hat in seiner Rede an die Jnnungsvertreter die I führenden Herren der Mehrheit zum Sprechen j ähnlich abkonterfeit, indem er von ihnen als Leuten sprach, die nichts thun als Reden halten und abstimmen, von Drohnen, von denen sich das deutsche Volk nicht führen lassen sollte.

Wird diese Mahnung bei den nächsten Wahlen beherzigt werden? Vorläufig sieht es nicht danach aus. Bei den Ersatzwahlen, die sich jetzt in vielen Kreisen abspielen, finden die gröbsten Lügen den stärksten Anklang.

Noch während die Parlamente ihre Oster­ruhe hielten, haben in Deutschland zwei neue Parteien dasLicht der Welt« erblickt. In Leipzig wurde die antisemitische Bolkspartei von den Herren Ahlwardt und Dr. Böckel ge­gründet, und in Berlin konstituierte sich die deutsche Mittelstandspartei, die hauptsäch­lich von den Innungen protegiert wird Ob die beiden neuen Parteischöpfungen wirklich einem dringenden Bedürfnisse« entsprechen und dem­nach eine Zukunft haben, das wird wohl noch abzuwarten sein Ferner wurde in den parla­mentarischen Osterferien eine Nachwahl zum Reichstage vorgenommen, diejenige in Eisenach- Dernbach. Dieselbe machte eine Stichwahl nötig, die am 19. ds. Mts. vollzogen und bei welcher nach den bislang vorliegenden Meld­ungen der Kandidat der Freisinnigen, der bis­herige Abgeordnete Casselmann, gegenüber dem Kandidaten des Bundes der Landwirte, Dr. Rösike, gewählt worden ist. In nächster Zeit werden eine ganze Reihe weiterer Ersatzwahlen zum Reichstage Nachfolgen, wie diejenigen in Köln, Lennep-Mettman, Hofgeismar-Rintelen u. s. w

Der Protest, welchen der Graf Ernst von Lippe-Biesterfeld gegen die Regentschaft des Prinzen Adolf von Schaumburg an den Bundesrat hat gelangen lassen, ist jetzt im Wortlaut bekannt geworden. In der Kundgeb­ung des Lippe'schen Thronprätendenten wird für jede Möglichkeit der Schutz des Bundesrates zur Wahrung der Rechte der Linie Lippe-Biesterfeld angerufen. Welche Stellung der Bundesrat zu dem Proteste des Grafen Ernst einnehmen wird, dies entzieht sich noch allen Berechnungen, jeden falls wird aber die Lippe'sche Frage noch längere Zeit in der Schwebe bleiben.

Friedrichsruh, 19. Apr. Die Huldig­ungsbesuche der verschiedensten Kreise beim Altreichskanzler anläßlich seines 80. Ge- burtssestes nehmen ihren Fortgang. Der Empfang der Abordnung der bürgerl. Kollegien der Stadt Stuttgart bei Fürst Bismarck, dem Ehrenbürger Stuttgarts, fand heute Mittag 12 Uhr statt. Oberbürgermeister Rümelin , hielt bei der Uebergabe der künstlerisch ausge­führten Adresse eine sehr warme Ansprache an den Fürsten, welcher sich der Bürgerausschuß­obmann Kommerzienrat Ernst Kuhn mit einigen herzlichen Worten anschlvß. Der Fürst dankte in freundlichster Weise und knüpfte an die An­sprache des Oberbürgermeisters eingehende Aus­führungen über die bundesstaatliche Entwicklung des deutschen Reiches an; ferner sprach er warme, anerkennende Worte über die Haltung der württ. Truppen im Feldzug 1870/71. Die Abordnung wurde zum Frühstück geladen, bei dem der Fürst ein Hoch auf Seine Majestät König Wilhel.m von Württemberg ausbrachle, welchem alsbald ein Hoch auf den Fürsten folgte. Der Empfang sowohl wie die Unterhaltung bei Tisch trugen einen überaus herzlichen und liebenswürdigen Charakter.

Berlin, 19. April. In Schrecken ver­setzt wurde das Publikum in der Mittenwald- straße. Aus einem fünf Stock hoch belegenen Bodenfenster des Hauses Nr. 61 flog plötz­lich ein junges Mädchen hinaus auf die Straße. Es blieb auf dem Bürgersteige mit zerschmettertem Schädel und bis zur völligen Unkenntnis ent­stellt liegen. Die näheren Umstände, die diesem Vorgänge zu Grunde liegen, sind bisher ebenso­wenig festzustellen gewesen, wie die Persönlich, keit des etwa 19jährigen Mädchens.

