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Von der Ermordung seiner Tante sei ihm bis zu dem Augenblicke seiner Verhaftung nichts bekannt gewesen, und noch jetzt könne er nicht begreifen, wie man dazu gekommen sei, gerade ihm eine so unerhörte ruchlose That zur Last zu legen.
Die Frage des Untersuchungsrichters, ob er vielleicht einen Verdacht gegen irgend eine andere Person hege, mußte er freilich verneinen, ebenso wie die Erkundigung, ob die Tante seines Wissens noch andere Wertsachen oder Baarmittel besessen hätte, die etwa dem Mörder in die Hände gefallen sein könnten.
Ein günstiger Zufall fügte es, daß eine seiner Aussagen, an deren Wahrhaftigkeit man bis dahin stets gezweifelt hatte, ihrem vollen Umfange nach bestätigt wurde. In der Wohnung eines viel bestraften und übelberüchteten Individuums, welcher auf dem Bahnhof zu M. bei einem Taschendiebstahl ertappt worden war, fand man nämlich eine kleine Handtasche aus schwarzem Leder, die ihrem Aussehen nach ganz mit jener übercinstimmte, die der Tochter des Stadtverordneten im Bahnhofsgewühl entwendet worden war. Auf eindringliches Befragen hatte sich der Langfinger denn auch zu dem Geständnis bequem!, daß er die Tasche in der That einer jungen Dame gestohlen habe, und die Angabe, die er über ihren Geldinhalt machte, stimmten ganz genau mit der Aussage Bernhards überein. Da er also diese immerhin recht beträchtliche Summe, die unzweifelhaft auf die redlichste Weise von der Welt erworben worden war. zu der Zeit, da er das Verbrechen begangen haben sollte, noch besessen hatte, so schien eines der wesentlichsten Belastungsmomente nun in Wahrheit sehr stark erschüttert, und auch in denjenigen Kreisen, in denen man von dem neuen Verdacht gegen das Ehepaar Rüdiger noch nichts wußte, erhoben sich immerhin Stimmen. welche die Möglichkeit der Unschuld des jungen Mannes behaupten wollten.
Was aber jenen neuen Verdacht anbetraf, so wurde derselbe von zuständiger Seite, wenn auch zunächst nur in aller Stille und unter Be» obachtung aller nur erdenklichen Vorsichtsmaßregeln, auf das Eifrigste weiter verfolgt, und die Gewitterwolke über den Häuptern des würdigen Ehepaares wurde immer dunkler und unheilschwerer, ohne daß die Bedrohten selbst eine Ahnung davon hatten. Man hatte längst festgestellt, daß das Vorleben der beiden Leute ein keineswegs fleckenloses gewesen war, daß die Frau schon zweimal empfindliche Strafen wegen Diebstahls erlitten hatte, und daß sie überhaupt bei all' ihren Bekannten in dem Rufe stand, eine ausgeprägte Vorliebe für fremdes Eigentum zu besitzen. Der Goldarbeiter selbst war zwar bisher einer Bestrafung noch glücklich entronnen, aber er war einer solchen schon mehrfach nahe genug gewesen und man wußte, daß er in allen Stücken ein willenloses Werkzeug seiner geistig und körperlich weit überlegenen Gattin war.
Die Erwartung des Doktor Hartwig, daß man nach diesen Ermittelungen, die im Verein mit seiner Mitteilung allerdings belastend genug waren, unverweilt zur Verhaftung des Ehepaares schreiten würde, erfüllte sich nun allerdings nicht.
Der Untersuchungsrichter war der Meinung, daß man hier jedenfalls auf ein sehr hartnäckiges Leugnen gefaßt sein müsse, und daß es den Gang des Verfahrens ungemein abkürzen würde, wenn man die Verdächtigen so viel als möglich in Sicherheit wiegen und sie im geeigneten Moment durch einen Hauptschlag niederschmettern könnte. Dieser Schlag aber wurde energisch genug, und wie cs schien, mit guter Aussicht auf einen Erfolg vorbereitet. Der Zeitpunkt, ihn auszuführen, schien gekommen zu sein, als man, abermals durch das Verdienst des Doktor Hartwig, noch eine weitere Entdeckung von entschiedener Wichtigkeit machte.
