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drohen die Linien, durchschnciden die Drähte und schleudern Steine gegen die Miliz und die Beamten. Das Publikum stellt sich immer mehr auf die Seite der Streikenden, da die Gesellschaft sich durch ihren Hochmut und ihre ablehnende Haltung allen Vermittelungsoersuchen gegenüber sehr unbeliebt macht; ein New-Iorker Theater gab bereits eine Vorstellung zum Besten der Ausständigen.

Aus Frankreich, 25. Januar. Gestern tötete ein Fahrgast in der Nähe von Fontaine­bleau eine Nonne in einem Eisenbahnabteil zweiter Klasse und verwundete mehrere andere Personen mit Revolverschüssen. Wie es sich jetzt herausstellt, war der Mörder, ein Fuhrmann aus Paris, namens August Jacquemard plötz­lich wahnsinnig geworden.

Anterhattender Heil.

Schlechter.Leumund.

Kriminal-Novelle von Karl Ed. Klopfer.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Leopold wollte etwas erwidern, aber er suchte vergebens nach Worten. Er siel nach einem mühsamen inneren Ringen auf seinen Stuhl zurück und versank in verzweifelte Apatie. Sendler betrachtete ihn mit einem Gefühl, das aus Grauen und Mitleid gemischt war, indessen Weller mit einem bedeutsamen Wmk nach seinem Hute griff und hinausging ohne Verzug die beschlossene Visitation im Hause des Buchhalters vornehmen zu lassen.

Der alte Kaufherr machte nochmals den Versuch, den jungen Mann zu einem Geständnis zu bewegen, aber dieser blieb stumm; eine nieder­drückende Erschlaffung. eine seelische Abspann­ung schien über ihn gekommen, die seinen Mut wie seine Zunge lähmte: er war entschlossen, dem Verhängnis seinen Lauf zu lassen, er hatte nichts vorzubringen, um denselben einzudämmen es mochte geschehen, was da wolle!

Weller suchte den Amtmann Ramberg auf, den Rechlspsieger des Städtchens, und teilte ihm sehr schonend mit, daß man einen Verdacht auf den jungen Buchhalter Leopold Hügel geworfen habe, einen Verdacht, der durch das Ergebnis einer Hausdurchsuchung bestärkt oder entkräftet werden könne; kurz, er war so rücksichtsvoll, Hügel noch immer die gewisse Hinterthür eines Geständnisses offen zu lassen, indem er verschwieg, welche gravierende Indizien bereits gegen ihn Vorlagen, sondern immer nur von Mutmaßungen sprach, die dem davon Betroffenen noch nicht bekannt seien. Der Amtmann, der Hügel per­sönlich kannte und hochschätzte, war sehr frap­piert und begab sich in angemessener Begleitung unverzüglich nach dem Hause der Wittwe Hügel, wohin chm auch Weller später nachfolgte, nach­dem er vorerst seine eigene Wohnung, zur Be­sorgung eines dringenden Geschäftes, aufgesucht hatte.

Frau Hügel war nicht wenig konsterniert, als die Amtspersonen bei ihr eintraten und den Zweck ihres Besuches erklärten. Amtmann Ram­berg und der später hinzukommcnde Weller be­ruhigten sie, so gut sie es vermochten, erklärten die Prozedur nur als eine leere Formalität, die geheim bleiben solle u. s. w. Die beiden Herren beschwichtigten sie mit den absurdesten Sophis­men, während die Gerichtsdiener das Neben­zimmer, diegute Stube", einer genauen Visi­tation unterzogen. Plötzlich erschien der eine der Beamten mit ernster Miene auf der Schwelle und machte eine bedeutsame Geberde. Weller und Ramberg sahen sich an.

Man ruft Sie, Herr Doktor! Gehen Sie ich will einstweilen bei Madame Hügel bleiben!"

Zwei Minuten später kehrte der Amtmann zurück und erklärte die Amtshandlung für beendet. Während er sich von der Wittwe empfahl, ent­ging es Weller nicht, daß in seiner Miene der Ausdruck einer schlecht verhohlenen Bestürzung lag.

Im Thorwege überreichte Ramberg seinem Begleiter ein dickes Papierkouvert.

Das dürfte Ihren Verdacht wohl bestätigen," sagte er gepreßt.

Weller zog ein Päckchen hochwertiger Bank­noten aus der Papierumhüllung. Es mochten etwas mehr als 10000 Mark sein.

