zogen ist? Wohnt sie vielleicht wo anders in diesem Hause?«

Das Mädchen dachte nach und schüttelte zweifelnd den Kopf. Da trat von dem Neben, zimmer. das als Werkstätte diente, ein kleiner, bärtiger Mann in Hemdsärmeln und in Leder- schurzfell auf die Schwelle der Küche.

Was wollen Sie hier?« fragte er ziemlich barsch.

Leopold zog seinen Hut und trat näher, seine Erkundigungs-Frage schüchtern wieder- holend. Sein Herz pochte in unerklärlicher, namenloser Angst. Er sah in die Werkstatt das war noch dos alte Zimmer, wo er des Abends mit seiner Mutter beim traulichen Lampenschein zu plaudern pflegte, aber jetzt blickte es ihn in seiner Unordnung, mit seinen schmutzigen, rohen Möbeln fremdartig an. Zwei kleine Knaben balgten sich zwischen umgeworfenen Dreifüßen und Lederabfällen aus der Diele, und in der Fcnstcrecke stand ein bleiches, junges Weib, mit einem Kind auf dem Arme, das sie durch eine eintönige Melodie und ein wiegendes Hinundherschaukeln ihres Körpers in Schlaf zu lullen suchte. Aus dem anstoßenden Zimmer klangen die leisen, abgerissenen Töne einer kratzenden Fidel, auf der ein offenbarer Anfänger die ersten Exerzitien verübte. Leopold konnte sich keine Rechenschaft darüber geben, warum ihn diese ganze Scenerie mit einer so tiefen, wehmütigen Trostlosigkeit, mit einem so bitteren Gefühle der Verlassenheit erfüllte.

Sie suchen die Wittwe Hügel? Ja, das war unsere Vorgängerin in dieser Wohnung.« gab der Schuhmacher zur Auskunft.

Und wissen Sie nicht, wo die Dame hin­gezogen ist?« fragte Leopold, den Atem an­haltend und seine Augen auf die bärtigen Lippen des Handwerkers heftend, als erwarte er von diesen einen Urteilsspruch auf Leben und Tod

Frau Hügel? Die ist ja gestorben, so glaube ich wenigstens. He, Annaliese, ist es nicht so?« wandte sich Meister Ebeling an die Frau in der Fensterecke, seine Ehehälfte, die jetzt, mit dem Säugling auf dem Arm, ebenfalls an die Schwelle der Küche kam.

Heiliger Gott, was ist Ihnen denn?" schrie sie auf. als sie sah, daß sich der Fremde an die Thürfüllung lehnte, todenblaß, am ganzen Leibe zitternd, während ein krampfhaftes Zucken stoßweiße seine Kehle erschütterte und seine Lippen verzerrte.

Tot tot die Mutter!« schluchzte er auf und schloß die Augen.

Ihre Mutter?« fragte der Schuster er­staunt und reichte ihm die Hand zur Unter­stützung. um ihn nicht umsinken zu lassen.

Seine Frau warf indessen einen durch­dringenden Blick auf Leopotd's Gesicht, ihre Miene nahm einen geheimnisvollen Ausdruck an, dann beugte sie sich zu ihrem Manne hin und flüsterte ihm hastig einige Worte in's Ohr, worauf der Schuster überrascht zurücktrat und bald seine Frau, bald den Fremden anstarrte, der jetzt die Hand über die Augen führte und sich, so gut es gehen wollte, aufrichtete, um sich zu entfernen.

Sie Sie sind der Leopold Hügel, der Buchhalter von Sendler u. Comp., der der damals vor zwei Jahren-?«

Ja. ich bin's!« sagte Hügel mit einem bitteren Lachen; es bereitete ihm eine Art grau­samer Selbstmarter, sich sein Elend, seine ge­drückte Lage so recht deutlich vor Augen zu halten.Ich bin der Verurteilte der ent­lassene Sträfling!«

Keines sprach ein Wort. Mann und Weib, das achtjährige Mädchen, das ihm geöffnet hatte, und selbst die beiden Buben, die ihre Rauferei beendigten, um herauszutreten und den seltsamen Gast anzugaffen, sie alle standen sprachlos um ihn und beobachteten ihn mit Blicken scheuer Neugier, wie ein fremdländisches Raubtier. Nur die jämmerliche Fidel kreischte und wimmerte noch aus dem Nebengemache und begleitete mit ihrem unharmonischen Singsang das regelmäßige Ticken der großen Schwarzwälder Uhr über der Arbeitstreppe in der Schusterwerkstatt.

