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Knegschronik 1870/71.
12. Juli 187«.
Berlin. Der Fürst Anton von Hohenzollern hat an Herrn Olozaga, spanischen Botschafter in Paris, folgende Depesche gesandt:
„Ich mache es mir zur Pflicht, Ihnen die wörtliche Kopie eines Telegrammes zugehen zu lasse«, das ich soeben an den Marschall Prim nach Madrid gesandt: Gegenüber den Verwickelungen, welche durch die Kandidatur meines Sohnes Leopold entstanden, Verwickelungen, die notwendiger Weise einen gewisse« Einfluß auf die Cortes ausuben müssen, so daß ei« Votum derselben nicht Wohl ohne Mitwirkung von Elementen möglich wäre, welche der Person, um die es sich handelt, durchaus fremd find, trete ich im Namen meines Sohnes von der Kandidatur aus den spanischen Thron zurück.
Schloß Sigmaringen, den 12. Juli,
» 11 Uhr 28 Min.
Anton Hohenzollern."
Berlin. Die „Kreuz-Zeitung" erklärt: „Die drohenden Aeußerungen von Gramont sind das Zeichen eines überlegten Planes, bei dem Spanien nur der Borwand die Spitze aber gegen Preußen und Deutschland gekehrt ist."
Hiesigen Blättern zufolge hat das Auswärtige Amt den süddeutschen Kabinetten m München, Stuttgart, Karlsruhe und Darmstadt die offizielle Notifikation zugehen lassen, daß die preußische Regierung sich nach wie vor nicht in die spanischen Verhältnisse mischen, also der spanischen Nation wie dem Prinzen Leopold freies Feld lassen werde. Es liegt hierin gleich eine ernste Hinweisung auf die Allianzverträge, im Falle es zu einer ernsten Katastrophe kommen sollte.
Graf Bismarck ist soeben, in der fünften Nachmittagsstunde, begleitet von dem Geheimen Legationsrat v. Keudell und dem Legatwnsrat Bücher, aus Var- zin hier eingetroffen. Er wird sich von hier zum König nach Ems begeben.
Das Staatsministerium trat heute zu einer Sitzung unter dem Vorsitz des Kriegsministers von Roon zusammen, welcher von Gütergotz herüber gekommen war. Veranlassung zu dieser Sitzung gaben augenscheinlich die neuesten Nachrichten aus Paris.
Paris. Der preußische Botschafter ist heute früh wieder (von Ems) hier eingetroffen. Der Kaiser empfing um 1 Uhr Herrn von Weither. Später hatten die Minister Ollivier und Gramont eine lange Besprechung mit Herrn von Weither, die bis halb vier Uhr dauerte.
Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.
Neuenbürg. Aus einem im Obstbauverein Pforzheim gehaltenen Vortrag des Hrn. Landwirlschaftsinspektor Bach über Beerenweine entnehmen wir folgendes: Die Beerenweine werden schon lange bereitet, anfänglich vorwiegend in Pfarr- und Forsthäusern, aber lediglich als Likörweine. Die allgemeine Bereitung der Beerenweine als Haustrunk ist noch neuen Datums. Den zerquetschten Beeren wird nicht Wasser zugesetzt um ein möglichst großes Quantum Wein zu erhalten, sondern um die den Beeren überwiegende Säure zu mildern. Da aber auch mit der Säure der Zuckergehalt der Beeren durch den Wasserzusatz verdünnt wird, so ist ein Zuckerzusatz notwendig. Der Zucker verwandelt sich in der Gährung zu Weingeist und dieser bedingt die Haltbarkeit des Weines. Zu einem Hektoliter Wein nimmt man: Tisch wein: Johannisbeeren 33 Beeren 70 Liter Wasser 16 Zucker. Stachelbeeren 45 kg Beeren 55 Liker Wasser 14 KZ Zuiller. Heidelbeeren 38 KZ Beeren 64 Liter Wasser 15 lr§ Zucker, zu starkem Wein: Johannisbeeren 23 Kilo Zucker. Stachelbeeren 21 Kilo Zucker. Heidelbeeren 22 Kilo Zucker. Wie bekannt, wird nach dem Zerquetschen der Früchte, der erhaltene Brei oder Troß in einer Gärstande mit Wasser, zum Zwecke des Auslaugens 2 bis 3 Tage angesezl und dann abgepreßt. Ohne dieses Angähren lassen und Auslaugen würden Stachelbeeren überhaupt nicht abpreßbar sein. Die Gärständen sollen gut abschließen, den Luftzutritt zum Troß verhindern, in Ermanglung luftdicht schließender Deckel nimmt man ein naßes Tuch. Die Zuckerstücke werden im Wasser am besten so aufgelöst, daß man die Stücke in eine Serviette bindet und diese in das Wassergefäß oben hinein hängt. Der aufgelöste Zucker sinkt nieder und tritt immer frisches Wasser zu, welches sich wieder mit Zucker sättigt. Das Hineinwerfen der Zuckerstücke ins Faß taugt nichts, da die Zuckcrmasse sich am Boden nur schwer lößt und lange Zeit als dicker Satz liegen bleibt. Zur Vermehrung der Hesepllze empfiehlt sich der neuerdings beliebte Zusatz von Rosinen oder
