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London, 18. Jan. Die „Times" meldet aus Peking: General Wei wurde hingerichtet.
— Aus Hiogo: Die Japaner schlugen eine äußerst starke Abteilung Tonghaks vollständig, töteten 300 und zerstreuten die übrigen.
Rom, 18. Jan. Die Nachricht von dem Sieg der Generals Baratieri hat in ganz Italien Begeisterung gefunden.
Die Dinge in Bulgarien entwickeln sich immer bedenklicher. Das gegenwärtige Ministerium, das ohnehin sehr rufsenfreundlich ist, scheint demnächst einem Ministerium Zankow Platz machen zu müssen und doch war Zankow der Hauptwühler in Bulgarien für einen schrankenlosen Einfluß Rußlands daselbst und zugleich einer der schlimmsten Verschwörer gegen den Fürsten Alexander von Battenberg.
Anterhattender Heil.
Schlechter Leumund.
Kriminal-Novelle von Karl Ed. Klopfer.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Sie schob die Augenbraunen zusammen und betrachtete ihn forschend, die Arme vor der Brust verschränkt, dann wiegte sie ihr Köpfchen hin und her.
„Schau, schau!" Das ist wieder ein Zug, der ein bischen von dem erwähnten Charaktergemälde abweicht, das ich mir von Ihnen gemacht habe. Aber — Sie wünschen wohl Ihrer Mutter wegen, die Sie, wie ich weiß, sehr verehren und Hochhalten, mit Glücksgütern gesegnet zu sein. Doch brauchten Sie dazu just so viel davon?"
„Ich würde allenfalls mit mir handeln lassen," lachte er, „aber ich wollte wenigstens nur so viel haben, um mich selbstständig machen zu können, vielleicht um einige Spekulationen einleiten zu können, deren Gelingen es mir ermöglichte — — —"
Sie schüttelte wieder den Kopf.
„Fräulein Marie," fuhr er nach einer Pause fort, während welcher er sich zu einem kühnen Entschluß aufgerafft hatte. „Fräulein Marie — Sie verstehen mich wohl, ich weiß es — warum also wollen wir uns nicht mit etwas mehr Offenheit aussprechen? — Ich fühle das unabweisbare Bedürfnis, einige Klarheit in meine Situation zu bringen."
Sein leidenschaftlicher Ton erschreckte sie, sie wich einige Schritte zurück, was ihn plötzlich abbrechen ließ. Ein Zug von Traurigkeit prägte sich in seinem offenen Gesichte aus. Er fuhr sich mit einem schmerzlichen Seufzer durch das dichte, dunkelbraune Haar und ließ das Kinn auf die Brust herabsinken. Marie beobachtete ihn aufmerksam.
„Was fehlt Ihnen. Herr Hügel? Soeben lag noch ein freudiger Schwung in Ihrer Rede
— und nun sind Sie mit einem Male so niedergeschlagen?"
„Weil ich — zu erraten glaube, was Sie mir erwidern würden, wenn ich mich ausspräche," antwortete er gepreßt. „Sie haben wohl Verpflichtungen — Sie stehen unter dem überwältigenden Einfluß gewisser Verhältnisse, die es Ihnen nicht gestatten — der Stimme Ihrer Neigung zu gehorchen; wenn Sie schon überhaupt eine solche Stimme."
„Was meinen Sie?" fragte sie erstaunt.
„Nun — Sie können sich doch nicht der Einwirkung der väterlichen Gewalt entziehen?
— Ihr Herr Vater hat einen Compagnon. einen jungen Freund, den er wie seinen Sohn betrachtet — und Herr Weller hat entschieden Absichten — —
Marie richtete sich stolz auf und lächelte trotzig.
„Ferdinand? — Nun, wenn auch wirklich solche Projekte bestehen sollten, wie Sie sie da andeuten, und wie ich sie, ich gestehe es, auch schon bereits geahnt habe — so kann ich Ihnen versichern, daß dieselben nicht zur Realisierung kommen werden."
Er sah sie mit einem ängstlichen Zweifel an, aber in ihrem Auge lag etwas so zaubrisch Liebliches, das ihn mit einer warmen, freudigen Erregung durchzuckte. Er streckte ihr seine Hand hin und war eben im Begriff, sein über
volles Herz ganz und gar auszuschütten, als sie ein Geräusch an der Zimmerthüre rasch aus- einandertrelen ließ. Die Klinge wurde niedergedrückt, der Flügel öffnete sich — Ferdinand Weller stand auf der Schwelle. Die beiden sahen ihm einen Moment mit Schrecken in's Gesicht, aber seine ruhige, unbewegliche Miene mußte sie wieder beschwichtigen; er schien von ihrem Zwiegespräch kein Wort verstanden zu haben und ihr Beisammensein durchaus harmlos zu finden, wenigstens zeigte er nicht das geringste Erstaunen.
