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gewerbeordnung vom 1. April d. I. ab in Kraft treten sollen. Wenn dieser Entwurf im Bundes­rat die Zustimmung findet, so tritt also vom 1. April d. I. die Sonntagsruhe für die Industrie in Sinne der Gewerbeordnung für alle Gewerbezweige ein, für die der Bundesrat keine bestimmten Ausnahmen zulassen wird. Die betreffenden Ausnahmeverordnungen für einzelne Gewerbezweige, über die seinerzeit mit den be- treffenden Industriellen eingehend verhandelt worden ist, liegen dem Bundesrat zur Entscheid­ung vor. Die Beratung in den Ausschüssen hat bereits stattgefunden, und man nimmt an, daß die Beschlußfassung am 'nächsten Donnerstag, demnach heute in acht Tagen, stattfinden wird.

Berlin, 10. Jan. Der Reichstag setzte heute die Beratung der Umsturzvorlage fort. Gras Limburg.Stirum erklärt: Die Konservativen treten in die Beratung mit der Voraussetzung ein, daß die maßgebenden Kreise von dem Gedanken abgekommen seien, daß die sozialdemokratische Partei wie jede andere Partei zu behandeln sei. Die Konservativen protestieren dagegen, daß die Sozialdemokraten sich als die einzige Arbeiterpartei gerieren. Die Sozial­demokraten erstreben den Umsturz alles Bestehen­den, der Satz von einem berechtigten Kern der Sozialdemokratie fti vollständig falsch. Redner kritisiert sodann die Reden Auers und Gröbers. Redner bedauert, daß das Zentrum auf einem ganz anderen Gebiete Konzessionen verlange. Graf Limburg schließt, die Konservativen stimmen einer Kommissionsberatung zu. Abgeord. Dr. Munckel (freis. Volksp.) führt aus, man solle nicht ohne Not die Justiz in den Dienst der Politik stellen. Das bestehende Strafgesetz ge­nüge vollkommen. Der Redner kritisiert ein­gehend die Dehnbarkeit einzelner Bestimmungen der Vorlage. Der preußische Kriegsminister Bronsart v. Schellendorf widerspricht dem Vorredner darin, daß Bestimmungen zur Sicher- ung der Disziplin unnötig seien. Die Disziplin sei zwar gut, aber die Armee nicht absolut immun gegen jede Ansteckung. In Kasernen würden gelegentlich Flugblätter gefunden, und die Posten häufiger angegriffen. Der preuß­ische Justizminister Schön sted t weist nach, daß die Vorlage den Boden des gemeinen Rechts nicht verlasse. Die weitesten Kreise wünschen das Gesetz lebhaft. Abg. Dr. v. Bennigsen (ntl.) führt aus, das Volk erwarte lange, daß den Unterwühlungen gesetzlich ein Ende bereitet werde. Die bisherige Langmut sei verwunder­lich. Er hoffe, daß das Zentrum seine Mit­arbeit nicht von der Aufhebung des Jesuiten­gesetzes abhängig machen werde. Der sozialist­ischen Propaganda im Heere müsse vorgebcugt werden. Ein wirksamer Schutz der monarchischen Einrichtungen sei notwendig. Trotz der Um­wälzungen sei Deutschland als kostbares Gut die Monarchie erhalten arMeben. (Beifall.) Abg. Barth (Frf. N) führt aus, die Vorlage sei viel zu weitgehend in den einzelnen Be­stimmungen, besonders die ZH 130 u. 131 seien vollständig unannehmbar. Man verspreche sich von der Vorlage keine große Wirkung. Weiter­beratung morgen.

In Augsburg hat die 2 ljährige Tochter des Oberstlieutenants v. Stöpper durch ihre Unvorsichtigkeit das Leben verloren. Sie hantierte im Scherz mit einem Revolver ihres Bruders, eines Lieutenants, ohne zu wissen, daß er ge­laden war. Sie nahm die Waffe und hielt die­selbe lachend gegen die Stirn, indem sie rief: Wie macht man's denn eigentlich? nicht wahr, so! Der Lieutenant, der vorn am Fenster saß, rief entsetzt aufspringend: Um Gottes willen, die Waffe ist geladen! In demselben Augenblick krachte ein Schuß und die Dame stürzte, mit dem Kopf gegen den Ofen anstoßend, sofort zu Boden. Die Kugel war mitten in die Stirn gegangen.

