297

Deutsches Aeich.

Die ostasiatische Politik Deutsch­lands wird begreiflicherweise in allen deutschen Blättern lebhaft erörtert; bis jetzt hat man aber blutwenig von den Motiven erfahren, welche die deutsche Diplomatie »eranlaßten. mit Ruß­land und Frankreich gemeinsame Vorstellungen gegen den Frieden von Simonoseki in Tokio zu erheben. Die Antwort Japans soll erst in einigen Tagen zu erwarten sein. Die Japaner beeilen sich mit ihrer Antwort an Deutschland, Rußland und Frankreich gar nicht. Da China den Frieden noch nicht definitiv unterschrieben (rati- fiziert) hat, so müßten die Japaner eventuell den Krieg wieder aufnehmen. Für diesen Fall beabsichtigen die 3 genannten europäischen Mächte mit einer vereinigten Flotte den Japanern den Weg zu neuen Truppcnnachschvben nach China zu verlegen und es darauf onkommen zu lassen, daß Japan sie zur See angreift. So etwas könnte den Japanern aber sehr übel bekommen und so wird letzteres wohl eine Faust in der Tasche machen und voraussichtlich nachgeben. Man scheint sich in Berlin auf eine Ablehnung Japans gefaßt zu halten, weshalb in den oft asiatischen Gewässern 9 deutsche Kriegsschiffe er­scheinen werden. Hoffentlich geraten wir mit Japan nicht auch noch in kriegerische Verwick­lungen; auf einen Dank Rußlands oder gar Frankreichs ist doch nicht zu hoffen. Die franz Blätter machen teils heftigen Lärm über das deutsch-französische Bündnis" gegen Japan, teils weisen sie darauf hin, daß hier keine rein europäische Frage vorliege und daß Deutschland und Frankreich in kolonialen Angelegenheiten sich schon wiederholt trefflich verständigt haben.

Berlin. 2. Mai. Der hiesige japanische Gesandte Vicomte Aoki ist gestern und heute vom Staatssekretär Freiherrn v. Marschall empfangen worden; ebenso heule Vormittag der hiesige chinesische Geschäftsträger.

Berlin, 1 Mai. In der Tabaksteuer­kommission des Reichstags gab Staatssekretär Graf Posadomsky heute die Erklärung ab, die Regierung sei bereit, die Tabaksteuer bis auf das wirkliche Bedürfnis von lO'/r Mill. zu ermäßigen. Die Verhältnisse werden zwingen, aus Tabak oder Bier höhere Einnahmen zu beschaffen. Mit Rücksicht auf Süddeutschland sei durch die Ta­baksteuer mehr zu erzielen, als durch die Bier­steuer. Die verb. Regierungen seien einstimmig der Ansicht, daß die Finanzreform eine der dringendsten Aufgaben der Gegenwart sei. Die Tabakfabrikatsteucr sei ein Schritt auf diesem Wege. Es müsse eine Staffelung bei den Steuer­sätzen für billige Zigarren eintreten. Schließlich wird § 4 der Vorlage mit 18 gegen 4 Stimmen abgelehnt, ebenso die HZ 1, 2 und 3, womit die ganze Vorlage beseitigt ist.

Berlin, 1. Mai. Reichstag. Das Haus ist sehr schwach besetzt. Grillenberg er (Soz.) begründet den Antrag Auer (Soz.) betr. das Berjammlungsrecht, 'sowie das Koalitionsrecht. Der Antrag wolle ein freieres, gleichmäßigeres Versammlungsrecht erzielen. In Sachsen und Bayern herrschen ähnliche Zustände wie unter dem Sozialistengesetz. Der sächsische Gesandte Graf Hohenthal weist die Angriffe Grillen­bergers gegen den sächsischen Minister des Innern unter wiederholten Unterbrechungen seitens der Sozialdemokraten zurück, die Präs, v. Buol rügt. Das sächsische Vereinsgesetz sei geradezu ein Juwel. (Großes Gelächter.) Die Preisgebung dieses Gesetzes wäre die Sanktio­nierung der Anarchie.

Berlin, 2. Mai. Der Seniorenkonvent des Reichstags beschloß, die Umsturzvorlage erst am 7. Mai auf die Tagesordnung zu setzen.

Berlin, 1. Mai. Wie dasDeutsche Kolonialblatt" mitteilt, legte der Kaiser unter Aufhebung des Erlasses vom 17. Februar 1891 durch Kabinetsordre vom 17. April d. I. dem neuernannten Gouverneur von Deutsch-Ostfrika, v. Wißmann, für die Dauer seines Amtes Und seines Aufenthaltes in Ostafrika den Rang der Räte erster Klasse bei. Major v. Wißmann wird sich Ende Juni auf seinen Posten begeben.

