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Lächeln sein sollte, das aber in Wahrheit nichts anderes war, als eine abscheuliche Grimasse. Er nickte ein paar Mal und ging nach dem Hintergrund des Zimmers, wo er sich hinter der geöffneten Thür eines großen Kleiderschrankes emsig zu schaffen machte. Der Pfandleiher aber kehrte mit gewöhnlichem Schritt in das Komptoir zu dem ungeduldig harrenden Fremden zurück.
„Hm! — Es scheint ja, als wenn die Brillanten echt wären.- sagte er, „aber ehe ich Ihnen darauf etwas leihen kann, muß ich Sie doch fragen, wer Sie eigentlich sind."
Es hatte ganz das Ansehen, als ob diese Frage dem jungen Mann sehr fatal wäre; denn er zauderte merkwürdig lange mit der Antwort.
„Ich heiße Bernhard Schmidt-, sagte er endlich in einem nicht weniger als zuversichtlichen Tone, um sehr hastig hinzuzufügen: „Sie dürfen sich darauf verlassen, mein Herr, daß ich der rechtmäßige Eigentümer dieses Halsbandes bin und freies Verfügungsrecht über dasselbe habe."
„Das ist wohl möglich, entgegnete der Pfandleiher mit kühler Gelassenheit, „aber Ihre Versicherung kann mir nicht genügen. Sie müssen sich legitimieren!"
„Legitimieren?" — Der angebliche Herr Bernhard Schmidt war sehr betroffen, und die feine Röte des Aergers auf seinen Wangen verwandelte sich in das flammende Rot der höchsten Verlegenheit. „Legitimieren kann ich mich allerdings nicht, ich befinde mich auf einer Reise und habe keine Papiere mitgenommen, da ich auf eine solche Notwendigkeit nicht vorbereitet sein konnte"
„Hm! — Das ist unvorsichtig! — Man sollte niemals ohne Legitimation auf die Reise gehen, besonders, wenn man so kostbare Schmuckgegenstände mit sich führt! Dann werden wir das Geschäft nicht machen können!"
„Aber wenn ich Ihnen mit meinem Ehrenwort versichere —"
Behalten Sie Ihr Ehrenwort, mein lieber Herr, denn ich kann keinen Gebrauch davon machen! Das Gesetz schreibt vor, daß jeder Pfandgeber sich zu legitimieren hat. und ein Ehrenwort ist keine Legitimation."
Ein Zittern lief über den Körper des jungen Mannes und die Thränen standen ihm in den Augen.
„Man sagte mir doch, daß sie ein barmherziger Mann seien, der es wohl einmal mit einem Ausuahmefall nicht so genau nähme mit den Buchstaben der gesetzlichen Vorschriften —"
Man hat sehr unrecht gethan, Ihnen das zu sagen! Ich bin ein ehrlicher Mann, der seinen Vorgesetzten Behörden und der weisen Obrigkeit unbedingt gehorcht und der nicht auf krummen Wegen wandelt. Beweisen Sie mir es schwarz auf weiß, daß diese Brillanten Ihr Eigentum sind, und ich will Ihnen gern ein paar hundert Thaler oder so was darauf geben. Können Sie es nicht, so müssen wir eben auf das Geschäft verzichten!"
„Aber ich befinde mich in einer entsetzlichen Notlage! — Es handelt sich vielmehr um die Rettung eines Menschenlebens!"
Es sprach sich soviel wahnsinnige Herzensangst in den wenigen Worten aus, daß selbst ein mißtrauisches Gemüt sehr wohl an ihre Wahrhaftigkeit glauben konnte. Aber in Julius Wendeland's pergamentenem Antlitz veränderte sich kein Zug und ein flüchtiges Achselzucken war die einzige sichtbare Aeußerung seines Mitleids.
„Es thut mir leid, mein Herr, aber ich bin kein Lebensretter, sondern ein Pfandleiher, und die Leute, die zu mir kommen, sind alle mehr oder weniger in Not, so daß ich schon aus Prinzip nicht erst anfangen kann, mich auf besondere Gefälligkeiten einzulasfen In Geschäftsangelegenheiten sollte man überhaupt von dergleichen gar nicht reden."
„Sie weigern sich also ganz entschieden, mir ein Darlehen auf diesen Schmuck zu geben?"
„So lange Sie nicht im Stande sind, den gesetzlichen Vorschriften nachzukommen — ja!"
