Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

Neuenbürg, 13. März. Die 40 Ritter, denen man auf dem Lande so großen Glauben beimißt, haben endlich den längst ersehnten Witterungsumschlag gebracht. Während die vor­hergegangenen Tage noch starker Frost, ja sogar Kälte herrschte, trat mit dem Tage der 40 Rrtter mildere Temperatur ein und am selben Abend hak es thatsächlich noch geregnet, freilich nur in zarten Anfängen. Wenn auch die schon kräftig wirkende Frühlingssonne an sommerlich gelegenen Plätzen manche Lücke in die Schnee- u. Eisdecke gemacht hat, so wird sie doch nicht so rasch im Stande sein, mit den außergewöhnlichen Schnee« Massen aufzuräumen, namentlich da es nachts immer wieder gefriert. Auf solche Nachtfröste und dergleichen wird man sich aber zunächst ge­faßt machen müssen und so kann nur ein Regenwetter von dem heimisch gewordenen Schnee erlösen. Für Leute, die es genau nehmen, sei bemerkt, daß hier seit der Regenzeit vom 13.« bis 21. Januar kein Regen mehr gefallen ist. Von manchen Orten wird die Ankunft der be­kannten Frühlingsboten gemeldet und an ein­zelnen Sträuchern und Bäumen kann jetzt schon die treibende Kraft des nahenden Frühlings wahrgenommen werden. So wird uns von einem sonnigen Garten, und dazu im Weinbau­gebiet gelegen, aus Ottenhausen (von Wald­meister König), das erste Blümchen rn Gestalt eines Tag- und Nacht-Veilchens als Beleg für vorstehende Angaben gespendet. Möge der Lenz nun bald überall seinen Einzug halten.

Langenbrand. (Corresp.) Gestern wurde hier ein 17jähriges Dienstmädchen festgenommen und dem K. Amtsgericht Neuenbürg zugeliefert. Dasselbe hat in bewährter Treue ihrer Dienst- Herrschaft Schmucksachen im Werte von etwa 30 ^ entwendet und soll diesen Diebstahl mit der Begründung zugestanden haben, daß sie die gestohlenen Sachen einem ledigen Burschen, dessen Namen sie aber, wie ihm versprochen, verschweige, geschenkt habe. Dies ist wieder ein­mal ein betrübtes Zeichen der Zeit und gehörten hier der Schenkerin sowie dem Beschenkten die bekannten 25.

Calw, 13. März. Der heurige Vieh­markt war sehr stark befahren. Zugebracht waren 644 Stück Rindvieh. Der Handel zeigte sich flau bei zurückgehenden Preisen. Auf dem Schweinemarkt war mehr Leben und rege Kauf­lust. Milchschweine lösten 2435 Mk. das Paar, desgl. Läufer 5080 Mk. Zufuhr 29 Körbe Milchschweine und 143 Stück Läufer. Auf dem Pferdemarkt waren 86 Stück Pferde aufgestellt. Umsatz gering.

Pforzheim, 12. März. Gestern fand hier eine Volksversammlung statt, in welcher Herr Agster aus Stuttgart einen Vortrag gegen die Umsturzvorlage hielt. Der überwachende Polizeiamtmann hatte Leuten unter 21 Jahren den Zutritt zu der Versammlung verweigert, was dem Vorsitzenden Veranlassung gab, den Beamten zu fragen, auf Grund welcher Bestim­mung dies geschehe. Der Amtmann bemerkte, er habe hierüber keine Auskunft zu geben und cs erfolgte nunmehr die Auflösung der Versamm­lung unter stürmischen Protestrufen der Anwesen­den. die schließlich demonstrativ dieMarseillaise" sangen.

Deutsches Aeich.

Berlin, 12. März. Der Kaiser hat heute vormittag 10 Uhr den engeren Aus­schuß des Staatsrates eröffnet mit einer Ansprache, in der es heißt: Die andauernde ungünsti-ge Lage der Landwirtschaft mache es der Regierung zur unabweisbaren Pflicht, Mittel und Wege zu suchen, welche geeignet seien, den Ertrag der Botenbewirtschaftung zu heben, und die Gefahren, denen die Landbe­völkerung ausgesetzt sei, abzuwenden. Zur Er­reichung dieses Zieles sei der Staatsrat einbr- rufen. Es werde dem Kaiser zur Genugthuung gereichen wenn die Vorschläge des Staatsrates eine Gestalt annähmen, die eine Durchführbar­keit erkennen lasse, und wenn die Beratungen sich auf Ziele richteten, die ohne Verletzung anderer berechtigter Interessen und unter Acht­

ung der Bertragsverhältnisse den auf der Land- « Wirtschaft lastenden Druck thunlichst zu beseitigen geeignet seien. Damit ist indirekt dem Antrag Kanitz zum voraus schon das Urteil gesprochen, denn es ist noch niemand gelungen, seineDurch­führbarkeit"ohne Verletzung anderer berech­tigter Interessen und unter Achtung der Vcr- tragsverhältnisse" beweisen zu können. Die Verhandlungen, die vom Kaiser geleitet werden, betrafen den ersten Gegenstand der Tagesord­nung: Maßregeln zur Hebung des Getreide­preises, und wurden bis zum Beginn der Pause,

