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Kriegschronik 1870/71.
13. September 187S.
Berlin. Der Bundeskanzler Graf Bismarck richtete folgenden Erlaß an die Vertreter des Norddeutschen Bundes bei mehreren neutralen Regierungen:
„Reims den 13. September 1870.
. . . Die Garantien, welche man nach dem Jahre 1815 gegen dieselben französischen Gelüste und für den europäischen Frieden in der heiligen Allianz und anderen im europäischem Interesse getroffenen Einrichtungen gesucht hat, haben im Lause der Zeit ihre. Wirksamkeit und Bedeutung verloren, so daß Deutschland allein sich schließlich Frankreichs hat erwehren müssen, nur auf seine eigene Kraft und seine eigenen Hilfsmittel angewiesen. Eine solche Anstrengung, wie die heutige, darf der deutschen Nation nicht dauernd von Neuem angesonnen werden; und wir sind daher gezwungen, materielle Bürgschaften und die Sicherheit Deutschlands gegen Frankreichs künftige Angriffe zu erstreben, Bürgschaften zugleich sür den europäischen Frieden, der von Deutschland eine Störung nicht zu befürchten hat. Diese Bürgschaften haben wir nicht von einer vorübergehenden Regierung Frankreichs, sondern von der französischen Nation, zu fordern, welche gezeigt hat, daß sie jeder Herrschaft in den Krieg gegen uns zu folgen bereit ist, wie die Reihe der seit Jahrhunderten von Frankreich gegen Deutschland geführten Angriffskriege unwiderleglich darthut.
Wir können deshalb unsere Forderungen sür den Frieden lediglich darauf richten, sür Frankreich den nächsten Angriff auf die deutsche und namentlich die bisher schutzlose süddeutsche Grenze dadurch zu erschweren, daß wir diese Grenze und damit den Ausgangspunkt französischer Angriffe weiter zurückzulegen und die Festungen, mit denen Frankreich uns bedroht, als defensive Bollwerke in die Gewalt Deutschlands zu bringen suchen.
Euere usw. wollen Sich, wenn Sie befragt werden, in diesem Sinne aussprechen. :,von Bismarck."
Vom Kriegsschauplatz. Das große Hauptauartier ist noch in Reims. Von hier aus werden von den Offizieren vielfach Ausflüge nach Chalons gemacht, um das ehemalige große Baracken-Lager, welches drei Divisionen umfaßte, zu besichtigen. Das Lager ist völlig verödet. Chalons selbst zählt nur 7000 Einwohner. In dem großen Baracken-Lager hatten auch die Minister und die Kaiserin prachtvolle Zelte oder Pavillons.
Straßburg. Vor Straßburg scheint man sich in der Stille auf den Sturm zu rüsten. Das Bombardement hat nachgelassen, und Weiber und Kinder wurden in großen Zügen aus der Stadt geschaft. Ueber dem Rhein bei Kehl ist jetzt ein Jnfanteriebankett zu stände gebracht, hinter welchem 30 000 Mann Posto fassen können. Feindliche Ausfälle, um diese Erdwerke zu zerstören, wurden stets zurückgewiesen. Die feindlichen Kugeln der Infanterie bei dem anderthalbstündigen Ausfall flogen bis Kehl, und mancher Ziegel wurde in Trümmer geschossen.
Deutsches Weich.
Berlin, 12. Sept. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Der Besuch des Kaisers Franz Joseph galt zunächst den militärischen Hebungen, aber die neuerliche Bekundung der herzlichen Beziehungen beider Herrscher erneute den kräftigen Pulsschlag der Freude an den segensreichen Früchten, welche der Fricdensbund, dem auch Italien zugesellt ist, für uns getragen hat, und bestärkte die Hoffnung auf die Zukunft, welche durch das Bündnis der drei Reiche gegen alle Fährlichkeiten gesichert erscheint. Mit dem Ausdruck hoher Verehrung, welche alle Nationen dem Kaiser Franz Josef darbringen, verbindet das deutsche Volk den Dank, welchen es dem Herrscher schuldet, der in treuem Zusammenhalten mit unserem Kaiser, den von den Völkern Europas ersehnten Frieden bis zur Stunde unerschütterlich erhalten hat und auch weiter zu wahren gewillt ist.
Berlin, 13. Sept. Eine sensationelle, darum aber wenig glaubwürdige Nachricht bringt die „Mil..Pol. Korr." . indem sie behauptet, daß in der Frage der Behandlung der Sozialdemokraten am Hofe zwei Strömungen nebeneinander herlaufen. Die eine werde repräsentiert durch den Namen Hohenlohe, die andere durch den Namen Eulenburg. Man sei in politischen Kreisen gespannt, welcher es gelingen werde, Oberwasser zu gewinnen und zu behaupten. Soll das alle Spiel Caprivi-Eulcnburg wieder beginnen?