Ah!" rief er überrascht.Das haben Sie da oben gefunden?"

Ja unter dem Rückwand-Bezug des Canapees. Es wurde nur durch einen wunder­baren Zufall entdeckt. Der eine Polizeidiener erinnerte sich nämlich, in einem zerrissenen Stuhl- bezuge einmal, anläßlich eines ähnlichen Falles, das eorxrw delicti gefunden zu haben. Ein Riß in dem Sophastoffs nächst der Wand brachte ihn nun auf die Idee, das Tuch aufzuschneiden Sie sehen mit welchem ausgezeichneten Er­folge."

Im ersten Bureauzimmer bat Weller den Amtmann, noch einen Augenblick zu verweilen; er wolle vorerst sich Gewißheit verschaffen, ob die Erklärung, die der in Verdacht Gesetzte bezüglich des Vorgefundenen Geldes geben werde, nicht doch noch eine offizielle An­zeige überflüssig mache. Dr Ramberg fügte sich um so williger, als er von ganzem Herzen wünschte, der ihm so sympatische junge Mann möge sich genügend rechtfertigen können, um sein Offizielles Einschreiten als Amtsperson ent­behrlich zu machen. Jetzt konnte er noch die Rücksicht des Privatmannes gelten lassen, so lange Hügel nicht direkt angeklagt wurde.

Weller, an dessen Lippen die Augen von Sendler und Leopold mit unverhohlener Spann­ung hingen, trat schweigend an den Schreibtisch seines Compagnons und nahm die Kassenscheine aus dem Papierkouvert. Sowohl der Buchhalter, als auch der alte Kaufherr prallten mit einem leisen Schrei der Ueberraschung zurück.

Sie sehen, Herr Hügel," sagte Weller ganz gleichmütig,daß Ihre Schlauheit besiegt ist und haben freilich Grund zu erschrecken. Wollen Sie jetzt noch leugnen?"

Leopold griff sich an die Stirne, als wolle er sich besinnen, ob er nicht träume, oder ob er nicht am Ende thatsächlich in einem Anfalle von Geistesabwesenheit das ihm »indizierte Ver­brechen begangen habe. Sendler sah ihn ernst und strafend an; ein Seufzer entrang sich seiner Brust jetzt war ja die ganze Schuld erwiesen.

Zählen Sie nach, Herr Sendler, es sind fast elftausend Mark! die restlichen dreitausend Mark haben Sie also wohl schon verbraucht, Herr Hügel?"

Um Christi willen," stammelte der Un­glückliche, wie ist mir denn?! Das soll wirklich bei mir in meinem Hause gefunden worden sein?"

Amtmann Ramberg kann es bestätigen. Seine Leute entdeckten das Geld im Divan ver­borgen. Wollen Sie ihre famose Verteidigung vielleicht so weit führen, daß Sie behaupten, es wäre von selber dahin gekommen?"

Gott steh' mir bei! Ich weiß nicht ich finde keine Erklärung hiefür, aber ich bin schuldlos! Wäre es nicht möglich meine Mutter kaufte diese Möbel bei einem Trödler, als wir in diese Stadt zogen wäre es nicht denkbar, daß das Geld schon vorher in dem Sofa stak, daß es von einem früheren, vielleicht rasch verstorbenen Besitzer dieses Möbelstückes herrührte? Sie sehen ja, es ist auch nicht die gleiche Summe, welche"

Er mußte wohl selbst einsehen, wie hinfällig diese Annahme sei. denn er brach ab und versank wieder in sein stumpfes Hinbrüken-

Weller hielt es nicht der Mühe wert, die Argumente Hügel's anders, als durch ein kurzes Achselzucken abzuweisen.

Hügel, lassen Sie die Ausflüchte." sagte Sendler bewegt,legen Sie ein offenes Be­kenntnis ab dann gäbe es noch eine Rettung für"

