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Damit ist aber heute schon bewiesen, daß das Zentrum in der neuen Kammer mit seiner ersten und hauptsächlichsten Forderung nicht durch, dringen wird, auch wenn diese erst später er. hoben werden sollte. Was den Adreßentwurf selbst anbelangt, so stellt er eine ganze Reihe von Forderungen, zu deren Erfüllung die Staats­regierung nicht wenig Arbeit zu leisten haben wird. Zunächst wird eine Revision der Ver- fassung im Sinne der Beseitigung der Privi­legierten aus der zweiten Kammer verlangt, über die Beibehaltung derselben in der ersten Kammer oder deren Entfernung und anderweitige Besetzung wird geschwiegen, weil sonst der Adreß­entwurf in der zweiten Kammer keine Mehrheit finden würde, wie der Berichterstatter Friedrich Haußmann selbst zugab. Wenn die Regierung ein Proportionalwahlsystem für die 2. Kammer einführcn wolle, so werde letztere dagegen keinen grundsätzlichen Widerspruch erheben. Die Adresse verlangt auch eine freie Prüfung und Entscheid­ung der Legitimation ihrer Mitglieder, womit hauptsächlich amtlichen Wohlbeeinflussungen cnt- geqengetreten werden soll. Es wäre aber wünschenswert, wenn die Regierung das umge­kehrte Verlangen stellen würde, daß sie bei vor­gekommenen groben Wahllügen das Recht haben sollte, auch ihrerseits die Wahl in dem betr. Bezirk zu kassieren. Der Entwurf begrüßt die vom Staatsminister des Innern in einer der letzten Kammersitzungen angekündigte Absicht, die Lebenslänglichkeit aller Ortsvorsteher aufzu­heben und salviert das Gewissen gegenüber et­waigen fatalen Wirkungen dieser Aufhebung mit dem Satze:Die Erhaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei den Gemeindebehörden ent­spricht einem Anliegen weitester Kreise der würt- tembergischen Bevölkerung." Angenehm dürfte allgemein im Lande der volkswirtschaftliche Teil der Adresse berühren, welcher in der Thal all­gemein geäußerten Wünschen und dringenden Bedürfnissen entspricht. Die Plenarberatung des Adreßentwurfs wurde gleich am Dienstag den 5. März, nachmittags, begonnen und es nahm nach den die Spezialdiskussion einleitenden Worten des Berichterstatters Haußmann (Gerabronn) der Ministerpräsident v. Mitten acht das Wort, um in einer eingehenden bedeutungsvollen Rede die Stellungnahme der Regierung klarzulegen. Die Grundzüge dieser Erklärung sind: Die Regierung habe die von der Thronrede gewünschte Klärung durch die Ergebnisse der Adreßkommission er­halten, sie werde auf das Zweikammersystem und auf die Forderungen konservativer Garan­tien nicht verzichten, aber sie könne dieselben auch in der ersten Kammer suchen. Die Re­gierung wolle und werde auf Grund der neuen Situation die Führung in der Berfassungs- Revisionsfrage selbst übernehmen; sie sei bereit den Ersatz für die ausscheidenden Privilegierten in der Volkswahl und zwar durch Proportional­wahlen mit Listenskrutinum zu finden, aber sie lehne daneben eine gleichzeitige Verstärkung des Wahlrechts der größeren Städte, abgesehen von Stuttgart, ab. Zu empfehlen sei Mäßigung und Versöhnlichkeit auch gegen die Privilegierten, die an Eifer, Fleiß und Patriotismus ihren Kollegen nicht nachgestanden seien. Wenn die Frage der Verfassungsrevision in vergangenen Jahren aus der Mitte des Hauses gestellt wurde, so habe sie nie ein klares Bild ergeben; wenn sie aber von der Regierung vorgebracht wurde, so habe sich eine Mehrheit gezeigt, aber eine solche, von der die Vorlage verworfen wurde. Wie ist es jetzt? Thatsache sei, daß die Wählerschaft den­jenigen Kandidaten die Stimme gegeben habe, die sich für ein Abgeordnetenhaus als Volks­wahlkammer ausgesprochen haben. Mit dieser Thatsache habe die Regierung und ein Teil der Mitglieder zu rechnen. Die Regierung könne nicht mit einemMn possumus" in die Frage eintreten. Wenn sie aber gerne thue sie es nicht auf die Privilegierten verzichte, so müsse sie darauf bestehen, daß diese in das andere Haus hinübergenommen würden. Die Sozial- demokratie wolle keine erste Kammer, das Zen­trum wolle eine erste Kammer und zwar in möglichst unveränderter Zusammensetzung, die Bolkspartei wolle prinzipiell auch keine erste