Der Arzt, welcher dem Untersuchungsrichter häufige Besuche abstattete, drang nämlich immer wieder darauf, daß man den hinter dem Hause der Ermordeten vorbeisließenden Abzugsgraben gründlich durchsuche, weil er der Meinung sei, daß der Verbrecher sein Mocdinstrument beim
Verlassen des Hauses wahrscheinlich dort hinein geworfen habe. Mehrere Tage hindurch hat der Beamte diese Annahme kopfschüttelnd als gar zu unwahrscheinlich zurückgewiesen; aber endlich hatte er doch den Vorstellungen und Bitten des einsichtigen, allgemein geachteten Mannes nachgegeben, und in aller Stille wurden die entsprechenden Vorkehrungen getroffen.
Der Graben war nicht sehr tief, so daß die Durchsuchung keine umständlichen und auffälligen Vorbereitungen erforderte. Einige Männer, die mit wachsleinenen Anzügen und hohen Wasserstiefeln bekleidet waren, nahmen mitten in der Nacht bei Fackelschein die weniger gefahrvolle als unangenehme und mühselige Arbeit vor, und einer von ihnen förderte nach stundenlangem vergeblichen Suchen einen Gegenstand zu Tage, der allerdings unter seinem Ueberzug von Schlamm und Schmutz fast unkenntlich war, der sich aber nach oberflächlicher Reinigung als ein schwerer Löthkolben entpuppte; wie er von Metallarbeitern gebraucht zu werden pflegt. Das Instrument war in der That gewichtig genug, um in kräftiger Faust zu einer tödtlichen Waffe zu werden, und der Untersuchungsrichter, der bei dem ganzen Akte zugegen gewesen war, konnte nicht umhin, im Grunde seines Herzens dem Scharfsinn des Doktors, welcher diesmal die Geschicklichkeit des Beamten so weit übertroffen hatte, seine Bewunderung zu zollen. Er nahm den gleich einem Hammer geformten Löthkolben an sich und befahl, die weiteren Nachforschungen, die kein Resultat mehr versprachen, einzustellen. Dann hatte er noch in derselben Nacht eine längere Konferenz mit dem Staatsanwalt und mit dem Chef der Kriminalpolizei, deren Ergebnis bald genug zum nicht geringen Erstaunen der ganzen Einwohnerschaft von M. bekannt werden sollte.
Schon in der Morgendämmerung des folgenden Tages bewegte sich nämlich ein kleiner Trupp von Männern auf das Haus des Ehepaares Rüdiger zu, wo noch alles im tiefen Schlummer lag. Alle Ausgänge des kleinen Gebäudes wurden von mehreren Beamten besetzt, und als den so Umschlossenen nirgends mehr eine Möglichkeit zum Entweichen geboten war, zog der Untersuchungsrichter, der sich in der Begleitung eines höheren Kriminalbeamten befand, mit sehr energischem Ruck die Hausthürglocke. Drinnen im Hause wurde es sehr bald lebendig, aber es währte doch eine geraume Weile, ehe man es für gut fand, den Einlaß Begehrenden zu öffnen. Der Goldarbeitcr war es, der endlich im tiefsten Negligee auf der Schwelle erschien und sich mit merklich zitternder Stimme nach dem Begehren der frühen Besucher erkundigte. Statt ihm eine direkte Antwort auf diese Frage zu geben, traten die beiden Herren einfach in das Haus, und der Untersuchungsrichter sagte in einem strengen und befehlenden Tone, welcher gar keinen Widerspruch aufkommen ließ:
„Machen Sie keine Umstände. Rüdiger, und verhalten Sie sich ganz ruhig! — Ich habe unter vier Augen mit Ihnen zu reden!"
Damit schob er den nur halb angekleideten Goldarbeiter, der sich in seiner Verwirrung nicht erst zu sträuben wagte, in eines der Wohnzimmer hinein, ihm auf dem Fuße nachfolgend, während er dem Kriminalbeamten einen Wink gab, welchen dieser offenbar sehr wohl verstand.
Nachdem er sich überzeugt hatte, daß Niemand sonst in dem Gemache anwesend war. bedeutete der Untersuchungsrichter dem Goldarbeiter, sich auf einen Stuhl niederzusetzen und sagte:
„Wir wollen uns kurz fassen, Rüdiger! In dieser Nacht ist der Mörder des Fräulein von Römer entdeckt worden — und diesmal sind wir sicher, den richtigen gefunden zu haben. Meinen sie nicht auch, daß es am besten wäre, wenn er der Sache durch ein rückhaltloses Geständnis ein Ende machte?"
