Deutsches Reich.

Berlin. 13. Febr. Der gestrige zweite Tag der E t a t s b e r a t u n g förderte die Berat­ung fast gar nicht vorwärts. Die Debatte über die Mängel und die etwaigen Reformen des Fabrikin spektorates nahm den ganzen Tag in Anspruch und wurde namentlich von zwei sozialdemokratischen Dauerrednern bis zur Ermüdung behandelt. Zwischen hinein versuchte Herr Rösike seine Ansichten über den Boykott darzulegen und gegen jede staatliche Einmischung Einspruch zu erheben, doch wurde er an einer allzu ausführlichen Behandlung des ihm ;a sehr nahe liegenden Temas vom Präsidenten gehindert.

Der deutsche Reichstag har in letzter Woche eine Reihe von Wahlen teils bestätigt, teils kassiert. Unter den kassierten befindet sich auch diejenige des Reichstags-Abgeordneten Bantleon für den Wahlkreis Ulm, Geislingen, Heidenheim. In der Stadt Geislingen waren zwei Stromer am Rcichstagswahltag verhaftet worden; dieselben hatten kurz vorher den Auf­trag übernommen gehabt. sozialdemokratische Wahlzettel zu verteilen und da Bantlcon mit nur 9 Stimmen absoluter Mehrheit gewählt worden war, so glaubte die Reichstagsmehrheit die Möglichkeit eines anderen Ergebnisses oder mindestens einer Stichwahl nicht ausgeschlossen, wenn jene Verhaftungen nicht erfolgt wären. Nun hat also der 13. württemb. Wahlkreis das Vergnügen einer Nachwahl.

Das im Postamte in Spandau gestohlene Fäßchen mit 10,700 Mark ist wieder gefunden worden. Der Dieb ist ein älterer Beamter, Postsekretär Stättke. Er hatte Nachtdienst, ent­wendete das Fäßchen, nahm es unter seinem Kaisermantel mit heim und vergrub es im Keller unter einem Kohlenhausen. Der Verdacht war sofort auf ihn gefallen.

Aus dem Reichs lande wirdVom Lande", 1. Febr. geschrieben: Die Klagen der Gewerbetreibenden über den Hausierhandel mehren sich von Jahr zu Jahr. Derselbe hat eine Ausdehnung angenommen, von der man vor 30 Jahren nicht einmal eine Ahnung haben konnte. Der Schaden, den die Hausierenden den Gewerbetreibenden zufügen, ist aber nicht der einzige. Eine Menge kleiner Leute wird durch sie ruiniert. Noch schädlicher als der ge­wöhnliche Hausierer, der seine Ware unter dem Arme trägt, wird heute der noblere Reisende, der bloß den Muslcrkasten mit sich führt, wodurch das Schuldenmachen auf dem Lande in ganz enormer Weise gefördert wird. Ein sofortiges Bezahlen ist dabei ausgeschlossen, da doch niemand die Waren bezahlen will, ehe er sie erhalten hat. Die Schuld bleibt also stehen, bis der Reisende wieder kommt. Ehe dann aber noch ein Wort von Bezahlen geredet wird, werden schon wieder 100 Muster vorgelegt und zum Kaufen ermuntert. Die Einrede, daß man jetzt wenig Geld habe, wird sofort durch die Bemerkung niedergeschlagen, daß das gar nichts auf sich habe, das könne noch lange stehen. Geriebene Hausierer, die die Schwächen der Leute ausnützen, lassen leicht­sinnige Leute oft so lange kaufen, ohne zur Zahlung zu drängen, bis sie dieselben ganz in der Hand haben. Schon manche kleine Leute sind dadurch um ihr Vermögen gekommen. Damit wollen wir keineswegs in Abrede stellen, daß es auch brave Leute unter den Hausierern gibt. Aber das stößt den Satz nicht um, daß der Hausierhandel in seiner heutigen Gestalt ein Krebsschaden ist, der an dem Wohlstände des Volkes nagt, und wenn der Reichstag den­selben einfach durch Gesetz verbieten würde, würde dem Lande mehr gedient sein, als mit hundert anderen Gesetzen. Daß dadurch auch eine An­zahl recht einträglicher Existenzen vernichtet würde, ist selbstverständlich. Es würde dies aber nur zur Gesundung des Volkskörpers dienen, und ganz dasselbe sein wie wenn der Gärtner im Frühjahr am Baume die Wasserschösse entfernt, um den sonstigen Aesten das Leben zu erhalten.