Kammer, habe sich aber im vorigen Landtag be­reit erklärt, ihr noch eine Frist des Daseins zu gewähren, bis sie in der Lage wäre, sie zu be­seitigen. Es scheine ihm. daß es der Volks­partei nicht so sehr pressiere. Klärung gegen Klärung! Haußmann bringt seinerseits die Befriedigung über die Ausführungen des Minister­präsidenten zum Ausdruck. Er werde nach den gegebenen Erklärungen den Antrag stellen, den Absatz des Entwurfs, der sich mit dem Pro­portionalwahlsystem beschäftige, zu streichen. Redner glaubt nicht, daß die letzte Wahl so ausgefallen wäre. Die Sache würde sich anders gestalten, wenn alle Parteien Minderheits- Kandidaten aufgestellt hätten wie Sozialdemo­kratie und Zentrum, v. Sch ad erklärt, ange­sichts der überraschenden Eröffnungen des Ministerpräsidenten den Antrag stellen zu müssen, man möge die Verhandlungen abbrechen und auf übermorgen vertagen. Gröber und Hauß- mann glauben, daß genug geschehen sei, wenn sich das Haus auf morgen vertagt.

Altensteig, 5. März. In diesem Winter wurden in unserem Nachbarstädtchen Bern eck auf Veranlassung ves dortigen Geist­lichen. H. Stadtpf. Elben, sogenannte Bürger­abende ins Leben gerufen, die alle 4 Wochen in einem Gasthaus statlfinden. Bei jeder seit­herigen Versammlung wurde ein belehrender Vortrag gehalten, so von H. Lehrer und Rcnt- amtmann Schwarzmaier über die Freunde und Feinde des Landwirts in der Tierwelt, von H. Stadtpf. Elben über abergläubische Sitten und Ge­bräuche unserer Vorfahren, während H. Stadtsch. Weik praktische Belehrungen über das landwirt­schaftliche Nachbarrecht gab. Die Abende waren jedesmal gut besucht und es erwiesen sich die Zuhörer dankbar für die ihnen erteilten prak­tischen Belehrungen.

Ausland.

New-Iork. 6. März. Einem Telegramm aus Puerto de Espana, au der Antilleninsel Trinidad, zufolge ist der Geichäftsteil dieser Stadt abgebrannt. Der Schaden beträgt vier Millionen Dollars. Von einem englischen und einem amerikanischen Kriegsschiffe wurden Mann­schaften gelandet, welche den Rest der Stadt retteten.

Port-Said, 6. März. Der belgische DampferFriesland" mit 150 Vergnügungs­reisenden von New-Iork nach Jaffa unterwegs, strandete beim Hafeneingange.

Jokohama, 6. März. Die 3. japanische Division hat Anhong-Ttscheng auf dem Wege nach Mukden, ohne Widerstand zu finden, besetzt. Die Unruhen in verschiedenen Teilen Chinas nehmen allgemein zu. In der Provinz Shantung wurde General Who, der die Plünderung zu unterdrücken versuchte, von seinen Soldaten enthauptet.

Vermischtes.

Am nächsten Montag tritt eine in unserer Gegend sichtbare Mondfinsternis ein. Die Verfinsterung beginnt Morgens 2 Uhr 53 Min. und endet 6 Uhr 26 Min., die gänzliche Ver- finsterung dauert im ganzen über 1'/- Stunden und die Mitte derselben tritt um 4 Uhr 39 Min. ein. Um 3 Uhr 51 Min. tritt der Mond völlig in den Kernschatten der Erde, um 5 Uhr 27 Min. mitteleuropäische Zeit beginnt er denselben wieder zuverlassen. Da der Mond am Tage zuvor in Erdnähe kommt, so ist die Fläche des Erdschattens, die der Mond durchschneidet, ziem­lich breit und die Größe der Verfinsterung be­trägt 16 Zehntel des Mondurchmessers. Dieselbe wird hier im ganzen Verlauf sichtbar sein und ein interessantes Schauspiel darbieten. Am 26. geht der Neumond für die nördlichen Länder Europa's und Nordamerikas vor der Hellen Sonnenscheibe vorüber, so daß eine partielle Sonnenfinsternis entsteht; für Deutschland bleibt aber diese Erscheinung unsichtbar.