Der Goldarbeiter war todenbleich geworden und seine Lippen hatten eine bläuliche Färbung angenommen. Auf seiner Stirn perlten dicke Schweißtropfen, und man konnte sich wirklich keine kläglichere Verkörperung eines
bösen Gewissens vorstellen, als diesen durch das Ueberraschende und Unerwartete des ganzen Vorganges völlig niedergeschmetterten Menschen. Er zitterte an ollen Gliedern und wäre sicher- lieh von seinem Sitz in die Höhe gesprungen, wenn er noch Kraft genug dazu gehabt hätte. Seine Blicke richteten sich voll unsäglicher Angst nach der Thür, als erwarte er, daß ihm von dorther Hilfe kommen sollte; aber der Untersuchungsrichter, welcher ihn scharf im Auge be- Hallen hatte, und dem von der auffälligen Veränderung in seinem Aeußern nichts entgangen war, ließ den günstigen Moment nicht ungenutzt verstreichen und fuhr mit erhobener Stimme fort:
„Wir wissen jetzt, daß Sie mit Ihrer Frau noch nach dem jungen Herrn v. Römer in dem Hause der Ermordeten waren, daß Sie durch die Hintcrthür gekommen und gegangen sind, und daß Sie dieses hier, um sich nicht durch das daran haftende Blut zu verraten, in den Graben geworfen haben."
Mit den letzten Worten hatte er den Lötkolben, den er bis dahin unter seinem Ueberrock verborgen gehalten, hervorgezogen und ihn dicht vor dem Goldarbeiter auf den Tisch niedergelegt.
(Fortsetzung folgt.)
(Mitunter!) A.: „Guten Tag, Frau Müller! Was macht Ihr Gatte — ist er ein recht folgsamer Patient?" -- Frau Müller; „Mitunter schon! Gestern hat ihm der Arzt ein Glas Bier erlaubt — das hat er gleich getrunken!"
(Verbessert.) Frau (eines Dichters): Lieber Paul, plagst Du Dich schon wieder? Wird Dich das Dichten nicht zu sehr angreifen? Dichter: Das Dichten weniger, — nur die Kritik!
Telegramme.
Stuttgart, 26. Juli. Der Raubmörder Mauth wird morgen Samstag früh 6 Uhr im Hofe des Stuttgarter Zuchthauses mittels Fallbeiles hin gerichtet werden. Als ihm die bevorstehende Hinrichtung angekündigt worden war, sagte er zu einem Gefängniswärter: „Wie wird mein Haas (der Ermordete) sich freuen, wenn ich mit dem Kopf unter dem Arm zu ihm hinüberkomme. In den beiden letzten Tagen ließ sich Mauth Essen und Trinken vortrefflich schmecken.
Stuttgart, 27. Juli. Unter Anwesenheit von ca. 50—60 mit Karten versehenen Herren, welche alle in schwarzer Kleidung bezw. Uniformen erschienen waren, fand heute früh 6 Uhr im Hofe des Pönitentiar-Hauses die Hinrichtung des Raubmörders Martin Mauth von Leidringen OA. Sulz statt. Der Delinquent schien kurz vorher geweint zu haben, hörte aber die nochmalige Verlesung des Todesurtels und der Königlichen Entschließung, wonach Seine Majestät von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch machen will, durchaus gefaßt und mit leichtem Augenzwinkern an. Die Zeremonie des Stabzerbrechens fand nicht statt, der Delinquent ließ sich auch ruhig auf das Brett schnallen; nach wenigen Sekunden lag sein Haupt in dem mit Sägspänen gefüllten Korbe. Pfarrer Flath sprach ein Gebet und damit war die ernste Stunde zu Ende.
Breslau, 26. Juli. Die neuerbaute Spinnerei von Rosenberger in Reichenbach steht in Flammen. Alle 600 Arbeiter sind anscheinend gerettet, mehrere indessen verletzt.
Wien, 26. Juli. Der Minister des Aeußern, Graf Goluchvwsky ist gestern vom Kaiser in anderthalbstündiger Audienz empfangen worden. Er begiebt sich heule zum deutschen Reichskanzler Fürsten Hohenlohe nach Aussee.
London, 26. Juli. Dem „Standard" wird aus Berlin berichtet, der deutsche Reichskanzler habe bei seinem jüngsten Besuche bei dem Kaiser von Oesterreich zu Ischl die Lage in Macedonien besprochen. Man sei dahin übereingekommen, in allen Balkananfragen Zurückhaltung zu bewahren. Die Besprechung auch der übrigen schwebenden Fragen habe ein befriedigendes Ergebnis gehabt.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.