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Hlnterhattender Teil.

Am zerbrochenen Kreuz.

Eine Geschichte von der Grenze von Hans Richter

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Gegen seine Gewohnheit war Jan der Erste am Kreuz. Sonst liebte er es. auf sich warten zu lassen; heute wartete er. Mit dem Glocken­schlage Acht kam Maryfia. Wie ganz anders als die rundlichen, derbknochigen Bauernmädchen erschien ihre schlanke Gestalt, ihr etwas blasses, schmales Gesicht mit den schönen markierten Zügen. Er zog sie in das Gebüsch und ver­suchte seinen Arm um sie zu legen. Mit aus- gestreckten Armen hielt sie ihn fern und sagte, die feingeschwungenen Brauen zusammenziehend: »Nicht so Jan! Du weist, daß ich nicht bin, wie alle Anderen, mich küßt nur mein Bräutigam."

Marysia! ich liebe Dich ja und werde Dich immer lieben!" ries Jan leidenschaftlich.

Wie Vielen hast Du das an der selben Stelle schon gesagt?"

Jan geriet in Verlegenheit. Die dunkeln, scharfen, klugen Mädchenaugen ruhten vorwurfs­voll aus ihm, so daß er die ('einigen zu Boden schlug.Das waren Kindereien," entschuldigte er sich kleinlaut.Die Mädchen liefen mir nach, ohne daß ich mich um sie bemühte. Aber, was sind sie alle gegen Dich, Marysia? Wenn ich Dich nur habe, sehe ich sonst Keine mehr an, tanze mit keiner Anderen mehr."

Das erwarte ich gar nicht anders," sagte das Mädchen stolz,und ich bin auch nur hier- hergekommen, um es Dir zu sagen. Ueberlege es Dir, Jan, ehe Du mich freist! Spielen darfst Du nicht mit mir, wie Du es bisher gcthan hast. Nichts darf in Deiner Seele Raum haben neben mir. wie ich keinen andern Mann als Dich kennen werde. Du wirst die Schenke, den Tanzplatz und Deine bisherigen Genossen meiden, vielleicht auch ein wenig mehr arbeiten müssen; das ist viel verlangt nicht wahr? Und ich glaube, Deine Liebe ist nicht stark genug, es zu leisten. Ich sehe es Dir schon jetzt an."

Allerdings machte der schöne Jan ein nichts weniger als geistreiches Gesicht. Etwas Aehn- liches hatte er noch nicht gehört. Er sah sie an sie war noch etwas blasser als gewöhn­lich, aber vollkommen ruhig; nur in ihren großen Augen leuchtete es. Jan fühlte dunkel, daß er oieser Macht gegenüber widerstandslos war; er fühlte, daß Marysia ihn liebte, vielleicht noch mehr, als er sie.

Nein, Marysia, Du irrst!" rief er zitternd vor Leidenschaft.Ich will alles lassen und vergessen, was mich bisher freute; glaub' nur, daß ich Dir mein ganzes Leben lang treu bleiben werde. Du und keine andere mehr, Marysia, das schwöre ich bei diesem Kreuz."

Langsam schritten die beiden neben einander dem Dorfe zu. Eine Schar junger Mädchen und Burschen zog an ihnen vorüber, wobei es an derben Spässen nicht fehlte.

Sie sehen, daß ich mit Dir vom Kreuze komme", sagte Marysia erglühend.Nun kannst Du nicht anders, Du mußt mich heiraten."

Lieber heut' als morgen!" versicherte Jan feurig.

So rasch ging es nun freilich nicht, aber immerhin schneller als landesüblich. Marysia kaufte noch zehn Morgen Land, ein Paar Kühe und sogar ein Pferd, ließ einen neuen Stall bauen und bezahlte alles bar bei Heller und Pfennig. Ihr Bräutigam setzte sich in ein warmes Nest. Er selbst besaß nichts als seine gesunden Arme, welche allerdings sehr geschickt und fleißig sein konnten, wenn er gerade wollte.

Wie fast stets, fehlte es auch hier nicht an warnenden Stimmen. Daß der schöne Jan ein Mädchenjäger, ein Thunichtgut sei, bekam Marysia so lange zu hören, bis sie sich mit aller ihrer Entschiedenheit jede derartige Kritik verbot und den besorgten Freundinnen ohne weiteres die Thüre wies, sobald sie von ihrem Bräutigam zu sprechen begannen. Weit schlimmer noch er­ging es Jan. Er werde ein richtiger Pantoffel- Held werden bei solch' einem Weibe, höhnten seine Kameraden, jeden Abend und jeden Sonn­

tag daheim sitzen müssen, kein Mädchen mehr anschauen und nur noch Wasser trinken dürfen. Erst als er einem dieser Spötter ein paar Zähne eingcschlagen hatte, verstummten ihre Läster­zungen. freilich nur so lange er zugegen war. Hinter seinem Rücken wurde er desto mehr ver­höhnt und seinem Eheglück das Allerschlimmste prophezeit.