Fulda, 28. Dez. Von einem hiesigen Geschäftsmann, welcher sich schon längere Zeit eingehend mit dem Studium der Stenographie beschäftigt hat, ist ein System einer einheit­lichen Stenographie entworfen worden. Derselbe hat für das demselben zu Grunde liegende Alphabet bei dem Reichsversicherungs­amt den Erfindungsschutz nachgesucht. Ein Lehr­

buch dieses Systems befindet sich bereits im Druck und wird in Kürze erscheinen. Die neue Erfindung hat in verschiedenen Kreisen hiesiger Sachverständiger, unter welchen sich mehrere Lehrer höherer Lehranstalten befinden, viel Interesse erregt und wird von denselben als ein erheblicher Fortschritt in der Entwicklung der Stenographie betrachtet. Die Vorzüge des neuen Systems bestehen namentlich in dem Wegfall sämtlicher Siegel, durch welche das Erlernen der Kurzschrift sehr erschwert wird; ferner in größerer Einfachheit und Schnelligkeit, durch welche es möglich gemacht wird, in dem Zeitraum von einer Minute 500 Silben der deutschen, je 500 der französischen und italienischen, 600 der englischen und 400 der russischen Sprache zu schreiben u. A. Man ist hier sehr gespannt auf die Ausnahme, welche diese Erfindung im größeren Publikum finden wird.

Straßburg. Durch die in den letzten Jahrzehnten ausgeführte Rheinregulierung haben zwar die Ueberschwemmungen aufgehört, die oft große Strecken verheerten und den Gesundheitszu­stand der Bevölkerung schädlich beeinflußten. Auf der anderen Seite hat aber die Fruchtbarkeit der Felder in dem Maße abgenommen, als sich der Rheinspiegel und mit ihm der Grundwasserstand senkte. Abhilfe soll nun durch Anlage eines ausgedehnten Bewässerungssystems getroffen wer­den. Die Kosten werden nach dem in der Aus­arbeitung befindlichen Projekte annähernd eine Million Mark betragen.

Karlsruhe, 10, Jan. In Karlsruhe wurde wegen Bettelns ein Schlossergeselle aus Kassel verhaftet. Er gab an, er habe in Heidel­berg ein Paar Zugstiefel und einen Geldbeutel mit 3 »16 entwendet. Es sei jetzt so schönes Wetter zumSitzen", er wolle deshalb die Sache selbst anzeigen.

Württemberg.

Stuttgart. Die württembergische Jn- validitäts- und Altersversicherungs-Gesellschaft hielt hier in den letzten Tagen ihre Jahrcsver- sammlung ab. Die Altersrenten steigerten sich im letzten Jahre um rund 60 000 »16, die In­validenrenten um rund 100 000 -M Der Normal­durchschnitt des Reiches wurde aber trotzdem in mehreren Bezirken nicht erreicht. Der Bezirk Spaichingen hat nicht einen Renlenanspruch er­hoben. Das Vermögen beträgt 10 300 000 -,16, der durchschnitttliche Zinsfuß 3,7 °/o.

Eßlingen, 10. Jan. Der Maschinen­fabrik Eßlingen ist bei der Konkurrenz für eine Rheinbrücke bei Bonn der zweite Preis zuer­kannt worden. Der Entwurf rührt von dem Oberingenieur dieser Fabrik, Kübler, die archi­tektonische Ausführung von den Architekten Eisen- lohr und Weigle in Stuttgar her.

Eßlingen, 4. Jan. Auf der königlichen Domäne Weil steht gegenwärtig eine Kuh Alpenrose", Originalrigistamm, mit einem Lebendgewicht von 1500 Pfd., von welcher im vergangenen Jahre nach genauer und nachweis­barer Berechnung 6387 Liter Milch, also über 21 Eimer gewonnen wurden. Rechnet man 1 Liter zu 12 L, so beträgt die Einnahme aus dieser Kuh 6387 Liter a 12 L 766,44 »16 Die Fütterung auf der Domäne ist eine sehr rationelle. Neben reichlicher Heu- und Oehmd- fütterung, Runkeln u.s.w. erhält das Großvieh pro Kopf und Tag 3 Pfd. Weizenklee, 2'/, Pfd. Malzkeime und 1*/r Pfd. trockene Biertreber.

Horb, 10. Jan. Nachdem das hiesige Elektrizitätswerk sich in so schöner Weise entwickelt hat, daß jetzt schon nahezu 600 Lampen angeschlossen sind, traten heute die bürgerlichen Kollegien zusammen, um über die Beleuchtung der Stadt und der städtischen und Stiftungs­gebäude zu beraten. Es wurde beschlossen, der elektrotechnischen Fabrik von Wilhelm Reißer, Stuttgart, dem Erbauer des hies. Elektrizitäts­werkes, auch diese Arbeiten zu übergeben. In­folge dessen ist schon jetzt eine Vergrößerung des Elektrizitätswerkes notwendig; es wird sofort zur Aufstellung einer Dampfmaschine geschritten wer- den. Die öffentliche Beleuchtung muß bis 1. Mai fertiggestellt und in Betrieb sein; die Arbeiten beginnen sofort.

Bon den Geld- und Warenbörsen.

