lich, daß der biedere Kaufherr allmählich auf die Idee kommen mußte, feine zweite Vaterschaft dadurch noch inniger zu gestalten, indem er den Plan ins Auge faßte, Ferdinand und Marie durch ein Ebegelöbnis miteinander zu verbinden. Denselben Plan hatte auch der junge Associe bereits gefaßt und ihn mit feurigem Ungestüm verfolgt — mit welchem Resultate jedoch, das mag eben aus dem momentanen Zwiegespräch der beiden Herren hervorgehen, die sich heute während der Mittagspause im Prioatkomploir des älteren Chefs zusammengefunden haben, um dem bedeutsamen Gegenstände einen eingehenden Meinungsaustausch zu widmen.
„Ja. wie gesagt," fuhr Herr Sendler in seinen etwas zaghaft entworfenen Ausführungen fort, „Sie sehen mich selbst in einer gewissen Verlegenheit, denn ich dachte mir, aufrichtig gesagt, die ganze Geschichte viel leichter. Sie haben Mariechen schon als kleines Kind zur Spielgefährtin gehabt und sich mit ihr so prächtig vertragen, daß zwischen Ihrem Vater und mir schon vor langen Jahren eine Art stillschweigenden Paktes in Betreff unserer Kinder zu Stande kam. Als Sie durch den Tod meines Freundes von Ihrer kaufmännischen Stellung in Bamberg abgerufen wurden und die Gespielin nach vierjähriger Trennung wiedersahen, schien das kindliche Verhältnis — mit dem Verlust des einstigen traulichen Duwortes freilich etwas an Innigkeit eingcbüßt zu haben, aber — Marie ist ja eben kein Kind mehr, und doch in anderer Beziehung noch so viel Kind, daß man sie nicht zu einer raschen Entscheidung in Betreff ihrer Herzens- wähl drängen darf. Das muß sich ganz von selbst fügen, sie darf gar nicht in Kenntnis gesetzt werden von unseren Projekten, sonst machen wir sie am Ende noch kopfscheu. Sie könnte sich zu einer sehr trotzigen Mädchenopposition aufstacheln lassen, wenn sie unsere Absichten merkt."
„Ader Sie gestehen doch selbst." bemerkte der junge Mann etwas unmutig, daß Sie einiges! Verständnis für unsere Vereinbarung bei Marie erwarteten?"
„Ja, ja, aber ich mußte eben erfahren, daß oft der eigene Vater so ein launenhaftes Mädchenherz nicht zu berechnen vermag. Haha! 'sist eine eigene Sache mit den Weibern! Dieses Geschlecht zeigt schon in seinem zartesten Blütcn- alter die angestammten Eigentümlichkeiten. — Ich bin überzeugt, wir würden alles verderben, wollten wir sie heute schon in unsere Pläne einweihen. Wir müssen die Zeit walten lassen! — Nähern Sie sich ihr mit jedem Tage mehr, suchen Sie selbst ihr Herz zu ergründen, lehren Sie sie — Ihr Wesen verstehen und lieben, dann braucht es gar keine Einwirkung mehr von meiner Seite. Ich habe heute, bei unserer diesbezüglichen kleinen Unterredung, gleich gemerkt, daß sich ihre angeborene weibliche Widerspruchslust dagegen sträubt, den künftigen Gemahl so gleichsam aus den autoritativen Händen des Vaters zu empfangen. Die jugendliche Romantik eines Mädchengemütes verlangt eben nach dem althergebrachten, deutschen Herzensroman — und das ist Alles!"
Weller schwieg eine Weile, dann sagte er plötzlich: „Pardon!" Antworten Sie mir aufrichtig, Herr Sendler! Hielten Sie es nicht für möglich, dah Marie vielleicht jenen Herzensroman schon — angesponnen haben könnte? — hinter unserem Rücken, ebenfalls nach allen — hergebrachte Regeln?"
Der Greis blickte verdutzt empor, dann lächelte er. „Nein, mein Bester, da sehen Sie entschieden zu schwarz. Ihr Herz ist gewitz noch frei. So weit hoffe ich mein Kind doch noch zu kennen!"
„Gebe Gott, daß Sie Recht haben!" erwiderte Weller mit einem tiefen Seufzer. „So lassen wir also der Zeit ihr Recht. Ich will mich noch eifriger als bisher bemühen, die Neigung des Mädchens zu erringen, und habe wenigstens das Bewußtsein, daß Sie mich als väterlicher Freund unterstützen werden!"
