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Von Furien gepeitscht, über den knirschenden Kies davon — ins Haus zurück.
Hügel stand noch lange und sah mit thränenumflortem Blick nach der Richtung. in welcher der letzte Schimmer ihres Hellen Ge- wandes verschwunden war. Das Mondlicht schien sich vor seinen Augen zu verdunkeln, als er sich durch die Hecke noch seinem Ruheplatz im Moos hinschlich, all der würzige Duft der Sommernacht schien ihm erstickt zu sein — und alle Zukunst sank in graue Asche zusammen, als er sich jetzt am Fuße seines Baumes zu Boden warf, den wilden Thränen freien Lauf lassend, die ihm der wahnsinnige Schmerz aus seinem Innern preßte. —
Marie war wie ein scheues, flüchtiges Reh in's Haus gehuscht, auf ihr Zimmer, das vom ersten Stockwerk in den Hof hinabsah. der den Garten von der Villa schied. Sie stellte sich an's Fenster, um ihre brennenden Wangen von der wohllhuendcn Nachtluft kühlen zu lassen. Obgleich der Seitentract des in einen Winkel gestellten Gebäudes das Mondlicht abhielt und ihr Fenster in tiefen Schalten stellte, verbarg sie sich noch hinter der Gardine, während sie über das Hofgitlcr weit nach dem Garten und dem angrenzenden Wald hinübersah, als fürchte sie, eS könne sie von dort her ein gewisser Jemand sehen, der vielleicht noch an der verbergenden Hecke stand und sein feuchtes Auge auf ihr Fenster richtete. Wenn der leichte Nachtwind in kühlenden Schwingungen ihre Stirne und ihre Lippen streifte, meinte sie fast, den lebendigen Hauch eines menschlichen Mundes zu fühlen und in dem geheimnisvollen Gesäuscl, mit welchem die bewegte Luft im Laube spielte, glaubte sie ab und zu eine leise Stimme zu vernehmen, die immer nur ein einziges Wort so bang und flehend ihr in's Ohr flüsterte, den Namen „Marie!" . . .
Sie betrachtete ihre Hand, auf der sie noch einen roten Fleck zu sehen vermeinte, noch die heiße Berührung von zwei schmachtenden Lippen darauf zu fühlen vermeinte. Es war wie ein Mal, das da auf der Hand brannte, ein Schandmal von dem Kusse — des Verbrechers . . .? Und doch wollte es sie nicht weg wischen, als scheue sie sich, damit vielleicht die Empfindungen zu zerstören, die jener Kuß erregt hatte.
Sw mochte schon länger als eine Viertelstunde am Fenster gestanden sein, als sie endlich das Bedürfnis nach Ruhe empfand. Sie war eben im Begriff sich zurückzuziehen, als sie ein leises Knurren des Hofhundes bewog, nach dem Stallgebäude hinübcrzusehen, das an den Seitenflügel der Villa angebaut war und neben seiner Thur die hölzerne Hundehütte hatte.
Sie sah eine Gestalt neben der Thüre stehen, die sich bückte, um den Hund zu streicheln, der sich schweifwedelnd an den ihm entschieden nicht Unbekannten schmiegte, den Marie jedoch, von dem weiter davon auf den Weg füllenden grellen Mondschein geblendet, im Dunkel des Mauerschattens nicht erkennen konnte. Aus der Vertraulichkeit des sonst gegen jeden Fremden sehr bösen Hundes schloß sie. daß die dunkle Gestalt dem Kutscher oder dem Gärtnerburschen angchörte, der jedenfalls aus der, unmittelbar den Stall berührenden Dienerschastskammer getreten war, deren Eingangsthür sich auf der, dem Garten zugekehrten, von Marien's Fenster also nicht sichtbaren Mauerfront befand.
Nachdem der Bursche das wachsame Tier durch seine Liebkosungen völlig beruhigt hatte, ging er mit vorsichtigen Schritten, sich immer sehr sorgfältig im dichten Schalken des Seitengebäudes hallend, nach dem kleinen Teil des GarlengitterS, der, noch im Dunkel liegend, längs des Rasenzwickels hinlief, welcher, im Gegensätze zu den übrigen, greübeleuchteten Gartenpartieen, ebenfalls im dichten Schatten lag. Er stieg über das niedrige Holzgitter, überschritt den dunklen Rasen und schlüpfte dann durch den lebendigen Zaun auf den Pfad hin- aus, der zwischen Ganen, Feld und Wald nach den Hopfenpflanzungcn und der Straße hinlief. In wenigen Sekunden war die Gestalt den nachsehenden Blicken Marien's entschwunden.
