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daß die geprellten Handwerker ein solchen Betrüger verklagen. Mit größter Gewissensruhe beschwört er, daß er nichts sein eigen nennt. Die verzehrten Gelder seiner Opfer, den Champagner und die Austern, mit denen er sich gemästet, vermag ihm keine Macht der Erde mehr zu entreißen."
„Ja. ja, es ist eine böse Zeit", bestätigte der Onkel kopfnickend, „der Schwindel macht sich überall breit, namentlich auf gewerblichem Gebiet. Nun, glücklicherweise sangen die Handwerker ja an, sich kräftig aufzuraffen, sich zu- sammenzuschließen und energisch für ihre Interessen einzutreten. Der Nutzen wird sicher nicht ausbleiben."
„Na, Franz," fuhr er zu diesem gewendet fort, „Du bist ja so merkwürdig still. Was fehlt Dir denn; Du hast doch nicht etwa Herzenskummer? Na, na, ich weiß nicht recht", drohte er lächelnd mit dem Finger, als Franz dies seufzend verneinte.
„Aber ich lasse Euch auch so ruhig stehen, Ihr seid gewiß tüchtig durchfroren; hier stehen die Zigarren, für ein wärmendes Getränk will ich gleich sorgen und nachher essen wir zusammen gemütlich zu Abend, wozu ich Euch hiermit freundlichst gebührend einlade. Mine, Mine!" rief er mit Stentorstimme. Keine Antwort. Mine war nämlich seine Haushälterin, ein weiblicher Drachen ersten Ranges. Onkel Wiese war unvermählt geblieben. Er hatte „den Anschluß versäumt", wie er sich ausdrückte und so stand denn Mine dem Hausstand vor, dessen einzelne Mitglieder sie gewaltig unter ihrem Kommando hatte. NW nur fürchtete ihre direkte Untergebene, das Dienstmädchen, ihre gewaltige Zunge, die bei der geringsten Veranlassung. häusig auch ohne dieselbe, wie ein aufgezogenes Uhrwerk lief, selbst die Gesellen oder der Knecht des Hauses mußten in den meisten Fällen ihre Opposition unterlassen, da mit Mine nicht gut Kirschen essen war, wie sie zu er- fahren häufig genug Gelegenheit gehabt hatten.
Auch ihr Herr und Meister stand, wie böse Zungen behaupteten, nicht ganz außer ihrem Kommando, wenn er dies auch selbstredend ge- läugnet haben würde. Man wollte ferner wissen, daß es hauptsächlich Mines Einfluß zuzuschreiben sei. daß bisher noch keine Frau Meisterin ihren Einzug in die ausgedehnte Bäckerei mit ihren schön eingerichteten Wohnzimmern gehalten habe. Es wäre Herrn Peter Adam Wiese sichet nicht schwer gefallen, bei einer der Töchter des Landes ein williges Ohr zu finden, denn er war mit seinen fünfzig Jahren noch immer ein sehr stattlicher Mann, dem das kleine Spitzbäuchlein sehr gut zu seinem vollen Gesicht stand. Er hatte sich trefflich konserviert und manche der jungen Damen noch immer auf ihn rechnete, das be- wiesen die verschämten Blicke der Töchter und die verblümten, aber deutlichen Anspielungen der respektiven Mütter, wenn der Vielbegehrte auf dem Kränzchen des „Bürgervereins" oder sonst einer Festlichkeit seine Touren mit edlem Anstande tanzte.
Allein, er sei schon zu alt zum Heiraten, behauptete er steif und fest, ihn würde kein junges Mädchen mehr nehmen, ein altes aber wolle er nicht und so war das Heiraten ganz unterblieben.
Wie gesagt, böse Zungen behaupteten unter dem bekannten Siegel der Verschwiegenheit, daß das Herz des behäbigen Bäckermeisters durchaus nicht von Stein sei und daß er bereits mehrfach im Begriff gewesen sei, sich zu verloben, jedes- mal jedoch habe die Intervention der Frau Mine, die ihre fette Pfründe nicht verlieren wollte, dem auskeimenden Liebesfrühling des Herrn Wiese ein jähes Ende bereitet.
Der weibliche Hausthrann, dem man so übles nachredete, war im Grunde genommen gar nicht so schlimm, als man ihn schilderte, wenn man ihn nur bei der rechten Seite zu nehmen wußte. Für Schmeicheleien war Mine nicht unempfänglich und diese ihre Schwachheit hatte Paul erforscht und wußte sie gründlich auszunutzen. Deshalb stand er bei ihr auch in besonderer Gunst und durfte sich manches erlauben,
was einem andern eine ernste Rüge zugezogen haben würde.
