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Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.
Neuenbürg, 3l.Dez. (Korresp.) Als der letzte unter den hiesigen Vereinen feierte der Liederkranz gestern abend im Gasthofe zum „Bären" seine Christbaumfeier. Jedem Deutschen steckt ja die Liebe zum Weihnachtsbaum und die Lust an dem Gewinnspiel tief im Herzen, daß man um den zahlreichen Besuch einer derartigen Feier keine Besorgnis zu hegen braucht. So war denn auch der Saal zum Bären sehr gut besetzt und die weihnächtliche Feier spielte sich in den üblichen Formen ab. Der Sängerchor, unter Leitung seines bewährten Dirigenten, Hrn. Schramm, trug einige wohlgelungene Chöre vor, das Streichquartett aus Pforzheim füllte mit seinen Vorträgen die Pausen aus, und als endlich die Stunde gekommen war, erhub sich um die beiden Glückshafen ein überaus reger Handelsverkehr. Dank der zahlreichen freiwilligen Spenden seitens verschiedener opferwilliger Mitglieder und infolge des sehr günstigen Gewinnverhältnisses konnte der Endeffekt schließlich auch kein anderer fein als bei dem bekannten „Mädchen aus der Fremde" — ein jeder ging beschenkt nach Haus, d. h. wer nicht gerade polizeiwidrig Pech hatte. Als dann der Montag dem Sonntag gefolgt war, schloß sich noch ein Tänzchen an.
Deutsches Aeich.
Berlin, 3l. Dez. Der Kaiser stattete heute Nachmittag dem Reichskanzler Fürsten Hohenlohe einen längeren Besuch ab.
Berlin, 3l. Dez. Die Saalbesitzer be- , schlossen heute Nachmittag die Aufhebung der Saalfperre. Der Saalbesitzerverein bleibt jedoch voraussichtlich bestehen.
Köln, 3l. Dez. Die „Kölnische Zeitung" schreibt: „Aus Stuttgart wird uns aus bester Quelle geschrieben: König Wilhelm hat vor einigen Tagen bei dem Empfange eines hohen Staatsbeamten die in der Presse umgehenden Gerüchte erwähnt, daß er mit dem deutschen Kaiser während der ostpreußischen Manöver Meinungsverschiedenheiten gehabt habe, und diese Gerüchte als vom ersten bis zum letzten Worte erfunden bezeichnet. Er, der König, sei thatsächlich einen Tag lang krank gewesen, habe sich aber, sobald er sich wohler gefühlt, an den militärischen Vorgängen wieder beteiligt und der Parade angewohnt und sei dann erst nach Hause gereist. Der König sprach den Wunsch aus, daß dieser wahre Sachverhalt in den weitesten Kreisen bekannt Werve. Wir haben den Worten eines Monarchen, der längst wie wenig andere das Vertrauen aller deutschen Patrioten besitzt, nichts als den Ausdruck der Freude darüber hinzuzufügen, daß die Berechnungen der Partikularisten roter und schwarzer Farbenschaltierung wieder einmal gründlich fehlgeschlagen sind. Die „Württem- bergische Bolkszeitung", das Organ der deutschen Partei, erinnert daran, daß heute wie vor 1870 süddeutsche Preßstimmen in den Franzosen die Ansicht nähren, als ob der Süden im Begriff sei, sich einmütig gegen Preußen zu erheben. Das Blatt fügt die beherzigenswerten Worte hinzu: „Wie es so weit wieder hat kommen können? Das ist ein unerfreuliches Kapitel, das eingehend zu besprechen wir heute nicht unternehmen wollen; aber nicht bloß nach einer Seite hin sollte es Anlaß zu ernsten Erwägungen geben."
Hamburg, 31. Dez. Infolge der anhaltenden Südweststürme ist abermals eine Uebcr- flutung der niedrig gelegenen Stadtteile eingetreten. Zahlreiche Kellerräume stehen voll Wasser. Der Schaden ist bedeutend.
Hamburg, 27. Dez. Gestern fand hier in einer öffentlichen Badeanstalt, wie alljährlich am zweiten Weihnachtstage, ein Wettschwimmen statt. Es hatten sich, wie man in der „Nordd. Allg. Ztg." liest, 17 Herren im Alter von 19 bis kl Jahren eingefunden, die bei einer Wasserwärme von 2'/- Grad Reaumur den Sprung in die Fluten der Elbe wagten, um die 50 in lange Bahn zu durchschwimmen. Das in zwei Abteilungen ausgesührte Schwimmen nahm einen sehr guten Verlauf. Einige Herren, denen die
Temperatur des Wassers noch reichlich hoch vorkam. legten die Bahn zweimal zurück.