Mannheim, 13. Febr. Ein Opfer der Elbe" Konrad Wiederhold aus Ladenburg, der seit 15 Jahren in Amerika ansässig, seit einigen Wochen zum Besuche der Eltern und Geschwister in Deutschland weilte, und vor etwa,

4 Wochen bei seiner in Heddesheim verheirateten Schwester kurze Zeit weilte, ist ebenfalls mit dem DampferElve" untergegangen. Vor wenigen Tagen traf noch ein Brief von dessen Frau aus Amerika ein mit der Bitte, er solle noch 14 Tage länger bleiben, weil in letzter Zeit so viele Unglücksfälle auf der See vorge­kommen seien.

ImPfälz. Kurier" wird folgender löbliche Vorschlag gemacht: Wie schön, sinnig und dank­bar, und für die beteiligten Postkassen rentabel wäre es, wenn seitens der Reichs-, der bayer­ischen und württembergischen Postverwaltung eine Bismarck-Marke zu 10 Pfg. hergestellt würde, die am 1. April im ganzen Reiche Giltigkeit hätte, und vielleicht das Brustbild des Fürsten und die Jahreszahlen 18151895 tragen würde. Damit wäre gleichzeitig dem Urbegründer der Reichs- und Weltpost gehuldigt. Die ge­dachte Marke fände sicher sowohl beim Publikum, als auch bei den Philatelisten des In- und Auslandes reißenden Absatz.

Württemberg.

Da die Stichwahlen vom 14. und 15. Februar die zweite Kammer vollständig machen werden, so stand nichts mehr im Wege, den Landtag auf den 20. Februar einzuberufen; freilich wird derselbe zunächst nur die Präsidiums­und Kommissionswahlen vornehmen können, um sich dann auf einige Wochen wieder zu ver­tagen. damit die einzelnen Kommissionen Zeit finden, zuerst den Etat und dann auch etwa vorliegende Gesetzentwürfe durchzubcraten.

Die 2 6 Stichwahlen, die am 14. bczw. 15. Februar stattfinden, sind in Stuttgart-Stadt, Stuttgart-Amt, Heilbronn-Stadt, Heilbronn- Amt, Besigheim, Böblingen. Cannstatt. Eßlingen, Waiblingen, Reutlingen-Amt. Calw, Oberndorf, Rottweil. Sulz, Tuttlingen. Aalen, Hall, Heiden- heim, Künzelsau, Mergentheim, Schorndorf, Welzheim, Ulm-Amt, Blaubeuren, Geislingen und Göppingen. Im Neckarkreis stehen in Lüich- wahl 6 von der Volkspartci, 5 von der deutschen Partei, 4 Sozialdemokraten und 3 Parteilose tHegelmaier, Mayer und Krauß). Im Schwarz­waldkreis 5 von der Volkspartei, 3 deutsche Partei, 2 Zentrum, 1 Landespartei und einer von derLinken". Im Jagstkreis 4 Volkspartei, 3 Zentrum, 2 deutsche Partei, 2 Landespartei. I Konservativer, 1 Parteiloser und 1 Sozial­demokrat. Im Donaukreis 3 Volkspanei, 3 deutsche Partei, 1 Zentrum und 1 Parteiloser. Im ganzen 18 von der Volkspartei, 13 deutsche Partei, 6 Zentrum, 5 Parteilose. 5 Sozial­demokraten, 3 Landcspartci, ein Konservativer und einer von derLinken".

Wahlergebnisse.

Eßlingen Stadt: Reichsgerichtsrat a. D. Geß v. 1962, Wirt Schlegel 8. 1565. Be­zirk: Geb 3494. Schlegel 3095. Geß 0. mit 400 Stimmen Mehrheit gewählt.

Heilbronn Stadt: Oberbürgermstr. Hegel­maier IV. 2211, Kaufmann Betz sr. V. 2412. Betz gewählt.

Heilbronn Amt: Münzing V. gewählt. Mayer UV. 1987, Münzing 2107.

Cannstatt Stadt: Glaser 8. gewählt. (Pfaff 3509, Glaser 3890.)

Calw, Stadt: Stadtjchultheiß Haffner v. 496, Adlerwirt Dingler V. 232. Gesamtergeb. nis: Haffner gewählt mit 2338 Stimmen, (Dingler 2088.)

Besigheim. Schmid V. mit 2442 Stimmen gewählt. Essich v. 2431.

Böblingen. Harlranft V. mit 1000 Stim­men Mehrheit gewählt. Hartranft V. 2616, (Krauß IV. 1902.)

Waiblingen. Binz V. mit etwa 300 St Mehrheit gesiegt. Die Konservativen stimmten meist für Binz.

Oberndorf. Diefenbach IN. 2397, Eckard 2. 2445. Eckard gewählt.

Reutlingen Amt: Bezirk: Krauß v. 2367, Rall V. 2322. Krauß gewählt.

Rottweil. Bürk V. mit 48 Stimmen Mehrheit gewählt.

