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42 Tagen. Aber es waren nur ein paar Tropfen. Des Nachmittags gegen 3 Uhr spritzte es etwas länger, grade genug, um die Staub­schicht auf den Dächern und Bäumen anzu­feuchten, aber der Himmel bleibt umwölkt und Herr Masaras, der Direktor des meteorologischen Zentralbureaus, verspricht wohlthätige, himm­lische Fluten, gestützt auf die einqetretenen at- mospbärischen Störungen. Das Pariser Obser­vatorium verzeichnet seit 1689 die meteorologischen Beobachtungen, aus denen hervorgeht, daß der September 1895 hinsichtlich der hohen Temperatur einzig dasteht. Die Durchschnittstemperatur dieses Monats betrug 19,9 Grad, das Maximum

36.2 Grad, das am 7. September verzeichnet wurde. In den letzten zwei Jahrhunderten hat man nur zweimal ähnliche Erscheinungen, die aber nicht an die diesmalige heranreichen, be­obachtet: Im Jahre 1734 betrug das Maximum im September 31,9 Grad und im Jahre 1886

31.3 Grad. Die höchste Durchschnittstemperatur wurde im Jahre 1841 mit 18,4 Grad verzeichnet.

Petersburg, 2. Okt. Die Regierung hat in Lugansk, Gouvernement Jekaterinenburg, eine Patronenfabrik mit einer jährlichen Pro- duktionssähigkeit von 100 Mill. Patronen für ein kleinkalibriges Gewehr eröffnet. In der Fabrik sind 1000 Arbeiter beschäftigt, der Be­trieb ist ein elektrodynamischer.

Da die Spanier trotz aller Truppen­nachschübe nach Cuba mit den dortigen Rebellen nicht fertig werden können, versucht Marschall Martinez Campos es jetzt mit Verhandlungen. Er verspricht den weißen Rebellen für den Fall ihrer Unterwerfung allerlei Reformen, um dann desto sicherer die schwarzen Rebellen niederwerfen zu können. Zwischen den weißen und schwarzen Rebellen sollen nämlich ernste Mißhelligkeiten ausgebrochen sein. Ob aber diese Reform­versprechungen der Spanier die Cubaner zum Niederlegen der Waffen veranlassen werden, ist umsomehr zweifelhaft, als in Nordamerika be­reits öffentliche Volksversammlungen von der Regierung der Bereinigten Staaten verlangen, sie solle die Rebellen auf Cuba als kriegführende Partei anerkennen.

Nach Meldungen aus Boulogne zerstörte eine Feuersbrunst mehrere kleine Schiffswerften. Sieben im Bau befindliche Schiffe von geringem Tonnengehalt sind mit verbrannt. 500 Arbeiter sind beschäftigungslos geworden.

Bern, 9. Sept. Der Bernische Aerzte- und Apothekerverein richtete neulich an die Presse das Ersuchen, die Selbstmordfälle gar nicht oder doch ohne jede sensationelle Beigabe zu veröffentlichen, da die zur Befriedigung einer ungesunden Neugier des Publikums üblich ge­wordene Ausschlachtung solcher Ereignisse einen großen Teil der Schuld an der erschreckenden Zunahme des Selbstmordes trage. In Frank­reich beispielsweise kamen im Jahre 1830 nur 5 Selbstmordfälle auf 10 000 Einwohner vor, im Jahre 1850 schon 10, im Jahre 1875 15 und im Jahre 1890 bereits 22. Man beachte aber auch in den Rubriken der äramos xassi- onols den Eifer und die Weitschweifigkeit, mit weichen die französischen Blätter solche Vorfälle behandeln, mit welchem Aufwand stilistischer Kunst namentlich das Ende frühreifer, oder durch allerlei Umstände von der Erfüllung ihrer Wünsche ausgeschlossener Liebespaare, zum Lese­stoff verarbeitet wird. Bis zu einem gewissen Grad haben unsere Aerzte wohl Recht; auf schwache Köpfe können Berichte von Vergehen und Verbrechen verhängnisvoll einwirken. Aber die Hauptursache der Zunahme der Selbstmorde liegt anderswo. Schwäche, Verlust des seelischen Gleichgewichtes, frühzeitiger Lebensüberdruß sind in den meisten Fällen die Früchte der Zeit, in welcher wir leben, die Zeit der unbefriedigten Begierden und der Uebersättigung, des Alko­holismus und der Nervenschwäche. Da aber auch kleine Mittel zur Besserung nicht zu ver­achten sind, so haben viele schweizerische Blätter die Aufforderung der Aerzte gut ausgenommen und werden künftig entweder die Selbstmord­fälle ganz übergehen oder doch nicht sensationell ousschlachten. (Wir sind ganz damit einver­standen. Die Red.)

Die Selbstmordseuche.

Es giebt nichts Widernatürlicheres als den Selbst­mord. Er ist die vollkommene Verwirrung desWillens zum Leben" und trotz Schopenhauer, dessen Philo­sophie durch ihr weltflüchttges Ziel im letzten Grunde die Selbstvernichtungssucht unserer Tage erzeugt hat, schlechterdings die verzweifelte Bankerolterklärung des Menschen, der keinen ins Leben führenden Weg mehr zu betreten weiß oder wagt. Und er geht, ohne rechte Erkenntnis, daß er Nichts als Passiva hinterläßt, daß er einige wenige Fälle ausgenommen

mit einem Schuß, mit dem Strang, mit einem Sprung ins Wasser oder in eine zerschellende Tiefe, mit Gift nnd Dolch doch nur seine Charakter­schwäche besiegelt.

Auch das vorige Jahrhundert war von dem senti­mentalen Reiz der Weltflucht ergriffen. Werthers Leiden und sein Ende wurde von aller Welt als Ausdruck einer gewissen allgemeinen Todessehnsucht empfunden und mit Strömen von Thränen beweint. Bekannt ist auch, daß Friedrich der Große stets ein Fläschchen Gift bei sich führte und daß er, nach der Schlacht bei Kunnersdorf an dem Erfolge der schlesischen Kriege verzweifelnd nahe daran war, seinem Leben ein Ende zu machen. Er hatte wohl Grund dazu. Aber er hätte niemals der Große genannt werden dürfen, wenn er dem Selbstmordschauer unterlegen wäre. Ausge­nommen in dem Fall, wo durch den Selbstmord einer unvermeidlichen schimpflichen Vernichtung durch einen überlegenen Feind vorgebeugt wird, im realen und bildlichen Sinne ist eine solche That das Gegenteil von Tapferkeit und ein ebenso großes Verbrechen an sich selbst wie an der Familie und der-Gesellschast über­haupt.

Oft ist daher die Frage erörtert worden, ob die Gesellschaft sich nicht durch ein Strafgesetz gegen die Zunahme der Selbstmorde sichern könne. Freilich, an einem Toten ist nichts mehr zu bestrafen! Wohl aber an Denen, die einen mißglückten Versuch aus nachweislich geringfügigem Anlaß gemacht haben. Eng­land ist in dieser Richtung bereits vorgegangen. Die erschreckende Zahl der Fälle in Deutschland und aller­dings besonders in Berlin, macht es auch uns zur Pflicht, auf Gegenmittel irgend welcher Art zu sinnen. Wen hat nicht jene Nachricht von den zwei jungen Mädchen, die sich in krankhaftem Todesrausch zusam­mengebunden aus dem Fenster aufs Pflaster stürzen, mit Entsetzen über den Geist der Zeit erfüllt? Wer schlägt heute eine Zeitung ohne ein gewisses Grauen auf, wieder auf eilte ausführliche Schilderung eines Mordes oder Selbstmordes oder, wie es in der sen­sationsbedürftigen Zeichensprache heißt, eines Doppel­selbstmordes zu treten. Auf offener Straße, von Hunderten von Menschen umgeben, erschießt ein Schlosser ohne jede Scham seine Geliebte und sich selbst; ein Amtmann verläßt heimlich seine nichtsahnende Frau und seine Kinder, um sich in einem Badeort Vor dem Spiegel stehend durch den Schädel zu schießen

wegen anhaltender Kopfschmerzen! Unheilbare körperliche Leiden können allerdings am ehesten zur Verzweiflung bringen. Aber wohin soll das führen, wenn sogar schon die Schüler sich wegen einer schlechten Zensur entleiben? Was kann dagegen geschehen?