Ein Bismarck-Attentat. Die Bismarck- Eiche, welche am 3. d. M. unter großer Teil­nahme in Neubrandenburg feierlich gepflanzt wurde, ist bereits nach 8 Tagen einem Bis-

l marck Gegner zum Opfer gefallen. Am 10. ds. abends wurde die Eiche von unbekannter Hand in Manneshöhe angeschnitten und umgebrochen. Auf die Ergreifung des Thäters sind 100 ^ Belohnung ausgesetzt.

Ein entsetzlicher Selbstmord. Der Häuer Scharf von Herrmannschacht bei Altwasser (Schlesien) wählte sich in einem Anfälle von Lebensüberdruß eine furchtbare Todcsart. Er nahm eine große Dynamitpatrone in den Mund und entzündete sie. Die Wirkung war eine ganz entsetzliche. In Atome zerrissen klebten Gehirn und andere Kopfteile an den Wänden und an der Decke. Der Tod des Selbstmörders macht vier kleine Kinder zu Waisen.

Vom Kaiserstuhl, 19. April. In unseren Weinbergen sieht es besser aus, als man befürchtete. Die Kälte war bei uns im Grunde genommen nie so sehr grimmig, so daß man all­gemein annimmt, die Reben seien noch mit heiler Haut davongekommen, was nur begrüßt werden kann. Der 94er ist schon teilweise, wie Spaß­vögel zu sagen pflegen, ein rechterWai hei W a i«, so giebt es doch recht schöne Weine dieses Jahrgangs. Die 92er und namentlich die 93er sind großartig ausgefallen und kosten eben 45, 48, 50 bis 60 ^ pro 100 Liter. Unsere Rot­weine, die mit dem Affenthaler alle konkurriren können, wenn sie sachlich besorgt sind, werden von Jahr zu Jahr mehr gesucht. 91er, 92er uud 93er Rotweine kosten 65, 68, 70 bis 80 pro 100 Liter.

Das Diphtheritis-Heilserum ist jetzt auch für weniger Bemittelte zu erschwingen; es ist bedeutend billiger geworden.

Die Presse der sozialdemokratischen Partei Deutschlands weist gegenwärtig die stattliche Zahl von 136 Organen auf. Davon sind 78 politische Zeitungen. zwei Witzblätter und ein illustriertes Unterhaltungsblatt. Hierzu kommen noch 55 Gewerkjchaftsblätter, die im sozialdemokratischen Geiste gehalten sind.

Württemberg.

Wegen der hohen Fleischpreise hatten sich einige Hausfrauen in Stuttgart von Firmen in Ostpreußen Kalb- und Schweinefleisch für 45 und 36 Pfennig das Pfund kommen lassen. Eines der Pakete, das sich die Stuttgarter Fleischer-Innung verschrieben hatte, wurde vom Stadtdirektionstierarzt Sauer untersucht und das Fleisch als gesundheitsgefährlich bezeichnet, amt­lich konfisziert und demgemäß verbrannt. Das Kalbfleisch stammte von sogenannten nüchternen Kälbern, also von Tieren, die höchstens ein bis zwei Tage gelebt hatten.

Stuttgart, 19. April. Ein sehr be­gehrter Stand ist der Verkaussstand von Bäckerwaren, Obst und Zigarren in der Vor Halle des hiesigen Bahnhofes. Die jetzige In­haberin, Frau Maier, deren Mann im Eisen- bahndienst verunglückte, hatte denselben anfangs unentgeltlich, dann zahlte sie 200 o-L, zuletzt 1000 vkL. Jetzt ist dieser Verkaussstand aufs Neue zur Verpachtung ausgeschrieben. Mehr als 300 Bewerbungen, darunter von verschiedenen hiesigen Fcinbäckereien liegen vor und zwar mit Offerten, wie man hört, zu 56000

Cannstatt, 19. April. Am Kursaal hat sich in der Nacht vom 18. auf den 19. die erste Nachtigall hören lassen. Gewöhnlich stellten sich die Nachtigallen zwischen dem 16. und 20. April ein; voriges Jahr sind sie erst am 23. April angekommen, Heuer also trotz des langen und schweren Winters 4 Tage früher.

Schwäb. Gmünd. Am 25. u. 26. Juni d. Js. findet dahier der X. Verbandstag des aus ca. 70 Wirtsvereinen bestehenden Landes­verbands der Wirte Württembergs statt und wird, wie in früheren Jahren mit demselben eine Ausstellung von Erzeugnissen, Maschinen, Gerät­schaften und Bedarfsartikeln für das Wirisge- werbe hiemit verbunden werden, welche vom 23. bis 30. Juni dauern soll. Um die Aussteller für ihre Mühe zu entschädigen, wird mit der Ausstellung eine Lotterie verbunden sein und werden sämtliche Gewinne im Betrage von über 3000 ausschließlich in der Ausstellung ge­kauft und soll ferner, und zwar zum erstenmale, eine Prämiierung hervorragender Leistungen mit