Zibeben. Man kaufe aber eine Ware, welche nicht mit Unreinlichkeiten aller Art untermischt ist. An den Häuten dieser Zibeben befinden sich in Masse die eine rasche Gährung herbeiführenden Hefepilze. Bezüglich des Zibeben- oder Rosinenzusatzes ist zu bemerken, daß man für 1 Kilo zugesetzte Rosinen etwa ,560 Gr. Zucker in Abzug bringen kann. Als Hefenahr- ung werden dem jungen Most 20—30 Gramm Chlor-Ammonium (Salmiak) pro Hektoliter beigefügt. Nach dem Abpressen kommt der junge Wein in ein gut gereinigtes, aber nicht eingebranntes Faß. Dieses wird verspundet und mit einer Gährröhre versehen. Bis zum November, Dezember ist der Wein hell und klar und gehört dann von der Hefe getrennt und in ein eingebranntes Faß gefüllt. — Auf eine Anfrage betreffs des Einmachens unreifer Stachelbeeren, ging nun Herr Inspektor Bach auf diesen Gegenstand über. Die Beeren werden geputzt und nicht wie vielfach angewendet, in Zucker gekocht, sondern eingedünstet. Gute Conservengläser werden mit den Früchten bis zum Rand gut angefüllt; dann läutert man in einem Liter Wasser 120—150 Gr. Zucker, gießt diese Flüssigkeit darüber, schließt die Gläser, stellt sie in einen mit Wasser halb gefüllten Kessel, umhüllt sie mit Heu und kocht nun langsam 20—30 Minuten, harte Früchte bis zu einer Stunde. Erst wenn das Wasser erkaltet ist, nimmt man die Gläser wieder heraus. Wenn der Deckel von selbst fest haftet, so ist das Verfahren als gelungen zu bezeichnen. Eine weitere Anfrage betraf die Herstellung oonZibeben- oderRoftnenwein. Herr Inspektor Bach erklärte, daß mit einem Zentner guter Zibeben 100 — 150 Liter guter Wein hergestelll werden können. Erfordernis ist das Zerschneiden oder Zerquetschen der Früchte, daß die Häute geöffnet sind und das Wasser ein- dringen kann; ferner das dreimalige Auslagen mit je einem Drittel des nötigen Wassers und zum Schluß das Abpressen. Zuckerzusatz ist nicht erforderlich, da diese Früchte genügenb Zucker enthalten, hingegen ist es unbedingt notwendig, daß pro Hektoliter 150-200 Gramm reine Weinsäure (nicht Weinstein) zugesetzt werden. Der Wein ist ebenfalls nach dem Hellwerben abzulassen und wie andere Weine zu behandeln.
Pforzheim. Hr. Kürschnermeister Eduard Klein beabsichtigt sein Ecke Schloßberg und östliche Karl Friedrichstraße gelegenes Haus abzu- brechen und auf dem günstig gelegenen Platz einen architektonisch schönen 4 stückigen Neubau, Wohn- und Geschäftshaus mit großen Souterrains, Galerien im Ladenlokal rc. aufführen zu lassen.
Neuenbürg, 13. Juli. Schweinemarkt. Zufuhr 33 Paar Milchschweine, welche für 16 bis 20 okL raschen Absatz fanden.
Deutsches Keich.
Berlin, 11. Juli. Der Kaiser wird Mitte Oktober der Feier der Enthüllung des Denkmals für Kaiser Friedrich bei Wörth beiwohnen.
Berlin, 11. Juli. Die jüngeren Prinzen und die Prinzessin begeben sich nunmehr morgen früh von der Wildparkstation zu längerem Sommeraufenthalt nach Saßnitz. Die Kaiserin hat bisher noch immer nicht an der Familientafel im Neuen Palais teilgenommen, sogar nicht an der Festtafel zur Feier des Geburtstages des Prinzen Eitel-Fritz am 7. d. M. Man spricht von der Ueberstcdclung der Kaiserin ins Marmorpalais bei Potsdam für die Zeit, während sie allein in Potsdam weilt.
