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Deutsches Keich.
Berlin, 9. März. Der Kaiser ist gestern abend wohlbeyalten hier wieder einge- troffen. Heute vormittag begaben sich der Kaster und die Kaiserin nach dem Mausoleum in Charlottenburg, um zum Sterbetage Kaiser Wilhelms I. am Sarge einen Kranz niederzuiegen. Das Kaijerpaar verweilte längere Zeit in stiller Andacht in der dortigen Gruft und kehrte dann nach dem hiesigen königlichen Schlosse zurück, wo der Kaiser alsbald den Vortrag des Chefs des Militärkabinets Generals v. Hahnke und später militärische Meldungen enlgegennahm.
Die ziemlich einförmig verlaufende Spezialberatung des Militäretats im Reichstage wurde am Mittwoch durch eine wenigstens in ihrem letzten Teile lebhafte große Juden- Debatte unterbrochen. Es war die Fortsetzung der am letzten „Schwerinslage" begonnenen Erörterung des konservativ-antisemitischen Antrages auf Erlaß eines Einwanderungsverbotes für ausländische Juden, und füllte die Diskussion hierüber die gesamte Miltwochsitzung aus, ohne daß allerdings wesentlich neue Gesichtspunkte in der Debatte zu Tage getreten wären. Dieselbe wurde vom nationallideralen Abgeordneten Dr. Hasse eröffnet, der in maßvoller Weise für das beantragte EinwanderungSvcrbot eintrat, im übrigen aber für seinen Antrag plaidierte, welcher auf Gewährung der Naturalisation lediglich an die im Auslande lebenden deutschen Volksmassen zielte. Der Abgeordnete Rickerl von der freisinnigen Bereinigung bekannte sich als pinzipiellen Gegner jeder Beschränkung der Judeneinwandcr- ung und betonte daneben, daß derartige Maßnahmen gegen die internationalen Verträge verstoßen würden. Dieser letzteren Auffassung pflichtete Staatssekretär v. Bötticher bei, er vermied es aber, die Stellung der Reichsregierung in der vorliegenden Frage näher zu präzisieren. Im weiteren Verlaufe der Sitzung sprachen noch die Abgeordneten v. Lieber (Zentrum) und Hermes gegen, v. Langen (Antis.) für den konservativ-antisemitischen Antrag. Dann wurde von freisinniger Seite der Antrag auf Schluß der Debatte gestellt, dieselbe ging aber schließlich weiter. Abg. Ahlwardt trug die Hauptlasten in diesem Teile der Debatte, indem er eine seiner fulminanten Reden gegen die Juden hielt, woran sich eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem Präsidenten v. Levetzow und dem Abg. Richter, welcher die Geschäftsführung des Präsidenten getadelt hatte, reihte. Auch der Rest der Sitzung gestaltete sich sehr unruhig, gereizte Bemerkungen flogen zwischen den verschiedenen Seilen hinüber und herüber. Das Ergebnis der gesamten Verhandlung war die auf Grund namentlicher Abstimmung erfolgende Ablehnung des konservativantisemitischen Antrages mit 167 gegen 51 Stimmen.
Der Reichstag nahm am Donnerstag die Spezialberatung des Marineetats wieder auf, nachdem er Tags zuvor den konservativ-antisemitischen Antrag auf Erlaß eines Verbotes der Einwanderung auswärtiger Juden durch Ablehnung definitiv erledigt hatte. Zunächst entspann sich ein hartnäckiges Wortgefecht um die in der Dienslagssitzung an die Budgetkom- Mission zurückverwiesene und von ihr genehmigte Forderung von 7000 Mark für die vorläufig außeretatsmäßig besetzte Kommandantur in Altona. Die Forderung wurde nochmals vom Kriegsminister v. Bronsart verteidigt, ihn unterstützten die Abgeordneten von Massow (kons.), v. Kardorff (freikons.), sowie die Herren Dr. Lieber und Dr. Schädler vom Zentrum, letzterer als Referent der Budgetkommijsion. während freisinnigerseits Richter und Dr. Pachnicke die Forderung bekämpften und die Haltung der Kommission in der Frage angriffen. Genehmigt wurde nach einer unerheblichen und sehr ruhigen Diskussion zwischen den Abgeordneten v. Vollmar (soz.), v. Manteuffel (kons.), Holz (Reichsp.) und Herbert (soz.) unter wiederholter Beteiligung des Kriegsmlnisters. ferner das Kapitel „Geldverpflegung der Truppen." Zu demselben lag eine Resolution der Budgetkommission vor, wonach der erfolgreiche Besuch einO Lehrerseminars die Berechtigung zum Dienste als Einjährig.
> Freiwilliger in sich schließen soll. Als Ergänzung der Resolution war von dem freisinnigen Abgeordneten Weiß, Lehrer in Fürth, ein Antrag gestellt worden, welcher verlangt, daß durch die in Aussicht gestellte Einführung des Einjährigen- Dienstes der Lehrer und Kandidaten mit nur seminaristischer Bildung denselben die Berechtigung zur Ableistung des Militärdienstes als Einjährig-Freiwillige nicht entzogen werden. In der Debatte sprachen sich die Redner aller bürgerlichen Parteien zu Gunsten der Resolution aus, auch Staatssekretär Dr. v. Bötticher äußerte sich wohlwollend zur Sache. Nur bezüglich des Antrages Weiß meinte er, letzterer sei überflüssig. der Antrag wurde schließlich auch zurückgezogen. Gegen die Stimmen der Sozialdemokraten , deren Wortführer Bebel die Resolution wegen der hierdurch erstrebten Vermchrung der Privilegien gewisser Stände bekämpft hatte, fand die Resolution Annahme. Die Erörterung über das Kapitel „Naturalverpflcgung" wurde abgebrochen. Am Schlüsse der Sitzung erteilte der Präsident dem Abgeordneten Ahlwardt einen scharfen Ordnungsruf, weil Ahlwardt in der von ihm am Mittwoch gehaltenen juden-feind- lichen Rede die Juden Raubtiere genannt hatte.
Berlin, 9. März. Der Reichstag stritt sich heute um die Naturalverpflegung der Soldaten, für die das Zentrum ausreichendes, wenn möglich warmes, Abendbrot forderte, wofür die Einstellung weiterer acht Millionen notwendig wäre. Die Regierung und sämtliche Parteien waren mit dieser Verbesserung des Loses der Soldaten völlig einverstanden, nur Eugen Richter kam wieder aus dem theoretischen Wohlwollen nicht hinaus, da er neue Steuern fürchtet. Die übrige Debatte bot wenig Bemerkenswertes. Auf eine Anregung v. Vollmars erklärt der Kriegsministcr, daß die Behörde keine Veranlassung habe, ihre Schicßversuche mit dem klein- kalibrigen Gewehr geheim zu halten, sie wolle nur nicht, daß die Ergebnisse agitatorisch verwertet würde». Darauf wurde die Beratung noch bis zur Erledigung des Ordinariums gebracht.
Berlin, 8. März. Die nationalen Parteien des Reichstags beabsichtigten, den Geburtstag des Fürsten Bismarck am I. April durch einen gemeinsamen Kommers zu feiern, für später (7. April) ist eine gemeinsame Fahrt nach Friedrichsruh in Aussicht genommen.
Im Bundesrat produziert man immer flott neue Vorlagen für den Reichstag. In der Wochenplenar-Sitzung vom 7. März wurden gleich drei neue Gesetzentwürfe den zuständigen Ausschüssen überwiesen. Dieselben beziehen sich auf die Fürsorge für Wittwen und Waisen von Personen des Soldatcnstandes und der Marine vom Feldwebel abwärts, auf elsaß-lothringische Grundbuch-Hypotheken- und Notariatsangelegenheiten und auf gewisse Schiffsvorschriflen für die Fahrt durch den Suez-Kanal.
Berlin, 9. März. Das Zentrum brachte heute im Abgeordnetenhause eine Interpellation darüber ein, ob die Staatsregierung geneigt sei, die im Jahre 1875 aufgehobenen Artikel 15. 16 und 18 der preußischen Verfassung über das Verhältnis der Kirche zum Staat wieder herzustellen.
Köln, 9. März. Gestern abend kurz nach 10 Uhr wurde fast in der ganzen Rheinprovinz eine Erderschütterung verspürt, in der Richtung von Südost nach Nordwest.
Straßburg i. E. Wenn das kleine Gewerbe und Handwerk lebensfähig bleiben und die Konkurrenz der mächtigen Groß-Jndustrie bestehen sollen, müssen sie, vorzügliche Leistungen als selbstverständlich vorausgesetzt, auch zum Maschinenbetrieb greifen. Größte Leistungsfähigkeit bei möglichst geringen Betriebskosten und wenig Raumanspruch bilden bei derartigen Maschinen für Kleinbetrieb die Hauptbedingungen. Die hiesige Maschinen-Bau-Werkstätte von Jean Hey hat nun für die bevorstehende Jndustrie- und Gewerbe-Ausstellung, neben anderen ihrer Erzeugnisse, eine ganze Kollektion solcher Maschinen (vertikale Dampfmaschinen) angemeldet, welche im Betrieb gezeigt werden sollen. Sehenswert sind auch die damit verbundenen Transmissionsanlagen.
