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zu überzeugen, daß sein Mißtrauen gegen diese Belastungszeugin wohl ein vollberechtigtes ge­wesen war. Hatte er doch trotz seiner viel­fachen Berührungen mit den untersten Schichten der Bevölkerung kaum jemals eine Erscheinung von gleicher Widerwärtigkeit gesehen. Die Frau war groß und stark und fast von dem Knochen­bau eines Mannes. Sie überragte die zierliche Gestalt des Doktors um ein beträchtliches Stück, und die aufgestülpten Aermel ihres Kleides ließen Armmuskeln von erstaunlichem Umfange sehen. Noch häßlicher aber als ihr ungeschlachter Körperbau war ihr Gesicht, das mit häßlichen roten Flecken übersäet war und dessen Züge unverkennbar den Ausdruck der Rohheit und niedriger Leidenschaften trugen. Die auffallend kleinen Augen lagen tief in ihren Höhlen, und sie waren von einer ganz unbestimmten Farbe, die noch am meisten derjenigen der Katzenaugen ähnelte. Ihr Blick war unstät und stechend; sie vermied es stets, denjenigen, mit welchem sie sprach, gerade anzusehen, und doch entging ihr sicherlich nichts von dem, was rings um sie her geschah.

Eine Musterung von wenigen Sekunden hatte hingereicht, um den Doktor alle diese un- angenehmen Dinge wahrnehmen zu lassen, und ihm zur Genüge darzuthun, daß er diesem Mann- Weibe gegenüber mit großer Vorsicht zu Werke gehen müsse, wenn er überhaupt irgend etwas erreichen wolle. So antwortete er denn auf ihre mit einer rauhen, tiefen Stimme ausge­sprochenen Frage nach seinem Begehr, er wünsche den Goldarbeiter Rüdiger zu sprechen, um ihm einen geschäftlichen Auftrag zu erteilen. Darauf führte ihn die Frau durch ein ziemlich sauber und freundlich aussehendes Zimmer in die Werk­stätte ihres Mannes, der eben mit dem Löten eines zerbrochenen Schmuckgegenstandes beschäftigt war. Sie rief dem Goldarbeiter wenige Worte zu. die ihn auf den Besucher aufmerksam machen sollten, und entfernte sich dann wieder, um an die häusliche Verrichtung zurückzukehren, in welcher sie durch Hartwig's Klingeln gestört worden war. Sie hatte offenbar nichts Ver­dächtiges an dem ihr unbekannten Doktor ge­funden, und nichts, das ihre Neugierde genügend gereizt hätte, um sie zu längerem Verweilen zu veranlassen.

Der Goldschmied aber hieß den Fremden mit einer ungeschickten Verbeugung willkommen und erkundigte sich mit einer leisen, merkwürdig hohen Stimme, die mit dem tiefen Baß seiner Gemahlin seltsam kontrastierte, nach seinen Wünschen. Hartwig mußte sich gestehen, daß er kaum jemals ein ungleicheres Paar gesehen habe als dieses; denn der Goldschmied war klein und gebrechlich, hatte ein spitziges, gelblich fahles Gesicht, und machte mit seinen blöden Augen und stumpfen Zügen fast den Eindruck eines halb Blödsinnigen.

Ich wünsche mir eine goldene Kette bei Ihnen anfertigen zu lasten", sagte der Doktor auf die Frage des Mannes.Es handelt sich da um eine Arbeit nach bestimmten Angaben, und man hat mir gesagt, daß Sie die erforder­liche Geschicklichkeit besäßen.

Der Goldschmied, dessen Aufträge sonst wohl nur in unbedeutenden und wenig lohnenden Re­paraturen bestanden, horchte hoch auf, denn hier stand ihm offenbar ein viel einträglicheres Ge­schäft bevor. Eilig räumte er seinen Arbeitstisch ab und zog die Schublade desselben auf, um die Dinge, welche er gerade in Arbeit gehabt hatte, darin zu bergen. Aufmerksam folgte der Doktor seinen Bewegungen, und er hatte Mühe einen Ausruf der Ueberraschung zu unterdrücken, als er in jener Schublade, mitten unter einem wirren Durcheinander von zerbrochenen Ringen, verbogenen Broschen und zerrissenen Ketten einen Gegenstand gewahrte, den er auf den ersten Blick erkannte, und den er wahrscheinlich hier zu finden nicht erwartet hatte. Es war ein Ohrring von genau derselben Form wie der- jenige, welchen er vorher zwischen den Fugen der Sandsteinrreppe im Garten der Ermordeten entdeckt hatte.

