Wohl nur selten ist man in parlamentarischen Kreisen sowohl wie in weiten Volksschichten der Zeit politischer Ferien in so unfroher Stimmung entgegengeschritten, wie in diesen Ostertagen. Der Grund dafür ist ein doppelter. Man ist bedrückt durch das Gefühl, daß das Parlament in den langen Wintermonaten an positiver gesetzgeberischer Thätigkeit so gut wie Nichts vor sich gebracht har. Im vorigen Jahre waren bis zum Beginn der Osterferien neben kleineren Vorlagen die wichtigen Handelsverträge mit Rumänien. Spanien und Rußland zur Verabschiedung gelangt, und wenn die Steuervorlagen auch noch nicht erledigt waren, so herrschte doch über ihr Schicksal Klarheit. Diesmal aber ist keiner der wichtigen Gesetzentwürfe bislang zur Erledigung gekommen Was aber fast noch schlimmer ist. das ist die Ungewißheit über die nach den Osterferien zu erwartenden Entscheidungen. Diese Unsicherheit der Lage ist das Zweite, was auf den Gemütern lastet. Ob die Unübersehbarkeit der politischen Konstellation die Ursache oder die Folge der fortwährend wechselnden parlamentarischen Majoritäten ist, sei dahingestellt. Jedenfalls hat wohl noch niemals eine so rasch wechselnde und verschiedenartige Gruppierung der Parteien stattgefunden. Diese Ungewißheit unserer parlamentarischen Lage und der fortwährende Wechsel der Majoritäten hängt vornehmlich von zwei Umständen ab: einmal davon, daß die wirtschaftlichen Streitfragen der Gegenwart einen Keil in viele Parteien getrieben haben, zweitens aber davon, daß sich in den letzten Jahren wieder neue Parteien gebildet haben, ohne daß bestehende Parteien aufhörken, so daß also die Zahl der Parteien sich vermehrt hat. Dadurch vergrößert sich natürlich die Möglichkeit der Mehrheilsgruppierungen. Eine Aenderung ist nur auf zwei Wegen möglich. Entweder nämlich gelingt es einzelnen Parteien, große, bestimmte Ziele aufzustellen, die im stände sind, weite Volkskreise zu gewinnen. Dann wird es wieder möglich, daß sich große, einen entscheidenden Einfluß ausübende, die kleinen Parteien aufsaugende Parteien bilden; oder cs ist denkbar, daß die Dinge einen entgegengesetzten Verlauf nehmen, daß nämlich die Parteizersplitter- ung derart um sich greift, daß kaum noch von Parteien die Rede sein kann. Daß diese zweite Möglichkeit eine wenig erfreuliche wäre, braucht nicht erst begründet zu werden. So sind es nicht eben angenehme Betrachtungen, die sich an die Osterferien anschließen bei der Erkenntnis, daß noch mancher Frühlingssturm durch das Land brausen wird, bis die Sonne sieghaft durchs Gewölk bricht und unser heimatlichen Erde neue Früchte und Saaten abringt zum Gedeihen des deutschen Vaterlandes.
Die lippe's che Regentschaftsfrage ist durch den plötzlichen Tod des Kabinetsministers v. Wolffgramm erneut „acut" geworden. Herr v. Wolffgramm war ein entschiedener Verfechter der Rechtmäßigkeit der Regentschaft des Prinzen Adolf v. Schaumburg-Lippe, wodurch er sich aber in scharfen Widerspruch mit der großen Mehrheit des Detmolder Landtages setzte, da letzterer offenbar die Regentschaftsansprüche des Prätendenten Grafen Ernst von Lippe- Biestcrfeld begünstigt. Einstweilen hat das Ableben des Hrn. v. Wolffgramm die sofortige Einberufung des Staatsrates des Fürstentums Lippe-Detmold zur Folge gehabt, der Landtag wird voraussichtlich am Donnerstag wieder zusammentreten.
Recht beachtenswert sind die Aeußerungen, welche Fürst Bismarck beim Empfang der Deputation der Odeffaer Deutschen gelhan hat. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland, wobei der Fürst betonte, daß gute Nachbarschaft und politische Freundschaft zwischen den zwei Staaten in deren beiderseitigem Interesse liege. Beide brauchten sie sich gegenseitig nichts zu beneiden, keiner von beiden .Teilen habe einen Besitz, der dem andern begehrenswert erscheine. Auch bestritt der Altreichskanzler, daß ein Grund für nationale Antipathien zwischen Deutschen und Russen vorhanden sei. Zuletzt hob er noch hervor, daß Rußland für Deutschland ein besserer Nachbar sei, als „mancher andere", er ermahnte daher die Deutschrussen,
zwar gut deutsch zu bleiben, aber dabei die Freundschaft zwischen Deutschland und Rußland nicht zu schädigen.
