394

einen Leichnam eines Kindes mit. Das ganze Donauthal bildet ein See; zwischen Bechingen und Zell kann die Donaubrücke längst nicht mehr passiert werden. Es hat allen Anschein, als ob das Hochwasser noch 8 10 Tage an- halten werde.

Nagold, 7. Juni. In vergangener Nacht mußte die Feuerwehr alarmiert werden, um den von Hochwasser bedrohten Stadtteilen beizustehen. Die Nagold und die hier einmündende Waldach wälzten schmutzige Wasser durch ihre Thäler, die üppigen Wiesen überschwemmend und bedeutenden Schaden anrichtend.

Ebingen, 11. Juni. Infolge Blitz­schlags brannten die Stadtmühle, eine Gerberei und ein Wohnhaus nieder.

Austand.

Wiener Neustadt, 10. Juni. Bei den Wolkenbrüchen am 5. und 6. Juni in den Gemeinden Schwarzenbach Schlatten, Hochwolkers­dorf wurden Häuser, Straßen und Brücken weggerissen. In Schwarzenbach wurden 16 Häuser zerstört, dabei find 12 Menschen umge- kommen; die Felder und Wiesen sind durch Schlamm und Geröll auf Jahre verdorben. Die Armen in den Gebirgsgemeinden sind in schwerer Notlage. Der Schaden in Schwarzen­bach beträgt 150000 fl., in Hochwolkersdorf 80000 fl. und in Schlatten 90000 fl Militär ist zur Hilfeleistung entsendet. Verhandlungen wegen Steuernachlasses und öffentliche Samm­lungen sind eingeleitet.

Rom, 10. Juni. In der Provinz Lecce wurden gestern Abend große Strecken des Ge­bietes von Martano durch einen fürchterlichen Wirbelsturm verwüstet. Der sachliche Schaden beträgt eine Million; Menschenleben sind nicht verloren gegangen.

Paris, 11. Juni. In Brest rüsten sich die Schiffe, die nach Kiel gehen, um heute nach­mittag abzufahren.

Budapest, 10. Juni. Der Ausstand der Briefträger ist beendet, die Arbeit ist heute wieder ausgenommen worden.

Anina (in Südungarn), 12. Juni. Die hiesige Eisenhütte der Staatsbahngesellschaft brannte gestern gänzlich nieder. 500 Arbeiter sind darin beschäftigt.

Anterhattender Heil.

Eine Hochzeitsreise.

Erzählung von F. Arnefeld t.

(Schluß.)

Benno, Erna, könnt Ihr mir verzeihen!" Mit diesen Worten eilte, gebrochen und in Thränen aufgelöst, Frau Göldner dem jungen Paar entgegen, als es, von dem Rechtsanwalt begleitet, in der Wohnung im Hotel anlangte, welche Erna für die Zeit ihres Aufenthaltes in G. . . daselbst gemietet, und die sie auch beibe­halten hatte, als sie sich auf ihre geheimnisvolle Reise begab. Der Anblick der tiefgebeugten Frau hatte etwas Erschütterndes. Die Tochter schloß sie in die Arme.

Verzeihe auch Du mir Mutter", bat sie, ich habe Dir durch mein rätselhaftes Ver­schwinden schweren Kummer bereitet."

Das hast Du, mein Kind, das hast Du!" schluchzte die Mutter,o. Du weißt nicht, wie grenzenlos ich gelitten habe, und doch auch, da­mit habe ich eine Schuld gegen Dich begangen, ich glaubte, ich glaubte"

Bei diesem Geständnis wich die junge Frau doch unwillkürlich einen Schritt zurück:O, Mutter, wie wenig kanntest Du Deine Tochter, wie wenig kanntest Du den, welchen Du lange Deinen Pflegesohn genannt," sagte sie sanft, aber das Wort traf Frau Göldner doch sehr empfindlich.

Ich weiß es ja!" rief sie in schmerzlichem Tone,ich habe mein Kind auf immer ver­loren,"

Nein, Mutter, das hast Du nicht," ent- gegnete Erna und schmiegte sich von neuem an sie, und jetzt trat auch Benno, der bisher ab- seits gestanden hatte, herzu und ergriff ihre Hand. Sie zuckte hastig zusammen, als sie diese Be- rührung fühlte.

Grollen Sie mir noc^ immer?" fragteer.

