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danin doppelt interessant, der, nachdem er bisher die Bulgaren aufs schärfste mitgenommen, plötzlich insofern einlenkt, als er sagt: Die ehedem von Rußland an Bulgarien gegebene Verfassung sei die Hauptursache der Demoralisierung der bulgarischen politischen Kreise gewesen, was allerdings niemals die Undankbarkeit Bulgariens entschuldigen könne, und dann fährt das Blatt fort: Um die Beziehungen Bulgariens zu Rußland wieder herzustellen, sei es selbstverständlich Bulgariens erste Pflicht, sich gesenkten Hauptes an Rußlands Gnade auszuliefern und dessen Richterspruch und Verzeihung abzuwarten Dunkel ist der Schlußsatz: „Rußland aber hat die moralische Verpflichtung, durch Abschaffung der bulgarischen Verfassung seine eigenen Fehler zu sühnen und, Verzeihung gewährend, Bul- garien eine verständigere, weniger zersetzende Re- gierungsform zu geben."
Knlerhattender Hell.
Ein Brillantenhalsband.
Kriminal-Novelle von Ferdinand Herrmann.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Die Schutzleute hatten Miene gemacht. Bernhard zu Fuß nach dem Stadthause zu transportieren, aber auf sein Ersuchen wurde auch ihm die Vergünstigung gewährt, eine Droschke zu benützen. Der Kommissär selbst nahm an seiner Seite Platz und auf den Vordersitz ließen sich zwei Konstabler nieder, so daß Bernhard die unmutige Bemerkung nicht unterdrücken konnte, ob man ihn denn für einen so fürchterlichen und gemeingefährlichen Verbrecher halte, daß man trotz seiner Wehrlosigkeit noch so weitgehende Vorsichtsmaßregeln treffe.
Diese scheinbare Unverschämtheit erregte den lebhaften Verdruß des Kommissars.
„Sie thäten bester, sich ganz ruhig zu verhalten", sagte er barsch, „denn Sie sollten sich doch sagen, daß ihre Sache eine total verlorene ist, und daß Sie mit der Unschuldsmiene, welche Sie da aufsetzen wollen, keinen Erfolg mehr haben können. Wir wissen Alles, mein Bester", sügte er mit erhobener Stimme hinzu. „Wir wissen, daß Sie nicht Bernhard Schmidt sondern Bernhard von Römer sind — der Neffe des Fräulein Friederike v. Römer!"
„Nun ja. ich zweifle nicht daran, daß Sie es wissen." gab Bernhard zurück, „denn wie hätte ich mir sonst meine Verhaftung erklären sollen! Aber ich zweifle, daß Sie befugt sind, mich darauf hin schlimmer als einen gemeinen Verbrecher zu behandeln!"
„Das ist stark!" fuhr der Kommissar auf. „Sie scheinen sich also noch immer sehr sonder- baren Illusionen hinzugeben. Vielleicht klärt es Sie einigermaßen über Ihre Lage aus, wenn ich Ihnen sage, daß man auch den Brillantschmuck in Ihrem Besitz gesehen hat, daß sich der Pfandleiher gemeldet hat, bei dem Sie denselben verpfänden wollten "
„Nun wohl! — Und was hätte ich damit Strafbares begangen? Bin ich nicht berechtigt, über mein Eigentum zu schalten, wie es mir gefällt, und habe ich darüber irgend einem Andern Rechenschaft zu geben, als vielleicht einzig derjenigen, von der ich den Schmuck zum Geschenk erhielt?"
„Ah, also darauf soll das Märchen hinauslaufen, welches Sie sich für den Fall der Entdeckung zurecht gemacht haben!" meinte der Kommissar spöttisch. Sie wären also ganz unschuldig an dem Tode Ihrer Tante, und dieselbe hätte Ihnen ihr teuerstes Besitztum freiwillig zum Geschenk gemacht — wahrscheinlich in einer Vorahnung des Schicksals, welches ihr bevorstand, und in der Erkenntnis, daß sie nach ihrer Ermordung von einem Brillantenhalsband doch keinen Gebrauch mehr würde machen können?"
