Kriegschronik 1870/71.

12. August 1870.

St. Avold. (Offiziell.) Am 7. d. M. hatten unsere Truppen bereits über 10 000 Gefangene gemacht. Die Wirkung des Sieges bei Saarbrücken auf die französische Armee ist viel größer gewesen, als man anfangs glaubte. Sie ließen bei ihrem hastigen Rück­züge, wie gemeldet, einen Brückentrain von etwa 40 Wagen, ferner gegen 10 000 Decken, die jetzt unseren Lazaretten zu Gute kommen, und für 1 Million Ta­baksvorräte in Stich. Psalzburg und der dortige Vo­gesenabhang sind in unseren Händen. Bitsch wird, da es nur eine Besatzung von 300 Mobilgardisten hat, von einer Compagnie beobachtet. Unsere Kavallerie steht bereits bei Luneville.

St. Avold. Abends 7 Uhr 15 Min. (Offiziell). Die französische Armee hatte die Position an der fran­zösischen Nied zur Verteidigung eingerichtet. Trotzdem ist sie gestern bei Metz über die Mosel zurückgegangen. Unsere Kavallerie steht vor Metz, Pont ä Mousson und Nancy. Abteilungen unserer Armee sind vor Straßburg eingetroffen.

Am 12. Abends wurde dem Kronprinzen von Preußen der Schlüssel der Stadt Luneville durch einen Offizier ües 2. Leib-Husaren-Regiments überreicht. Gedachter Offizier hatte als Spitze der Avantgarde eine Patrouille ms Borterrain gemacht; nichts vom Feinde stellte sich ihm entgegen. So gelangte er mit einer kleinen Abteilung Husaren in die Stadt. Er machte dem Maire einen kurzen Besuch, belegten die öffent­lichen Kassen mit Beschlag und bat sich den Schlüssel der Stadt aus. Derselbe wurde ihm ohne jedes Zögern aus einem großen, sehr prunkhaften roten Sammet­kiffen mit goldenen Borten ausgehändigt.

Köln. In verflossener Nacht passierten hier etwa 400 deutsche Familien, welche in Paris seither wohn­haft und infolge des Belagerungszustandes von dort ausgewiesen worden waren.

Paris. Der Finanzminister richtete ein Rund­schreiben an alle Behörden der öffentlichen Verwaltung sowie an die Direktionen der Eisenbahnen, in welchen denselben eingeschärft wird, durchaus kein Geld in Ver­wahrung zu behalten, sondern es der Bank von Frank­reich einzuschicken. Alles disponible Geld soll sür die Kriegszwecke aufgehoben werden.

Metz.Der Kaiser besuchte diesen Morgen die Truppen, welche in der Umgegend Position genommen haben. Die Haltung der Truppen ist ausgezeichnet. Die Verbindung nnt Straßburg ist unterbrochen."

13. August 1870.

Mundolsheim. (Badisches Hauptquartier.) Straßburg ist jetzt so gut wie vollständig zerniert; Badenser und Preußen, sowie einige Bayern halten die Festung in weitem Bogen von hier aus bis auf die Südseite eingeschloffen. Die Beschießung hat noch nicht begonnen, doch sind alle Vorbereitungen zu der­selben getroffen.

Paris. DerOonstitutiollöil" schreibt:Bor zwei Tagen war Paris entmutigt, heute hat Paris das Haupt wieder erhoben, es folgt der großen National­bewegung, zu welcher die Departements das Beispiel gegeben haben. Unsere Armee ist fast unberührt; täglich treffen Verstärkungen ein. Paris bewacht sich selbst. Wir werden siegen, wir werden den Feind ver­treiben, das ist nicht bloß eine Hoffnung, es ist eine Gewißheit. Wenn Jemand wagen sollte, das Wort Friede auszusprechen, bevor wir endglltig gesiegt haben, der werde aus Frankreich als Baterlandsverräter ver­trieben !