Die neue „Ergänzungssteuer" in Preußen erreicht den vorgesehenen Betrag von 35 Mill Mark nicht, wie die offiziöse „Berl. Corresp." mitteilt. Es ist daher beabsichtigt, zur Deckung des Fehlbetrages einen Zuschlag zur Ergänz- ungssteucr in Höhe von etwa 6 ^ auf die Mark zu erheben.
Sonntagsruhe im Gastgewerbe. Eine Versammlung des Verbandes deutscher Gastwirte und des sächsischen Gastgewerbes, die am Mittwoch in Leipzig abgehalten wurde, erklärte die Einführung der Sonntagsruhe im Gastgewerbe für undurchführbar, die Gesetze zur Regelung der Arbeilszeit der Angestellten dagegen für durchführbar.
Berlin, 16. April. Der Kaiser überraschte den Reichskanzler Fürsten Hohenlohe am Ostersonntag mit einem wunderschönen Geschenk. nämlich einem Osterei, welches, aus der königlichen Porzellanmanufaktur hervorgegangen, mit einer Frühlingslandschaft und Arabesken bemalt ist. Am Ostermontag stattete, der Kaiser dem Reichskanzler einen längeren Besuch ab.
Berlin, 16. April. Wie der „Reichsanzeiger" bekannt giebt, werden fortgesetzt falsche Fünszig-Mark-Reichskassenscheine angehalten. Die Reichsschuldenverwaltung sichert eine Belohnung bis zu 3000 vlL demjenigen zu, welcher den Verfertiger oder den wissentlichen Verbreiter zuerst derart vermittelt und nachweist, daß dieselbe zur Untersuchung und Strafe gezogen werden kann.
M a n n h e i m, 16. April. Der sozialdemokratische Parteitag in Lahr beschloß die Ausstoßung des soz.-dem. Abg. Stegmüller aus der Partei und übertrug die Erledigung des Parteistreits Dr. Rüdt-Drecsbach dem näch sten deutschen Parteitag.
Aus der Pfalz, 13. April. Eine sehr energische Agitation gegen die Umsturzvorlage wird jetzt in der bayerischen Pfalz entfaltet. In verschiedenen Städten haben sich Komites der liberalen Parteien gebildet, die demnächst große Versammlungen abhalten wollen, in denen Protest erhoben werden soll gegen die Umsturzvorlage. Der nationalliberale Verein in Speyer beschloß ebenfalls, eine energische Agitation gegen das Umsturzgesetz in der ganzen Pfalz zu veranlassen. In Neustadt, Zweibrücken und Frankenthal wurden seitens der nationalliberalen Partei gleiche Beschlüsse gefaßt.
Aus Baden, 15. April. Aus dem Markgräflerland wird gemeldet, daß der Weinverkehr sich belebt und die Preise etwas anziehen. Der Rebbestand soll durch die strenge Kälte des letzten Winters nicht gelitten haben.
Karlsruhe, 7. April. Aus einzelnen Landesteilen wird gemeldet, daß der Preisaufschlag für Getreide stetig anhält; auf den Vieh- märkten zeigt sich ein Rückgang der Schlacht- viehpreise, was aber die Metzger noch nicht gerührt hat.
Württemberg.
Stuttgart, 16. April. Se. Kgl. Hoheit Herzog Alb recht von Württemberg ist heule Vormittag 9 Uhr auf einem Spazierritt in der Nähe des Rosensteins mit dem Pferde gestürzt und wurde von seinem nachkommenden Bruder, Herzog Robert von Württemberg in zeitweilig bewußtlosem Zustand aufgefunden. Herzog Alb- recht erlitt aber glücklicherweise nur eine leichte Gehirnerschütterung und befindet sich nach dem Ausspruch des behandelnden Arztes, Medizinalrat Dr. v. Burckhardt, außer Gefahr.
Stuttgart, 14. April. Nach einem nunmehr zwischen Württemberg, Baden und Bayern getroffenen Uebereinkommen wird auch im Eisenbaynfrachtverkehr von 1. Mai ab eine gewisse Sonntagsruhe eintreten, indem an Sonn- und Festtagen gewöhnliche Eisenbahnfrachtgüter überhaupt nicht, von gewöhnlichen Wagenladungsgütern nur frisches Fleisch und Bier befördert wird.