1 Uhr mittags, fortgesetzt. Die Mitglieder der engeren Versammlung des Staatsrats sind ge­beten worden, über den Verlauf der Beratungen strenges Geheimnis zu bewahren. Die Be­schlüsse sollen thunlichst frühzeitig durch den Reichsanzeiger" veröffentlicht werden. Die zweite Sitzung am 14 dauerte von 10 Uhr an bis abends 7 Uhr. Es ist noch ungewiß, ob die Tagung am Samstag beendigt wird. Im > Laufe der gestrigen Sitzung meldete sich Graf Wilhelm Bismarck als ncuernannter Ober­präsident von Ostpreußen beim Kaiser.

Der Antrag Kanitz auf Verstaatlichung des Getreidehandels ist im Reichstag mit 103 Unterschriften eingebracht worden. Im April vorigen Jahres ist der Antrag vom Reichstag beim Fehlen von 162 Abgeordneten mit 159 gegen 76 Stimmen abgelehnt worden. Unter den diesmaligen Unterzeichnern des Antrages befindet sich kein Mitglied des Zentrums. Man erkennt an dieser Thalsache wreder einmal die taktisch vorsichtige Haltung dieser Partei, die zu Zeiten auch ohne Winüthorst noch diplomatisch sein zu können scheint. Das Zentrum, das im Reichstagegrundsätzlich" nicht gegen die Reichs- finanzresorm. die Tabaksteuer ist, und eine warme Abendkost für das Militär beantragt, in der Umsturzkommission an der Regierungsvorlage die schwerwiegendsten Verbesserungen vornimmt und die Aufhebung des Kanzel-Paragraphen durchsetzt, endlich im Abgeordnetenhause die Wiederherstellung der Art. 15, 16 und 18 der preußischen Versassungsurkunde beantragt es läßt sich nicht leugnen, daß das Zentrum gegen­wärtig kein schlechter Meister der Situation ist.

Berlin, 13. März. Die Zentrumsfrak­tion des Reichstages beschloß in der heutigen Fraktlonssitzung einstimmig die Ablehnung des Antrages Kanitz. Die Fraktion sprach sich ferner gegen das geplante Zusammengehen mit der wirtschaftlichen Bereinigung des Reichstags aus; dagegen bildete sich aus dem Schoße der Frak­tion eine wirtschaftliche Abteilung.

Berlin, 13. März. Die Budgetkom­mission des Reichstags strich die geforderten 400000 o/L für eine Kaserne in Straßburg, bewilligte 660000 als dritte Rate für die Kaserne in Worms und lehnte die 1221000 ^ für den Artillerieschießplatz des 9. Armeekorps ab.

Württemberg.

Die norddeutschen Blätter sind fast aus­nahmslos des Lobes voll über das Verhalten unseres Ministerpräsidenten, der sich auch der neuen Kammer gegenüber als überlegener Staatsmann gezeigt habe und sich durchaus nicht auf den Standpunkt des Zuwartens stelle, son­dern den redlichen Versuch unternehme, erfüll­bare Volkswünjche zu befriedigen, wodurch es ihm gelungen sei, gleich bei seinem ersten Auf­treten der Volkspartei das drohend geschwungene Kriegsbeil vollständig aus der Hand zu winden und sie sogar zum Beifall Hinzureißen, was zur Festigung nicht nur der Regierung, sondern auch des monarchistischen Gedankens in Württemberg von großem Wert sei.