Da Mine, die in der Küche beschäftigt war. den wiederholten Lockruf ihres Prinzipals überhört hatte, benutzte Paul die günstige Gelegenheit, sich aus dem Staube zu machen, um seinem langen Vetter Gelegenheit zu geben, an seiner Stelle die Kommödie zu spielen, um die verwandtschaftliche Kasse um dreihundert Reichsmark zu erleichtern.
„Onkelchen, ich werde einmal sehen, wo die Mine steckt und uns dann zugleich einen Grog anrühren, an dem Ihr Eure Freude haben sollt. Ich bin gleich wieder da."
„Das ist recht", rief ihm der Onkel nach, „bleib nur nicht so lange."
Einen ermutigenden Blick warf Paul noch beim Heraustreten auf seinen langen Vetter, der ihm tiefaufseufzend nachsah, dann verschwand er, ein Liedchen pfeifend, auf der Diele. Der Onkel und der Lange waren allein.
„Sage mal, Franz, was fehlt Dir eigentlich? Du läßt ja heute den Kopf hängen, als wären Dir die Felle weggeschwommen", eröffnete der Onkel das Gespräch.
Ein tiefer Seufzer des Angeredeten war vorläufig die einzige Antwort.
„Du bist gewiß verliebt. Junge?"
„Nicht doch, Onkelchen. ich und verliebt", erwiderte Franz mit einem wehmütigen Lächeln, daß einem das Herz hätte brechen mögen.
„Ja, was hast Du denn, zum Teufel? Bist Du vielleicht durchs Examen gefallen?"
„Auch nicht, ich habe es ja bereits bestanden."
Ja, aber was ist Dir denn? Bist Du krank? Na, dann weiß ich wirklich nicht, was Dir fehlt", fuhr er fort, als der Wehmütige zum dritten Mal das Haupt schüttelte.
„Junge, Du hast doch nicht etwa Schulden?" rief er aus, als ob plötzlich eine Ahnung der Wahrheit in ihm aufgestiegen wäre. — „Was, Du hast Schulden? Du, den ich immer für ein Muster der Solidität gehalten habe, na, da hört denn doch verschiedenes auf", rief er aus, als Franz zu erkennen gab, daß der Onkel diesmal das Richtige getroffen habe.
„Wie kommst Du denn dazu, Du Unglücksmensch? Eher hätte ich sonst etwas zu hören geglaubt, als daß auch Du Dich zu einem leicht- sinnigen Leben verleiten lassen würdest."
„Sei mir nicht böse, liebster, bester Onkel", stotterte Franz, dem der Unmut über die klägliche Rolle, die er spielte, fast den Hals zuschnürte, „es ist das erste Mal und soll auch das letzte Mal gewesen sein."
„Ja, aber um Himmels willen, wie kommst Du denn dazu, Schulden zu machen, Du hast doch ein reichliches Auskommen und sogar Geld auf der Sparkasse gehabt, wie Du mir selbst erzählt hast?" inquirierte der Onkel. „Wahrscheinlich hat Dich Dein sauberer Vetter dazu verleitet, dann soll ihn aber der leibhaftige . ."
„Nein, lieber Onkel," fiel ihm Franz in die Rede, „Paul ist unschuldig. Er weiß nichts davon. Ich ließ mich gestern in einer lustigen Gesellschaft dazu verleiten, im Glücksspiel zu pointieren, gewann anfangs, bis ich, durch das g°nossene Getränk erhitzt, immer höhere Beträge setzte und endlich mit einem Schlage nicht nur meine gesamte Barschaft, sondern auch noch drei- hundert Mark verlor, die bis ^morgen mittag zu zahlen ich mich auf Ehrenwort verpflichtet habe."
(Fortsetzung folgt.)