Der Mann ging vielleicht zu einem nächt
lichen Rendez-vous, Marie schloß daraus, daß es der Kutscher war, ein junger Mensch, der bei den weiblichen Dienstboten der benachbarten Villen als ein kleiner Don Juan galt und ähnlicher nächtlichen Liebesausflüge wegen schon mehrmals die Verweise Herrn Sendler'L hatte hinnehmen müssen.
„Leichtsinniger Bursche!" flüsterte Marie mit einem Lächeln, dann ging sie zurück in das Zimmer, um endlich ihr Lager aufzusuchen. —
Hügel fühlte sich so nervös aufgeregt, daß er trotz der Müdigkeit, die seine Glieder be- schwerde, nicht zur Ruhe kommen konnte. Er hatte sich zwar mit geschlossenen Augen auf seinen Ranzen geworfen und war auch allmählich in eine Art Halbschlummer gesunken, aber es lag nichts Erquickendes in diesem wunder- lichen Zustande, der kein Wachen und noch weniger ein Schlaf genannt werden konnte. Er verlor keinen Augenblick das Bewußtsein seiner Lage und seiner Umgebung, aber seine Phantasie, der geist'ge Nebel, der seine Sinne umschleierte, flocht dennoch bizarre Traumbilder in die reale Wirklichkeit, welche er nie ganz aus seiner Wahrnehmung verlor. Er glaubte, er könne die Minuten zählen, den ganzen Gang der vorüberziehenden Zeit ermessen, als läge er mit offenen Augen da. Aber er wußte nicht, daß dies eine Täuschung war, daß der Zeitraum, den er auf die Ausdehnung einer Stunde be- maß, nur wenige Minuten ausfüllte. In diesem halben Traumleben hielt er immer ängstlich die Bemühung aufrecht, nur ja nicht den Tagesanbruch zu verschlafen, damit er nicht von zufällig Vorüberwandelnden hier — dicht an dem Besitztum Herrn Sendlcr's getroffen werde, woraus man vielleicht doch einige kompromittierende Mutmaßungen gegen Marie gezogen hätte. Er schalt in diesem Halbwachen Zustande auf sich selber, daß er den Platz nicht verlassen und fern davon sich eine Ruhestätte gesucht hatte, aber er vermochte sich in seiner Müdigkeit nicht aufzuraffen, um dieses Versäumnis etwa jetzt noch nachzuholen. Ganz in die Gedanken an seine heutigen Erlebnisse versenkt, magnetisch in die Nähe der noch immer so heiß Geliebten gebannt. war er, nachdem er sich von Marie getrennt hatte, hier in seinen sonderbaren Halbschlummer gefallen, ohne recht zu wissen, wie und wann. Jetzt war in ihm nur das Bestreben wach, de» Sonnenaufgang nicht zu versäumen, und ebensogut wie er wußte, daß er schlummere und sich nicht aufrasfen könne, ebensogut und genau wußte er, daß ihn der erste Strahl des andämmerndcn Tages wecken werde; und in diesem Bemühen, zur rechten Zeit sein eigenes zwitterhaftes Hindämmern zwischen Schlaf und Wachen zu beenden, kontrollierte er die verrinnenden Stunden oder — glaubte sie vielmehr zu kontrollieren.
So meinte er schon Stunden verträumt zu haben und dem Morgen sehr nahegerückt zu sein, als er durch die geschlossenen Augenlider das Frührot anbrechen sah. Ja, dort ferne am Horizont stieg die junge Glut der Sonne empor — aber heule merkwürdig rasch. Oder sollte es eine Traumvision sein? Vielleicht, denn er konnte trotz seines Bemühens den bleiernen Schlummer nicht abschütteln. Endlich machte er eine gewaltsame Anstrengung. Mein Gott! hatte er am Ende doch verschlafen? Da stand ja die Sonne schon in grellem Rot am Himmel und übergoß die ganze Erde mit ihrem purpurnen Schein. Er riß die Augen auf, sprang empor und sah — einen Moment noch ohne deutliches Bewußtsein — vor sich hin , . -
Mit einem Schrei des Entsetzens zuckte er zusammen.
Was da so hell und warm wie Sonnenglut vor ihm aufgcstiegen zu sein schien, war nicht das segenspendende Licht des Sommertages — ein greller, roter Schein flammte vor seinen Augen, gelbe Funken, gclbrote Zungen flackerten da zwischen den Bäumen des Scndlcr- schen Gartens; dos war Feuer ... ein Teil der Villa stand in Flammen, lichterloh, prasselnd und zischend, den von dem gefräßigen Element noch nicht angegriffenen Hauptlract in dichte
Rauchschwaden und rote Glühreflcxe hüllend, daß man nicht unterscheiden konnte, was da brannte und was blos den Flammenschein widerspiegclte. Ein gräßlich schönes Schauspiel!