Stuttgart. 13. März. Die Abge­ordnetenkammer beriet gestern und heute die Schulgesetznovelle, welche in der letzten Session nicht mehr zur Verabschiedung gelangte. Dieselbe wurde nach eingehender Debatte als Gesetz, betr. die allgemeine Fortbildungsschule, sowie sonstige Bestimmungen über die Volksschule" mit 78, allen abgegebenen Stimmen angenommen. Die Kammern der Standesherrn hatte den Ge­setzentwurf schon vorher erledigt. Am Mittwoch vormittags fand noch eine gemeinschaftliche Sitzung beider Kammern behufs Vornahme der

«Wahl des ständischen Ausschusses statt, worauf das Kgl. Vertagungsreskript zur Bor- lesung kam. Die Abgeordneten erhoben sich dabei von ihren Sitzen, mit Ausnahme des Soz. Kloß, während der Soz. Glaser den Platz ver­ließ. Hierauf schloß der Präsident die Sitzung, den Mitgliedern Lebewohl wünschend. Bald nach Ostern werden die Stände wieder einbe­rufen werden.

Nachdem die am 15. Juni 1893 vorgenom­mene Wahl eines Reichstagsabgeordneten im XIV. württ. Wahlkreis (Geislingen, Heiden­heim, Ulm) durch Beschluß des Reichstags vom 8. Febr. ds. Js. für ungiltig erklärt worden ist, wird hiemit für diesen Wahlkreis auf Diens­tag den 30. April ds. Js. eine Neuwahl an­geordnet.

Aus Württemberg, 13. März. Der be­kannte ehemalige Theologe Theodor v. Wächter, der sich der Sozialdemokratie zugewandt hatte, soll nach einer Mitteilung derNeuen Zürcher Zlg." ins Kloster gegangen sein, und zwar nach Mariastein in Solothurn.

Ausland.

In Oesterreich ist eine Bewegung im Gange, weiche nichts weniger als die Abschaff­ung des gesamten Hausierhandels verlangt.

Die französische Regierung hat dem venezuelischen Gesandten seine Pässe zugeschickt und ihren eigenen Gesandten in Venezuela ab­berufen. Es handelt sich hier um eine persön­liche gröbliche Beleidigung deS französischen Ge­sandten in Caracas durch die venezuelischen Be­hörden. Zu einem Krieg zwischen Frankreich und Venezuela wird es aber wohl kaum kommen. Die Franzosen haben vorläufig in Madagaskar und in Tonking Arbeit genug. In Madagaskar geht die Wache gar nicht vorwärts und doch ist jetzt schon sicher, daß der für die madagassische Expedition bewilligte Kredit von 65 Millionen um mehr als den doppelten Betrag überschritten wird. In Tonking lodert von Zeit zu Zeit wieder ein Aufstand auf, so daß die dortigen französischen Beamten ihres Lebens nicht sicher sind.

Brüssel, 12. März. In einer Wechsel­stube der Rue Midi wurde Nachts eingebrochen und eine Summe von 400000 Fr. in Wert­papieren entwendet. 6 Diebe wuroen verhaftet.

Paris, 12. März. Ein belgisches Witz­blatt, welches eine Karrikatur des deutschen Kaisers in Verbindung mit der Anwesenheit der französischen Flotte in Kiel brachte, ist für ganz Frankreich verboten worden.

Der englische Ministerpräsident Lord Roscbery hat einen heftigen Jnfluenzanfall in der Hauptsache zwar überstanden, aber er scheint diese Krankheit zum Borwand benutzen zu wollen, um vom Amte zurückzutreten. Das wäre natür. lich für die liberale Partei eine große Verlegen­heit und würde namentlich die auf 8 Stimmen zusammengeschrumpfte liberale Mehrheit im Unterhaus leicht in eine Minderheit verwandeln können.

Vom ostasiatischen Kriegsschauplatz. Die großartigen Erfolge der Japaner während der letzten Woche lassen keinen Zweifel mehr darüber aufkommcn, daß sie nunmehr ihren Marsch südwestlich gegen Peking richten. In Peking selbst haben die Nachrichten, wie eine Privatdepesche aus Shanghai meldet, eine wahre Panik hervorgerufen. Man depeschiert von dort: Shanghai, 11. März. Viele Chinesen der besitzenden Klaffen verlassen Peking, Taku, Tientsin und begeben sich nach Shanghai aus Furcht vor der Annäherung der Japaner. Die taktische Bedeutung dieser letzten japanischen Siege ist viel größer, als man nach den ersten De­peschen annehmen konnte. Aus Jinkow wird hierüber telegraphiert: Ainkow, 11. März. Infolge des Gefechtes von Samstag ist die Armee des General Sung vollständig aufge­rieben. Ehe die Chinesen Thien-Chuang-Tai verl'eßen, steckten sie die Stadl in Brand. Bei ihrer Annäherung waren die Japaner nicht im Stande, die Flammen zu löschen. Die ganze Stadt ist niedergebrannt. Aus Haitscheng wird ferner gemeldet: Am 9. d. M. griffen die Ja­paner die Chinesen bei Denshodm an. Die