Sulz. Bezirk: Tag V. gewählt mit 1633, Bogt 0. 1371.

Göppingen Bezirk: Erhardt V. mit 675 Stimmen Mehrheit gegen Hieber v. gewählt.

Stuttgart Amt: Kraut 3101, Baßler 2884. Kraul V. mit 500 St. Mehrheit gewählt.

Tuttlingen. Bosscler v 2179, Storz V 2660. Storz wiedergewählt.

Aalen. Rembold 2 2646, Agster 8 2633. Rembold gewählt.

Hall. Harlmann V 2626, Blezinger IV 1923. Harkmann gewählt.

Heidenheim. Bantleon 0 2268, Hähnle V 4467. Hähnle gewählt.

Künzelsau. Spieß I,p 2988, Vogt 2 2436. Spieß gewählt.

Mergentheim, v. Mittnacht I-p 2900, Hof­mann 2 1900. v. Mittnacht gewählt.

Schorndorf Schrempf L 2464, Gabler V 2354. Schrempf gewählt.

Welzheim. Hofmann v 1243, Ellinger V 1867. Ellinger gewählt.

Geislingen. Hohl I-p 3434, Schwarz 2 2776. Hohl wiedergewählt.

Ulm Amt. Haug IV 1983, Honold V 1934. j Haug gewählt.

Blaubenren. Scheer V gegen Pfeisch v mit 48 Stimmen Mehrheit gewählt.

Hienach sind in 25 Stichwahlen gewählt 6 deutsche Partei (v.), darunter der Minister Frhr. v. Mittnacht und der seitherige Kammerpräsident v. Hohl je gegen Zentrumskandidaten, 14 Mit­glieder der Volkspartei (V ), 1 Konservativer (L.)

2 Zentrumskandidaten (2.), 1 Wilder (IV.) und 1 Sozialist (8.) (Cannstatt). Die Stichwahl in Stuttgart-Stadt findet bekanntlich erst heute (15.) statt.

Stuttgart. Das Unglück, das dem LloyddampferElbe" zugestotzen, erregt in den weitesten Kreisen das größte Mitleid. In vielen Städten des deutschen Vaterlandes sind Samm­lungen eingeleitct zu Gunsten der bedürftigen Hinterbliebenen der Verunglückten. Süddeutsch­land wird hierbei nicht Zurückbleiben wollen.

Das Kassenamt des Schwäb. Merkurs ist bereit, Beiträge in Empfang zu nehmen. (Zur Empfangsnahme von Beiträgen erklärt sich auch bereit die Red. d. Enzthälers.

D AF riedrichshafen. Die Bregenzer Fischer hatten in den letzten Tagen enormes Glück durch den Fang von über 200 Ztr. Brachsen. Durch diesen Massenfang stellt sich der Preis pro Pfund auf 30 ^. pro Ztr.

25 -4L.

Nagold. Der 16 Jahre alte Wilhelm Nuding, welcher vor kurzem seiner Mutter 23 000 -4L samt Coupons zu weiteren 16 000 -4L gestohlen hat, ist in Antwerpen mit einem Teil der gestohlenen Wertpapiere verhaftet worden

Anstand. j

Der Kaiser von Oe st erreich weilt !

mit seiner Gemahlin zur Zeit, in Cap-Saint- ;

Martin in der Nähe von Nizza und wurde bei !

einem Eintreffen daselbst durch ein Begrüßungs- telegramm des Präsidenten der französischen i

Republik im Namen Frankreichs willkommen geheißen. Es ist dies zwar ein Akt der Court- oisie, aber immerhin ein Zeichen der derzeitigen friedlichen Stimmung in Paris.

In Arco (Südtirol) ist der Erzherzog Alb recht, Großvater mütterlicherseits unseres Erzherzogs Albrecht von Württemberg, nachdem er erst kürzlich eine Krankheit scheinbar gut überstanden hatte, neuerdings erkrankt, und man hegt wegen des hohen Alters des Patienten schwere Besorgnisse. Nach einem Privattelegramm aus Arco vom 12. Februar mittags ist ein tödlicher Ausgang der Krankheit unvermeidlich. Professor Notnagcl ist dorthin abgesandt.

In Rotterdam strömen täglich Tau­sende nach dem Quai, um dieCrathie" anzu­sehen, die dort im Dock liegt. Der Kapitän und die Mannschaft wurden vor ihrer Abreise von dem Unterpräfekten Rotterdams und dem britischen Konsul vernommen. Dem Heizer der Crathie" ist bei der Kollision das rechte Ohr abgerissen worden.

Petersburg, 13. Febr. Prinz Louis Napoleon, Oberstlieutenant im Dragoner­regiment Nischni-Nowgorod, ist in Anerkennung