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Zluteryaltender Teil.
Der gute Onkel.
Humoreske von Georg Grad.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
So konnte er sich wenigstens noch immer in dem holden Wahn wiegen, daß cs ihm gelingen werde, allmählich rhre Neigung zu erwerben. Er setzte deshalb seine Einkäufe unverdrossen fort, zum nicht geringen Erstaunen seines Vetters, der seit kurzem ebenfalls ganz umgewandelt schien. Sonst sehr schweigsam und einsilbig, trug er in der letzten Zeit mehrfach eine heitere Fröhlichkeit zur Schau. Aufgefallen war es Paul, daß sein langer Kousin wiederholt ein Papier in seinen Taschen zu verbergen sich bemühte, sobald letzterer unerwartet in das Zimmer trat. Paul war durchaus nicht besonders neugierig, aber das Benehmen seines Vetters, der sonst nicht die geringste Heimlichkeit vor ihm hatte, machte ihn stutzig. „Was er nur vorhat?" dachte er bei sich, sobald er die verlegene Miene seines Vetters bei seinem Eintreten bemerkte. Eines Abends vergaß Franz in. der Eile ein Papier aufzunehmen, das von seinem Schreib- tisch heruntergefallen war. Paul, der sich ahnungslos danach bückte, warf einen Blick hinein und fing aus vollem Hause zu lachen an.
„Das ist ja köstlich, unbezahlbar, ha ha ha," rief er aus, indem er sich vor Lachen schier ausschütten wollte.
Franz, der die Situation überblicke, errötete bis unter die Haarspitzen.
„Nun sehe mir doch einer meinen säubern Herrn Vetter an. Sitzt dieser anscheinend so harmlose, stillvergnügte Jüngling hier und verfertigt Liebesgedichte. He he he, das ist zu köstlich."
„Paul, ich bitte Dich, gieb mir das Papier wieder."
„Um keinen Preis der Welt. Erst muß ich das Gedicht lesen. An wen ist es denn eigentlich? Ah — an „Sie", die Bewußte."
„Als ich Dich zuerst erblickte,
Als Dein Bild mich hoch entzückte,
Teures, geliebtes Wesen,
Ich in Deinem Blick gelesen —"
„Bravo, bravo, an Dir ist ein Goethe verloren gegangen. Schade, daß Du das Poem noch nicht vollendet hast. Die Fortsetzung würde wohl jedenfalls ebenso hochpoetisch geworden sein, als der Anfang. Aber sage mir nur, was hast Du denn in ihrem Blick gelesen und wer ist sie denn eigentlich, Deine teure Angebetete, die Dich Menschenkind zum Besteigen des Pegasus zu begeistern vermag?"
„Ja." entgegnete Franz kleinlaut, „wenn ich es nur selbst wüßte."
„Was, Du kennst nicht einmal Dein Ideal dem Namen nach?"
„Offen gesagt, nein. Höre mich an, Du hast doch nun einmal den Anfang erfahren, aber versprich mir zuvor, daß Du mich nicht damit necken willst."
„Das verspreche ich Dir hiermit feierlichst," beteuerte Paul.
„Also eines Abends, vor ungefähr acht Tagen, gehe ich den Steinweg entlang, als ich plötzlich vor mir ein junges Mädchen erblickte, von einer so rührenden Schönheit, daß ich ganz hingerissen war. Ich folgte ihr unbemerkt. Mit einemmal war sie verschwunden, ich hatte sie im Gedränge verloren. Mehrere Abende wartete ich um dieselbe Zeit vergebens auf ihr Wiedererscheinen. Endlich gestern abend sah ich sie wieder. Ich folgte ihr abermals. Das Glück war mir günstig. Beim Uederschreitcn des Fahrweges am Ncuenwall verlor sie unbemerkt ein kleines Paketchen. Ich hob es auf und übergab es ihr. Sie dankte freundlich und als ich zum erstenmal ihre Stimme hörte, da ... da . . ."
„Habe ich mich so sterblich in sie verliebt, daß ich so jämmerliche Verse mache," ergänzte Paul die Erzählung. „Aber tröste Dich, alter Junge, Dir geht es nicht allein so. Ich teile Dein Schicksal."
„Du?" fragte Franz gedehnt.
„Ja, ich, sieh mich nur ungläubig an. Auch
ich habe mein Herz verloren, zum erstenmal in meinem Leben."