„Von ganzem Herzen!" rief der alte Kaufherr und reichte seinem Associe beide Hände hin. während er sich erhob, denn ein Pochen an der Comptoirthüre erinnerte ihn daran, daß die
Geschäftsstunden bereits wieder begonnen hatten.
„Herein!"
Ein schlanker, hübscher Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren trat ein: der junge Buchhalter der Firma I. M. Sendler u. Eomp.
„Was bringen Sie uns, Herr Hügel?" fragte der alte Chef sehr wohlwollend.
„Das Jncasso der Nürnberger Aktien-Brauerei ist soeben eingclaufen. Aber der Verwaltungsrat schreibt, daß er den Meterzentner Hopfen nach dem Stand der heurigen Ernte nur mehr mit 138 Mark bezahlen wolle. Zu diesem Preise sollen schon Offerten aus Böhmen vorliegen. Was wollen wir thun?"
(Fortsetzung folgt.)
Mannheim, 10. Jan. 'swerdKaaner meh' abgefchnitte. Im Odenwald erhängte sich vor längerer Zeit ein Taglöhner. Bei Ankunft der gerichtlichen Urkundspersonen fragte der Landrichter einen der die Leiche Bewachenden, warum sie die Leiche nicht abgeschnitten hätten, worauf die christlich begründete Antwort erfolgte: „Noa, Herr Landrichter 's werd Kaaner meh' abgefchnitte, mer hawwe vor e paar Jahr emol aan abgefchnitte, der ist Widder zu sich kumme, und es Hot hernach den greschte Lump im Ort gewe, so daß'n de Geman noch verhalte hat müsse."
Aus der Schweiz. Eine neue Patrone hat, wie das „Vaterland" berichtet, Haupt- mann Hobler erfunden. Die Zerstörungskraft auf weite Entfernungen läßt angeblich die Wirkungen der besten bestehenden Systeme weit hinter sich. Es handelt sich um ein Geschoß in Gestalt einer Röhre, deren vordere Ocffnung ein wenig weiter ist, als die andere. Bei dem Verlassen des Laufes eines kleinkalibrigen Gewehres wurde eine Anfangsgeschwindigkeit von 1215 Metern erzielt. Ein Block Tannenholz von nahezu 3 m Dicke wurde durchschlagen. Auf eine Entfernung vom 500 w beträgt die Geschwindigkeit immer noch mehr als 1000 in, auf 2'/r km noch über 800 m und die Durchschlagskraft 122 em. In neun Sekunden durchfliegt das Geschoß 6 km und durchbohrt noch 10 om Tannenholz. Freue dich, 20. Jahrhundert;
Aus Italien, 28. Dez. Ein alter, seit Jahren währender Rechtsstreit um eine Millionen- Erbschaft der Gräfin Lorenda Gatterburg-Moro- sini wurde, wie die „N. Fr. Presse" berichtet, vom römischen Kassationshofe endgiltig zugunsten der österreichischen Erben, Grafen Gatterburg, entschieden. Die italienischen Anverwandten, die Grafen Manin und Genossen, welche gegen das gleichlautende Urteil des Appellationshofes von Lucca Beschwerde erhoben hatten, wurden abgewiesen.
Der verflossene Samstag (5. Jan.) war der 300jährige Todestag von Franz Drake (1595), der uns von Amerika über England das billigste und populärste Nahrungsmittel, die Kartoffel, s. Z. zugeführt hat.
Zur Warnung für Zeugen, deren Durst größer ist, als ihr Pflichtgefühl, möge der folgende Fall dienen. Eine Abteilung des Schöffengerichts zu Berlin hatte mehrere Termine erledigt und schritt zur Verhandlung des letzten Falles. Trotz mehrfachen Aufrufens meldeten sich aber weder die beiden Angeklagten, noch zwei zur Sache geladene Zeugen. Nur ein einziger Zeuge war zur Stelle und gab die inhaltsschwere Erklärung ab: „Die Anderen sitzen drüben im „Alten Zielen" und kneipen." Der Gerichtshof ließ den durstigen Seelen anheimgeben, ruhig weiter zu kneipen, beschloß jedoch, die Angeklagten zum nächsten Termin vorführen zu lassen und die nicht erschienenen Zeugen in eine Ordnungsstrafe von je 10 vlL event. 2 Tagen Gefängnis zu nehmen.