Bremen, 12. Sept. Der deutsche Juristen tag hat seine Beratungen heute beendigt und folgenden Beschluß gefaßt: „Nachdem der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich in zweiter Lesung wesentliche Verbesserungen erfahren hat, ist es wünschenswert, daß der Reichstag und der Bundes- rat das baldige Zustandekommen dieses Gesetzbuches herbeiführen werde." Ferner wurde
folgende Resolution gefaßt: „Es empfiehlt sich im Wege der Gesetzgebung einen wirksamen Schutz gegen den unlauteren Wettbewerb zu schaffen." Die Frage, in welcher Weise dies geschehen soll, wird einer späteren Beschlußfassung Vorbehalten. Abends 5 Uhr fand ein großes Banket für die Teilnehmer am Juristenlag statt.
Aus Baden, 8. Sept. Theodor Bergmann, der Inhaber der auf unserer Ausstellung rühmlichst vertretenen Firma „Bergmanns Jndustriewerke Gaggenau in Baden" hat sich mit der großen Waffenfabrik B. Chr. Schilling in Suhl verbunden, um seine neue Selbstladepistole im größeren Maßstabe Herstellen za können. Die Bergmanns Pistole ist durch die vielen Ja- und Auslandspatente bereits bekannt und namentlich die neueste Konstruktion Modell 98 zeichnet sich durch große Einfachheit aus. Die Ladeweise geschieht in Paketen, wodurch es möglich ist, 28 Schüsse in 20 Sekunden avzufeuern. Dabei ist die Handhabung der Waffe die denkbar einfachste, da das Laden und Auswerfen der Patronen automatisch durch den Rückstoß geschieht, sodaß dem Schützen nur das Einlegen neuer Pakete bleibt. Daß durch diese Eigenschaft die Bergmannsche Pistole sehr rasch den teuren Revolver verdrängen und sich allgemein einführen wird, ist wohl mit ziemlicher Bestimmtheit voraus zu sagen. Mehrere Staaten sind auch schon in ernste Prüfung dieses Selbstladers behufs Einführung in der Armee eingetreten.
Württemberg.
Stuttgart. Oberst und Flügeladjutant ».Schott wurde unter Beförderung zum Generalmajor zum Kommandanten von Stuttgart und gleichzeitig zum General L la suite Sr. Maj. des Königs, Oberst und Flügeladjutant Frhr. von Walter, Militärbevollmächtigter in Berlin, unter Beförderung zum Generalmajor zum General L la suite Sr. Maj. des Königs ernannt. Ferner Generalmajor Graf v. Scheler, Kommandant von Stuttgart, in Genehmigung seines Abschiedsgesuchs unter Belastung in dem Verhältnis als General a Irr. suite Sr. Maj. des Königs unter Verleihung des Kommen- lhur-Kreuzes I. Kl. des Friedrichs-Ordens, mit Pension und Oberst v. Schmidt a Io. suite des Grenadier-Regiments Nr. 123, Eisenbahn- linieN'Kommiffar in Stuttgart, mit Pension. Erlaubnis zum Tragen der bisherigen Uniform und Verleihung des Ehrenkreuzes des Ordens der Württ. Krone zur Disposition gestellt, sowie Hauprmann Martin, aggr. dem Infanterie- Regiment 126 unter Stellung a In. suits des Regiments und Enthebung von dem Kommando zur Dienstleistung bei der Eisenbahnabteilung des großen Generalstabs zum Eiscnbahnlinien- Kommissar in Stuttgart ernannt.
Stuttgart, 10. Sept. Beim Grenadier- Regiment „Königin Olga" ist dieser Tage ein Reiervemann eingetreten, welcher in der Zeit, die zwischen seiner militärischen Dienstzeit und der jetzigen Uebung liegt, Wiedertäufer ge- worden ist. Der Mann war nicht zu bewegen, ein Gewehr in die Hand zu nehmen und weigerte sich dessen vor der ganzen Kompagnie, als er von seinem Vorgesetzten hiezu aufgefordert wurde. Einstweilen sitzt er im Militärarrest, um sich wegen Gehorsamsverweigerung zu verantworten.
Sulz a. N.. 11. Sept. (Korresp.) Seit einer Woche werden durch die Reichs-Limes- Kommiffion auf dem rechten Neckarufer ob Sulz an der sogen. Lägenhalde, Grabungen nach Spuren römischer Niederlassungen veranstaltet. Innerhalb einer ausgedehnten Umfassungsmauer sind bereits 3 Wachttürme mit 1,40 Mir. dicken Mauern, ebenso die Grundmauern mehrerer Gebäude aufgedeckt worden, und ist festgestellt, daß neben einer militärischen Niederlassung auch eine bürgerliche Ansiedelung der Römer sich hier befand auf einem Raum von etwa 160 Mtr. Länge und 100 Mtr. Breite. Zahlreiche Reste römischer Tongefäße, Lanzenspitzen, auch einige römische Münzen aus der römischen Kaiserzett sind aufgefunden worden. Man hofft noch auf weitere Entdeckungen und werden die Grabungen noch einige Zeit fortgesetzt. Die Forschungen der Limes-Kommission haben ergeben, daß ent- , lang dem Neckar eine Reihe römischer Befestig.
ungen sich befanden, so bei Cannstatt, Köngen, Altenburg, Rottenburg, Sulz und Rottweil.