Er schob dem angeblichen Bernhard Schmidt das Etuis wieder zu, als sei er fest überzeugt, daß es Jenem unmöglich sein werde, diese Bedingung zu erfüllen, und mit einem tiefen Seufzer,
der nur ein Ausdruck höchster Mißbilligung über die zwecklose Störung sein konnte, ließ er seine winzige Gestalt wieder auf die harten Polster des mächtigen Lehnstuhl fallen. Während der unglückliche junge Mann noch immer mit verzweifeltem Gesicht vor der Tombank stand, unschlüssig ob er gehen oder ob er es mit einer nochmaligen Bitte versuchen sollte, faltete Julius Wendeland wieder in aller Gemächlichkeit seine Zeitung auseinander und vertiefte sich in die Lektüre derselben sehr angelegentlich, als wäre er längst allein. Da mochte der Andere denn wohl einsehen, daß es hier keine Hoffnung mehr für ihn gebe, und mit einem kurzen Gruße, der wiederum nicht die mindeste Beachtung fand, ging er hinaus.
Wieder stöhnte und ächzte die alte, hinfällige Treppe unter seinem Schritt und ihr Knirschen und Knarren klang ihm ins Ohr wie ein mitleidvolles Jammern. Wie viel Elend und Herzeleid, wie viel hoffnungslose Verzweiflung mochte wohl auch über diese alten Stufen schon dahingeschritten sein! Wie viel zerrüttetes Menschenglück und wie viel verlorene Existenzen mochte wohl daS niedrige schmutzige Komptoir des würdigen Herrn Julius Wendeland schon in seinen vier kahlen Wänden gesehen haben!
Verwirrt und fassungslos wie ein Träumender trat der junge Mann auf die Straße hinaus. Ein scharfer Windstoß, der eben heulend und schreiend um die Ecke fuhr, brachte ihn erst einigermaßen zur Besinnung, indem er ihm für einige Sekunden völlig den Atem benahm. Es war eine enge, häßliche und dunkle Gasse, in welcher sich der Abgewiesene da befand. In den alten, verwirrten und voll melancholischer Lebensmüdigkeit seitwärts geneigten Häusern war kaum hier und da ein vereinzeltes Fenster erhellt — auf der Straße selbst aber war nirgends ein menschliches Leben zu erblicken. Jene lange männliche Gestalt, deren Hagerkeit selbst durch den weiten Mantel nicht verdeckt wurde, den sie über die Schulter geworfen hatte und die sich vorsichtig in die dunkelste Ecke eines Vorbaues gedrückt hatte, war ja offenbar von dem lebhaften Wunsche erfüllt, nicht gesehen zu werden, und sie würde diesen Zweck auch wohl dann erreicht haben, wenn der Fremde seiner Umgebung eine größere Aufmerksamkeit geschenkt hätte„ als er in Wirklichkeit that. Sie löste sich, als jener einen Vorsprung von etwa dreißig Schritten erreicht hatte, langsam aus dem Häuserschatten los, nm ihm zu folgen und sie hielt an dieser Absicht mit großer Beharrlichkeit fest, die Spur des Anderen auch in dem lebhaften Menschenverkehr der angrenzenden, volksreicheren Verkehrs» straßen nicht verlierend.
(Fortsetzung folgt.)
^ Laß dir keine Rückfahrkarte schenken. Ein Reisender aus Mühlhausen wurde kürzlich vom dortigen Schöffengericht zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat verurteilt, weil er auf eine Karte 2. Klaffe gefahren ist, welche ihm geschenkt worden war. Er verging sich dadurch gegen die Bestimmung, welche jeder Rückfahrkarte aufgedruckt ist, daß dieselbe nicht übertragbar ist, d. h. nur von demjenigen benutzt werden darf, der sie gelöst und bereits auf einer Fahrstrecke benutzt hat. Daß der betreffende Reisende nebenbei für die durchfahrene Strecke auch eine Karte 3. Klasse gelöst hatte, konnte ihn von seiner Strafe nicht frei machen.
fDie kluge Käthe.j „Papa, sind die Schmal- den die Frauen von den Sperlingen?" — „Nein, mein Kind." — „Aber sie verreisen doch alle Jahr!"
Telegramme.
