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verstimmte Momente die allgemeine Börsenstimmung nicht nachhaltig beeinflussen. — Im letzten Wochenbericht haben wir die Vermutung ausgesprochen, daß die Preissteigerung an den Getreidebörsen auf einer künstlichen Mache beruhen, um die demschen gesetzgebenden Faktoren gegenüber dem Börsentreiben etwas milder zu stimmen. Diese Vermutung hat sich vollauf bestätigt, denn die Getreideexportländer, namentlich Argentinien, benützen den vorübergehenden Preisaufschwung der vorigen Woche zu riesigen Angeboten, weshalb die Preise wieder zurückgegangen sind. Die Mehlpreise blieben unverändert.
Ausland.
Der König von Italien hat den wegen Spionage verurteilten französischen Hauptmann Romani begnadigt. Nun haben auch die Franzosen einen spionierenden italienischen Offizier gegenwärtig in Haft, und in Italien erwartet man allgemein, daß dieser nun auch seitens des Präsidenten der französischen Republik begnadigt werde. — König Humbert hat dem Ministerpräsidenten Cr ispi in einer Glückwunschansprache ein glänzendes Zeugnis für seine treue und erfolgreiche Arbeit für das Vaterland ausgestellt. Ob dieses Zeugnis bei den bevorstehenden Deputiertenwahlen Crispi eine ministerielle Majorität verschaffen wird, bleibt abzuwarten.
Paris, 21. März. Präsident Faure Unterzeichnete die Begnadigung des italienischen Majors Falta, welcher in Nizza wegen Spionage verurteilt wurde.
Madrid, 20. März. Die Königin Regentin empfing gestern eine Abordnung der Offiziere der Madrider Garnison, welche die Königin um Schutz gegen die Angriffe der republikanischen Presse ersuchte.
Madrid, 22. März. Unter dem Vorsitze Sealmerons fand gestern eine Versammlung der Herausgeber und Leiter der hies. Zeitungen statt, welche beschloß, alle Herausforderungen zum Zweikampfe seitens der Offiziere abzulehnen und eine gemeinsame Erklärung an der Spitze der Zeitungen zu veröffentlichen, worin sie gegen das jüngste Pronunciamento protestieren. Die Bevölkerung steht entschieden auf Seite der Presse. In den Cortes sind bereits zahlreiche Interpellationen in der Sache angemeldet. — An der Küste wurden bisher 18 Leichen des untergangenen Kreuzers „Königin-Regentin" angeschwemmt gefunden.
Cadix, 20. März. Nach der Mannschaftsliste des gesunkenen Dampfers „Königin Regenkin" haben bei dem Untergang des Schiffes 582 Matrosen und 17 Offiziere das Leben verloren.
Unterhaltender Heil.
Grenadier Prchcszy.
Militär-Humoreske von Alexander Müller-Roosevelt.
(Schluß.)
Wir befanden uns am Abende vor der Vor- Jnstruklion. Während unser bisheriger Oberst es liebte, in diesem Falle die Offiziere oder Unteroffiziere Fragen an die Mannschaften richten zu lassen, ging von dem neuen Kommandeur die Sage, daß er das in eigener Person zu thun pflege und daß er dabei von einem Thema in das andere springe. Um uns auf diese Eigenart aufmerksam zu machen, versammelte unser Hauptmann die alten Leute um sich und legte ihnen nochmals an's Herz, recht prompt zu antworten.
„Wenn Ihr gefragt werdet," fuhr er fort, „dann antwortet ruhig und bestimmt. In erster Linie aber antwortet aus jede Frage — es ist nichts häßlicher, als wenn man erst lange auf Antwort warten muß — wenn's auch nicht richtig ist, immer heraus damit, es ist jedenfalls besser, als wenn Ihr dasteht, den Herrn Oberst dumm anglotzl und stumm bleibt. Also Antwort auf jeden Fall sagen, aber besonders laut und deutlich! Wegtreten!"
Wir gingen in unsere Stuben.
„Haben Sie verstanden, was der Herr Hauplmann gesagt hat, Pschieh?"
„Jawohl, Herr Unt'rroff'zierrrr!"
„Was denn?" M
„Sollen wierr antworten jimwerHlaut und deitlich."
„Richtig". —
Punkt neun Uhr am nächsten Morgen standen wir korporalschaftsweise ausgerichtet, die Führer vor ihren Korporalschaften, in der großen Exerzierhalle. Der Herr Oberst näherte sich, von vielen Offizieren begleitet, darunter auch mein spezieller Gönner, der Premierlieutenant und Regimentsadjutant v. D., ein Mann von göttlichem Humor.
„Nicht' Euch! — Augen gerade — aus!
— Augen links! — Paradeaufstellung!" — Todenstille. Unser Hauptmann meldet, die Hand am Helm, dem Oberst die Mannschaften.
„Guten Morgen, Grenadiere!"
„Gut'n Morgen, Herr Oberst!" schallt's wie aus einem Munde aus einigen sechzig Kehlen entgegen und dann ging er gleich in ineälas ros, indem er sich an den Flügelmann wandte.
„In welche Klasse der Offiziere gehören die Hauptleute?"
„Die Hauptleute bilden eine Klasse für sich und werden bei der Kavallerie Rittmeister genannt". war die schnelle Antwort.
„Gut." Dann zum Zweiten:
„Woran erkennen Sie den Rang eines Offiziers?"
„An den Abzeichen auf den Epaulettes und den Achselstücken."
„Richtig " Zum Dritten:
„Wie sehen die Achselstücke eines Generals aus?"
Der General trägt Achselstücke in der Form von goldenen, mit Silber und schwarzer Seide durchwirkten Rauben, welche breiter sind, wie die der Stabsoffiziere. —"
„Gut — und waS für einen Helm?" fügte der Oberst noch hinzu.
„— Einen Kreuzhelm mit eckigem Vorderschirm."
„Sehr gut." Jetzt kam Pschieh heran."
„Was trage ich für einen Helm und Achselstücke?" — Der Oberst befand sich augenblicklich in Mütze und Mantel.
O weh!" — Pschieh besann sich — dann fingen die Augen an, mit unheimlichen Rollen an der Decke der Halle entlang zu wandern, die Farbe kam und ging auf seinem Gesicht — ha! was hatte doch der Hauptmann gestern abend gesagt? Die große Mundklappe öffnete sich:
„Trägt Herr Oberst Helm mit Seide und
— und —
„Na na, immer ruhig, mein Sohn, nichts verwechseln. „Also?" Nun war's ganz aus mit Pschieh's Verstand.
„Trägt Herrr Oberst — hat Herrr Oberst Raupen in Kopf von Silberrr und Gold —
— Seide, welche sind brrreiter wie die Stabs- offizierrre und werrrden bei der Kavallerrrie Rrrittmeisterrr genannt und — immer laut und deutlich und Seide — Gold trrrägt Herrr Oberrst Helm und immer laut und deutlich —"
„Halten Sie jetzt endlich Ihren Mund!", fuhr der Hauptmann unfern Armen an und schwupp! — die Klappe schloß sich.
Noch heute bedaure ich, daß kein Momentphotograph die ewig denkwürdige Szene nicht festhielt.
Der Oberst war mit entsetztem Blick zwei Schritte zurückgetreten und starrte Wenzel fragend an. Sein Adjutant stand hinter ihm, hatte den Degen zwischen die Knie geklemmt und zerquetschte fast mit seinen Händen den Griff desselben, während ihm die Hellen Thränen aus den Augen über die Wangen und die fest- zusammengepreßten Lippen kullerten, und die anderen Offiziere und alle Mannschaften standen da, verzweifelte Anstrengungen machend, um das Lachen zu verbeißen, welches in Gegenwart des Herrn Oberst doch gar zu respektwidrig gewesen wäre. Aber als unser Hauptmann einige erklärende Worte gesagt hatte und jener selbst! anfing zu lachen — da gab's kein Halten mehr und wie ein Donner durchbrauste eine Lachsalve das Haus.