Und seit wann ist denn meine Mutter

schon nicht mehr hier?« fragte Hügel endlich wieder.

Nun, es müssen schon so an zwanzig Monate sein," war die zögernde Erwiderung, wenigstens wohnen wir bereits so lange da.«

Man sagt, die alte Frau sei gleich ge­storben, nachdem

Leopold blicktedie Schusterfrau, die in einer Anwandlung von Zartgefühl abbrach, entsetzt an. Ah er wußte, was sie hatte (sagen wollen, ja, er hätte es auch gewußt, wenn sie ihm kein Wort davon angedeutct hätte: Seine Mutter war am gebrochenen Herzen gestorben, aus Gram über das schmachvolle Schicksal, das ihren einzigen, geliebten Sohn getroffen und sie hatte den Glauben an die ihm zur Last gelegte Schuld mit in's Grab genommen. . . .

Er wußte nicht, wie er von der Schuster­familie los- und durch Corridor, Treppe und Flur auf die Straße hinausgekommen war, aber plötzlich stand er da, vor dem Hause auf dem holperigen Pflaster, unter den Fenstern von seiner Mutter Sterbezimmer.

(Fortsetzung folgt.)

Ueber den Ursprung des Krieges 1870

ist in letzter Zeit mehr geschrieben, als zur Be- schaffung deS historischen Materials erforderlich war. Handelte es sich doch auch nicht mehr um Geschichtsforschung, sondern um politische Ver­dächtigung. Fürst Bismarck sollte der frevelhafte Urheber dieses Krieges gewesen sein. Soeben ist nun eine neue, überraschende Enthüllung zur Geschichte des Krieges von 1870 bekannt ge­worden. Der König Karl von Rumänien hat Memoirenbruchstücke aus seinem Leben ver­öffentlicht, die zahlreiche Depeschen und Auf­zeichnungen über die Kandidatur seines Bruders, des Prinzen Leopold von Hohenzollern, auf den spanischen Thron enthalten. Aus denselben geht unzweifelhaft hervor, daß Fürst Bismarck mit großer Wärme für den Gedanken eingetreten war, einen deutschen Fürsten auf dem spanischen Königsthrone zu sehen. Aus politischen wie aus Gründen des Staatsinteresses hatte er sowohl den Widerwillen des Erbprinzen Leopold als auch den König Wilhelms gegen diese Thron­besteigung überwunden. Bismarck hat also Frank­reich nicht zum Kriege reizen wollen, sondern hat die Thronkandidatur erst genommen, und zwar vorzugsweise deswegen, weil er gerade dadurch den Frieden zu erhalten hoffte, daß im Rücken Frankreichs ein deutscher Fürst herrschte. Andererseits mußte er aber darauf gefaßt sein, daß die Franzosen in der Besteigung des spani­schen Thrones durch einen deutschen Prinzen eine Provokation erblicken würden. Die Stimm­ung der Franzosen zu ändern, lag jedoch nicht in Bismarcks Macht. Sie hätten in unzähligen anderen Dingen ebenso eine Provokation seitens Deutschlands erblicken können. Für den Fall stand Deutschland gerüstet da. Die Memoiren König Karls bestätigen also nur, was für Die­jenigen keinem Zweifel unterliegt, die nicht auf dem Boden toter Geschichtsforschung, sondern auf dem selbsterlebter, lebendiger Geschichte stehen, daß der Krieg unvermeidlich gewordcn und aus den Verhältnissen selbst entstanden war. Wenn nicht die spanische Thronkandidatur, so hätte eine andere Ursache den Bruch herbeigesührt.

Vom 5. Febr ab erwartet Prof. Falb noch trockenes Wetter und ziemliche Kälte bis zum 6. (kritischer Tag I. Ordnung), worauf etwa um den 12. die Niederschläge sich als Schneefälle erneuern und die Temperatur teil­weise steigen dürfte. Im ganzen wird der Febr. verhältnismäßig trocken verlaufen. Im Süden sei vom 10.15. größere Kälte zu erwarten.

Als eine Mahnung zur Vorsicht geben wir aus derKöln. Ztg.« an dieser Stelle die Meldung wieder, daß der Fabrikant Walther Richard Schüll aus Düren, der bei dem Unter­gang des DampfersElbe« seinen Tod gefunden hat, bei der Kölnischen Unfallversicherungsaktien- gcseüschaft mit hunderttausend Mark versichert war. Die Hinterbliebenen werden ihm immer dafür dankbar sein, und ihm hat der Gedanke daran vielleicht das Sterben erleichtert.