München, 30. Dez. Wegenderbekannten Vorgänge in Fuchsmühl sind, wie verlautet, hundertundfünfzig Personen vor die Strafkammer des Landgerichts in Weiden geladen. Die Hauptverhandlung findet wahrscheinlich Ende Januar statt.
Karlsruhe, 30. Dczbr. Ministerialrat Göller vom Finanzministerium begiebt sich nach der Badischen Corrcspondenz im Januar nach München, um sich über die Wirkungen des Staffeltarifs bei der Braumalzsteuer und andere erhebliche Punkte zu unterrichten. Bekanntlich ist für Baden der Ersatz der alten Kesselsteuer durch die Braumalzsteuer in Aussicht genommen.
Graudcnz, 24. Dez. Der Oberlehrer Dr. Jackstein hat bei der Reinigung seines Jagdgewehrs, in dessen einem Laufe eine Patrone stecken geblieben war, aus Unvorsichtigkeit sich getötet. Jackstein gedachte binnen kurzem seine Hochzeit zu feiern.
Württemberg.
Stuttgart. Oberregierungsrat v. Schiiten heim, Administrativreferent bei der Zentral, stelle für die Landwirtschaft und Mitglied der Landgestütskommission, ist letzten Samstag im Alter von 56 Jahren an einem Lungenschlag gestorben.
Ulm, 1. Jan. Das neue Jahr wurde um Mitternacht mit allen Glocken des Münsters eingeläutet; die majestätischen Klänge in solch feierlicher Stunde finden stets zahlreiche andächtige Hörer. — Das Jahr 1895 wird der Stadt Ulm, wie der Residenz, die elektrische Beleuchtung und die elektrische Straßenbahn bringen; ein andauernder Schneefall dürfte der letzteren doch erhebliche Schwierigkeiten bereiten. — Im Laufe dieses Jahres wird die Bierbrauerei zum „goldenen Ochsen" ihren gesamten Betrieb von der Herdwickerstraße an die Heidcnhcimer Bahnlinie hinter dem kaiserl. Proviantamt verlegen, so daß dann Mälzerei. Brauerei und Keller bei einander vereinigt sind. Um die Erlaubnis zur Ausführung des großartigen Bauprojekts zu bekommen, mußten Gebr. Leibinger langwierige Verhandlungen mit der Militärverwaltung führen.
Maulbronn, 30. Dezbr. Für die Landtagswahl wird im Maulbronner Bezirk der bisherige Abgeordnete Schultheiß Kälber von Wurmderg auftreten.
Ausland.
Wien, 31. Dez. Der „Pol. Corr." wird aus Rom gemeldet: Uebereinstimmend mit der bisherigen Gepflogenheit bei dem Inkrafttreten von Gesetzen, die angeblich den Grundsätzen und Lehren der katholischen Kirche widerstreiten, beabsichtigt der päpstliche Stuhl, an die österreichisch- ungarische Regierung eine diplomatische Note zu richten, in der gegen das Jnkraftsetzen der genehmigten kirchenpolitischen Gesetze in Ungarn Einspruch erhoben wird. Doch wird der Vatican nach der Ueberreichung der Note keinen weiteren Widerstand gegen die Durchführung der Gesetze erheben. Der Vatican mißbilligte auch durchaus die heftige Sprache einzelner Pester katholischer Zeitungen gegen die Krone und die Regierung.
Die französische Depuliertenkammer ist unter dem Eindrücke der politischen Nachwirkungen der Hochverratsaffaire Dreyfuß in ihre Weihnachtsferien gegangen. Denn in der letzten Sitzung der Deputiertenkammer vor ihrer Weih- nachlspause kam es infolge des Verlangens des Sozialisten Jaurös, Hauptmann Dreyfuß müsse mit dem Tode bestraft werden, zu einer stürmischen und an aufregenden Zwischenfällen reichen Debatte, wobei Ministerpräsident Dupuy sogar die Vertrauensfrage stellte. Endlich ging das Haus mit 437 gegen 85 Stimmen über das Verlangen Jaurös zur Tagesordnung über und hieß zuletzt die beantragte Dringlichkeit für die Regierungsvorlage, welche auf jeglichen Hochverrat die Todesstrafe setzt, fast einstimmig gut. Die Sitzung hatte dann noch das Nachspiel eines Zweikampfes zwischen dem Abgeordneten Jauros und dem Arbeitsminister Barthou wegen beleidigender Aeußerungen zwischen beiden; doch verlief das Duell völlig unblutig. Das Gerücht,
wonach der zu lebenslänglicher Deportation verurteilte Hauptmann Dreyfuß Selbstmord im Gefängnis begangen haben sollte, hat sich als unbegründet herausgestellt.