Dielüdorto" schreibt:Nach Berlin! nach Berlin!! Es ist keine Frage mehr von dem Rhein. Sie ist entschieden. Es ist jetzt klar wie der Tag, daß Frankreich nicht der Willkür Deutschlands überlassen bleiben darf, das die Schlüssel aller gegen uns alar­mierten Festungen in seinen Händen hält. Ach! Napoleon I. hatte wohl recht, als er am 15. Januar 1814 an Caulaincourt schrieb:Frankreich ohne die Rheindepartements, ohne Belgien, ohne Ostende, ohne Antwerpen würde Nichts sein."

Einen Witz von grimmiger Bosheit macht der PariserFigaro" über die französischen Staatslenker. Er sagt, das Ziel des gegenwärtigen Krieges sei die Gefangennahme des Grafen Bismarck. Wenn man denselben einmal habe, werde man ihn zwingen in französische Staatsdienste zu treten; dann, ruft der Figaro" aus, werden wer doch auch einenStaatsmann" in unserer Regierung haben.

Deutsches Weich.

Der Bischof von Mainz hat ein be­merkenswertes Ausschrciben an die Geistlichkeit seiner Diözese westen der gegenwärtigen Er­innerungs-Feierlichkeiten von 1870/71 erlassen. In dem bischöflichen Schreiben wird die Be­rechtigung des deutschen Volkes, das Gedächtnis der Kriegsereignisse von 1870 zu feiern, ausgesprochen, doch solle hiebei vor Allem Gott die Ehre gegeben werden, in diesem Sinne sollen denn auch die Geistlichen der Diözese ihre die Zeit des großen Krieges berührenden Ansprachen Hallen. Die von einem warmen patriotischen Tone durchwehte Kundgebung des Mainzer Kirchenfürsten schließt mit einem Appell an die Deutschen, ihre innere Einigkeit zu wahren.

Friedrichsruh, 10. Aug. Dem Fürsten Bismarck ist aus Anlaß seines 80. GeburtS-

l tages nachträglich ein sehr wertvolles Geschenk ' der deutschen Turnerschast zugegangen. Die Ehrengabe besteht aus einer in Eichenholz ge­schnitzten Votivtafel von ungefähr ^ Meter Höhe und Breite, gekrönt durch ein goldenes Turnerkreuz auf rot und weißem Grunde. Auf der runden Silberplatte darunter stehen Jahns Worte:Deutschlands Einheit war der Traum meines erwachsenden Leben, das Morgenrot meiner Jugend, der Sonnenschein der Mannes kraft und ist jetzt der Abcndstern, der mir zur ewigen Ruhe winkt." Darunter befindet sich ein großer vergoldeter Silberkranz, der die Worte umrahmt:Dem Schöpfer der deutschen Einheit und unseres Vaterlandes in treuer Dank- barkeit die deutsche Turnerschaft." An den beiden Seiten befinden sich von Silberbändern umschlungene geschnitzte Säulen. Auf den Bän­dern sind die Namen der Kreise und der Kreis- vcrtreter, sowie die Namen der vom Turntag gewählten Ausschußmitglieder eingewirkt. Der Altreichskanzler hat durch ein Schreiben an Dr. Götz (Leipzig-Lindenau) seinen wärmsten Dank sür diese Gabe ausgesprochen, bedauert, daß er wegen seines unbefriedigenden Gesund­heitszustandes die Herren in diesem Jahre nicht habe empfangen können, und hofft, dies im nächsten Jahre nachholen zu können.

München, 13. Aug. Die New-Aorker Polizei schreibt je 1000 Doll. Belohnung aus für die Ergreifung dreier aus dem Gefängnis entsprungener Postdiebe, deren Steckbriefe auch bei den deutschen Polizeibehörden einzusehen sind.

Württemberg.

Stuttgart. Seitens des Grenadier- Regiments Königin Olga wird der 30. Novbr. (Champigny-Villiers) als Gedenktag des Krieges 1870/71 begangen werden und zwar unter Teil­nahme der Veteranen des Regimentes.

Die Einstellung der Rekruten zum Dienste mit der Waffe erfolgt für die Rekruten der Infanterie-Regimenter 17, der Feldartillerie und der Pioniere am 16. Oktober d. I., für die Rekruten zu zweijähriger aktiver Dienstzeit für das Trainbataillon Nr. 13 am 23. Okl. d. I, für die Rekruten des 8. Infanterie-Regiments Nr. 126 am 21. Okt. d. I., für die Rekruten der württ. Etsenbahnkompagnie am 16. Okt. d. I.

Heilbronn, 12. Aug. Für einen Sonder­zug nach den Schlachtfeldern in Elsaß und Lothringen hatten sich nicht weniger als 460 Teilnehmer und Teilnehmerinnen gemeldet. Der Sonderzug, welcher schon am 4. d. M. hätte abgelaffen werden sollen, wurde auf Wunsch der bad. Eisenbahnverwaltung verschoben. Nun aber machte die reichsländische Eisenbahnbehörde für unfern Extrazug chikanöse Bedingungen, indem sie besondere Kosten für Bewachung der Bahn­linie von Straßburg nach Weißenburg in An­rechnung bringen wollte. Dies erregte hier eine begreifliche Mißstimmung, so daß der Sonder­zug ganz unterblieb und von hier aus gestern früh nur 64 Veteranen und andere ehemalige Soldaten, welche sämtlich mit Militärfahrkarten reisten, nach Straßburg und Weißenburg ab- giengen.

Cannstatt, 12. Aug. Bei dem heute Mittag sich über die Prag hinziehenben schweren Gewitter wurde der in Eßlingen in Arbeit steh­ende Weißgerber Bruder vom Blitze erschlagen. Derselbe war sofort tot und wurde ins Leichen- Haus nach Cannstatt verbracht.

Herrenberg, 12. Aug. Unser Bankkrach hat durch die gestrige Generalversammlung eine friedliche Lösung gefunden. In derselben kam ein Vergleich zu stände. Der Kontroleur und die Mitglieder des Aufsichtsrats bewilligten frei­willig zusammen 173 700 -/-L, während die Mit­glieder einstimmig auf 50 Prozent ihrer Ein­lagen verzichteten. Da nunmehr die Schulden gedeckt werden können, wird uns ein Konkurs mit seinen schlimmen Folgen erspart bleiben.

Lorch, 13. Aug. Die Erinnerung an die glorreichen Thaten unserer Krieger im Jahr 1870/71 wird auch hier am Sedanstag fest­lich gefeiert. Die Kriegsteilnehmer werden auf Gemeindekosten Festessen erhalten; die Schüler der Gesamtgemernde werden bei dem mit der! Sedansfeier verbundenen Kinderfest auf Ge-j

meindekosten bewirtet; außerdem leistet die Ge­meinde zu den Festkosten noch einen namhaften Beitrag.

Unter re ichenbach. Als ein Zeichen dankbarer Erinnerung an die verflossenen 25 Jahre gesegneten Friedens haben die bürger- liehen Kollegien dahier jedem Veteranen der hiesigen Gemeinde zum 2. Sept. 5 vlL aus der Gememdekasse verwilligt.

Nagold, ll. Aug. Daß da und dort noch Sinn für alte gute Vätersitte, poetische und religiöse Gesinnung zugleich sich findet, davon sahen wir in letzter Woche hier ein kleines Beispiel. Ein prächtiger Garbenwagen, der erste glücklich eingebrachte des Besitzers, war mit Kränze» und vergoldeten Aehren kunstvoll ge­ziert, in deren Mitte die vielsagende Inschrift zu lesen war:Nun danket alle Gott!"