Nein. Benno, ich habe keine Ursache dazu; aber Du kannst mir nicht verzeihen. Ich hatte Dich in Verdacht, nächst Dorothea war ich die Hauptzeugin gegen Dich und"

Und ich hatte Ihnen allen Grund zu Ihrem Verdacht gegeben", fiel Benno ein.In der Einsamkeit meines Gefängnisses habe ich Zeit genug gehabt, mein ganzes Leben zu überdenken, meine Handlungsweise zu prüfen, Einkehr bei mir selbst zu halten, wie ich es bisher noch nie gethan, und da bin ich zu der Einsicht ge­kommen, daß uns im Lebeu so leicht kein Miß­geschick ganz ohne unsere Schuld begegnet. Nach dem Auftritte, den ich Ihnen in Rehfelde machte, nach der Hast, mit der ich den Reisenden nach­gesetzt war, mußten Sie mich für den Mörder halten."

Benno hat Recht. Mutter, nichts trifft uns ganz ohne unsere Schuld," versetzte Erna,auch ich habe gefehlt."

Du?" riefen Benno und die Mutter wie aus einem Munde.

Ich habe gefehlt gegen Dich, Mutter, daß ich Jahre lang hinter Deinem Rücken mit Benno korrespondierte; ich habe gegen Dich gesündigt, Benno, daß ich mich irre an Dir machen ließ; ich hätte an Dich glauben sollen."

Die Beweise, die man Dir gegen mich vorlegte, waren zu stark," entgegnete er.

Die Liebe und das Vertrauen hätten stärker sein, und selbst, wenn ich Dich untreu wähnte, hätte ich Dir Treue halten sollen. Vergieb mir." Mit einen lieblichen Lächeln reichte sie ihm die Hand. Er zog sie an seine Lippen.

Du glaubtest an mich, als mich alles ver- dämmte."

Das war kein Verdienst; ich wußte, daß Du der Mörder nicht wärest."

Aber Du verteidigtest mich; Dir allein ist zu verdanken, daß meine Unschuld bewiesen ist."

Nicht mir allein; hier steht Dein Ver­teidiger."

Den sie gänzlich ersetzt haben, gnädige Frau," lächelte Wecker.Sie sind einzig und allein, die den Schuldigen zur Stelle geschafft hat."

Und ich that es nicht blos für Benno, sondern auch für den Verstorbenen; es war meine Sühne gegen ihn." versetzte Erna feierlich. Mit der einen Hand die ihrer Mutter, mit der andern Benno's ergreifend, fuhr sie fort:Vergieb uns unsere Schuld, wie wir vergeben unfern Schuldigern."

Amen!" tönte es durch das Zimmer, und Benno's Hand umschloß die der Frau Göldner zu einem festen innigen Drucke.

Schließest Du in diese Verzeihung auch alle anderen ein, die gegen Dich gezeugt haben, auch Dorothea?" fragte Frau Göldner.

Alle, alle; sie haben im guten Glauben gehandelt!" rief Benno fröhlich.Thun wir jetzt die Vergangenheit mit einem Male ab, um der Zukunft frisch und heiter entgegensetzen zu können."

Wecker empfahl sich; er erkannte, daß die Drei sich sehr viel zu sagen hatten, was keinen Zeugen vertrug, und die Zurückbleibenden setzten sich zu einem langen Gespräche nieder.

Erna erzählte ausführlich ihre Erlebnisse, und dann berichtete Benno von seinem Leben.

Das Ziel, das ich mir gesteckt habe, ist erreicht", sagte er zum Schluffe:die Verbind­lichkeiten des Hauses Treuenfeld und Göldner sind gelöst; mit Zins und Zinseszins sind die Gläubiger bezahlt; ich kann die alten Häuser zurückkaufen, ich kann mich in der Residenz oder einem großen Handelsplätze niederlaffen, reiche Mittel stehen wir als Frucht meiner Arbeit da­für zu Gebote. Was ich thun werde, weiß ich noch nicht; es hängt nicht allein von mir ab."

Er schwieg; ein Blick auf Erna's schwarze Kleidung verschloß ihm den Mund. Mochten sie sich auch noch so fest angehören, über einem frischen Grabe konnten sie einander noch nicht die Hände reichen zum Liebes- und Ehebunde.

Nur noch kurze Zeit blieben Sie inG..., dann trennten sie sich. Benno reiste nach Ham­burg und von dort nach England, wo er noch

verschiedene Geschäftsangelegenheiten abzuwickeln hatte und neue Verbindungen anknüpfen wollte. Erna ging mit ihrer Mutter nach der Residenz und führte in der bescheidenen Vorstadtwohnung, die sie seit Jahren mit den Eltern inne gehabt, ein zurückgezogenes Leben.