goldenen, silbernen und broncenen Medaillen statlfinden. Zur Beteiligung an dieser, die günstigsten Chancen bietenden Ausstellung, wer­den die Herren Fabrikanten rc. zu zahlreicher Beteiligung eingeladen mit dem Bemerken, daß die Anmeldeformulare von derDeutschen Wirts- zeilung« in Stuttgart zu beziehen sind. Daß bei der riesigen Ausbreitung und der zunehmen­den Bedeutung der Wirtsorganisation in Würt­temberg der Besuch des Berbandstages ein sehr zahlreicher werden wird, ist nicht zu bezweifeln, umsomehr als der sehr rührige Wtrtsverein in Gmünd jetzt schon alles aufbietet, dem X. Ber- bandstag eine würdige Stätte zu bereiten.

Anstand.

In Paris fand ein großes Protest- Meeting statt, welches die sozialistischen Parteien gegen die Absendung der französischen Flotte nach Kiel einberufen hatten. An demselben nahmen mehrere Abgeordnete und Munizipal- Räte teil

Belgrad, 19. April. Serbien bot heute ein trauriges Bild konstitutionellen Unfugs. Es waren Wahlen ohne Volk, zumal auch die Fortschrittler spärlich teilnahmen. In 120 Wahlorten erschienen gar keine Wähler, und es stimmten blos die Mitglieder des Ausschusses. Die größte abgegebene Stimmenzahl in den Landgemeinden betrug 45 in einem Wahlbezirk mit 300 Wahlmännern. Schlägereien mit den Gendarmen kamen vor. Die meisten Gewählten sind willenlose Bauern, die keiner Partei ange­hören. In Belgrad stimmten fast ausschließlich Beamte, Staats- und Gemeindediener und Ar­beiter der Tuchfabrik, wobei der Unfug getrieben wurde, daß ein Wähler bei allen Ausschüssen, also sechsmal stimmte. Auswärtigen Blättern, sowie den fremden Berichterstattern, denen fort­während mit Ausweisung gedroht wird, wurden im Konak durchgesehene Berichte verabreicht, die bemüht sind, nachzuweisen, die Wahlen wären regelrecht unter Beteiligung sämtlicher Parteien vor sich gegangen. Die Regierung machte über­menschliche Anstrengungen, die oppositionellen Wähler zum Stimmen zu bewegen, jedoch erfolg, los. An mehreren Orten wurden oppositionelle Wahlmänner von Gendarmen zu den Urnen ge­schleppt, andere wegen Stimmenverweigerung mit hohen Geldstrafen belegt; trotzdem hielten sich sowohl Radikale als Liberale an den Partei­beschluß ES kann daher festgestellt werden, daß kein einziger dem Parteiverbande angehöriger Liberaler oder Radikaler gewählt wurde. Die amtliche Benennung einzelner Gewählter als solche ist ebenso willkürlich wie die amtlichen Angaben über die Stimmenabgabe. Beachtens­wert ist, daß in Belgrad von 5800 Wählern, unter denen 2450 Beamte und Staaisbedienstete sind, trotz des bekannten Unfugs mit der mehr- fachenStimmabgabeEinzelner blos 1700Stlmmen zujammengetrieben werden konnten, woraus er­sichtlich ist, daß sich auch die meisten liberalen Beamten enthielten. Die Fortschrittler konnten samt ihren Beamten in Belgrad, wo sie am zahlreichsten vertreten und gestern alle stimmten, von 5800 Stimmen zusammen nur 150 Stimmen auftreiben. Des Königs Mutter, die Königin Natalie kommt am 8. Mai hierher. Sämtliche Blätter erklären die gestrige Wahlhandlung für ein eines europäischen Staates unwürdiges Ko­mödienspiel. dessen alleiniger Zweck sei, der Welt mit Hilfe eines interessierten Teiles der Wiener und der Pester Presse Sand in die Augen zu streuen.

New-Iork, 19 April. Nach einem Telegramm aus Havannah haben die Insur­genten eine Pflanzung in Dosamigos angezündet. Zwei Millionen Arrobas Zucker wurden dabei zerstört. Ferner wird berichtet, daß in der Provinz Santiago mehrere Personen von den Aufständischen mißhandelt und ermordert wurden. Einer Depesche zufolge haben 750 Rebellen versucht, die Stadt Guantanamo zu nehmen, wurden aber durch eine 4500 Mann starke Truppenabteilung zurückgeschlagen. Der Ver­lust der Aufständigen betrug l4 Tote.

Die Kriegsentschädigung, die China an Japan zahlen soll, ist auf 200 Mlll. TaelS berechnet. Mit dem AusdruckTael« werden