Ein lauter Aufschrei aus Bernhard's Munde war zunächst die einzige Antwort, welche der Kommissar erhielt — ein Schrei so wild und gellend, wie er sich nur je einer gefolterten Menschenbrust entrungen, — und wenn es im Innern des geschloffenen Wagens nicht viel zu dunkel für
derartige Beobachtungen gewesen wäre, so würden die Beamten wahrgenommen haben, daß sich die Züge des jungen Mannes wie diejenigen eines Wahnsinnigen verzerrt hatten, und daß er vergebens nach Worten für eine Erwiderung oder eine weitere Frage rang. So aber nahmen sie seinen Aufschrei und sein Schweigen zunächst für einen deutlichen Beweis seines dösen Gewissens und für eines jener unwillkürlichen wortlosen Geständnisse, welches selbst verstockten und verhärteten Verbrechern zu entfahren pflegt, wenn sie plötzlich ein künstlich aufgesührtes Gebäude von Ausflüchten und Verteidigungsmitteln vor sich zusammenfallen sehen. Diesen günstigen Moment wollte der Kommissar nicht ungenutzt vorübergehen lassen, und er bemühte sich, den Verhafteten sogleich zu einem vollen, rückhaltlosen Eingeständnis zu bringen.
„Geben Sie das Leugnen nur getrost auf, Römer!" sagte er. „Es liegt Alles ganz klar zu Tage, und es wird Ihre Lage gewiß nicht verbessern, wenn Sie sich hinter so handgreiflliche Lügen verstecken wollen, an die Niemand auch nur einen Augenblick glauben kann. Gestehen Sie's nur ein. daß Sie Ihre Tante ermordet haben! Sie sind durch die vorliegenden Indizien ja schon so gut wie überführt.
Diese schonungslosen Worte erst lösten endlich den furchtbaren Bann, welcher bis dahin auf Bernhard gelegen hatte, und seine aus Schmerz und Zorn gemischte gewaltige Erregung machte sich in wilden Ausbrüchen Luft, welche die Polizeibeamten in Staunen, ja beinahe in Bestürzung versetzten.
Bernhard's Entsetzen und seine aufrichtige Verzweiflung über das schreckliche Schicksal seiner armen Verwandten, die ihm in Wahrheit eine zweite Mutter gewesen war, überwog vorerst noch jedes andere Gefühl, und ließ selbst den Schrecken, den er darüber empfinden mußte, daß man ihn einer solchen Unthat für fähig halten konnte, noch in den Hintergrund treten. Er bestürmte den Polizei Kommissar mit leidenschaftlichen Fragen und mit flehentlichen Bitten um eine nähere Aufklärung, so daß selbst der gewiegte Kriminalbeamte von Neuem irre wurde an der Berechtigung des Verdachts, welcher gegen den jungen Mann vorlag. Jedenfalls war er gewiß, daß es ihm nicht möglich sein würde, von seinem Arrestanten ein Geständnis zu erlangen, und als er eine Viertelstunde später seinem Vorgesetzten von der glücklich vollzogenen Verhaftung Bericht erstattete, konnte er nicht unterlassen hinzuzusügen:
„Dieser Bernhard Römer ist entweder an der That, die ihm da zur Last gelegt wird, vollständig unschuldig, oder er ist der verstockteste Verbrecher und zugleich der geriebenste Komödiant, der mir während meiner ganzen Praxis vorgekommen ist."
„Nun, es ist gut, daß es nicht unsere Sache ist, über seine Schuld oder Unschuld die Köpfe zu zerbrechen", meinte der Polizeirat, der ein großer Freund der Bequemlichkeit war. „Sorgen Sie dafür, daß diePolizeibehörde in M. telegraphisch benachrichtigt werde, und erbitten Sie auf demselben Wege eine Benachrichtigung, ob wir ihn sofort mit einem unserer Beamten dahin schaffen lassen sollen oder ob man ihn hier in Empfang nehmen wolle! — Und wie steht's mit dem Frauenzimmer?"
„Schlimm, Herr Polizeirat! Sehr schlimm sogar, wie ich fürchte! Sie ist recht krank, und eben jetzt ist der Polizeiarzt auf meine Veranlassung hier bei ihr, um ihren Zustand zu untersuchen! — Es sieht mir ganz so aus, als wenn die den Gerichten nicht mehr allzuviel zu schaffen machen würde!"
„Hm! Wenn Sie sich da nur nicht in einem großen Irrtum befinden, Herr Kommissar! Die weiblichen Simulanten sind die geschicktesten, und sie wäre am Ende nicht die Erste, die einem erfahrenen und tüchtigen Beamten etwas blauen Dunst vorzumachen verstanden hätte."
„Gewiß nicht, Herr Polizeirat! — Aber diesmal bin ich meiner Sache ganz gewiß! Und sie hat mir so leid gethan, daß ich herzlich froh gewesen wäre, wenn meine Pflicht mir gestattet
hätte, sie an dem Orte zu belassen, wo sie sich aushielt."