Nein!" unterbrach ihn da sein Compagnon mit starker Stimme und schlug energisch auf den Tisch;nein, jetzt käme auch ein Geständnis schon zu spät, das unter solchen Umständen ein sehr wohlfeiler Rückzug wäre. Ob er nun ge­steht oder nicht das Gesetz soll über ihn entscheiden. Er soll durch seine bisherige Hals­starrigkeit, durch den Cynismus, mit welchem er uns gleichsam zum Narren hielt, durch seinen Undank das finden, was ihm gebührt. Hätte

er das Geld verspielt, dann wollte ich gerne ein Auge zudrücken, aber er hat es sich als künftigen Fonds bei Seite geräumt, er dachte uns in seiner lhörichten Zuversicht auf seine bislang bewährte Ehrlichkeit vielleicht doch noch mit so albernen Märchen wie einem Diebstahl von fremden Händen zu täuschen; oder er ver- gaß vielleicht im Drang der Geschäfte in letzter Zeit, das Manquv durch eine' falsche Buchung zu verbergen, die Entdeckung hinauszuschieben. Kurz Herr Leopold Hügel ist nicht mehr bloß ein leichtsinniger Spekulant, der durch das Fehlschlagen seiner Pläne zur Malversation verleitet wurde, sondern ein gemeiner, raffi­nierter Dieb!"

Hügel fuhr mit einem Schrei verzweifelter Wut empor und stürzte auf den Sprecher zu, als wollte er ihn für dieses Wort ins Gesicht schlagen, aber der strenge Blick Weller's, seine energische Haltung ließen ihn zurücktaumeln. Er lehnte sich mit einem unartikulierten Lallen an die Wand und sank daran ohnmächtig zu Boden.

Sendler, der seinem Compagnon nicht zu widersprechen gewagt hatte, eilte jetzt herzu und versuchte, den Gestürzten aufzurichlen. Weller ging festen Schrittes zur Thür und winkle den im Nebenzimmer Harrenden herein.

Herr Amtmann, bitte, treffen Sie Ihre Maßregeln, diesen Mann, als der Veruntreuung überwiesen, in Haft zu nehmen!" . . .

(Fortsetzung folgt.)

Mahlzeit Herr Kaiser!" Eine drollige Episode spielte sich am Donnerstag vor den Augen der Passanten der Thiergarlenstraße in Berlin ab. Als gegen 4 Uhr die kaiserlichen Majestäten auf einer Spazierfahrt begriffen die genannte Straße passierten, lagen an der Ecke der Bendicrstraße 3 kleine Knaben der wichtigen Beschäftigung des Schneeballwerfens ob. Beim Erblicken des kaiserlichen Gefährtes ließen sie von ihrem Spiel ab und liefen an den Straßen­damm. In dem Moment nun, als der Wagen vorbeifuhr, rief der kleinste der drei Knirpse, seine Mütze schwenkend:Mahlzeit Herr Kaiser!" Der Monarch schien diesen etwas unzeremoniellen Gruß gehört zu haben, denn er wandte sich lächelnd zu seiner Gemahlin.

(Bei der Audienzj. . . . Ihr Geburts­ort, Herr Bürgermeister, liegt also unmittelbar an unserer Grenze?"Zu dienen, Hoheit! Ich bin dem Himmel dafür unendlich dankbar denn wie leicht hän' ich auf der andere,» Seite geboren werden können!"

(Empfindlich.) A.:Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen in allen Vorträgen des Professors Schreier bemerken Sie den roten Faden, der . ." Ein Zuhörer (rothaariger Jüngling, sich umwendend):Meinen Sie et­wa mich?"

(Höchste Noblesse.)Nun, Frau Nachbarin, ist Ihre Tochter recht fein erzogen worden im Pensionat?"Sehr nobel die macht die Knödel in Glacehandschuhen!"

Telegramme.

Paris, 28. Jan. Der erste Ministerrat im Elysee fand gestern abend unter dem Vorsitz des Präsidenten Faure, der die wesentlichsten Punkte derBotschaft auseinandersetzte, statt. Das Ministerium giebt in der Kammer keine Erklär­ung ab, die Regierung giebt nur eine Ueberstcht der allgemeinen Politik seit der Interpellation Goblets. Nach der Verlesung der Botschaft des Präsidenten äußert sich die Regierung über den von dem Justizministcr cingebrachten Amnestie­antrag. Der Ministerrat beschloß die Bereinig­ung des Kultus und Untcrrichtswesens zu einem Ministerium. Ribot teilt mit, General Jamont lehnte das Kriegsportefeuille ab; dasselbe wird dem Kommandanten des 19. Armeekorps, Herve, angeboten. Die Antwort Bernards belr. die Annahme des Marineportefeuilles steht noch aus. Heute findet wieder Ministerrat statt.

Briefkasten der Red. Hrn. 6br. L. in Calmb. Ein an Sie gerichteter Brief kam mit dem Postvermerk Welcher von Vielen" als unbestellbar zurück.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.