Ehe noch der Goldschmied die Schublade wieder hatte schließen können, hatte sich Hartwig

mit einem raschen Griff des Gegenstandes be­mächtigt und ihn aufmerksam betrachtet. Einiger- maßen erstaunt zwar, aber doch auch anscheinend ohne alle Erregung hatte Rüdiger diese Beweg­ung verfolgt, und da er zu sehen glaubte, daß sein Besucher für den unscheinbaren Schmuck­gegenstand sich interessierte, kam er seiner Frage zuvor:

Das Ding gefällt Ihnen, nicht wahr? Ja, es ist eine ziemlich kunstvolle Arbeit, wie sie heutzutage kaum noch angefertigt wird. Viel Goldwert steckt freilich nicht darin!"

In der Thal, der Ohrring gefällt mir ausnehmend!" sagte der Doktor, der seine Er­regung nur mühsam niederzwang.Würden Sie nicht geneigt sein, mir das zusammengehörende Paar zu verkaufen?"

Der Goldarbeiter lächelte blöde und zuckte mit einer Geste des Bedauerns die Achseln.

Es thut mir leid, mein Herr! Aber das geht leider nicht an. Der andere Ohrring ist verloren gegangen. Ich hatte sie vor ein paar Jahren um ein Billiges erhandelt und hatte sie meiner Frau, der sie besonders gefielen, zum Geschenk gemacht, Sie hatte sie bis vor Kurzem getragen, aber vor ungefähr einer Woche ist ihr einer davon verloren gegangen und es wird mir wohl nichts übrig bleiben, als diesen da mit anderem alten Golve einzuschmelzen!"

Er streckte gleichmütig seine Hand aus, um den Ohrring wieder in Empfang zu nehmen, aber der Doktor hielt ihn fest wie ein köstliches Kleinod.

Das wäre jammerschade," sagte er,aber wenn Ihre Frau den Schmuckgegenstand hier im Hause verloren hat, so wird er doch wohl irgendwo wieder aufzufinden sein. Es läge mir wirklich sehr viel daran, beide zu erhalten."

Machen Sie sich darauf keine Hoffnung, mein Herr! Wir haben hier schon Alles umge­kehrt und durchstödert. Wahrscheinlich hat sich der Hacken gelöst, als sie auf der Straße war, und derjenige, welcher das unscheinbare Ding gefunden, hat sich gewiß nicht die Mühe gemacht, nach dem Verlierer zu forschen."

So werden Sie mir wenigstens diesen einen verkaufen!> Ich biete Ihnen jedenfalls mehr dafür, als er an Goldgehalt wert ist! Ich zahle Ihnen auf der Stelle zehn Thaler."

Der Goldarbeiter riß die Augen auf und starrte seinen Besucher an, als ob er seinen Ohren nicht hätte trauen können.

Wenn Ihnen das Ding wirklich so viel wert ist", stotterte er,so habe ich natürlich nichts gegen den Handel einzuwenden. Aber ich weiß nicht"

Abgemacht!" unterbrach ihn Hartwig mit bebender Stimme, indem er den Ohrring in die Tasche steckte und die geborene Summe auf den Tisch zählte.Wegen der Kette aber sprechen wir ein anderes Mal mit einander, denn ich sehe, daß ich mich nicht länger aufhalten darf. Ich werde mich wahrscheinlich morgen wieder bei Ihnen einfinden."

Er griff nach seinem Hute und ging hin­aus, den Goldschmied in einiger Verblüfftheit und Verwirrung zurücklassend. Als er über den Korridor schritt, der zum Ausgange führte, warf er noch einen Blick in die offenstehende Küchen­thür und sah, daß Frau Rüdiger dort in eifriger Arbeit am Waschtroge stand. Mit dem massiven Bau ihrer vierschrötigen Gestalt und den riesen­haften Muskeln ihrer Arme sah das Weib un­säglich widerwärtig aus, und der furchtbare Verdacht, der beim Anblick des verhängnisvollen Ohrringes in dem Herzen des Doktors aufge­stiegen war, steigerte sich jetzt beinahe zur Ge­wißheit.

Wahrhaftig, sie sieht aus wie eineMörderin!" murmelte er vor sich hin, und hastig eilte er von dannen, als dürfe er keinen Augenblick mehr verlieren, um seine kostbare und wichtige Entdeckung in angemessener Weise zu verwerten.

(Fortsetzung folgt.)