Darmstadti 1. Mai. Die Zweite Kammer nahm die Durchsicht des Gesetzes wegen der religiösen Orden an.

Württemberg.

Die Verhandlungen der Kammer der Ab- geordneten gestalten sich auch nach dem Wieder- zusammentritt ziemlich interessant. Gleich am 2. Tage sah sich der Ministerpräsident veran­laßt. die fette Zeitungsente derMünchener Neuesten Nachrichten" von angeblichen Meinungs­verschiedenheiten im Schoße unseres Staats- Ministeriums und der daraus entsprungenen Amtsmüdigkeit des Justiz- und Kultusministers abzuschlachten und anzukündigen, er fverde den Zeltungsberichterstaltern künftig schärfer auf die Finger sehen Dies ist sehr wünschenswert, kann aber doch wohl nur in der Form geschehe», daß man faulen Erfindungen phantasiereicher Kor­respondenten. mit deren Anwesenheit die württ. Hauptstadt heimgesucht ist. stets sofort und event. unter Zuhilfenahme des Telegraphen entgegen­tritt, da gewisse Zeitungsschreiber das vornehme Schweigen der württ. Staatsregierung als Be­stätigung ihres eigenen, vermeintlich erfolgreichen Auf den Buschklopfens" ansehen und immer dreister werden. Zwischen dem Zentrum und ver Bolkspartei in der Kammer droht ein scharfer Konflikt auszubrechen, trotz der bei der Präsi- ventcnwahl geschlossenen Freundschaft beider Fraktionen Emgeleitet, oder wenn man besser will, eingeläutet wurde der Kampf durch den Zentrumsführer Gröber, welcher der Volkspartei spöttisch voiwarf, ein Abstrich von nur 200000 Mark, wovon überdies 50000 nur formaler Natur und wertlos sind, bei einem Budget von 72 Mill. sei eigentlich gar nichts und stehe in krassem Widerspruch zu den schweren Anklagen der volksparteilichen Abgeordneten gegen die verschwenderische" Regierung vor den Wahlen. Diesen dicken Brocken schluckten die volkspartei- lichen Abgeordneten schweigend; als aber der konservative Abgeordnete Schrempf die Behaupt­ung des Abgeordneten Haußmann, daß mit dem Antrag Kanitz nur Bauernfang getrieben werde, als eine Unterstellung zurückwies und nur zart fragte, ob die Eingabe an den Kriegsminister wegen des Frühjahrsurlaubs der württ. Soldaten nicht zum Bauernfang benützt werde, da wurde er von dem Präsidenten Payer zur Ordnung gerufen. Die Sparkammer hat schon jetzt einige Mehrausgaben bewilligt, gegenüber früheren Etats und wenn der Antrag Eckard durchgeht, den durch die bekannten Vorgänge schwer ge­schädigten landwirtschaftl. Genossenschaften mit Staatsmitteln unter die Arme zu greifen, so dürften die Mehrbewilligungen eine nicht unbe­trächtliche Summe ausmachen, so daß die Wirte Württembergs noch lange warten können, bis das Umgeld abgeschafft oder auch nur wenig ermäßigt wird. Auch die württ. Amtsblätter samt dem Staatsanzeiger wurden diesmal in die Budgetdebatte hineingezogen. Leider wurde da­bei aber übersehen, den Herrn Staatsminister des Innern zu ersuchen, er möge darauf hin­wirken, daß die Zahl und der Umfang der amt­lichen Inserate, namentlich wo solche gar nicht oder nur mit einem geringen Pauschale bezahlt werden, in mäßigen Grenzen bleiben. Wenn den in einem Bezirke außer dem bisherigen Amtsblatt erscheinenden Blättern die amtlichen Inserate gegen Erstattung der Abschriftsgebühren zum kostenfreien Abdruck überlassen werden, so wird allerdings darauf zu halten sein, daß sie dann auch alle amtlichen Inserate ohne Aus- wähl oder Kürzung veröffentlichen, wofür sich manches Parteiblatt bedanken wird; ebenso manche Blätter kleineren Formats, welche nur 2- bis 3 Mal erscheinen; denn diese würden ge­nötigt, oft kostspielige Beilagen zu geben, was für sie in den meisten Fällen recht unrentabel sein würde. Bezügl. der Berechtigung der Amts­blätter wurde von dem Staalsminister des Innern festgestellt, daß die Existenz besonderer Bezirks- amtsblätter in einer Reihe von Gesetzen voraus­gesetzt ist, ferner daß die Eigenschaft als Amtsblatt nicht von der politischen oder konfessionellen Haltung abhängig gemacht wird. Dies be­weisen eine Reihe von Amtsblättern, welche der Zentrumsprcffe angehören. Weiter erklärte der Hr. Staatsminister, daß vom Ministerium keine politische Artikel an die Amtsblätter hinausge­schickt werden. Eine Verpflichtung zur Auf-