Ronweil, 16. April. Der würlt. Fischzuchtverein tagte gestern und heule hier. Die Stadt ist festlich beflaggt und zeigt reges Leben
durch die Anwesenheit einer Menge Interessenten und Fremder. Unter Anderen beehrten die Ausstellung Se. Excellenz der Herr Minister des Innern v. Pischek, Herr Obersthofmeister Freiherr v. Plato und mehrere hochgestellte Re- gierungsbeamte. Einem feinen Souper bei dem Geheimen Kommerzienrat Dultenhofer folgte ein Bankett, bei welchem der Herr Minister sprach. Heute wurden die Beratungen gepflogen und darauf die Fischzuchtanstalt des Hrn. Dutlenhofer mit Interesse besichtigt, über welche sich sämtliche Beschauer mit großer Anerkennung aus» sprachen.
Anstand.
Wien, 16. April. Die „Polit. Corresp." meldet aus Petersburg, Rußland sei entschlossen, Japan an Eroberungen auf dem Festlanüe zu verhindern, und habe daher seine Truppen an der koreanischen Grenze und das ostasiatische Geschwader durch das Mitrelmeergeschwader verstärkt. Frankreich gehe mit Rußland, während England geneigt scheine, die japanischen Forderungen zu unterstützen, was internationale Verwickelungen ergeben könnte. Man hoffe jedoch, sie zu verhindern.
London, 16. April. Der hies. japanische Gesandte erklärte einem Vertreter des Bureaus Reuter, er habe keine Nachricht von dem Friedensabschluß erhallen. Das Telegramm der „Times" erhalle verschiedene Punkte nicht, die, wie er wisse, von Japan ausgestellt worden seien, z. B. weber die Metstbegünstigungsklauscl noch andere Konzessionen auf kommerziellem Gebiet. Die Kriegsentschädigung scheint ihm zu klein, dagegen erscheinen die Unabhängigkeit Koreas und die Abtretung Formosas richtig. Auch das Bündnis mit China scheint ihm unwahrscheinlich und der Artikel 2 und 3 ihm Ichwer verständlich, da außer dem erwähnten Gebiet keine anderen Plätze, ausgenommen Wei» Hai-Wei, erobert worden seien.
Wien, 9. Apnl. Die zwölf Greise, an denen der Kaiser am Gründonnerstag die Zeremonien der Fußwaschung vollzog, zählen diesmal zusammen 1059 Lebensjahre. Die zwölf Greisinnen wurden, da die Kaiserin wie seit Jahren abwesend ist, nur beschenkt, und zwar mil 30 Silberlingen (Kronen). Kleidern und Trinkgefässen; die Gesamtzahl ihrer Lebensjahre beträgt 1030. Die Speisung der Greise erfolgte im Zeremvniensaal, wobei der Kaiser und die Eczherzöge d-.e Speisen vor die alten Männer aus den Lisch stellten. Hierauf folgte die Fuß- waschung, bei der zwei Prälaten mit Becken und Handluch bedienten.
Paris, 15. April. Die Polizei verhaftete einen Pcofessionsbetiler, der sich für taubstumm ausgegeben hatte, aus dem Kommissariate jedoch erklärte, Gustav Remshagen zu heißen, aus Solingen zu stammen und 5 Sprachen zu sprechen. Remshagen hatte mittelst gefälschter Zeugnisse, Mitgliedern der verschiedenen ausländischen Kolonien bedeutende Summen herauS- gclockt. Man fand im Augenblick der Verhaftung 425 Fr. bei ihm.
Barcelona, 14. April. Während eines Stiergefechtes brach ein Stier in den Zu- schauerraum ein und rief eine entsetzliche Verwirrung hervor. Ein Gendarm tötete den Stier mit einem Gewehrschuß, verwundete aber mit demselben Schüsse einen Zuschauer, der starb, als er fortgetragen wurde. Im Gedränge des allgemeinen Flüchtens erlitten zahlreiche Leute Verletzungen.
Anteryaltender Heil.
Kuckuck! Kuckuck!
Ein Stimmungsbild aus deutschem Walde von E. Brook
Wieder ist der Winter zu Ende und wieder ist es Frühling, Heller leuchtender Frühling geworden. Auch im Walde hat der junge Lenz seinen Einzug gehalten. Schon heben sich aus dem wirren Geäst der Sahlweide gelbschimmernde von Bienen umsummte Blütyen- kätzchen; schon schwellen die Knospen und mattgrüne Blättchen brechen hervor. Langsam — wohl aus Furcht vor den Launen des Frühlings — zieht der Hochwald sein Frühlingskletd