Die Zahl der Selbstmorde ist erfahrungsmäßig im Sommer weit größer als im Winter. In Frankreich nehmen sich Jahr für Jahr im Sommer 8001000 Menschen das Leben, während im Winter nur 450600 den Entschluß zur Selbstausrottung, diesem traurigen Vorrecht des Menschengeschlechts, zu fassen pflegen. Obige Erscheinung beweist zunächst, daß die Not, die zweifellos im Winter größer ist, nicht in dem Maße Ursache des Selbstmordes ist, wie man anzunehmen geneigt ist; vielmehr dürste sie in der höheren Ent­wicklung des Liebeslebens während der Sommermonate zu suchen kein. Die Steigerung krankhafter geschlecht­licher Neigungen ist überhaupt die vornehmlichste Ur­sache der Selbstmordseuche unseres Zeitalters.

Erfahrungsmäßig wirkt vor Allem das Beispiel ansteckend. Personen, die zum Selbstmord geneigt sind, lesen in den Zeitungen, wie dieser oder jener sich das Leben aus einem Grunde genommen hat, der ihrer Meinung nach auch für ihre Selbstvernichtung zureichend ist; und ihre trüben Gedanken verwandeln sich in Vor­satz und That. So entstehen förmliche Selbstmord- epidemien, wovon Deutschland zur Zeit ebenso sehr wie Frankreich heimgesucht wird. Mancher arme Schlucker folgt dem Vorgang seiner Leidensgenossen, wenn er erfährt, wie sie ihrem Elend ein Ende gemacht haben. Kaum berichten die Zeitungen von einem Liebespaar, das gemeinsam den Tod gesucht hat, so werden auch schon neue Fälle gleicher Art, oft in langer Reihen­folge bekannt. Kann man daher den Bazillus des Selbstmordes, der sehr vielgestaltig sein würde, nicht entdecken und im Keime auszurotten suchen, so sollte man doch eifrigst auf Mittel zur Vertreibung der Seuche bedacht sein.

Von der Aerzte-Bersammlung in Bern ist kürzlich die Anregung ausgegangen, an alle Tageblätter die Aufforderung zu richten, künftig Fälle der letztgenannten Art allgemein mit Stillschweigen zu übergehen. Ohne Frage müßre ein solches Verhalten der Presse, wenn es allgemein beobachtet würde, umsomehr eine vor­beugende Wirkung zeigen, als mit dem Wegfall des öffentlichen Berichts ein häufig vorhandenes, aus der Eitelkeit entspringendes Nebenmotiv zum Selbstmord wegfiele, nämlich die Gewißheit, nach dem Tode in mehr oder weniger romantischen Berichten als ein Held oder Heldin zu figuriren!

Die meisten Blätter werden die Zumutung der Aerzteversammlung freilich als eine unmögliche Forder­

ung abweisen, (wir für unfern Teil nicht! die Red. h Enzth.) und ein Gesetz, welches den öffentlichen Berichs schlechtweg verbietet, erscheint mit Rücksicht auf Enthüllung gesellschaftlicher Notlagen nicht einmal wünschenswert. Auch ist das sensationslüsterne Publi­kum allezeit bereit, die ausgedehntesten Berichte Selbstmordfälle entgegen zu nehmen, und läßt es sich gern gefallen, wenn dieser niedrigen Neigung von seiten gewisser Lokalblätter in gewinnsüchtiger Absicht aus jede mögliche Weise Vorschub geleistet wird. Hier aber ist durchaus Wandel zu schaffen! Mann kann ver­langen, daß die Presse aus Anstandsgesühl und aus Respekt vor dem erzenem Geschlecht sich darüber still-' schweigend einigt, alle Fälle von Selbstmord nach Art einer guten Gesellschaft nur ganz kurz zu ver­öffentlichen und weitschweifiger pikanter Schilderungen sich peinlichst zu enthalten. Wird doch jeder Selbstmord innerhalb der Familie, die betroffen ist, als ein Schand­fleck empfunden und möglichst mit dem Schleier des Schweigens bedeckt. So müßte auch die Presse und die Gesellschaft im Ganzen jeden Selbstmord als einen Schandfleck an sich selbst empfinden lernen und ein breites Auseinandertreten mit Abscheu zurückweisen. Es ist eine Schmach, zu sehen, wie gewisse Skandal­blätter jede derartige Neuigkeit als eine willkommene Beute betrachten. um sich bei ihren Lesern in Helles Licht zu setzen. Der gesunde Sinn weist solche Künste mit Entrüstung zurück. Aber leider sind die niedrigen Instinkte der Masse eine dämonische Macht, leicht zu wecken, noch leichter zu mißbrauchen!