Nachdem im vorigen Jahre und auch im Anfang dieses Jahres Handel u. Schiffahrt von Deutschland nach Nord- und Südamerika eine nicht unbedeutende Beeinträchtigung gegen früher gezeigt hatten, ist im Laufe dieses Jahres eine erhebliche Besserung eingetreten. Einen erfreulichen Beweis für die Belebung des überseeischen Verkehrs bietet die neueste Segelliste des Norddeutschen Lloyd in Bremen. Der Nord- deutsche Lloyd wird lm Monat August nicht weniger als 21 transatlantische Dampfer von der Weser abseitigen und zwar 9 Schnelldampfer und 2 Dampfer der Roland-Linie nach New-
Jork, 4 Dampfer nach Baltimore, 2 Dampfer nach Brasilien, 2 Dampfer nach dem La Plata, und je einen nach Ostasien und Australien. Auch für die nächsten Monate sind die Aussichten für Handel und Verkehr erheblich günstiger als im Vorjahre.
Württemberg.
Stuttgart. 9. Juli. Der Landtag wurde am Donnerstag geschlossen. Die Religionsreversalien, das Steuergesetz und das Wasserrechtsgesetz kamen nicht mehr zur Beratung, sondern wurden bis zum Herbst vertagt.
Stuttgart, 12. Juli. Ihre Kaiserliche Hoheit Frau Herzogin Wera mit den Herzoginnen- Töchtern Elsa und Olga wohnten gestern abend 6 Uhr in der Glockengießerei von H. Kurz dem Gusse der Glocke für die neue russische Kapelle an.
Hofen, 10. Juli. Eine Abteilung Dragoner setzte heule vormittag 10 Uhr bei der Fähre von Mühlhausen über den Neckar hieher. An einer durch die Baggerung vertieften Stelle wurde ein Pferd unruhig, warf seinen Reiter ab und erreichte ohne denselben das Ufer. Der Reiter wäre ohne Zweifel, trotz seiner Anstrengungen über Wasser zu bleiben, ertrunken, wenn ihm nicht einige Offiziere, die sich ihm schwimmend nahten, zu Hilfe gekommen wären und ihn gerettet hätten.
Heilbronn, 12. Juli. Die 14jährige Tochter des Metzgers Schwarz von hier stürzte heute vormittag zwischen 10 und 11 Uhr mit ihrem 2jährigen Brüderlein von einer Plattform in einen Hof hinab und in eine kurz vorher geleerte Düngergrube hinein. Das Mädchen trug vom Sturze einen Bruch des linken Armes und einen Schädelbruch davon, so daß ihr Leben in Gefahr steht, während der Knabe unverletzt davon kam.
Neckarsulm, 11. Juli. Heute früh wurde bet dem Entleeren des Abortes in dem Gasthaus z. Post dahier der Leichnam eines neugeborenen Kindes männlichen Geschlechts vorge- sunden. Der Kopf war mit einem Tuch umwickelt, welches um den Hals zugezogen war, wodurch ohne Zweifel der Tod herbeigeführt wurde. Ueber die Thätcrin bezw. die Mutter fehlt bis jetzt jede Spur. Untersuchung ist eingeleitet.
Ulm, 11. Juli. Rechtsanwalt G. Pfitzer hat den ihm kürzlich von der Verlagsbuchhandlung, die seine Schrift „Der Achtung unwürdig" verlegte, übersandten Anteil an dem Rein- erlrägnis an den s. Z. vom Ulmer Schwurgericht wegen Brandstiftung verurteilten Taglöhner Willibald Jlg aus Illingen verschenkt.
Ausland.
Paris, 11. Juli. Einzelne hies. Blätter besprechen mit ziemlich unverholen schlechter Laune den Besuch der italienischen Flotte in Portsmouth. Der Besuch solle jedenfalls ein Gegenstück und das Gegengewicht zu dem Zusammentreffen des französischen und russischen Geschwaders vor der Kieler Föhrde bilden. Der „Jour" findet überdies, der Herzog von Genua habe durch die pietätvolle Berücksichtigung der „Victory", auf welcher Nelson, einer der gefährlichsten Feinde Frankreichs, gefallen sei, ebenso die dem französischen Volke schuldige Dankbarkeit verletzt, wie seiner Zeit der Prinz von Neapel durch die Teilnahme an den Metzer Manövern. (Ein recht artiges neues Stückchen von dem Hochmut der französischen Chauvins.)
Portsmouth, 11. Juli. An dem gestrigen Balle der Admiralität zu Ehren der Offiziere des italienischen Geschwaders nahmen etwa 2000 Fcstgäste teil. Als der Herzog von Genua in Begleitung des ersten Lords der Admiralität Goschen erschien, spielte die Kapelle die italienische Nationalhymne.
Aus Petersburg, 11. Juli wird der Straßv. Post gemeldet: Seit gestern heißt es plötzlich, entgegen den bisherigen aus Peterhof hierher gelangten Nachrichten, Kaiser Nikolaus werde doch „vielleicht" außer dem Metropoliten Clement auch andere Mitglieder der bulgarischen Abordnung empfangen. Unter diesen Umständen wird eine Art Schwenkung im heutigen Grajh-