Nur noch einmal besuchte sie Rehfelde und das Grab ihres unglücklichen Gatten, um nie wieder dahin zurückzukehren. Sie und Benno waren einander in dem Wunsche begegnet, daß Erna auf die reiche Erbschaft verzichte.

Sie überließ sie den zahlreichen Verwandten des verstorbenen Herrn v. Rehfeld, nachdem sie freigebig für die Dienerschaft gesorgt und milde Stiftungen im Namen des Verewigten bedacht hatte.

Besonders gut hatte sie die alte Dorothea gestellt; dagegen konnte sie sich nicht entschließen, deren Bitte zu erfüllen und sie wieder in ihren Dienst zu nehmen. Sie hatte vergeben; sie wollte auch vergessen und das Gleiche war bei Benno der Fall; aber um das letztere voll und ganz zu können, durften sie nicht stets durch den Anblick der Alten an die furchtbarste Stunde ihres Lebens erinnert werden.

Als sie Benno von den gelhanen Schritten in Kenntnis setzte, antwortete er in Ausdrücken des feurigsten Dankes.Wir verstehen uns in allen Dingen, meine Erna," schrieb er ihr,Du hast begriffen, daß Du mich am höchsten be­glückst, wenn Du gestattest, daß nur ich allein Dein Leben schmücken darf; Du weißt, daß alles, was aus der Vergangenheit mit in unsere Zu­kunft hinübergenommen wurde, einen Schalten auf dieselbe werfen müßte. Möchte diese Zu­kunft sich bald zur holden, beseligenden Gegen­wart umwandeln."

» *

*

Der ersehnte Tag kam; die Maiglöckchen läuteten Benno und Erna zum Traualtar; der einzige Zeuge, der sie außer ihrer Mutter be­gleitete, war der Rechtsanwalt Wecker. Als sie wenige Stunden später den Perron des Ham­burger Bahnhofes betraten, harrten ihrer daselbst noch zwei Personen: der alte Inspektor Schwarz, der sich von der ihm sehr wert gewordenen jungen Frau verabschieden und Benno für ein ihm am heutigen Morgen zugegangenes, reiches Geschenk danken wollte, und Dorothea. Einmal hatte die Alte das Paar noch sehen und Ver­zeihung erbitten wollen; sie ward ihr voll und ganz zu Teil, man verzeiht ja so leicht, wenn man glücklich ist, und sie waren glücklich.

Benno hatte sich in Hamburg niederge­lassen und unter der Firma Treuenfeld und Göldner ein großes Importgeschäft begründet. Er führte seine Erna in das behagliche Wohn­haus, das in der Nähe der Alster, umgeben von schönen Gartenanlagen für sie eingerichtet hatte. Frau Göldner wollte ihnen nach wenigen Wochen folgen, um fortan in der Nähe ihrer Kinder zu leben. Die erste Zeit ihrer Ehe aber wollten sich Benno und Erna allein angehören, und zwar im eigenen Heim. Sie mochten keine Hochzeits­reise machen; sie würde durch die Erinnerung an Erna's erste Hochzeitsreise nur getrübt wor­den sein.

Dennoch waren beide viel zu ernste und durch die schweren Erfahrungen, die sie gemacht, geläuterte Naturen, als daß sie die Erinnerung an das Durchlebte ängstlich hätten meiden sollen. Im Gegenteil. In einem Kasten von Ebenholz bewahrte Benno den Dolch, den man ihm zu­rückgegeben, und den kleinen Totenschädel, den er an sich gebracht hatte. In Stunden stiller Einkehr betrachtete er mit seiner Gattin die beiden Stücke, welche eine so verhängnisvolle Rolle in ihrem Leben gespielt hatten, und immer wurden sie ihnen eine Mahnung, wachsam und streng gegen sich selbst, mild und schonend im Urteil gegen andere zu sein.

Später legte Benno noch einige Blätter hinzu, auf welche er die Geschichte seines Lebens niedergeschrieben hatte; sie sollten, so verordnete er, samt dem elfenbeinernen Totenschädel und dem Dolche ein Vermächtnis für seinen ältesten Sohn sein und in der Familie forterben, so lange es einen Treuenfeld geben würde.

Ende.

Redaltion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.