„Ah, Herr Hügel, Sie suchen wohl Herrn Sendler? Ich auch. Was haben Sie da?"
Leopold reichte ihm die Briese und bat um bestimmte Instruktionen.
„Gut — die sollen Sie bald erhalten; ich komme sogleich hinab." sagte Weller kopfnickend und durchlas die Papiere mit sehr großer Aufmerksamkeit. während der Buchhalter das Zimmer verließ, wieder die Schreibstube aufzusuchen.
Marie hatte sich an's Fenster gesetzt und ihre Handarbeit wieder ausgenommen, als bemerke sie gar nicht die Anwesenheit Weller's, der, die Zähne in die Unterlippe gegraben, über den Rand der Briefe hinwegsah. Hätte sie nur im Entferntesten geahnt, was für Gedanken in diesem Moment seinen Sinn durchkreuzten, sie wäre kaum so ruhig gewesen.
Weller war ein Mann, dessen Wesen die vollkommenste Leidenschaftslosigkeit zu verkörpern schien, wenigstens verstand er es meisterhaft, seine inneren Bewegungen unter einer ruhigen Oberfläche zu verbergen. Er blieb sich im Aeußerlichen immer gleich, was ihm etwas geistig Gereiftes und Gesetztes verlieh, das seinen Jahren voraus war und ihm den Ruf eines vortrefflichen. korrekten Geschäftsgeistes einbrachte.
Er besaß überdies, wie alle Menschen, die scharf und gelassen beobachten, die Gabe, einen Gegenstand mit allen seinen möglichen Conse- quenzen in kürzester Zeit zu übersehen, die eingehendsten Erwägungen in den Raum weniger Minuten zusammenzudrängen. So hatte er sich auch jetzt mit einer raschen Gedankenreihe zum Beherrscher der Situation gemacht, während er in der Mitte des Zimmers stand, anscheinend nur von seinen Geschäftsbriefen und den daran sich knüpfenden Reflexionen in Anspruch genommen. —
Er hatte den größten Teil der Unterredung, die da soeben zwischen Marie und dem jungen Buchhalter stattgefunden, angehört. Anfangs wollte er rasch und brüsk zwischen sie treten, Hügel über seine Dienstvernachlässigung schelten — und später dem Compagnon eine genaue Eröffnung über den Stand der Dinge machen. Hügel wäre wohl auf sein Andringen unfehlbar entlassen worden und Herr Sendler hätte nicht ermangelt, seiner Tochter das bizarre Köpfchen tüchtig zurechtzusetzen, aber — was halte er, Ferdinand, dabei am Ende gewonnen? So wie er den Charakter dieses Mädchens kannte, war ein solches Vorgehen durchaus nicht geeignet, den erst im Entstehen begriffenen kleinen Liebesroman mit einem Male zu beenden, vielmehr konnte dadurch das. was jetzt vielleicht noch nicht mehr als eine durch die Langeweile hervorgerufene Kinderei war, zur echten unbezwing- lichen Leidenschaft emporwachsen; keinesfalls aber würde Marie für den durch ihren Vater protegierten Bräutigam günstiger gestimmt werden, wenn dieser solche Gewaltmaßregeln zur Anwendung brächte.
So vermied es Weller sogar, ihr nur mit dem leisesten Blick zu verraten, daß er ihre heimlichen Beziehungen zu dem jungen Buchhalter der Firma kenne, ebenso wie er auch diesem gegenüber den vollkommen Unbefangenen spielte und Herrn Sendler gleichfalls im Unklaren ließ über die Entdeckung, die er so ganz zufällig gemacht hatte. Er hielt dieses kleine Intermezzo wohl sür zu unbedeutend, um ihm zu schaden; eine kleine Herzenspikantcrie des romantischen Backfischchens, viel zu kindisch, um seinen gut fundamentierten Heiratsplänen als ernstliches Hindernis in den Weg zu treten. Das geht ja vorüber, wie — eine Kinderkrankheit. . . .
(Fortsetzung folgt.)
Telegramme.