Aus dem Hannoverland. In voller Fahrt aus einem Eisenbahnzuge gesprungen ist ein junges Mädchen, das in Göttingen seine Niederkunft erwartet hatte. Kurz vor Bebra

öffnete sie zum großen Entsetzen der Passagiere, plötzlich die Coupethür, preßte ihr kleines Kind an die Brust und sprang hinaus. Sie siel in dichten Schnee und kam deshalb ohne Verletzung davon. Der Zug hielt sofort und die Mutter mit ihrem Kinde wurde wieder ins Coupe ge­nommen. Hier fing sie plötzlich an, irre zu reden, daß man sie bewachen und dann in ärzt­liche Behandlung geben mußte.

Fünfzehn neue Millionäre. In Bor­deaux ist der Großkaufmann Godard ohne Hinter­lassung eines Testaments und Leibeserben ge­storben. Das Vermögen von 22 Millionen Franken fällt fünfzehn in und um Angouleme ansässigen Handwerkerfamilien zu, welche den gesetzlich noch zulässigen Verwandtschaftsgrad Nachweisen konnten. Unter den 15 neuen Mil­lionären befinden sich zwei Böttcher, zwei Friseure, ein Schuster und mehrere Fabrikarbeiter.

(Der richtige Mann.) Tochter: Herr Schulz hat mir heut Nacht einen Heirattzanlrag ge­macht. Vater:Und was hast Du ihm ge- antwortet? Tochter: Ich sagte, er solle mir eine kleine Bedenkzeit lassen, und er meinte, ich könne die gewöhnlichen 30 Tage oder 5 Pro­zent bekommen. Vater (entzückt): Den nimmst Du, das ist ein tüchtiger Geschäftsmann!

Ein armer Reisender steigt in einem Hotel ab, erfährt aber, daß er mit einem Mansarden­stübchen im 5. Stock für die Nacht vorlieb nehmen muß. Als er die Treppe hinaufge­klettert, stößt er den Seufzer aus: Und das nennt man im Hotelabsteigen!"

(Preisfrage.) Schneider:Jetzt weiß ich nicht, hätt' ich dem Baron den Anzug sollen teurer berechnen, weil er so wie so nichts zahlt, oder billiger, daß ich nicht so viel verliere!"

Telegramme.

Berlin, 8. März. Die Morgenblätter melden aus London: in Toodschin bei London ermordete ein Arbeiter seine Frau, seine sechs Kinder und sich selbst.

Das Berl. Tageblatt erfährt: Der Abge- Lindmann werde in der heutigen Sitzung der Umsturzkommission den Antrag stellen, in die 2. Lesung der Vorlage überhaupt nicht einzu­treten, sondern dieselbe im Ganzen abzulehnen; es sei begründende Aussicht auf Annahme des Antrages vorhanden. Parlamentarische Kreise nehmen an, die Regierung ziehe alsbald den Antrag zurück.

Wilhelmshaven. 7. März. Wegen zu hohen Seeganges konnte die beabsichtigte Landung des Kaisers in Helgoland nicht statt« finden. Der Kaiser ist daher nach Cuxhaven weitergefahren. Der Courierdienst wird durch zwei Torpedoboote vermittelt.

Brunsbüttel, 7. März. Der Kaiser traf heute Morgen S Uhr am Brunsbütteler Kanal ein und kam 9'/» Uhr ans Land. Er besichtigte die Schleusenanlagen, ging 10'/i Uhr wieder an Bord und setzte um 12 Uhr die Reise nach Bremerhaven fort.

München, 8. März. Einem Privat­telegramme derM. N. N." zufolge aus Lud­wigshafen explodierte heute Nacht 12.25 im Bahnhofe ein Gasometer der Oelfabrik der Pfälzischen Bahn unter furchtbarem Getöse. Sämtliche Häuser der Gegend sind beschädigt.

London, 8. März. Nach einer vom Lloyd" aus New Jork eingetroffenen Depesche ist der deutsche PostdampferAbel" im Godforth- Kanal aufgefahren. Er ist leicht beschädigt und wird wahrscheinlich wieder flott gemacht werden.

Shanghai, 7. März. Blättermeldungen zufolge griffen die dritte und fünfte japanische Division am 4. März früh die Stadt Niu- tschwang von Norden an. Zahlreiche Chinesen flohen in der Richtung des Vertragshafens Jinkow. Die Chinesen hielten die Häuser und Straßen von Niutschwang besetzt, wurden aber nach hartnäckigem Widerstande nach und nach daraus vertrieben. Um 11 Uhr abends waren die Chinesen vollständig überwältigt. Die Chinesen verloren 1880 Tote und Verwundete. 600 Gefangene, 18 Geschütze und eine Menge Schießbedarf. Die Verluste der Japaner be­trugen 200 Tote und Bewundete.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.