K i el, 2l. Juni. Die Flottenparade bot bei strahlend schönem Wetter ein Bild von einziger Großartigkeit. Punkt 3 Uhr warf die „Hohenzollern", an deren Bord sämtliche deutschen und fremden Fürstlichkeiten sich befanden, von der Boje los. Im gleichem Augenblick stellten sich die Mannschaften aller Schiffe auf den Raaen. die Panzerschiffe nach verschiedenen Reglements in Parade. Auf der
„Hohenzollern" stand der Kaiser mit dem Admiral Knorr, weithin sichtbar in Admiralsuniform auf der Kommandobrücke und durch, fuhr die Reihen sämtlicher Kriegsschiffe. Die ganze Revue verlief auf das glänzendste. Für das morgige Flottenmanöver ist folgendes Programm ausgestellt: 1) Auslaufen des Geschwaders in Kiellinie aus der Divisionskliellinie mit 400 Meter Abstand. 2) Evolutionen: Ge- schwaderlinie aus der Divisionskiellinie, dann Wendung nach dem Steuerbord, dann Geschwader- Kiellinie aus der Divisionskiellinie, Schwenkung nach Steuerbord; 3) Gefechtsbild gegen die in Kiellinie formierte Schulschiffdivision : 4) Parade. Das Schulschiffgeschwader schwenkt in die Kiellinie des Manövergeschwadcrs ein. Die „Hohenzollern" passiert das Geschwader, dann paradieren vor der Kaiserin.
Kiel, 21. Juni. Der Kaiser hat den Herzog von Genua zum Admiral ernannt. Das Verhältnis zwischen den Franzosen und Deutschen hat durch den Kieler Besuch alles eher denn eine Verschlechterung erfahren. Admiral Mänard, der an Bord des „Surcouf" die Kanal- fahrt mitmachte, stattete dem Kaiser einen Besuch ab. —> Auf dem gestrigen Marineball waren die Franzosen kaum bemerkbar. Daß sie nicht tanzten, soll nicht auf besonderem Befehl beruhen, sondern allgemein durch Fortdauer der Trauer um den Tod Carnots notwendig gewesen sein.
Kiel, 21. Juni. Als die Vertreter der Presse vom Dampfer „Prinz Waldemar" zur Feier der Grundsteinlegung auf dem Festplatze ankamen, wurden sie von Staatssekretär Frhrn. v. Marschall und von Minister von Koller auf das liebenswürdigste empfangen und begrüßt.
Kiel, 21. Juni. Die Kaiserrede bei dem Festmahl wurde wiederholt von lebhaftem Beifall unterbrochen; sie wird aufgefaßt als bedeutsame Thronrede, gewidmet, nicht allein dem deutschen Volke, sondern allen Nationen, um über den friedsamen Charakter des Werkes keinen Zweifel zu lassen. Nach dem Festmahl begab sich der Kaiser nach der Festhalle. Im Hafen spielte sich ein brillantes Feuerwerk ab. Die deutschen Sch'ffe hatten Glühlichter an den Bordseiten, in den Masten und Raaen.
Berlin. Die „statistische Korrespondenz" berichtet über den Saatenstandsbericht in Preußen, Mitte Juni: Der ganze Osten leide unter Trockenheit; wenn nicht Regen eintritt, so sind die Sommersaaten ernstlich gefährdet. In Brandenburg, Sachsen und dem ganzen Westen herrscht großenteils fruchtbares Wetter; im ganzen Westen kommen häufig Gewitter-, Hagel- und Frostschäden vor. In der Provinz Brandenburg ist am meisten Frostschaden vorgekommcn.
Berlin, 21. Juni. Der Reichstagsabgeordnete Schippe! ist heute vom Landgericht wegen Beleidigung von Vorgesetzten der deutschen Armee, begangen durch einen Artikel im „Sozialdemokrat", zu 2 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Der Staatsanwalt hatte 6 Monate beantragt.
London, 22. Juni. Das Unterhaus nahm ein Amendement, von dem Gehalt des Kriegsministers 100 Pfund zu streichen. mit 32 gegen 125 Stimmen an. Als die Niederlage der Regierung verkündet wurde, beantragte der Kriegsminister plötzlich Vertagung der Debatte, was genehmigt wurde. Sofort nach der Niederlage trat das Kabinet zusammen; man glaubt, das Kabinet werde die Session möglichst bald schließen und das Parlament auflösen.
Unsere Keser
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dritte Quartal 1895
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Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.