Stuttgart. sLandesproduktenbörse. Bericht vom 12. August von dem Vorstand Fritz Kregliuger.j Die Tendenz des Getreideweltmarktes war in der ab­gelaufene Woche ruhig, Rumänien offeriert reichlich, bei Schluß der Woche wurden die Preise etwas erhöht. Die süddeutschen Märkte haben infolge der Erntearbeiten schwache Zufuhren, ohne Preisänderung. Der Herbst- saatsruchtmarkt findet am Montag den 26. ds. Mts. Vormittags 10 Uhr bis Nachm. 1 Uhr im Lokal der Börse statt. Die Muster sind an das Stadtgarten­restaurant von W. Schmandt Wittwe in Stuttgart zu senden. Wir notieren per 100 Kilogr.: Weizen, Azima

15 -4L 75 Rumänier neu la. 16 -4L 75 Laplata

16 -4L ^ bis 16 -4L 25 ^z, Kernen, Oberl. In 17 -4L

25 Gerste, württ. 16 -4L Albhafer In alt 13 50 Mehlpreise pr. 100 Kilogr. inkl.

Sack bei Wagenladung: Letztwöchentlich.

Stuttgart, 13. August. Kartoffelmarkt am Leonhardsplatz. Zufuhr 300 Ztr., Preis per Zentner 2 -4L 80 bis 3 -4L 30 Z. Krautmarkt am Marktplatz. Zufuhr 2500 Stück Filderkraut, 20 -4L bis 30 -4L Z per 100 Stück.

Ausland.

Wien, 13. August. Die Abendblätter melden, daß in Marienbad gestern Abend im Aufträge der Regierung der Spielsaal des Klub des Etrangers" geschlossen und die Bank­kasse beschlagnahmt worden sind. Die Thüren des Spiclsaales wurden polizeilich besetzt und die Namen der anwesenden 200 Gäste ausge­schrieben. Hierauf wurden die Gäste entlassen. Die Str. P. bemerkt dazu: Unter den Kur­gästen Marienbads befindet sich gegenwärtig auch der künftigeKönig der Franzosen" , der Herzog Philipp von Orleans.

In Frankreich finden jetzt die deutschen Erinnerungsfeierlichkelten an 1870 ihren Wider­hall. In Remirement wurde am Sonntag ein Denkmal für die 1870 gefallenen französischen Soldaten in Gegenwart des Unterrichtsministers Poincaro enthüllt. Letzterer hielt hiebei eine Rede, in welcher er ausführte, Feierlichkeiten, wie die Remiremonter Denkmals-Enthüllung, be­wiesen, mit welcher unveränderlicher Pietät Frankreich die Trauer um die Opfer bewahre und die Tapferkeit und das Unglück ehre. Erfreulicherweise scheint sich Herr Poincarä jeder chauvinistischen Anspielung in seiner Kundgebung enthalten zu haben.

Paris, 12. August. DerFigaro" will wissen, daß die frankorussische Militärkonvention unter der Präsidentschaft Carnols abgeschlossen, aber erst von Casimir-Perier unterzeichnet wurde. Französischerseits hätten an dieser Konvention mitgearbeitet die damaligen Minister Ribol und Freycinet, General Minbel und der ehemalige Botschafter in Petersburg Laboulaye. Der Gewährsmann des Figaro glaubt, daß die Kon­vention jeden der beiden Staaten verpflichtet, dem andern beizustehen, wenn er angegriffen wird, im Falle aber, daß Frankreich oder Ruß­land der angreifende Teil ist, soll der Beistand vom Belieben des andern abhängen.

Paris. 12. Aug. Im Laufe der letzten Jahre erhielt jedes französische Armeekorps zum Zwecke der möglichst raschen Konzentrierung ein eigenes Kontentrations-Eisenbahnnetz. Diese strategischen Arbeiten sind nun, wie diePetite Republique" meldet, vollendet bis auf eine, die sich derzeit im Stadium der Vorbereitung be­findet, nämlich die Linie Givet-Maubeuge zur Verbindung des 14. und 15. (Algeo)-Corps.

Rouen, 12. Aug. Bei dem furchtbaren Gewitter, das sich vorgestern über Rouen und