Ein Omen! Der „Kreuzzeitung" wird von einem Freunde folgende köstliche Geschichte erzählt: Es wird Ihnen aus öen Zeitungen bekannt sein, daß der Oberst des in Mitau stehenden russischen 114, Infanterieregiments — auf Ordre des Ministeriums — kürzlich dem 114. französischen Infanterieregiment eine Einladung zum Sälularfest des Regiments zugehen ließ. Die Franzosen delegierten den französischen Konsul in Riga, welcher Offizier ist. Nachdem man ordentlich gefeiert hatte, und der Franzose schließlich nach Riga zurückgekehrt war, blieben die russischen Offiziere mit einigen Gästen zurück. Einer der letzteren hielt nun eine Rede, in
welcher er seine Meinung von der Nutzlosigkeit eines französischen Bündnisses darlegte und da- mit motivierte, daß Rußland, da es doch keinen Angriffskrieg wollte, gar kein Bündnis brauche, sondern sich selber genug sei. Darauf erhob sich ein durch seinen Deutschenhaß bekannter Offizier des 114. Regiments, gab seiner Meinung über die notwendige Vernichtung Deutsch, lands beredten Ausdruck und schloß, indem er sein Glas hob, mit dem Ausruf: „So wie ich dieses Glas zertrete, so werden wir Deutschland zertreten und vernichten." Darauf suchte er dann mit voller Anstrengung das Glas mit den Händen zu zerbrechen — es gelang nicht. End- lich warf er das Glas mit aller Gewalt gegen den Boden — aber auch jetzt blieb das Glas heil. Es wird versichert, die Offiziere seien wegen des fatalen Omens in etwas gedrückter Stimmung hnmgeschwankt!
Der „heilige Heinrich". Russische Blätter berichten über folgenden Vorfall, der sich vor einem Friedensrichter abgespielt hat. Ein Freund klagt über den andern, weil er die geliehene Summe von 50 Rubel nicht zurück- erhalten kann. Bei der letzten Mahnung hatte der Schuldner geäußert, er werde die schuldige Summe am Tag des „heiligen Heinrich" (den man in Rußland nicht kennt) zahlen. Nun wurde er vom Freund verklagt. Der Friedensrichter fragte, ob der Schuldner die Aeußerung in Betreff des „heiligen Heinrich" wirklich ge- than habe. Aus Bejahung hin ließ der Friedensrichter sich einen Kalender reichen und sagte dann mit größter Ruhe: in einigen Tagen haben wir den „Allerheiligentag", unter ihnen muß also der „Heilige Heinrich" mit inbegriffen sein, folglich hat der Schuldner an diesem Tag unbedingt seinen Gläubiger zu befriedigen.
Ein Hase mit einer bewegten Vergangenheit wurde dieser Tage auf der Feldmarkt von Friedrichstein bei Goldap geschossen. Um den Hals trug er einen kräftigen Drahtring, an dem vier Blechtäfelchen befestigt waren. Die erste trug die Aufschrift: „Als Junghase den Krallen des Habichts entrissen, geheilt und wieder entlassen. Köthen bei Tapiau, den 4./6. 92. Leß, Besitzer." Auf der zweiten und dritten Tafel war angegeben, oaß das Tier von Leukeit und Zosch am 10./9. 92 und 4./10. 94 angeschossen aber wieder in Freiheit gesetzt worden, und nach der Aufschrift der vierten Tafel war der Hase bei einem Besitzer Fuchs in Bärenbruch in Gefangenschaft geraten, aber mit Rücksicht auf sein bewegtes Leben und seine schwere In- Validität — es war ihm ein Auge aus- und ein Hinterbein lahmgeschossen — gleichfalls wieder in Freiheit gesetzt worden. Nun endlich hat ihn das tätliche Blei erreicht.
(Theater-Deutsch.) Pariser Blätter machen sich nun über den oft gerügten Gebrauch der französischen Worte im deutschen Theaterleben lustig. Sie führen an: „Re§i88eur, entree, Premiers, Operette, intenäant, ballet, 8vu- brette, 86eue, beneüee, eouli88en, eoutreraarlre, controlleur, abonnement, xro8peet, äireeüon, »outtleur, cledut, loAe, Zalerie, partere, clague, äeeoration, Zaräerobe, repertolr, äiriZent, blllet, xa886partout ete."
sGeistreich.) Ach, Herr Assessor, es ließ sich wirklich auf dem alten Klavier nicht mehr spielen, und als mir daher Papa einen Flügel schenkte, atmete ich ordentlich auf. — Sooh, dann war das für Sie so eine Art Lungenflügel?
Herr A.: Fräulein, essen Sie gerne Erbsensuppe? — Dame: Weshalb denn. — Herr; Nun, ich esse so gerne Schweinsknöchel, da paßten wir so vorzüglich zusammen.
sZuviel.j Ach, Herr Rat, es ist ein rechtes Kreuz mit meinem Sohn. Jetzt ist er schon so ein großer Mensch, aber nicht im geringsten weitläufig. — Sehen Sie, daß er einmal heiratet! — Nein, so dumm ist er doch nicht!
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.