Im Beginn des Herbstes fand die Hochzeit statt, an welcher nach Landessitte ganz Obrowo teilnahm. Nur der Woyt und seine Tochter fehlten, Ersterer Marysia's, Letzterer Jan's wegen.

Ein Jahr war verflossen, und der schöne Jan zu der Einsicht gekommen, daß selbst der siebente Himmel auf die Dauer viel von seinen Reizen verlieren kann. Er war durch seine Heirat ein wohlhabender Mann geworden; aber so sehr wie jetzt halte er sich früher als Tag­löhner nicht anzustrengen brauchen. Marysia hielt es für durchaus unnötig, für fremde Ar­beitskräfte Geld auszugeben, so lange sie Beide im Stande waren, die Arbeit zu bewältigen. Und mit den Vergnügungen war es genau so, wie seine Kameraden ihm vorausgesagt hatten. Es fehlte im Hause nie an Bier und Schnaps, an Tabak und Zigarren; Marysia verbot ihm auch nie das Ausgehen. Aber wenn er sich zum Feierabend oder Sonntags dazu bereit machte, hatte sie eine so eigentümliche Manier, ihn an­zusehen und dabei die Stirn zu runzeln, daß er ganz still die Jacke wieder auszog und sich neben sie setzte. Ihr freundliches verständiges Gespräch unterhielt ihn dann eigentlich auch viel besser als das wüste Treiben in der schmutzigen Schenke; allmählich aber wuchs doch die Lust nach dem Verbotenen immer mächtiger in ihm an, so oft er sich auch selbst sagte, er werde sich nur be­trinken und dann wochenlang darüber ärgern müssen.

Kurz nach der Ernte bekam Marysia einen Knaben. Sobald seine ernstliche Sorge um sie vorüber war, wollte es ihm zu Hause gar nicht mehr gefallen. Er sah das freudige Ereignis als etwas Selbstverständliches an; die junge Mutter aber war dadurch wie umgewandelt und lebte fortan nur noch für ihr Kind, welchem sie eine fast abgöttische Liebe zuwandte. Jan fühlte sich beleidigt, zurückgesetzt, vernachlässigt. Das Schreien des Kleinen störte ihn ebenso sehr wie die Wiegenlieder und die Zärtlichkeitsausbrüche Marysia's; und da diese ihn nicht mehr so scharf beobachtete, fand er die beste Gelegenheit, wieder in die Schenke zu gehen, zuerst heimlich, dann offen. Marysia wehrte es ihm nicht mehr. Sie hatte mit dem kleinen Jan so viel zu thun, daß sie sich um den Großen kaum kümmern konnte.

Erst als sie, nach Neujahr bereits, die rasch anwachsende Ebbe in ihrer Kasse bemerkte, suchte sie der Vergnügungssucht ihres Mannes Einhalt zu thun; aber zu spät der Löwe hatte Blut geleckt; jetzt ließ er sich nicht mehr bändigen. Es fehlte auch nicht an Zwischenträgern und Aufhetzern. Wurde Jan von seinen Kneip- genossen mit den ErmahnungenDer Mann ist der Herr des Hauses",Man ist nur ein Mal jung" und ähnlichen schönen Sprüchen immer tiefer in das wüste Treiben hineingerissen, so erfuhr dafür Marysia jeden Morgen ganz ge­nau, was er am Abend vorher im Wirtshaus gelhan und wie viel Geld er verbraucht hatte. Jetzt hörte sie leider nur zu viel auf diese bos- haften Stimmen, welche sie während ihres Brautstandes nicht beachtet hatte. So kam es denn in dem freundlichen Häuschen recht bald zu ernsten Zwistigkeiten. Beide Ehegatten hatten harte Köpfe und gaben um so weniger nach, als wohl ein jeder recht gut fühlte, daß auch auf ihn ein großer Anteil der Schuld lag.

(Fortsetzung folgt.)