„Ist es Scherz oder Ernst?" fragte Franz, der noch immer nicht wußte, ob sein Vetter ihn nicht wieder neckte.
„Mein voller Ernst, verlaß Dich darauf, nur mit dem Unterschied, daß ich wohl weiß, wer sie ist und wo sie wohnt, daß ich mir aber durchaus nicht darüber klar bin, ob sie auch nur einen Funken von Interesse für mich hegt."
„Kannst Da sie denn nicht danach fragen?"
„Ja, mein lieber Junge, das ist leichter gesagt als gethan; ich habe nicht den Mut dazu."
„Ach, was soll ich denn erst sagen,' er- widerte Franz mit kläglicher Stimme, „wenn Dir schon der Mut fehlt?
„Wirf Dich ihr, wenn Du sie wicdersiehst, auf der Straße zu Füßen und deute pantomimisch nach Deinem Herzen. Das ist neu, sensationell und wird seinen Zweck nicht verfehlen."
„Ja, mache Dich nur über mich lustig," entgegnete Franz, „Du hast auch allen Grund dazu."
„Sei nur nicht böse, mein liebes Vettcrchen, wir sind ja Leidensgefährten, da wir uns in gleicher Lage befinden. Laß uns das beste hoffen, und sieh Du nur zu, daß Du sobald als möglich die Adresse Deiner Angebeteten erfährst."
„Das nächste Mal gehe ich ihr nach und ermittle ihre Wohnung, und sollte es mein Leben kosten."
„Die Liebe hat Dich ja ordentlich kühn gemacht. Du Heldcnjüngling bist ja kaum wiederzuerkennen." neckte ihn sein Vetter; „halt, ich habe eine Idee," fu'^ er fort, „von der ich das beste hoffe, ja, ja, so wird cs gehen. Ich muß Gewißheit haben. Ich werde sie Dir später mitteilen, lieber Franz, und Dich wenn ich erst Gewißheit habe, mit allen Kräften unterstützen."
„Ich allein", entgegnete dieser, „werde auch
schwerlich jemals zum Ziel gelangen."
* *
Onkel Wiese saß wie gewöhnlich auf seinem bequemen Plätzchen am Fenster des gemütlichen Wohnzimmers, rauchte sein Pcischen und hing so seinen Gedanken nach.
Das Weihnachlsfest war nahe, nur noch wenige Wochen, und dann war es da, das schönste aller Feste, welches den Wendepunkt bezeichnet, an welchem das Licht allmählich wieder die Oberhand gewinnt über die Finsternis, das Fest, welches Millionen Herzen höher schlagen läßt vor Freude und hoffnungsvoller Erwartung, das Fest, an welchem ein jeder nach seinen Kräften sich bemüht, Frohsinn und Freude bei seinen Augehörigen und Mitmenschen zu verbreiten. Der Träumer am Fenster blickte einige Jahrzehnte zurück, wie freudenlos war seine Jugend unter dem Druck der Armut und Entbehrung verlaufen. Wie kärglich waren die Gaben, welche die Eltern ihm und seinen Geschwistern an diesem Freudenfest darbieten konnten und doch war die Freude eine reine und ungetrübte, da die elter- liehe Liebe und kindliche Dankbarkeit, das stärkste Band, sie gab und empfing.
Wie anders war es im Laufe der Zeit ge- worden. Die Eltern und Geschwister waren dahin gesunken in die kühle Gruft, nur er war zurückgeblieben, einsam auf der Welt. Was nutzte ihm sein Reichtum? Gab es doch keine menschliche Seele, die wirklich von Herzen teilnahm an seinem Geschick.
Seine beiden Neffen, ja, das waren ein Paar prächtige Jungen, allein ihr Zusammensein mit dem Onkel beschränkte sich auf wenige Stunden in der Woche, und die anderen Menschen standen ihm ganz kalt und fremd gegenüber. Zum erstenmal in seinem Leben fühlte er, dafz ihm etwas fehle, daß er nicht glücklich sei, und so sehr er sich auch gegen den Gedanken sträubte, immer von neuem tauchte er wieder in ihm auf, wie sehr gerade er mit seinem warmen Gemüt, seinen treffOchen Charaktereigenschaften berufen gewesen sei, eine Frau glücklich zu machen. Ein liebendes Weib an seiner Seite, blühende Kinder spielend um ihn her, o. der Gedanke war zu fchön.
