der Aufgaben des Anklägers, des Verteidigers und des Richters, die Freigebung der Verteidigung in allen Straffällen, die Mündlichkeit und die Oeffentlichkeit der Hauptverhandlung und die Einführung ordentlicher Rechtsmittel gegen die ergangenen Urteile gewährt werde." Nieder begründet die Anfrage. Wir Härten zur Zeit drei Strafgerichtsordnungen, die preußische, die bayrische und die württembergische. Obwohl eine umfassende Regelung zugesagt ist, sei den­noch eine einheitliche Aenderung noch nicht er­folgt. Er wünsche ein Militärstrafverfahren, das eine den Grundsätzen des modernen bürger­lichen Strafverfahrens entsprechende Form er­hält. Der Kriegsminister Schott v. Schotten­stein erklärte auf die Anfrage, in welchem Stadium die Arbeiten wegen Aufstellung einer i Militär-Strafprozeßordnung zur Zeit sich be­fänden: Darüber sei etwas Näheres zur Kennt­nis der Regierung nicht gekommen, die kgl. Staatsregierung habe zu der Frage stets eine wohlwollende Haltung eingenommen. Wie die Regierung bisher den Standpunkt vertreten habe, daß bei der in Frage stehenden Gesetzgebungs­arbeit ein thunlrchster Anschluß an die Grund­sätze der bürgerlichen Strafprozeßordnung anzu- streben und hierbei insbesondere dem Grundsatz der Mündlichkeit des Verfahrens, der Trennung des Anklageamts von Verteidigung und Richter­amt, der freien Beweiswürdigung und Gewähr­ung ordentlicher Rechtsmittel Geltung zu ver­schaffen sei, so gedenke die Regierung diesen Standpunkt auch bei den in Aussicht zu nehm- den wetteren Verhandlungen über den Gegenstand festzuhalten, v. Geß: die deutsche Partei schließe sich den Anschauungen, welche in der Inter, pellation zum Ausdruck kommen an, er halte es für angezeigt, daß die K. Staatsregierung ihre Bemühungen im Bundesrat eifrig fortsetzt. Haußmann-Gerabronn ist dafür, daß Würt­temberg mit seiner vorgeschrittenen Erkenntnis selbst Hand anlege im Innern. Redner kündigte deshalb einen Zusatzantrag an, wonach die kgl. Staatsregierung ersucht wird, falls in absehbarer Zeit das Zustandekommen einer Reichsmilitär- strafgerichtsordnung nicht in Aussicht zu nehmen ist, eine Aenderung der geltenden landesrecht­lichen Bestimmungen im Sinne der Anfrage der Abg. Gröber und Genossen herbeizuführen. Er glaube, daß das eine wertvolle Vorarbeit ist für Württemberg und auch für unsere Brüder im übrigen Deutschland, die eine Aenderung er­sehnen. Der Abg. Nieder brachte die Anfrage Gröber und Genossen in Verbindung mit dem Zusatzantrag Haußmann-Gerabronn in der Form eines Antrags ein. Der Antrag lautet:Die Regierung möge im Bundesrat auf die Reform des Militärstrafprozeffes hinwirken, eventuell aber möge sie bis zur reichsgesetzlichen Regelung mit einer selbständigen Reform Vorgehen." Dieser Antrag wurde in namentlicher Abstimmung mit 80 gegen 2 Stimmen (Frhr. v. Seckendorf und Frhr. v. Wächter) angenommen. Das Haus geht über zur Weiterberatung des Kultetats. Kap. 73 (Besoldungen der Lehrer an Gymnasien, Lyceen und anderen lateinischen Lehranstalten) ruft eine längere Generaldebatte über die Stellung der fraglichen Lehrer hervor. An derselben be­teiligten sich Klaus, v. Geß, Rembold, Lang. Kultusminister v. Sarvey, v. Luz. Ein Antrag der Kommission, die k. Staatsregierung um Er­wägung zu bitten, ob nicht eine allgemeine Nor­mierung der Staatsbeiträge an die Gemeinden für ihre Schulen vorzunehmen sei, wird ge­nehmigt. Ein Antrag Klaus, wonach das Reife­zeugnis eines Realgymnasiums die Berechtigung zum Eintritt in den höheren Justizdienst in sich schließen soll, wird als Initiativantrag, der nicht zum vorliegenden Kapitel gehört, vorerst zurück­gestellt.