Paris, 31. Dez. Der Revisionsrat zur Prüfung der Berufung des Haupkmanns Drey- fus ist heute nachmittag unter dem Vorsitze des Generals Gossarl zusammengetreten. Bei Beginn der Verhandlung erklärte der Regierungskommissär, Kommandant Romain, daß der Advokat Demange, Verteidiger des Dreyfus, sich bei dem Urteilsspruch des Rcvisionsrats beruhigen werde. Romain beantragt Verwerfung der Berufung. Nach einer Beratung von mehreren Minuten verwarf der Revisionsrat die Berufung. Das Urteil wird dadurch rechtskräftig.
Ueber den wegen Landesverrats verurteilten Hauptmann Dreyfus werden jetzt allerhand Mordgeschichten in die Welt gesetzt. So soll er, wie ein Provinzialblatt ohne alle Gewähr erzählt, schon vor Jahren mit einer „Mission nach > Deutschland" geprahlt haben, die ihm aber in Wahrheit niemals übertragen worden war. Auf dieser Missionsreise sei Dreyfus, wie er später selbst erzählt habe, in einem deutschen Wirtshause in die Lage gekommen, mit Deutschen auf die „Zermalmung Frankreichs" anstoßen zu müssen: hätte er nicht angestoßen, würde man Verdacht gegen ihn geschöpft und ihn feines mit wertvollen deutschen Karten und Aufzeichnungen gefüllten Koffers beraubt haben. Diese letztere angebliche Einzelheit zeigt schon, daß die ganze Sache erlogen ist: die deutschen Zecher haben im Wirtshause ganz andere Dinge zu thun, als auf die „Zermalmung Frankreichs" anzustoßen.
Die Amtsentsetzung des Generalgouverneurs von Französisch-Asien, de Lanessan, erregt in Frankreich großes Aufsehen. Lanessan hat geheime Berichte nnd Aktenstücke dritten Personen mitgeteilt; solche Dokumente sind z. B. in der Redaktion des Pariser Blattes „Paris" bei einer daselbst vorgenommenen Haussuchung aufgefunden worden. Auch fanden sich Briefe Lancssans an den Redakteur Canivet vor, in denen letzterer ersucht wird, ein Zeitungssyndikat zur Herbeischaffung von Kapitalien für Tonkin zu gründen. Es scheint, daß Lanessan bei diesem Unternehmen auch seine eigene Tasche bedenken wollte, denn der bisherige General- Gouverneur von Französisch-Aslen gilt gerade nicht als ein „reinlicher Charakter". Ob im Uebrigen die bewußten Dokumente große Staatsgeheimnisse enthalten haben, muß noch dahingestellt bleiben. Zum neuen Generalgouverneur von Französisch-Asicn wurde Rousseau, früherer Direktor im Kolonialministerium, ernannt, welche Ernennung den Beifall der Pariser Presse findet.
Florenz, 3l. Dez. Eine Anzahl poli- tischer Vereine drückte der Regierung volles Vertrauen aus, sowie Crispi den Dank für die Wiederherstellung der Ordnung.
Die Beziehungen zwischen Rußland und dem Vatikan sind gegenwärtig ganz besonders vorzügliche. Dies erhellt u. a. daraus, daß der Papst am Sonntag den außerordentlichen russischen Gesandten, Fürsten Lobanoff, in einer Audienz empfing, die eine halbe Stunde dauerte, und einen sehr herzlichen Charakter trug. Nach der Audienz tauschten Fürst Lobanoff und der Kardinal-Staatssekretär Rampolla Besuche aus; Rampolla überbrachte bei seinem Besuche dem Fürsten das Großkreuz des Christusordens in Brillanten.
Paris, 29. Dez. Heute fand die Preis- zuerkennung für die besten Entwürfe für die Weltausstellung 1900 statt. 22 Entwürfe, von denen die meisten den Eiffelturm mit größeren oder geringeren Aenderungen erhalten wissen wollen, erhielten Preise im Betrage von 6000 bis 1000 Frcs. — Die für das madagassische Expeditionskorps bestimmte Flotille muß bis spätestens 15. März 1895 fertiggestellt sein; dieselbe besteht aus 12 mit 2 Repetiergeschützen ausgerüsteten Kanonenboote und 46 Frachtkähnen und Fähren. Sämtliche Fahrzeuge werden zerlegt nach Madagaskar expediert und daselbst nach Bedarf montiert werden.
(Neue Orden, neue Freuden in Frankreich.) Verschiedene Blätter behaupten, mehrere Abgeordnete wollten beantragen, daß der Orden