Berlin, 18. Jan. Der „Reichsanzeiger" schreibt: In der Presse tauchen seit einiger Zeit stets von neuem Gerüchte über angebliche Veränderungen im Staalsministerium auf. Diese Gerüchte entbehren jeder Begründung und müssen um so entschiedener zurückgewiesen werden, als die frivole Verbreitung solcher Vermutungen geeignet ist, das Ansehen der Regierung zu schädigen.
Berlin, 18. Jan. Die Wahlprüfungs- kommissson des Reichstages erklärte die Wahl des Abgeordneten Bantleon-Ulm (natl.) für ungiltig.
Berlin, 18. Jan. Der deutsche Botschafter Graf Münster hat heute mittag Berlin wieder verlassen, um sich auf seinen Posten nach Paris zu begeben.
Berlin, 18. Jan. Der bisherige russische Botschafter Graf Schuwalow wird heute Abend einem Abendessen zu seinen Ehren beim Reichskanzler beiwohnen. Er fährt gegen 11 Uhr nach Warschau, wo großartige Vorbereitungen zu seinem festlichen Empfange getroffen sind.
Berlin, 19. Jan. Graf Schuwalow reiste mit Familie gestern Abend 10^/. Uhr ab. Das gesamte Offizicrkorps des Kaiser-Alexander- Regiments, viele Offiziere der Gardekürassiere, das gesamte Hofquartier des Kaisers, viele Hofstaaten und hohe Beamte, die Minister, die Mitglieder des diplomatischen Korps und der Botschaften hotten sich eingefunden. Der Kaiser selbst traf um ItU/'r Uhr ein und führte die Gräfin Schuwalow am Arm auf den Perron, wo er Abschied von dem Botschaftcrpaar nahm. Der Kaiser küßte der Gräfin die Hand, umarmte und küßte Schuwalow, welcher tief gerührt war und Thränen in den Augen hatte, auch der Kaiser war sichtlich gerührt.
München, 19. Jan. Der Philosophie- Professor Moritz Carriere ist gestern an einem Schlaganfall plötzlich gestorben. — Die Neuesten Nachrichten erfahren, daß außer dem Jnfanterie-Leibregiment nun auch bei dem I. Infanterie-Regiment u. bei dem I. Trainbataillon Scharlach« Erkrankungen vorgekommen, deswegen verschärfte Anordnungen getroffen sind zur Isolierung.
Paris, 18. Jan. Der neue Präsident der Republik, Felix Faure, der dem großen Publikum noch gestern so gut wie gar nicht bekannt war, gewinnt rasch Beliebheit, weil er, aus dem Arbeiterstande hervorgegangen, als ein neues Beispiel dafür dasteht, daß jemand durch Fleiß und Ausdauer zu den höchsten gesellschaftlichen Stufen emporkommen kann. — Casimir- Perier will angeblich eine Reise durch Europa unternehmen.
Paris, 18. Jan. Die „Libre Parole" behauptet, daß die Regierung neuerdings den Beweis für einen von einem Offizier begangenen Hochverrat in Händen habe. Kriegsminister Mercier habe dies einem Deputierten der Rechte bestätigt und erklärt, daß in der That dem Auslande Dokumente betreffend die nationale Verreibung an einen andern Offizier als Dreyfus ausgeliefert worden seien.
Paris, 19. Jan. Der vormalige Kapitän Dreh fuß wurde gestern abend zum Bahnhof geführt, von wo er nach der Insel Re gebracht wird.
Havre, 18. Jan. In einem hiesigen Hotel Mrm entleibten sich mit zwei Revolver- schüsscn der 17jährige Charles Ballet und die 16jährige Marie Bordin. In einem hinterlas- senen Schreiben erklären sie, daß sie sich den Tod gegeben haben, weil sie zu jung zum Heiraten waren.
Aukland, 18. Jan. Reutermeldung. Die Fidschi-Inseln wurden durch einen furchtbaren Orkan heimgesucht, welcher großen Schaden zu Wasser und zu Land verursachte. Die Schiffe haben schwer gelitten; man glaubt, daß viele Menschen umgekommen sind. Das Schiff Ophir mit 700 t Korn ist auf dem Riff bei Lewuka gestrandet. Ein unbekannter Schooner ist bei der Insel Tavaum gescheitert. Man befürchtet, daß alle an Bord befindlichen Personen ertrunken sind.
Redaktion, Druck und Verlag von C. M^e eh in Neuenbürg.