Stuttgart, 10. Jan. Infolge des außerordent­lich flüssigen Geldstandes, günstiger Nachrichten über die Lage des Kohlenmarktes, der namentlich der Haus­brandkohle der enormen Nachfrage kaum genügen kann, erner infolge günstiger Dividendenschätzungen mancher Banken sind die Geldbörsen recht günstig gestimmt; dazu kommen auch noch befriedigende Meldungen über die Gestaltung der italienischen Finanzlage. Mit wenig Ausnahmen stnd deshalb die meisten Börsenpapiere in die Höhe gegangen. Die Aussichten für die nächste Ernte in Rußland sind offiziellen Berichten zufolge nicht günstig. Infolgedessen ist an den Getreidemärkten wieder eine feste Stimmung eingetreten und die Preise haben weiter angezogen. Roggen pro Mai stieg in Berlin von 118.50 auf 119.25, pro Juni von 119.50 aus 120, Weizen pro Mai von 139.50 ans 143 und pro Jum von 140.50 auf 143.50. Die Mehlpreise sind unverändert. Hafer stieg pro Mai von 115.70 auf 116.20 und pro Juni von 116.20 auf 117.50.

Unterhaltender Heil.

Schlechter Leumund.

Kriminal-Novelle von Karl Ed. Klopfer.

(Nachdruck verboten.)

1 .

Seien Sie versichert, lieber Ferdinand, daß ich nichts lieber sehen würde, als die Er- üllung Ihres Herzenswunsches, aber wie die Dinge liegen wenigstens heute noch liegen dürfen wir uns nicht allzusehr in Hoffnungen wiegen. Doch: kommt Zeit, kommt Rat, und ich bin überzeugt, wir haben noch lange nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit gesprochen. Sie sind doch auch ein viel zu kluger Geschäfts­mann. um nicht zu wissen, daß es für Alles und Jedes einen gewissen günstigen Zeitpunkt giebt, den abzuwarten eine leichte Kunst ist, die freilich aber trotzdem nicht Jedem zu eigen ist. Also warten wir, mein lieber junger Freund!"

So sprach Herr Magnus Sendler, der an­gesehenste Hopfenhändler seines Heimatstädtchens und Teilhaber der renommierten Firma I. M. Sendler u. Comp. Derjenige, an den diese Worte gerichtet waren, war ein junger, kräftiger Mann, Herr Ferdinand Weller, sein Associe, der eben die zweite Hälfte der Firma, das u. Comp." repräsentierte. Eigentlich aber mußte er diesen Compagnietitel als eine Erbschaft be­trachten. denn sein Vater war es gewesen, der mit Herrn Johann Magnus Sendler das Hopfen­haus gegründet und dem einzigen Sohne den Geschäftsanteil hintcrlassen hatte. Und Ferdinand bewährte sich als der würdige Nachfolger des Verstorbenen, so daß Herr Sendler keinen Grund fand, die geschäftliche Gemeinschaft aufzulösen. Der Altersunterschied zwischen dem Sechziger und dem angehenden Dreißiger erwies sich nicht nur als kein Hindernis eines ersprießlichen Zu­sammenwirkens , sondern Herr Sendler fand sogar, daß die frische, jugendliche Thatkraft, die sich aus den gefestigten tüchtigen Geschäftsprin­zipien des jungen Kaufmanns entwickelte, seine eigenen, hie und da etwas antiquierten Anschau­ungen nur zu unterstützen und zu ergänzen geeignet war. So konnte es als kein Wunder erscheinen, daß die Firma in ihrer neuen Gestalt fast noch besser gedieh, als vordem, und daß zwischen den beiden Chefs das schönste Einver­nehmen herrschte. Dieses Einvernehmen suchten Beide noch zu verstärken durch ein Projekt, das eben den Gegenstand ihrer heutigen Unter­redung bildete.

Hatte der verstorbene Herr Weller nur einen Sohn hinterlaffen, so war ihm sein Com- pagnon darin ähnlich, daß er, dem der Kinder­segen in seiner ersten, zwölfjährigen Ehe, versagt geblieben, auch von seiner zweiten Gattin nur mit einem einzigen Kinde beschenkt wurde, ein zartes, schönes Mädchen, dessen hoffnungsvolles Emporblühen den Trost in seiner zweiten Witwer­schaft bildete. Konnte er nicht mehr Gatte sein, so widmete er sich dafür mit verdoppelter Hin­gebung seiner Aufgabe als Vater und fand seine Zärtlichkeit darin, seinen gemütlichen Stolz auch reichlich belohnt. Und just zur selben Zeit, als seine geliebte Tochter Marie die Schwelle zwischen Kind und Jungfrau erreicht hatte, trat Herr Sendler durch den Tod seines Freundes und Compagnons zu dessen Sohn in engere Bezieh­ungen, die ebenfalls einem väterlichen Verhält­nisse glichen. So war eS geradezu selbstverständ-