Die Militärdebatte im württ. Abge­ordnetenhause gestaltete sich letzten Dienstag nachmittag mehr als interessant. Was der Zentrumsabgeordnete Nieder zur Begründung des Antrags Gröber und Genossen betreffend die Notwendigkeit einer Aenderung der Militär- Strafprozeßordnung vorlrug, war, wenn auch nicht neu, so doch durchaus eine fleißige und das Thema theoretisch erschöpfende Leistung. Der Abg. v. Geß brachte in kurzen, aber schneidigen

Worten die Anschauung der deutschen Partei I zur Geltung und in diesem Punkt waren alle' Parteien einig. Der Abg. Haußmann-Gera­bronn belegte die Anfrage, bezw. den daraus formulierten Antrag der Zentrumspartei mit teils bekannten, teils neuen thatsächlichen Vor­kommnissen aus dem Gebiete der Soldatenmiß­handlung. Wer die Ausführungen sämtlicher Redner in dieser Sache hörte oder liest, wird sich der Ueberzeugung nicht verschließen können, daß hier ein sehr wunder Punkt vorliegt und daß bald eine gründliche Heilung eintreten muß. Disziplin muß im Heere sein, aber rohe Unter­offiziere müssen vor allem der Disziplin sich beugen und die Disziplin darf nicht zur Menschen, schinderei ausarten.

S t u t t g a r t, 23. Mai. Landtag. In der heutigen Sitzung der Kammer bemerkte Schnaidt beim Kapitel Gymnasium, Lyceen u.s.w., er würde eine Besserstellung der Lehrer, ermöglicht durch Ersparnisse, bewilligen. Harl- ranft (Böbl.) sprach für allgemeine Normen; das Altervorrückungssystem müsse eingeführt werden, bescheidene Anfangsgehalte mit bedeuten­den Alterszulagen. Hartranft besprach dann den Uebcrfluß der Kandidaten bei den gelehrten Bcrussarten und das Gelehrtenproletariat. Der Kultminister betonte, daß die Erfüllung der vor­gebrachten Wünsche einen Mehraufwand von 312 000 erfordere. Sachs mahnte zur Vor­sicht, man dürfe den Gemeinden keine weiteren Lasten auferlegen. Klaus: Die Erhöhung des Schulgelds sei keine drückende Steuer. Das Be­rechtigungsmonopol der humanistischen Gymna­sien soll aufgehoben werden. Es sprachen weiter Hartranft, Kloß, Henning, Geß, Abel, der Kult- minister, Eggmann, Prälat Lechler. Mehrere Redner traten für Stenografie ein. Man ging über zu dem beantragten Abstrich der Gehalts­erhöhung für zwei Mathematiklehrer an den Stuttgarter Gymnasien. Hartranft meinte, der kollegiale Sinn der Lehrer werde durch Gleich­stellung der Lehrer an der mittleren und oberen Abteilung der Gymnasien gestärkt. Bei der Ab­stimmung wurde der Antrag Sandberger aus Wiederherstellung der Regierugsvorlage (Er­höhung des Gehalts der beiden Mathematik­lehrer) mit 34 gegen 46 Stimmen abgelehnt.

Stuttgart, 23. Mai. Die Kammer der Abgeordneten nahm heute anläßlich der Beratung des Kultetats einen Antrag Stockmayer an, wo­nach ein erheblicher Staalsbeitrag an den Schillerverein bewilligt wird.

Stuttgart, 20. Mai. Die Finanz­kommission des Abgeordnetenhauses, deren Be­richterstatter Präsident v. Balz ist, tritt bezüglich der direkten und indirekten Landessteuern mit einigen, die Regierungsvorlage abändernden Anträgen vor das Plenum. Pro 1895/96 hat sie die Erträge der Kapital- und Rentenein­kommensteuer um 10,000 Mk. auf 4,750,000 Mark pro 1896/97 um 15,000 Mk. auf 4,825,000 Mark gegen den Voranschlag erhöht. Ferner hat sie den Posten Belohnungen der Ortssteuer­beamten für ihre Dienstverrichtungen bei der Wirtschaftsabgabenverwaltung u. s. w. der mit 420,000 Mark eingestellt war, um jährlich 10,000 Mk. reduziert, ebenso den mit 150,000 Mark angesetzten Betrag für die Steuerrückver­gütungen für ausgeführtes Bier um jährlich 8000 Mk. Endlich beantragte sie, den Rein­ertrag der Sporteln und Gerichtsgebühren, den die Regierung mit 2,130,000 Mk. eingestellt hatte, auf 2,180,000 Mk. d. h. um jährlich 50,000 Mk. und den Ertrag der Erbschafts­und Schenkungssteuer von 850,000 Mark auf 900,000 Mk. d. h. ebenfalls um 50,000 Mk. zu erhöhen. Hiernach würde sich der Etat pro 1895/96 um 128,000 Mk. und pro 1896/97 um 133,000 Mk. günstiger gestalten, zusammen um 261,000 Mk.

Stuttgart, 22. Mai. Gestern nach­mittag starb überraschend schnell Generalmajor a. D. Ernst Pergler von Perglas, der sich nach seiner Pensionierung in Obertürkheim nieder­ließ und seit einigen Jahren hier gewohnt hat.