Neueste Touristenkarte vom württem- bergischen Unterland. Umfassend das Ge­biet vom Wunnenstein bei Lichtenstein und vom Hohenstaufen bis zum Schwarzwald." Maßstab 1: 200000. Verlag von Gustav Hopf in Cann­statt. Preis 1 Die Karte zeigt in drei­

fachem Farbendruck schwarze Eisenbahnlinien,

blaue Gewässer mit eingehender Verzweigung und Angabe der industriellen Benützung der­selben, sowie Darstellung der Vertikalgliederung durch Plastisch wirkenden lichtbraunen Schummer­ton. Die namentliche Angabe von Bergen und bedeutenden Hügeln, Schlössern und Ruinen, Höfen und Mühlen rc. werden dem Wanderer allerorts Beweise sein, mit welcher Sorgfalt der Herausgeber den verschiedenen Bedürfnissen ent­gegenzukommen bestrebt war. Der Kauf dieser Karten ist jedem Freund der Natur, der am Sonntag sich durch einen Ausflug geistig oder leiblich erfrischen will, zu empfehlen.

(Eine schnurrige Wette.) Wieviel wiegt eine Person nach dem Genuß von 10 Seideln Bier mehr? Diese Frage wurde vor wenigen Tagen von einer sidclen Kneipgesellschaft zum Gegen­stand einer Wette gemacht. Es wurde von kom­petenter Seite behauptet, daß unbedingt ein Mehrgewicht von vier Pfund entsteht. Dem gegenüber war die Ansicht vertreten, daß die Zersetzung im Körper eine solche Gewichts­zunahme nicht statlfinden lasse. Einer der Herren erbot sich, das nötige Quantum Bier zu vertilgen, ohne vom Stuhl aufzustehen. Selst- verständlich hatte vorher eine gewissenhafte Ge- wichtsfeststellung stattgefunden, und der Vergleich des jetzt gewonnenen Resultats ergab ein Mehr von 5^/r Pfund.

(Verfehltes Beruhigungsmittel.) Ein Studi­osus wird während der Kneipe ohnmächtig. Der rasch herbeigerufene Arzt findet ihn bereits wieder bei Bewußtsein, aber stark aufgeregt. Nur rasch ein Glas Wasser!" ruft der Doktor dem Kellner zu.Ach, Herr Doktor", meint der Leibfuchs,nur kein Wasser das regt ihn noch mehr auf!"

(Unangenehm.) Mutter:Rudolf, geh' mal hinüber zum Kaufmann, er soll Dir einen Matjes-Hering geben! (Rudolf geht, kommt aber erst nach langer Zeit wieder.) Wo bleibst Du denn so lange, Rudolf? Hast Du den Hering?" Rudolf:Nein! Ich habe den Vornamen von dem Hering vergessen!"

(Der gastierende Kellner.) Kellner (der in einem fremden Restaurant gespeist hat, zum Wirt, welcher eben die Rechnung macht): Macht zu­sammen fünfundsiebzig Pfennig. Hier bitte!. Wirt (nachzählend): Aber das sind ja nur siebzig! Kellner: Na, giebts den bei Ihnen kein Trinkgeld?

(Assortiertes Lager.) Freier: Ich gestatte mir. um die Hand Ihrer Fräulein Tochter an­zuhalten. Vater: Bitte, wollen Sie die Elly, Nelly, Lilly. Lilly, Cilly, Milly, Molly, Mally oder Wally?

Telegramme.

Berlin, 13. März. Die Nationalztg. meldet: Ein allgemeiner Kongreß aller deutschen Tabakfabrikanten und-Händler soll am 19. März in Berlin stattfinden.

Lowestoft, 13. März. Der Bürger­meister übergab gestern der Mannschaft des Fischerboots Wildflower die öffentlich gesammelten 85 Pfund Sterling und teilte mit, später würden weitere 100 Pfund Sterling 2000 »kL von dem Nordd. Lloyd in Bremen zur Verteilung kommen. Der Kapitän erhielt die Photographien der von der Elbe geretteten Passagiere.

Washington, 13. März. Wie ver­lautet, wies das englische auswärtige Amt den britischen Botschafter an, über die Ereignisse in Louisana eine Untersuchung anzustellen, da der Lloyd sich beschwert hatte, daß fremde Schiffe in Brand gesteckt worden seien. Kriegsschiffe der Unionstaaten wurden nach Laquayra (Vene­zuela) beordert, da wegen der Pässe-Uebersendung an den französischen und englischen Geschäfts­träger Unruhen erwartet werden.

New-Orleans. 13. März. Ein Offizier eines englischen Handelsschiffes wurde während der Unruhen erschossen. Es herrscht große Auf­regung. Die erste Milizbrigade, 1000 Mann, wurde einberufen.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.