Ravensburg, 13. Sept. Der aus der Irrenanstalt entsprungene Jul. Pfeiffer hielt gestern einen außerordentlich stark besuchten Bortrag. Demselben wohnten Vertreter der Staatsanwaltschaft, Polizeibeamte und das ärztliche Personal der Irrenanstalt Weissenau bei. Die letzteren Teilnehmer wurden manchmal durch die Ausführungen Pfeiffers in Verlegenheit gebracht. Heute abend wird Pfeiffer in Weingarten sprechen.
Die verheerenden Brände, welche in den letzten Wochen wiederholt entstanden sind, empfehlen pünktlichste Beobachtung der feuerpolizeilichen Vorschriften und große Sorgfalt im Umgang mit Feuer und Licht. Ställe, Scheunen, Böden und andere Räume, welche zur Aufbewahrung feuerfangender Sachen dienen, dürfen mit unverwahrtem Licht nicht betreten werden. Asche darf nur in Gefässen von feuerfestem Material oder an feuerfesten Orten aufbewahrt werden, Vorräte an Holz, Kohlen rc. müssen von Feuerstätten so entfernt sein, daß eine Entzündung nicht stattfinden kann. Gegenüber von Kaminen ist eine gewisse Entfernung einzuhalten. Heu und Stroh soll nur in geschlossenen Räumen oder Feimen aufbewahrt werden. — Am wichtigsten aber ist es. den'kleinen Kindern Die Gelegenheit zum „Zündeln" zu nehmen, Feuerzeug so aufzubewahren, daß es den Kleinen unzugänglich ist. Der Brand in Leonberg, wie die großen verheerenden Feuer in verschiedenen norddeutschen Gemeinden sind fast alle durch spielende, bezw. zündelnde Kinder entstanden. Noch etwas lehren diese Unglücksfäüe: „Versichert Euer Mobiliar!"
Vom unteren Remsthal, 12. Sebt. Infolge der herrlichen Witterung gehen die Trauben sehr rasch ihrer vollen Reife entgegen, so daß Heuer voraussichtlich schon Anfangs Oktober mit der allgemeinen Lese begonnen werden kann. Am meisten voran ist der Portugieser. der demnächst gelesen werden muß; auch der Riesling und Sylvaner sind sehr weit voran und der Trollinger, welcher arg nach Regen schmachtet, hat sich so sehr gefärbt, daß er bis zum Beginn des Herbstes eine musterhafte Reife aufweisen wird. Das läßt sich jetzt schon sagen, daß die Güte des Heurigen nichts zu wünschen übrig lassen dürfte; anders ist es mit der Menge; die nicht bezogenen Berglagen werden im Allgemeinen wenig Wein geben; von den Mittellagen wird '/-—Herbst erwartet. Sämtliches Laub ist noch schön. Die bis jetzt abgeschlossenen wenigen Käufe bewegen sich zwischen 148—200 c/kL per 3 Hektol.
Altensteig, 11. Sept. Der gestrige Viehmarkt war mit allen Gattungen von Viehstücken gut befahren; auch an Kausliebhabern fehlte es
> nicht. Doch erfolgten im ganzen wenig Schläge,
! da die manchen Verkäufern gebotenen Preisen ! zu niedrig waren und manche Kauflustige wegen
des Zusammengehens des Grünfutters infolge der anhaltenden Trockenheit mit dem Einkauf von Tieren zurückhielten. — Auffallend nieder standen die Preise für Schweine. Milchschweine wurden pr. Paar von 8—18 verkauft, während man um 30—80 das schönste Paar Läufer bekam. Der Rückgang des Preises von Mastschweinen mag darin seine Ursache haben, daß mancher Bauer den Ertrag seiner Kartoffelfelder für einen weniger günstigen schätzen muß, da man allgemein in den Stöcken wenige und dazu noch kleine, ja mitunter jetzt schon kranke Knollen findet.
Neuenbürg, 14. Sept. (Schweinemarkt.) 30 Paar Milchschweine wurden bei lebhaftem Handel von 12'/,—18'/, Mark per Paar verkauft.
Ausland.
Petersburg.il. Sept. Der Kaiser empfing Mittwoch vormittag 11'/, Uhr den Reichskanzler Fürsten zu Hohenlohe in
> längerer Audienz in Peterhof. Darauf wurde ! dem Fürsten auch von der Kaiserin Alexandra
Feodorowna eine Audienz gewährt. Nachm. 4 Uhr erhielt der deutsche Reichskanzler den Gegenbesuch des Ministers des Auswärtigen, Fürsten Lobanow-Rostowski. Um 6 Uhr