„Alter Junge, ich glaube gar, Du flennst wie ein Weib," murmelte er vor sich hin, indem er eine verstohlene Thräne aus dem Auge wischte.
„Guten Tag, liebstes, bestes Onkelchen", unterbrach jetzt seinen Gedankengang die frische Stimme seines leichtsinnigen Neffen Paul. „Höre mal, Onkelchen, ich habe Dir etwas ganz Wichtiges mitzuteilen."
„O weh. wahrscheinlich eine kleine Anleihe?" lachte Onkel Wiese.
„Nein, die Zeiten sind vorüber. Aber 3000 ^ will ich bei Dir verdienen."
„Du, bei mir?"
„Ja, ich, sieh mich nur an. Du erinnerst Dich doch Deines Versprechens, demjenigen Deiner beiden lieben Neffen 3000 ^ zu zahlen, der zuerst eine Gattin heimsührt?"
„Und nun?"
„Nun, ich bin auf dem besten Wege dazu."
„Du, wirklich, oder scherzest Du nur?"
„Nein, durchaus nicht, ich bin verliebt bis über beide Ohren."
„Das ist köstlich," rief der Onkel, indem er sich die fetten Hände rieb." „Alter Junge, ist es auch wirklich wahr?"
„Auf mein Ehrenwort, lieber Onkel, ich bin verliebt, rasend verliebt, zum erstenmal in meinem Leben."
„Nun, dann doch frisch ans Werk."
„Ja, bestes Onkelchen, die Geschichte hat aber noch einen Haken."
„Einen Haken, wieso?" fragte der Onkel.
„Ja, ich weiß nämlich nicht, ob sie will."
„Ob sie will? Ha ha ha, sie muß."
„Ja, wenn sie nun aber nicht will?"
"Dann zwingen wir sie. Junge, das ist ja köstlich, köstlich, ich sehe schon im Geiste die vergnügte Hochzeit, die richte ich natürlich aus, und übers Jahr. . . na, ich will weiter nichts sagen," fuhr er lächelnd fort. „Aber sage mal, wer ist denn die „sie" eigentlich?"
(Fortsetzung folgt.)
(Eine böse Verwechselung.) In seinem Metzer Bericht über den von KaiserWilhelm II. den Schlachtfeldern dcs 16. und 18. August 1870 neulich am 16. Okl. abgestatteten Besuch bringt der „TempS" folgende merkwürdige Nachricht: . . . . In Gravelotte betrachtet der Kaiser besonders das Haus, wo vor 25 Jahren Napoleon III. eine Zusammenkunft mit Wilhelm I. hatte. In Gravelotte sind Wilhclm I. und Napoleon III. niemals, also auch vor 25 Jahren nicht, zusammengekommen, denn als Wilhelm I. die Schlacht gegen Marschall Bazaine leitete, war Napoleon III. ganz wo anders. Offenbar hat hier der Berichterstatter und mit ihm der „Temps" die Schlacht bei Gravelotte mit der Schlacht von Sedan verwechselt!
15000 Eimer Melh. Die mit den Vorbereitungen zur bevorstehenden Kaiserkrönung in Moskau betraute Kanzlei hat bei dem Gründer dcs Petersburger Bienenzuchlmuseums, Werdo- woffsky, bereits 15 000 Eimer Melh bestellt, mit dem während der Krönungsfeierlichkeiten nach altem rusischem Brauch das Volk regaliert werden soll.
Gegen den Unfug des Bekritzelns der Klosettwände will die Direktion der Stadt- und R'ngbahn nunmehr energisch Vorgehen. Fünfzig Mark Belohnung werden Jedem zugesichert. durch dessen Anzeige es gelingt, einen solchen Schmierfinken zu ermitteln. Wünschens- wäre cs, wenn auch die Verwaltungen anderer Bahnen diesem Beispiele folgten.
(Zarte Andeutung.) Sie: „Ach, Männchen, möchtest Du Dir nicht einen neuen Anzug machen lassen?" Er: „Ich? Wozu denn?" Sie: „Ich meine nur zu dem neuen Kostüm, das ich so notwendig brauch."
(Berichtigt.) Sie: „Wie kommt es nur, Arthur, daß Menschen so selten ein und denselben Gedanken haben?" — Er: „Na, wart mal ab! An unserem Hochzeitstage — wenn Du die Geschenke siehst, wirst Du anderer Meinung werden."
Redaktion, Druck und Verlag von <L. Meeh in Neuenbürg.