Das Fahrrad in der Armee dürfte durch die Erfindung der Firma Charles Morel in ein ganz neues Stadium der Verwendung ge­treten sein, da die genannte Firma ein Rad konstruiert hat, welches total zusammengelegt werden kann und hinsichtlich Volumen und Ge­wichts aui ein Minimum reduzierbar ist. Als Gestell besitzt die Maschine ein einziges kräftiges Verbindungsrohr, welches auseinandergezogen und umgeklappt werden kann. Die ganze Ope­ration der Umwandlung läßt sich genau in einer Minute erledigen; dabei ist das Hauptrohr so solide als das gewöhnliche Gestell und nützt sich durch daS ohne Schlüssel zu bewerkstelligende Auf- und Zuschreiben nicht ab. Der große Vorzug dieser Maschine ist derjenige, daß sie zusammengelegt einen ganz geringen Raum ein­nimmt; man kann sie Treppen hinauftragen, in einen Schrank stellen, nnd überall hin und ohne Umstände mit sich nehmen.

sAuls (Im Zoologischen Garten.) A.! Du, der Bär da scheint Ungeziefer zu haben: B.: Ich glaube auch; das Thier erinnert mich an einen französischen Schriftsteller. A.: So! an wen denn? B.: Na, natürlich an Flaubertl (Flohbär.)

sEbcn Varum sWarum so traurig?«> Meine Frau har soeben von Scheidung ge­sprochen.««Geh', das thut sie ja doch nicht.«Darum bin ich ja so traurig ge­stimmt!««

(Der Rächer seiner Ehre.) Schmieren- Direktor:Nu hären Se, das is Sie aber ä ganz golossalc Unverfrorenheit so mir nischt dir nischt meine Frau. Ihre Direktorin, zu kiffen! Wissen Sie, wenn das noch ä mal bassiert, Sie verflixtes Luderchen, da muß ich Sie aber fak­tisch entlassen; for dies Mal bezahlen Sie eene Mark Strafe. Bunkdum!«

Telegramme.

Berlin, 6. Febr. Die Geschäftsordnungs- kommijsion desReichstags lehnte mit 7 gegen 7 Stimmen die Anträge Levetzow's auf Herab- ; setzung der Bcschlußfähigkeitsziffer sowie auf Vcr- i lesung bei namentlichen Abstimmungen oder ! Namensaufruf der fehlenden Mitglieder ab. Ferner wurde mit 7 gegen 7 Stimmen der An­trag Roeren abgelehnt, welcher besagt: Wegen gröblicher Verletzung der Ordnung kann ein Mit­glied vom Präsidenten von einer Sitzung aus» ° geschlossen werden, eine Abstimmung darf während der Dauer der Ausschließung, ausgenommen in l Geschäftsordnungsfragen, nicht erfolgen.

Berlin, 6. Febr. Die Morgenblätter berichten aus Breslau: Die Schlußabrechnung des 8. deutschen Turnfestes crgiebt ein Defizit von ca. 25 000 Mark, welches durch die von der Stadt Breslau gezeichnete Garantie von i

gleicher Höhe gedeckt ist.

DerBert. Lokal-Anz.« meldet aus Strem- ^ berg: In Holstein verbrannten in einem Hause anläßlich eines Zimmerbrandes 4 Kinder. ,

Stuttgart. 6. Februar. Vor ca. 10 Tagen entwich von hier der bei einer General- Agentur einer auswärtigen größeren Versicher­ungs-Gesellschaft angestellte verheiratete Beamte Brauwais, nach Unterschlagung von ca. 1000 ^ !

Derselbe hat sich nun aller Mittel entdlöst, in , Berlin freiwillig der Behörde gestellt und die t Unterschläufe eingestanden. Ec wird zur Ab» ! urteilung hierher gebracht. j

Paris, 6. Febr. König Alexander von Serbien ist gestern Abend hier abgereist. ^

Vorher ließ er einen Kranz am Sarge des > Marschalls Canrobert niedcrlegcn.

Konstantinopcl, 6. Febr. Offiziell wird gemeldet: Am 31. Januar kamen 6 Cholera­fälle vor, davon verliefen 2 tätlich. lx

Brooklyn, 6. Februar. Die Unruhen - während des Tramwaystreikcs waren gestern , abend heftiger als je. Seit dem Abmarsch der Miliz griffen die Einwohner die Tramwaywagen i an und mißhandelten die neu Angestellten. 20 '

Verhaftungen wurden vorgenommen.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbnri.