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Worden seien, und es war auch zu seiner Kennt­nis gelangt, daß Hofferichter unmittelbar nach dem Eingang des betreffenden Telegramms dort­hin gereist war, um seine unglückliche Tochter in Empfang zu nehmen. Zwei Tage darnach hatte er auf seinem Schreibtisch ein Billet vor­gefunden, in welchem ihn der Stadtverordnete in einigen kurzen, aber dringenden Worten er­suchte, ihn baldigst zu besuchen, und er hatte, wenn auch mit einigem Wiederstreben, dieser Aufforderung Folge geleistet.

In dem Kabinet des Herrn Hofferichter saßen sich nun die beiden Männer zum ersten Mal seit dem Eintritt jener furchtbaren Ereig­nisse gegenüber, und ihre Unterhaltung war, wie es unter solchen Umständen nicht anders sein konnte, von der ernstesten und unerfreu­lichsten Art.

Hofferichter hatte seinem Besucher in der gewohnten Art die Hand zum Willkommengruße bieten wollen, aber der Doktor hatte sich den Anschein gegeben, als ob er es nicht bemerke und hatte sich mit merklicher Kälte und Ge­messenheit noch den Wünschen des Stadtverord­neten erkundigt. Da waren denn bei diesem ohne Weiteres alle Schranken der Selbstbeherrsch­ung gefallen und er hatte sich jetzt, wo es ihm zwecklos erschien, nicht mehr die geringste Mühe gegeben, dem Doktor gegenüber eine Maske vor dem Gesicht zu behalten.

Also auch Sie scheinen große Neigung zu haben, mich für die ehrvergessene Thal einer ungeratenen Dirne verantwortlich zu machen!" polterte er los.Auch Sie machen ein Gesicht, als wenn ich es wäre, der ein Verbrechen be­gangen hat. Wollen Sie mir's nicht lieber gleich ins Gesicht sagen, daß Sie mich wegen der Handlungsweise meiner Tochter verachten?"

Es thäte mir leid, wenn Sie mich nur hätten rufen lassen, um eine solche Frage an mich zu richten!" erwiderte Hartwig kühl.Ich habe keinen Grund. Ihnen meine Meinung über diesen Gegenstand zu sagen, und dieselbe hätte auch wohl kaum ein Interesse für Sie!"

Wenn ich Sie nun aber dennoch darum ersuchte?!" beharrte der Stadtverordnete.Ich denke doch, daß ich einiges Anrecht darauf hätte, zu erfahren, wie die Leute über mich denken! Sie brauchen sich übrigens nicht zu bedenken, das Benehmen meiner Tochter mit dem rechten Namen zu bezeichnen. Wenn ich Sie nur hätte sprechen können bei Gott, ich würde mit ihr geredet haben, daß ihr die Ohren hätten klingen sollen!"

Und er schüttelte drohend seine mächtige Faust, von der er einmal geprahlt hatte, daß sie stark genug sei, einen Ochsen niederzuschlagen. Der Doktor aber zog wie in aufsteigendem Zorn seine Brauen zusammen und sagte in schärferem Tone:

Sie würden mich verbinden, Hofferichter, wenn Sie sich in meiner Gegenwart aller Schmähungen gegen Ihre Tochter enthalten, die ich wohl von Herzen bemitleiden, aber nicht verurteilen kann. Wenn Ihnen wirklich so viel daran liegt, meine Meinung zu erfahren, so hören Sie denn, daß meiner Ueberzeugung nach die Verantwortung für das Geschehene nicht so sehr Fräulein Else als Sie trifft, und daß Ihr eigenes Verhalten mindestens dieselbe Verdamm­ung verdient, als dasjenige Ihrer Tochter!"

Der ehemalige Schlächtermeister starrte den Sprechenden mit offenem Munde an, und in seiner maßlosen Ueberraschung fiel ihm nicht einmal die Grobheit ein, die er unter anderen Umständen auf eine solche Vermessenheit gewiß in Bereitschaft gehabt haben würde.

Was? Sie wollen die Ehrvergessene noch in Schutz nehmen?" war Alles, was er Hervorbringen konnte.Sie finden wirklich noch eine Entschuldigung für solche bodenlose Schlechtigkeit?"

Ich könnte wenigstens viel leichter eine Entschuldigung für einen solchen Schritt der Verzweiflung finden als für das Vergehen eines Vaters, der gewissenlos genug ist, das Glück seines Kindes um seiner eigenen Interessen willen aufzuopfern, und der nicht einmal davor zurückschreckt, einen ehrlichen Mann schmählich

und niederträchtig zu belügen, nur um seine selbstsüchtigen Zwecke zu erreichen."