(Amerikanisch.) Ucber das Begräbnis einer Pianistin berichtet die Magdeb. Ztg.: Miß Mary Tate, eine in Amerika gefeierte Pianistin, starb in Counorsville, Indianapolis, im Alter von

21 Jahren. Ihre Leiche wurde, ihrem Wunsche entsprechend, auf dem Flügel aufgebahrt. Auf dem Klaviere liegend wurde die Leiche ein­gesegnet, der Choral wurde auf demselben Flügel von einem Pianisten begleitet, dann der Klavier­deckel aufgehoben, die Saiten aus dem Kasten herausgerissen, die Leiche in den Kasten gelegt, und nachdem die Beine des Klaviers abgeschraubt waren, Miß Tate in diesem Kasten auf den Kirchhof getragen und darin begraben.

(Eine Fliege im Bier.) Ein unbekanntes englisches Genie hat darüber Beobachtungen angestellt, wie sich die verschiedenen Nationen verhalten, wenn dem Biertrinker eine Fliege ins Glas geraten ist. Ein Spanier bezahlt das Glas, läßt cs stehen, geht aber sofort aus dem Lokal hinaus. Ein Franzose thut dasselbe, flucht aber, was das Zeug hält. Ein Eng- länder gießt das Glas aus und bestellt sich ein neues. Der Deutsche nimmt dre Fliege heraus und trinkt das Bier. Einen Russen stört die Fliege nicht, er trinkt Bier nebst Fliege. Ein Chinese endlich fischt die Fliege hinaus, ver­schluckt sie und trinkt dann das Bier.

(Flaschenhälse gefahrlos abzuschneiden.) Man tauche einen Wollenfaden in Terpentinöl, achte aber darauf, daß kein Oel herunterläuft, binde den Faden um den Flaschenhals und zünde denselben an den entgegengesetzten Seiten an. Ist er ganz herumgebrannt, so tauche man die noch heiße Flasche in einen Eimer voll kalten Wassers, worauf der Hals glatt abgeschnitten sein wird. Auch Lampencylinder, die am oberen Rande ausgebrochen sind, kann man auf diese Weise wieder glatt schneiden.

(Eine sprechende Uhr), oder richtiger aus. gedrückt, eine Kombination eines Phonographen mit Repetierwerk, soll ein Genfer Uhrmacher j hergestellt haben und erführt das Intern. Pa­tent-Bureau von Heimann u. Co. in Oppeln darüber folgendes: Die Federn und Hämmer des Repetierwerkes sind bei dieser Uhr durch eine Scheibe von vulkanisiertem Kautschuck er­setzt, die, sobald der Stift über die Oberfläche geht, deutliche Töne hervorbringt und so die Zeit anzeigt. (Obengenanntes Patentbureau er­teilt den geschätzten Abonnenten dieses Blattes Auskünfte und Rat in Patentsachen gratis.)

(In der Jnstruktionsstunde.) Unteroffizier: Im Kriege und im Manöver haben die Patrouil­len namentlich die Aufgabe, das Terrain auf­zuklären. Was ist denn Terrain, Füsilier Meier? (Der Gefragte schweigt.) Nein, nun seht nur den dummen Kerl! Läuft den ganzen Tag darin 'rum und weiß es nicht. Was ist es natürlich, Füsilier Schulze? Fußlappen, Herr Unteroffizier! (Schlk.)

(Falsch verstanden.) Fräulein: Ihr An­trag ehrt mich außerordentlich, aber-können

Sie denn eine Familie ernähren? Herr: Mein Gott, haben Sie denn schon eine Familie?

Telegramme.

Berlin, 26. Juli. In der Gemeinde Gegyazza in Ungarn entstanden anläßlich der Richterwahlen Unruhen. Die Partei eines nicht zugelasienen Kandidaten stürmte das Stadthaus. Bei dem folgenden Handgemenge wurde ein Gendarmerie-Wachtmeister verwundet. Die Gen­darmerie feuerte und tötete 3 Personen. 30 Verhaftungen wurden vorgenommen.

Berlin, 26. Juli. Aus London wird gemeldet. Die Stralsunder BrüggeAdolf" ist auf der Reise von Stettin nach Sunderland mit Mann und Maus untergegangen. Das in St Nazairin vom Stapel gelassene Panzer­schiffMazenna", eines der größken Schlacht­schiffe Frankreichs scheiterte sofort nach dem Stapellauf. Dasselbe sitzt mit dem Hinterteil auf Felsen fest.

Bochum, 26. Juli. In der Zeche Prinz von Preußen fand eine Explosion schlagender Wetter statt. Nach einer Meldung sind 9 Tote und 9 Verwundete, nach einer andern bereits 22 Tote herausgefördert.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.