Nur in dem Falle, wo ein Mann von öffentlichem Interesse sich das Leben nimmt, oder wenn sich ein Selbstmord unter Umständen ereignet, die entschieden soziale Unzuträglichkeiten aufdecken, wäre ein Ver­schweigen durch die Presse nicht am Platze. In allen den zahllosen Fällen aber, wo die Ursachen zu dem unseligen Entschluß wesentlich oder ganz im Privat­leben wurzeln, sollten die Zeitungen sich mit einer bloßen Nachricht begnügen oder am besten ganz schweigen. ;Wir sind ganz damit einverstanden. Die Red.) Eine Abnahme der Selbstmordseuche würde alsbald das Ergebnis sein.

(Das Höchste der Sprachreinigung.) Ein Konzert, welches kürzlich in St. Avold (Lothr.) stattfand, wurde folgendermaßen angekündigt: Großes Streichgetön, ausgeführt von der ! Streichbande des zweiten hannoverschen Lanzen­reiterhaufens 14 unter Leitung des königlichen Spielwarts Hrn. B. Stüber." Aus derSpiel­folge" feien noch folgende Merkwürdigkeiten her­vorgehoben: Schwärmerei ausDer Postknecht von Lonjumcau" von Adam; ein Lied auf der Schnabelflöte mit Klappen (Klarinette) von Neidisch; Vierertanz nach Gedanken aus dem Pariser Leben" von Offenbach;Ein Zick-Zack", Durcheinander (Potpourri) von Schreiner;Der Thunichtgut", Eiltanz von Faust.

Frau:Nun ja, Ihre Zeugnisse gefallen mir ganz gut und ich wäre nicht abgeneigt, Sie in Dienst zu nehmen. Welches sind Ihre Be­dingungen?"Ich sehe weniger auf hohen Lohn als auf feine Behandlung, nur beanspruche ich jeden Abend eine Stunde Velocipedsahren zu dürfen!" (Fl. Bl.)

(Auf der Sekundärbahn.) Passagier (Mor­gens früh):Weshalb hatten wir denn auf der letzten «Station nur so kurzen Aufenthalt, Schaffner!? Schaffner:Weil da 's Bier noch nicht angestochen war!"

(Voraussicht.) Studiosus:Wir wollen unser Stammlokal hierher verlegen; haben sie einen genügend großen Tisch?" Wirt:Sehen Sie sich diesen hier 'mal an, unter dem können bequem 15 Mann liegen.

Telegramme.

Koburg, 3. Okt. Es wird ange nommen, daß die in Neustadt stattgefundenen vielfachen Brände auf Brandstiftung beruhen. Nachdem gestern eine Person unter diesem Verdachte ver­haftet worden, wurde heute eine zweite Person verhaftet, in deren brennendem Hause man planmäßige Vorbereitungen für Brandstiftung gefunden hat.

Aachen, 3. Okt. In dem Prozeß gegen die Klosterbrüder Heinrich und Jrenäus sprachen die Geschworenen den Bruder Heinrich, nachdem der Staatsanwalt in seinem Plaidoyer für Freisprechung eingetreten war, für nicht schuldig. Der Gerichtshof erkannte auf Frei­sprechung und ordnete die sofortige Haftentlass­ung desselben an. Auch legte er die Kosten unter Einschluß derjenigen für die Zeugenlad­ungen für den Bruder Heinrich der Staats­kasse auf.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.