Die lcidenschaftlose und überlegene Art, in welcher ihm die wohlverdiente Anklage entgegen- geschleudcrt wurde, entwaffnete den sonst so kampfbereiten Mann wider seinen Willen voll­ständig. Er suchte vergebens nach einer Er­widerung von gleicher Schärfe, und zum ersten Mal in seinem Leben mußte er sich unter die Gewalt einer kraftvolleren und männlicheren Persönlichkeit beugen. Minutenlang sprach keiner der beiden Männer ein Wort, dann sagte Hoffe­richter ohne empor zu blicken:

Es ist möglich, daß ich mich Ihnen gegen­über eines kleinen Unrechtes schuldig gemacht habe. Aber ich wurde dabei von den besten Absichten für Sie und meine Tochter geleitet, und von Ihnen hätte ich wohl am wenigsten einen Vorwurf darüber verdient!"

Unsere Ansichten mögen darüber wohl auseinandergehen! Aber ich hätte in der That keine Veranlassung genommen, Ihnen jenen Vorwurf auszusprechen, wenn Sie mich nicht durch Ihren Versuch, die ganze Verantwortung auf Ihre arme Tochter abzuwälzen, gleichsam dazu gezwungen hätten. War dies in der That auch Alles, was Sie mir zu sagen gedachten?"

Nein!" Ich hielt cs für meine Pflicht. Sie persönlich davon in Kenntnis zu setzen, daß ich meine Tochter nicht mit mir hierher bringen und sie nicht einmal sprechen konnte, weil sie im Krankenhause der Hafenstadt an einem Nervenfieber schwer krank darnieder liegt und weil die Aerzte nicht mehr an ihr Auskommen glauben!"

Und dennoch brachten Sie es über's Herz, ruhig hierher zurückzukehren?" rief der Doktor mit unverhohlener Entrüstung aus.Sie blieben nicht in der Nähe Ihres kranken Kindes, um es wenigstens Ihrer Verzeihung zu versichern, und ihm damit die schwere Sterbestunde zu erleichtern?"

Verzeihung?" rief Hofferichter erstaunt. Meiner Verzeihung? Sie können glauben, daß ich jemals im Stande wäre, der Unge­ratenen zu verzeihen? Hätte man mich zu ihr gelassen, wie es doch mein gutes Recht war und wie ich es leider vergebens zu erzwingen suchte, so würde ich ihr meinen Fluch in's Ge­sicht geschleudert haben, meinen grimmigsten, fürchterlichsten Fluch, und es wäre mir eine Genugthuung gewesen, wenn sie unter dem Gewicht dieses Fluches ihren letzten Atem aus­gehaucht hätte."

Der Schlächtermeister sah wirklich wieder- wärtig aus in seinem Zorn, die Adern auf seiner Stirn waren dick angeschwollen und sein ganzes breitknochiges Gesicht hatte eine blaurote Färbung angenommen. Was mußte das un­glückliche Mädchen unter der Brutalität eines solchen Vaters gelitten haben, ehe es den ver- zweifelten Entschluß gefaßt, ihm zu entfliehen.

(Fortsetzung folgt.)

Silberne Hochzeiten. Auf den 18. Juli fallen im Deutschen Reich, wie der B. B. K. ausführt, eine große Menge silberner Hoch­zeiten. Unmittelbar nach der bekannt gewordenen Mobilmachung im Jahre 1870 und vor dem Ausmarsch der Truppen fanden außerordentlich vieleNottrauungen" statt. Feldwebel und Unteroffiziere, die verlobt waren, Reservisten und Landwehrleute, die in kürzerer oder längerer Frist einen eigenen Herd gründen wollten und ihre Wahl bezüglich der künftigen Hausfrau ge­troffen hatten. erhielten unter dem Druck der politischen und militärischen Verhältnisse den Dispenz von allen vorgeschriebenen Formalitäten und wurden kurzer Hand kirchlich (damals gab es noch kein Zivilstandgesetz) ehelich verbunden. Solch eine Hochzeilsfeier dauerte oft nur eine Stunde. Immerhin zogen die jungen Krieger mit Beruhigung ins Feld hinaus, wußten sie doch, daß ihre daheim gebliebene Ehefrau einen recht­lichen Anspruch auf die Fürsorge des Vaterlandes hatte.