Die Schwurgerichtssitzungen des II. Quartals in Tübingen beginnen am Montag den 17. Juni d. I. Zum Vorsitzenden ist Land- , gerichtsrat Kohlhund daselbst ernannt.

Stuttgart, 23. Mai. Wie sehr die Maimesse abgenommen hat, beweist der Umstand, daß dieses Jahr auf dem Marktplatz nur drei Reihen Buden errichtet worden sind. Auch am Dorotheenplatz nach dem Hotel Silber zu wurden bedeutend weniger Buden als in früheren Jahren aufgeschlagen. Es dürfte wohl bald dahin kommen, daß die wiederholt angeregte Aufhebung der Maimesse in der Thal erfolgen wird. (Die Krämermärkte haben sich eben überlebt.)

Weinsberg, 24. Mai. Der vom, Landtagsabgeordneten Kloß als Millionär citierte Chr. Hildt von hier, veröffentlicht in derWeinsberger Zlg." folgendes: Da mich Herr Kloß in der Kammer als Millionär dekla­mierte, habe ich dies bei demselben bereits dahin berichtigt, daß die größtenteils mit meinem Neffen und meinem Sohn gemeinschaftlichen Besitzungen zwar zus. ca. 1 Million Mark wert sein mögen, ich aber froh bin, wenn die in unseren Händen befindlichen Kapitalien aus­reichen, um die noch auf obigem Besitz ruhenden Annuitätszinsen bei der daher. Hypothekenbank und dem württ. Kreditverein, sowie den vielen baulichen und sonstigen Verbesserungen neben unserem Lebensunterhalt zu decken, was um so begreiflicher ist, als bei dem daher. Gut das ganze Ankaufskapital durch Annuitäten zu tilgen ist, und hiezu in letzter Zeit durch Brandunglück ein Aufwand von mehr als 50 000 Mark über die Brandentschädigung erforderlich war.

Sindelfingen, 22. Mai. Bei der gestrigen Stadtschultheißenwahl wurde Stadt­pfleger Hörrmann gewählt.

Oberndorf, 20. Mai. An Herrn Kom.- Rat Mauser hier hat Se. Maj. der Kaiser aus Wirschkowitz ä. ä. 16. Mai, abends, fol­gendes Telegramm gerichtet: Meine hiesige Pürsch beträgt 34 Böcke, ohne einen zu fehlen. Ich verdanke dieses Resultat dem hervorragenden Gewehre, welches Sie mir zum 27. Januar ge­liefert haben. Die Büchse ist ein ganz vorzüg­liches Jagdgewehr und hat eine er;taunliche Rasanz. ,Wilhelm I. U. Wer den Weltruf des hiesigen Etablissements kennt, weiß, welch vor­zügliche Waffen von demselben geliefert werdeo. Die allerhöchste Kundgebung ist ein erneuter Beweis dafür, der mit aufrichtiger Genuglhuung und lebhafter Freude ausgenommen werden muß.

Simmozheim. Am Pfingstmontag den 3. Juni feiert die hiesige freiwillige Feuerwehr ihr 25jähriges Jubiläum. Mit Rücksicht auf die gedrückte Lage, in der sich allerwärts die Landwirtschaft treibende Bevölkerung befindet, nimmt die freiwillige Feuerwehr von Veran­staltung eines allgemeinen Festes Umgang und begeht diesen Freudentag mit einer Feier unter sich durch Abhaltung einer Uebung um 1 Uhr mittags, Festzug mit Musik um den Ort, her­nach sich anschließender Uebergabe der Ehren­zeichen mit Diplome an die Jubilare.

Ausland.

Bern, 24. Mai. Graf Caprivi ist gestern von Montreux nach Berlin abgereist.

In der französischen Deputierten­kammer versuchten die Sozialdemokraten, das kurz nach der Ermordung Carnots beschlossene Gesetz gegen die Anarchisten wieder aufzuheben, was ihnen aber gründlich mißlang. Der Minister- präsidet Ribot zeigte sich gegen diesen Vorstoß durchaus gewachsen und erhielt für die von ihm gebilligte Tagesordnung eine imposante Mehr- heit. Den Sozialdemokraten ist dadurch eine empfindliche Lehre erteilt worden, die sie aber nicht abhalten wird, bei nächster Gelegenheit wieder einen Vorstoß gegen das Ministerium zu machen, der ihnen dann vielleicht besser gelingt, was freilich die monarchische Idee in Frankreich weiter kräftigen müßte. Ohnehin gewinnt in Frankreich die Ueberzeugung immer mehr An­hänger, daß Rußland nur aus dem Grunde kein förmliches Bündnis mit den Franzosen eingehe» weil unter der republikanischen Verfassung die Ministerien zu häufig wechselten und damit kein Verlaß auf die französische auswärtige Politik gegeben sei. Der junge Herzog von Orleans, der vor einigen Wochen in Spanien bei einem