Ratibor, 8. März. Heute morgen 7 Uhr erfolgte im Hofe des Justizgesängnisses durch den Scharfrichter Neindel die Enthauptung des Bauerngulsbcsitzers Joseph von Stwo- linski aus Lenkau im Kreise Koset. Am 23. November 1894 halte Stwolinski seine Ehefrau, mit der er in Unfrieden lebte, durch einen Schuß ins Herz getötet, wofür er vierzehn Tage darauf durch das Schwurgericht zum Tode verurteilt wurde.
Darmstadt, 6. März. Es berührt hier außerordentlich angenehm, daß die junge Kaiserin von Rußland noch Fühlung mit der heimischen Geschäftswelt unterhält. So ist kürzlich dem „Alice-Bazar" ein größerer Auftrag betreffend die Herstellung feiner Leibwäsche geworden; ferner hat die Zarin im letzte» Vierteljahr 38 Paar Stiefel aus feinem Chevreauleder von einem hiesigen Geschäft bezogen. Die bestellten Gegenstände werden direkt durch den Courier befördert.
Dur lach, 11. März. In dem benachbarten Ersingen fand gestern nachmittag eine von den Bürgern verschiedener katholischer Ge- meinden massenhaft dcfuchte Versammlung statt, in welcher unter stürmischem Beifall die Abschaffung des lateinischen Kirchengesanges und die Einführung eines deutschen Gesangbuches verlangt wurde. Beschlossen wurde, eine diesbezügliche Petition an den Landesbischof in Freiburg zu richten und im Falle der Erfolglosigkeit derselben den Kirchenbesuch zu unterlassen. Auf den Ausgang dieser Angelegenheit, die nicht verfehlen wird, in den beteiligten Kreisen uns darüber hinaus Aufsehen zu erregen, darf man gespannt sein.
Heidelberg, 7. März. Ein Mann aus Viernheim brachte ein Kind in die hiesige Augenklinik, das ohne Augen geboren ist. Das Kind ist sechs Wochen alt und ist sonst gesund. Es fehlt ihm auf beiden Seiten jegliche Spur eines Augapfels.
Aus Baden. Wie man unlauteren Wettbewerb rasch abfertigt, hat die Handelskammer in Freiburg gezeigt. Aus Pirmasens kam ein Schuhhändler namens Kaufmann und kündigte mit großem Aufwand von Reklame einen Stiefcl- ausverkauf aus einer Konkursmasse an. Hauptzugartikel waren gute doppelsohlige Herrensticfel zu 5 ^ 50 (!). Zwei Tage später erscheint
in den hiesigen Blättern eine Kundgebung der Handelskammer Freiburg, worin zur Besichtigung von zwei Paaren dieser billigen Stiesel im Schaufenster eines Freiburger Geschäfts einge- geladen wird. Die Doppelsohlen waren kunst- gerecht in ihre Bestandteile zerlegt und alle Vorübergehenden konnten die Pappendeckel-Einlagen dieser doppelsohligen Stiefel bewundern. Das Beispiel verdiehnte Nachahmung.
Ein Riesenkommers dürfte es werden, wenn eine Idee realisiert werden sollte, welche in Kriegervereinen gelegentlich der bevorstehenden Vicrteljahrhundertfeier des Feldzuges von 1870/71 aufgetaucht ist. Danach sollen alle die Kriegskameraden, welche am 1. März 1871 in Paris eingezogcn sind, am l. März 1896 Zusammenkommen. Es dürfte vies noch eine recht bedeutende Anzahl sein. An dem Einzuge nahmen seiner Zeit nach einer auf dem Lonchamps abgehaltenen Parade vor Kaiser Wilhelm I. folgende Truppen teil: Das 10., 22., 23., 32., 38.. 51.. 62 , 80 . 82., 83.. 87.. 88.. und 94. Infanterie-Regiment, die 6. und 11. Jäger, das 8. und 15. Dragoner-Regiment, das 13. und 14. Husaren-Regiment, das 6. und 11. Feld- Arlillerie-Regimenl, die 6, und II. Pioniere vom preußischen Heere, das 5, 6.. 11. und 16. Infanterie-Regiment, die 1. Ulanen, das 2. Feld-Artillerie-Regiment und die 2. Pioniere von der bayerischen Armee. Der Kommers würde in Berlin abgehalten werden.
Württemberg.
Stuttgart, 9. März. Die Kammer der Abgeordneten beendete heute die Beratung des Adreßentwurfs. Die Gesamtabstimmung ergab 61 Ja, 13 Nein; letztere wurden abgegeben von Frhr. v. Schad, Kloß, Frhr. v. Breitschwert, Frhr. v. Gültlingen, Frhr. v. Ow, Frhr. von