Eine Kugel von Wörth. Der in Neustädtel in Schlesien angestellte Polizeisergeant Sander erhielt im Jahre 1870 bei der Schlacht von Wörth eine Kugel in das rechte Bein, die

seiner Zeit nicht zu entfernen war. Nachdem ihn die Kugel oft ganz außerordentlich gequält, schien kürzlich der geeignete Zeitpunkt zu einer Operation gekommen. Diese wurde im Berliner Elisabeth-Krankenhause ausgeführt und gelang. Jetzt ist der Mann geheilt und die Plage los, die Kugel will er aber zur Erinnerung an seine vierteljahrhundertlange Leidenszeit be­wahren.

Als landwirtschaftliches Kuriosum sendet Lehrer Boetigheimer aus Kehl der Red. der Str. P. eine Kartoffelstaude, an der mehrere Früchte, nicht Knollen, darunter eine bereits 4 Centimer lange, herausgewachsen sind. Die Landwirte, welche dieseoberirdischen Kartoffeln" gesehen haben, können sich nicht besinnen, je ähnliche beobachtet zu haben.

Mißverständlich.) Morgen reise ich auf ein Vierteljahr nach Italien, Fräulein Marie. Werden Sie mir bis dahin ein gutes Andenken bewahren?"Gewiß, mein Herr, geben Sie es nur her!"

(Nach ihrem Geschmack.) A.:Du warst, Coustnchen, gestern abend zum erstenmale im Theater, wie hat es Dir denn gefallen?" Backfisch:Ach, es war himmlisch, um halb 8 Uhr haben sich Edgar und Louise kennen ge­lernt und fünf Minuten vor 10 Uhr haben sie sich schon gekriegt!»

Telegramme.

Berlin, 19. Juli. Der Kaiser ließ am heutigen 25jährigen Gedenktag der französischen Kriegserklärung Kränze an den Särgen des Kaisers Wilhelm I. im Mausoleum in Charlot­tenburg nnd des Kaisers Friedrich im Mausoleum in der Friedenskirche zu Potsdam niederlegen.

Berlin, 19. Juli. Die Fahnenträger sämtlicher Garderegimenter holten unter Führ­ung je eines Offiziers heute Mittag die Fahnen und Standarten aus dem Schloß ab und brachten sie in die Ruhmeshalle, wo sie begränzt wurden. Bei der feierlichen Bekränzung, die in Gegenwart des Prinzen Friedrich Leopold, der Generalität und einer Abordnung der Offizierkorps erfolgte, hielt der Kommandeur der Garde-Kavallerie­division, Generallieutenant Graf Wartcnsleben, nach Verlesung der Kabinettsordre vom 27. Jan. eine Ansprache über die Bedeutung des Tages, die mit einem Hoch auf den Kaiser schloß. So­dann folgte die Schmückung der Fahnen: zwei Eichcnreiser wurden zu beiden Seiten der Fahnen­spitzen durch goldene Bänder an den Fahnen­schaft befestigt.

Rendsburg, 19. Juli. Heute Nach­mittag 4 Uhr schlug der Blitz während eines starken Gewitters in das hier formierte Lehrer­bataillon ein , das unter Lieutenant Neid auf dem Exerzierplätze seine Uebungen abhielt. Der Blitz schleuderte zwei Glieder zu je sechzehn Mann nieder. Ein Gefreiter ist tot, vier Lehrer liegen schwerverletzt darnieder.

Rom, 18. Juli. Gegenüber dem Berliner Gerücht von einer Erkrankung des Königs ist festzustellen, daß der König sich sehr wohl be­findet.

Sofia, 20. Juli. Die Agence Balcanie meldet, Prinz Ferdinand richtete ein Telegramm an den Hofmarschall in Sofia, welches besagt, daß er angesichts der Haltung der Familie Stambulows gegenüber den loyalen, ehrfurchts­vollen Schritten des Prinzen, und er nicht länger gesonnen sei, seine getreuen Diener den Beleidig­ungen auszusetzen, sich gezwungen sehe, den den Mitgliedern des Zivil- und Militärstaates jede Beteiligung an der Leichenfeier Stambulows zu untersagen. Die Agence fügt hinzu, das Telegramm sei der Anlaß, weil die Familie Stambulows die Abgesandten des Prinzen, sowie die im Namen des Prinzen überbrachten Kranzspenden in schroffer Weise zurückgewiejen. 3 Mörder, von denen einer der Verhafteten Georgiews, sind festgenommen. Es scheint, die Mörder wollten Panitza rächen. Die Schwester Stambulows hat im Namen der Witwe die Kranzspende des Prinzen zurückgewiesen, indem sie sagte, Stambulow habe sterbend den Prinzen Ferdinand für den Ueberfall verantwortlich gemacht.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.