Nach einer Stunde war die Vorstellung zu Ende; der Herr Oberst war zufrieden mit der Kompagnie und wir konnten wegtreten. —
Wie ich über den Kasernenhof schreite, ruft mich Herr v. D. an.
„Einen Augenblick, lieber Müller."
„Herr Lieutenant?"
„Den Bruder „Laut und Deutlich" haben Sie ja wohl in Ihrer Korporalschaft?"
„Jawohl, Herr Lieutenant."
„Gratuliere — was ist er denn sonst für ein Kerl?"
„Sonst ein recht tüchtiger Soldat."
„Auch sauber?"
„Jawohl, Herr Lieutenant."
„Hm — ich will ihn nämlich als Burschen zu mir abkommandieren lassen."
Ich mußte lachen.
„Ja. lachen Sie nur, der Kerl gefällt mir, so ein Unikum kann ich gut gebrauchen — giebt 'ne feine Zimmerdressur für mich ab. Morjen!"
„Guten Morgen, Herr Lieutenant."
Wenzel wurde Bursche. Nicht lange. Eines Morgens gegen 8 Uhr tritt Wenzel zugleich mit dem Adjutanten wieder in seine alte Stube.
Hier Müller, bringe ich Ihnen den jungen Mann. Mit dem komm ich nicht mit — kann's doch nicht mehr aushalten. Weckt mich doch der Engel heute mit den Worten: „Leit'nant hast Du Dienst, mußt Du Kaffee saufen! — Nee, nee, danke für Obst." —
Bier Wochen später war meine Dienstzeit zu Ende und ich verließ meinen Freund Pschieh.
Neugierig bin ich, was aus ihm noch geworden sein mag — ein Redner sicher nicht.
Telegramme.
Berlin, 22. März. In Gegenwart des Kaiserpaares, des Großherzogpaares von Baden und des Großherzogs von Weimar, sowie anderer Fürstlichkeiten fand heute die Einweihung der Kaiserin Augusta Gedächtniskirche statt.
Berlin , 22. März. Bei dem vierjährigen Prinzen Joachim ist im allgemeinen bei den örtlichen Symptomen eine Besserung zu verzeichnen. Der Schwächezustand ist erheblich, vermindert sich jedoch trotz der geringen Nahrungsaufnahme.
Berlin, 23. März. Gegenüber einer anderen Nachricht teilt die „Nordd. Allg. Ztg." mit, der Kaiser werde auf der Reise nach Friedrichsruhe weder von den K. Prinzen, noch vom Reichskanzler, noch von einigen Ministern begleitet.
Darm stadt, 22. März. Die „Neuen Hessischen Volksblätter" melden: Prinz Wilhelm von Hessen rettete gestern mit eigener Lebensgefahr eine Frau, welche in selbstmörderischer Absicht in das Wasser gesprungen war. Der zufällig vorübergehende Prinz sprang sofort ins Wasser und brachte die Frau mit Mühe an das Ufer. Der Prinz eilte dann sogleich in die Stadt und holte den Mann der Frau, nachdem diese in Sicherheit gebracht worden war, herber.
Detmold, 23. März. Die Lippe'sche Landeszeitung meldet: Graf Ritt erb erg und Kammerjunker von Both überreichten gestern abend dem Landtags-Präsidenten Lengerke ein Protestschreiben des zur Zeit in Berlin weilenden Grafen Ernst zu Lippe-Biesterfeld gegen die Regentschaft. Der Protest geht auch dem Bundesrate zu.
Lüttich, 23. März. Abends fanden Zusammenstöße der Polizei mit den streikenden Bergleuten statt. Letztere gaben Revolverschüsse ab. Zwei Strcikführer wurden verhaftet. Die Streikenden warfen mit Steinen auf die Polizei; letztere verwundete einige Streikende.
M a d r i d, 23. März. Die Regentin übertrug Canovas die Kabinetsbildung. Canovas wird heute die Ministerliste vorlsgen.
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zweite Quartal 1895
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