Auf eine Vorichtung zum Verschließen einer Thür zu beliebiger, vorherzubesümmender Zeit hat Herr AugustKleymanin Braunschweig Patentschutz erhalten. Die Vorrichtung ist, wie das Intern. Patentbureau von Heimann u. Co. in Oppeln berichtet, gekennzeichnet durch ein mittelst Federn oder Gewichte gespanntes Hebelwerk, das von einer nach Art der Wecker auf bestimmte Zeit einzustellenden Uhr ausgelöst wird und schiebt dasselbe mittelst der durch diese Auslösung herbeigeführten Bewegung einen Thür-
verschlußriegcl vor. Die Bewegung des Hebelwerks kann auch dazu benutzt werden, ein Gashahn zu schließen oder einen Luftstrom zum Ausblasen eines Lichtes bezw. einer Lampe zu erzeugen. (Obengenanntes Patentbureau erteilt den geschätzten Abonnenten dieses Blattes Auskünfte und Rat in Patentsachen gratis.)
(Kritik.) „Glauben Sie, daß sich Doktor Zotels realistisches Drama Bahn brechen wird?" — „Gewiß! Es ist ganz das richtige Brechmittel!" — (Auch ein Beruf.) Herr: „Mir scheint, Ihr Sohn besucht alle Semester eine andere Universität!" — Brauereidirektor: „Das bringt das Geschäft 'mal so mit sich!" — Herr: „Was studiert er denn?" — Brauerei- direktor: „Studieren? Gar nicht! Er führt nur unser Bier ein!"
sUeberzeugt.) „Weshalb willst Du denn dieses Marzipan-Schäfchen nicht essen, Lenchen?" — „Aber, Tante, wir sind ja Vegetarianer."
Aedenket der hungernden Wöget!
Komm' zum Fenster, liebe Kleine!
Bringe Körnlein mit und Brod!
Schau! Im Hof dort, auf dem Steine Liegt ein Vöglein — es ist todt!
Eingefroren jedes Börnchen.
Jeder Futterplatz verschneit!
Nur ein Krümchen! Nur ein Körnchen Fleh'n die Sänger weit und breit.
Gieb ein Körnchen, gieb ein Krümchen, Streu'L vor unj'res Hauses Thür' —
Und der Frühling schenkt ein Blümchen Und ein Vogellicd dafür.
Und das ruft: „Zum Lenzesfeste Komm' ins frische Grün geschwind! —
Doch das Schönste, Allerbeste,
Schenkt Dir selbst Dein Herz, mein Kind!"
Telegramme.
Berlin, II. Jan. Wie die „Post" erfährt. fordert der Kaiser neuerdings Berichte über die Lage der Landwirtschaft und Vorschläge darüber ein, wie eine Besserung herbeizuführen sei. Wie das genannte Blatt vernimmt, ist eine erhebliche Erhöhung des Dispositionsfonds des Landwirtschaftsministers im nächsten Etat vorgeschlagen.
Hamburg, 11. Jan. Einer Berliner Meldung des „Hamburgischen Korrespondenten" zufolge ist der kaiserliche Flügeladjutant Graf Moltke heute früh zum Fürsten Bismarck nach Friedrichsruh abgereist.
Coblenz, II. Jan. Die Ernennung des Generalobersten v. Loö zum Oberbefehlshaber in den Marken und Gouverneur von Berlin ist nunmehr erfolgt.
München, 12. Jan. Die „Neuesten Nachrichten" melden: Im hiesigen Zuchthaus schlug ein zum Tode Verurteilter und seinerzeit begnadigter Sträfling seinen Nebengefangenen gestern vormittag mit der Holzaxt tot. — In einem Steinbruch bei Lauffen wurden gestern nachmittag 4 Arbeiter durch einen sich von selbst lösenden Stein getötet.
Don au st auf, 12. Jan. Eine Frauenleiche, welcher der Kopf fehlte und die in einen Sack eingenäht war, wurde vom Eisgang der Donau hier an's Ufer geschwemmt. Zweifellos liegt Mord vor.
Heidenheim, 12. Jan. Gestern abend '/-8 Uhr haben zwei verheiratete Männer von Hürden einen dritten ebenfalls verheirateten Manne, dessen Weib blos eine Hand hat, vor seinem Haus erstochen. Der Verletzte lebte noch eine Halde Stunde. Beide Thäter sind an das Amtsgericht eingeliefert worden.
Rom, 11. Jan. Zu Cclenza in der Provinz Foggia stürzten gestern infolge Schneesturmes vier Häuser ein. Sechszchn Leute kamen unter die Trümmer; acht sind tot.
Rom, 12. Jan. 100 Studenten, erregt durch die Vorlesungen des Professors Ferry, zogen gestern abend unter Pereatrufen vor dessen Haus und vor die Zeitungsredaklionen.
London, 12. Januar. Die Anarchisten planen einen Mitternachts-Marsch der Arbeitslosen durch die Straßen Londons.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.