I nähme sei auch gar nicht vorhanden. Der An- ' trag von Seiten des Redakteur Eckardt von Oberndorf, daß alle amtlichen Bekanntmachungen allen am Sitz der Behörden erscheinenden Blättern gleichzeitig zugesendet werden sollen, bezwecke, den Blättern in den vorwiegend katholischen Bezirken, welche nicht auf Seiten des Zentrums stehen, womöglich das Lebenslicht auszublasen. Es handle sich bei dem Zentrum um den Kampf zwischen der Remszettung in Gmünd (parteil. Amtsbl.) und dem Gmünder Tagdlatt (Zentrum), sowie zwischen der Jagstzeitung (Amtsbl.) und dem ultramontanenJpf" in Ellwangen, ferner bei der Volkspartei um den Neuen" undAlten Albboten" in Ebingen.

Stuttgart, 3. Mai. Wie derSchwäb. Merkur" hört, werden die Steuerreform­entwürfe demnächst im Landtag eingebracht werden; die Beratung derselben sei jedoch erst für eine Herbstlagung in Aussicht genommen.

Stuttgart, 2. Mai. Anläßlich der sozial- demokratiichen Maifeier wurde gestern nachmittag in vielen Geschäften gefeiert. Um 10 Uhr vor­mittags fand eine Versammlung bei Paul Weiß statt, die sich u. a. mit der Organisation der Konfektionsarbeiter befaßte, für die am Montag, 6. Mai Versammlungen in ganz Deutschland stallfinden sollen. Nachmittags war der Zirkus Hangleiter überfüllt, die Schutzmannschaft mußte weiteren Andrang verhindern. Nach den Vor­trägen von 22 Männerchören und der Kapelle Presto hielt Landtagsabgeordneter Kloß die Fest­rede. Später brachte Bohne den Liederhalle- Boykott zur Sprache und gab die Resolution darüber von der letzten Versammlung bekannt; die Versammelten stimmten einhellig für den Boykott, auch gegen die Mitglieder des Lieder­kranzes selbst und die Brauerei Körner in Ludwigsburg, die jetzt das Bier in die Lieder­halle liefert. Es wurde mitgeteilt, daß wegen des Boykotts die Brauereibesitzer Wulle und Lindenmeyer aus dem Liederkranz ausgetreten seien und daß Brauereibesitzer Dinkelacker daS schon gelieferte Bier wieder abholen ließ.

Bei der Reichstagsersatzwahl im 14. württ b. Wahlkreis wurde ein endgiltigeS Resultat nicht erzielt. Baurat Ehmann, aufge­stellt von der neuen Wirtschaftspartei und unter­stützt von der deutschen Partei hat zwar einen ansehnlichen Vorsprung vor dem demokratischen Kandidaten Hähnle erreicht; letzterer dürfte aber bei der Stichwahl mit Hilfe der Sozialdemokraten gewählt werden, falls nicht die erstmals von der Urne weggeblicbenen 50°/o Wähler der Stadt Ulm und die Katholiken des Bezirks Geislingen, denen Wahlenthaltuag empfohlen war, das nächstemal für Ehmann eintreten, was nicht sehr wahrscheinlich ist.

Maulbronn, 2. Mai. Wie wenig manche Geschäftsleute im Rechnen bewandert sind und immer wieder auf alte Köder anbeißm, zeigt nachstehender Fall: Ein Schweinehändler aus Jpfingen hat mit einem Metzger aus Pforz­heim eine Vereinbarung getroffen, welche dahin ging, daß Ersterer dem Letzteren 20 Schweine, keines unter einem Ztr., zu liefern verpflichtete, und zwar unter nachfolgender Bedingung: Der Metzger zahlt dem Händler für das erste Schwein 1 Pfg., für das zweite 2 Pfg., das dritte 4 Pfg. das vierte 8 Pfg. und so fort, d. h. für jedes weitere Schwein doppelt so viel wie für das vorausgegangene. Da es sich bei diesem Ab­kommen um verschiedene 1000 Mark handelt, so will der Metzger dasselbe nicht gelte« lassen, während der Händler entschlossen ist, auf seinem Schein zu bestehen und den Klageweg zu be­treten.

Anstand.

Paris, 1. Mai. Die Maifeier ist in Frankreich weder allgemein gewesen, noch durch irgend einen Zwischenfall bis jetzt bemerkenswert. Die letzten Nachrichten aus der Provinz melden überall Ruhe. In dem sozialistischen Mittelpunkt Roubaix feiern 12000 Arbeiter, während 20000 thärig sind.

Tientsin, 1. Mai. Einem Befehl des Kaisers folgend reiste der Vizekönig Li-Hung- Tschang gestern nach Peking ab.