(Fortsetzung folgt.)
In einem Neuenburgischen Dorfe in der Schweiz starb eine alte Jungfer, die ihr Leben mit Betteln gefristet hatte. Als man an die Reinigung ihres gänzlich verwahrlosten Schlafraumes ging, fand man unter der Lagerstätte in alten Strümpfen eine Summe Geldes von nahezu 100 000 Franken.
Der älteste Mann der Schweiz ist am 5. d. Mts. in Longirod (im waadtländischen Jura) gestorben. Er hieß Cathelaz und war 1791 geboren, ist also 104 Jahre alt geworden.
Welch wichtigen Faktor die Streichhölzchen im volkswirtschaftlichen Leben einnehmen, geht aus der Angabe eines englischen Statistikers hervor, der, wie das Patent- und technische Bureau von Richard Luders in Görlitz milteilt, den täglichen Verbrauch Europas an Streichhölzchen auf 2 Milliarden angiebt. Berechnet man das Gewicht eines Streichhölzchens nur mit '/,» Gramm, so ergiebt das für die eben erwähnte Verbrauchszahl das respektable Gewicht von 200 000 Kilogramm. Nach der weiteren Angabe dieses Statistikers verbraucht Deutschland verhältnismäßig am meisten Streichhölzchen, denn cs beträgt die durchschnittliche tägliche Verbrauchszahl pro Kopf in Deutschland 12, in Belgien 9, in England 8 und in Frankreich sogar nur 6 Stück. Es verbraucht mithin ein Deutscher im Durchschnitt gerade noch einmal so viel Streichhölzchen als ein Franzose.
(Wißbegierig.) „Wie viel kostet's in die Stadt?" — „l 50 Bitr' schön." — „Ich danke. Ich wollte nur wissen, wie viel ich erspare, wenn ich zu Fuß gehe!"
sEin Pessimistisch.) „Ich sage Dir, ich liebe die kleine Emilie, ich kann ohne sie nicht leben!" — „Heirate sie und Du wirst sehen, daß Du mit ihr nicht leben kannst!"
(Anspielung.) Leutenqnt (der ein Pferd kauft, zu seinem Kameraden): „Nun, wie gefällt Ihnen der Fuchs?" — „Den Kopf sollte er etwas höher tragen!" — Händler: „O, wenn er mal is bezahlt, wird er schon stolzer!"
(Erkannt.) Gigerl: „Wie lange, Herr Professor, kann wohl ein Mensch ohne Gehirn leben?" — „Das kommt darauf an. Wie alt sind Sie denn?"
Telegramme.
Paris, 12. Febr. Der „Figaro" schreibt: „Erkundigungen, die der deutsche Kaiser bei dem Berliner Agenten der Transatlantischen Gesellschaft über den Verbleib der „Gascogne" hat cinziehen lassen, werden die Herzen der Franzosen mit jener unwillkürlichen Erschütterung erfüllen, die großmütige Handlungen Hervorrufen. Wir bedurften dieser Höflichkeit nicht, um zu dem Urteil zu gelangen, daß Wilhelm II. ein Mann von großer moralischer Stärke ist. Leider ist er ein Feind, aber er gehört zu den Feinden, die man achtet. Er weiß, daß man nicht viele solcher Kundgebungen gebraucht, um ein Ergebnis zu erzielen, das eine gewandte Diplomatie erreichen konnte, nämlich die eherne Mauer mißverstandener Ränke und Eifersüchteleien zu zerstöre», die seit 1871 zwischen beiden Völkern entstanden ist. Ein G.müt, das dem Mitleid offen ist, verschließt sich niemals völlig der Gerechtigkeit."
Paris, 12. Febr. Die amtliche Untersuchung über die Ursachen des Grubenunglücks in Montceau-les-MineS hat zweien Ingenieuren die Schuld beigcmeffen. Diese Nachricht erregte in der Bevölkerung große Aufregung.
Wei-Hai-Wei, 12. Febr. Der Angriff der Japaner auf die chinesischen Forts der Insel Liu-Kung-Tau am Mittwoch war nicht ganz erfolgreich. Es gelang ihnen noch nicht, die drei stärksten Forts zu nehmen. Am Donnerstag wurde die Beschießung wieder ausgenommen. Ein Fort wurde durch eine Explosion vollkommen zerstört. Am 9. Februar fetzten die Japaner den Kampf fort.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.