu kennen, auf nächsten Samstag vertagt. Die späte Beistellung von Verteidigern hat darin ihren Grund, daß alle von der Advokatenkammer zur Vertretung des Ehepaares Schwartz aufgeforderten Rechtsanwälte, dieselbe ablehnten, so daß zwei Mitglieder des Disziplinarrats die Sache übernehmen mußten.
Mit ihrem Ultimatum gegen die südamerik. Republik Venezuela könnte sich die englische Regierung möglicherweise in die Finger geschnitten haben. Venezuela hat nämlich das engl. Ultimatum abgelehnt und eine Truppenmacht nach der Grenze von britisch Guyana in Eilmärschen abgeschickt, um das streitige Gebiet zu besetzen. Zu diesem Widerstand würde sich Venezuela wahrscheinlich nicht aufgerafft haben, wenn eS nicht der Unterstützung der Ver. Staaten von Nordamerika sicher wäre. Sobald aber die Engländer einen kräftigen Widerstand begegnen, pflegen sie ihren Degen wieder einzustecken. Ohnehin sind die Engländer nach einer anderen Seite