„Sie halten sie also nicht für mitschuldig an dem Verbrechen des jungen Menschen?"
„Ich habe kein Wort mit ihr gesprochen, da sie bei seiner Verhaftung sogleich das Bewußtsein verlor. Aber wenn ich mich nur einigermaßen auf Physiognomien verstehe, so ist sie gewiß außer aller Schuld! Sie hat das unschuldsvolle Gesicht eines Kindes."
„Na! Na!" meinte der Polizeirat mit einem überlegenen Lächeln. „Was Ihre Kindlichkeit anbetrifft, so hat es damit doch wohl einen kleinen Hacken. Denn wenn Sie auch möglicherweise von dem Verbrechen ihres Geliebten keine Kenntnis gehabt hat. so steht es doch fest, daß sie sich von ihm aus ihrem Vaterhause entführen ließ und Sie werden mir zugeben, Herr Kommissar, daß eine solche Thatsache immerhin ein *mehr als zweifelhaftes Licht auf ein junges Mädchen werfen muß."
Telegramme.
Berlin, 12. Juli. Die „Post" erklärt sich aus authentischer Quelle in die Lage versetzt, die Nachricht, wonach dem Reichskvmmissar Dr. Karl Peters von der Regierung ein Thätig- keitsfeld am Tanga-Nykasee angeboten sei, für richtig zu erklären. Auch habe Peters bereits seine Bereitwilligkeit ausgesprochen, der Aufforder, ung des Reichskanzlers Folge zu leisten.
Berlin. 13. Juli. Der „Lokalanzeiger" erfährt aus Cettau: Im Gießmannsdorfer Kohlenbergwerk ist der Schacht eingestürzt; 3 Arbeiter wurden verschüttet. Die Reltungs- arbeiten waren bis jetzt erfolglos.
Der „Lokalanzeiger" meldet ausHamburg: Sämtliche dirigierende Aerzte aus der Jrrenab- teilung im St. Jürgens Asyl in Bremen haben den Hamburgern Blättern zufolge ihre Kündigung eingereicht.
Das Tagbl. meldet: Das Altonaer Schöffengericht verurteilte 101 Frauen und Mädchen, welche dem Zentralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands angehören zu je 15 Geldstrafe und ordnete die Schließung des Vereins an.
Ludwigsburg, 13. Juli. Gestern vormittag hat sich auf dem großen Exerzierplätze hier ein schwerer Unglücksfall anläßlich bei einer Vorstellung der I. Abteilung des Feldartillerie- Regiments Nro. 29 bei einer Bewegung im Angriff von Marsch-Marsch zugetragen. Bei dem gegenwärtig staubigen Boden fuhren 2 Geschütze aufeinander auf, wobei einem Kanonier der Fuß 3fach gebrochen, einem andern einige Rippen eingedrückt wurden und sonst noch innerlich schwere Verletzungen erlitt. Zwei weitere Mann wurden leichter verletzt.
Stockholm, 12. Juli. Heute Mittag 12 Uhr ging der Kaiser mit der „Hohenzollern" nach Tullgarn in See. Das Wetter war gestern regnerisch, scheint sich aber heute aufzuklären.
Kopenhagen, 12. Juli. In den bedeutenderen Städten Jütlands ist infolge eines Konflikts zwischen Maurer- und Zimmermeistern und deren Gesellen eine Aussperrung der Arbeiter verfügt worden, infolgedessen über 1000 Gesellen ohne Beschäftigung sind.
Brüssel, 12. Juli. Der Senat hat die ganze Zollvorlage mit 59 gegen 33 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen angenommen.
London, 12. Juli. Nach einer bei Lloyds eingegangenen Depesche aus Gibraltar ist der Bremer Dampfer „Drachenfels" wieder flott gemacht und in den dortigen Hafen gebracht worden, nachdem ungefähr 300 Tonnen seiner Ladung gelöscht worden waren. — Bisher sind gewählt 30 Unionisten, 3 Liberale und 3 irische Nationale. — Dem Reuter'schen Bureau ist eine Meldung aus Jokohama zugegangen, wonach 700 Chinesen die japanische Garnison in Hsincha (?) auf Formosa am 10. d. M. angegriffen hätten. 200 Chinesen seien getötet und viele verwundet. Die Japaner hätten 11 Mann verloren.
Redaktion, Druck und Verlag vonC. Meeh in Neuenbürg.