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verstorbenen Zaren, daß seine Aerzte in den Tagen der Besserung ihm dringend angeraten hatten, selbst wenn ber Zar nach cingetretenem Schlafe sich besser fühlen sollte, am Morgen das Bett nicht zu verlassen. Nichtsdestoweniger fand Professor Sacharjin beim frühen Morgenbesuch den Kaiser außerhalb des Bettes, welcher auf die verwunderte Frage Sachalins, ob ein anderer Arzt dies angeordnet habe, erwiderte: „Nein, kein Arzt; es geschah auf Allerhöchsten Befehl/' — Die letzte eigenhändige Unterschrift vollzog der Kaiser am 12./24. Oktober.
Petersburg, 5. Nov. Professor Leyden ist der St. Annenorden 1. Kl verliehen worden.
Petersburg, 5. Nov. Von Moskau kommt die Meldung, daß die Erbitterung des Volkes gegen Sacharjin eher zu als abnehme. Die Studenten sollen erklärt haben, sie würden Professor Sacharjins Vorlesungen nicht mehr besuchen. Das Haus des Professors wird durch Polizei vor etwanigen Zerstörungsversuchen des Pöbels geschützt. Es heißt, Sacharjin werde vorläufig nicht nach Moskau zurückkehren. Der Pöbel hält an der tollen Behauptung fest, der Kaiser sei vergiftet worben. Hoffentlich wird in den allernächsten Tagen schon das Sektionsergebnis veröffentlicht werden. Dem Eintreffen der sterblichen Ueberreste des Kaisers wird hierfür Donnerstag entgegengesehen.
Petersburg, 6. Nov. In der Peter- Pauls Kathedrale ist schon ein großartiger Katafalk und ein Grab für Alexander III. nahe der Gruft der kaiserlichen Eltern hergerichtet. Der Sarkophag Kaiser Alexanders II. verschwindet ganz unter 70 mächtigen Silberkränzen, die ein Goldkranz mit der Inschrift: „Dem Zar Befreier" krönt. Kaiser Alexanders III. Sarkophag dürften bald mindestens ebenso viele Kränze schmücken, so viele Bestellungen sind schon bei Silberschmieden eingelaufen, und wie Alexander II. den Ehrennamen „Zar Befreier" erhielt, wird Alexander III. jetzt bereits vom Volk „Friedens-Zar" genannt. Auch die Bulgaren haben hier einen Silberkranz mit der Inschrift: „Von tief erkenntlichen Bulgaren" bestellt.
New-Iork, 3. Nov. Die Nachrichten vom Tode des Zaren sind mit vieler Teilnahme ausgenommen worden. Es freuen sich darüber nur die Nihilisten und Anarchisten. Die russischamerikanische National-Liga will, wie aus New- Aork gemeldet wird, ein Manifest veröffentlichen, in welchem sie betont, daß der Tod Alexanders des Dritten keine Veränderung in der feindseligen Haltung der Liga gegen die Dynastie Romanoff herbeiführt. Sie wird versuchen, auch dem Leben des neuen Zaren nachzustellen, bis er liberale Reformen einführt. Leo Hartmann, welcher im Jahre 1879 ein Attentat gegen den Zaren ausübte, sagt in einem Interview zum Herald: Nikolaus ist, glaube ich, liberaler als sein Vater, aber seine Regierung wird eine beunruhigte werden. Nach einer alten Prophe- zeihung wird der Tod des neuen Kaisers die Dynastie der Romanoffs beenden.
Rom, 6. Nov. Nach einer Meldung der „Tribuna" ist der Zar mittelst Arsenik und Phosphor vergiftet worden. Das Blatt bezeichnet die Mitteilung als authentisch und will sie von den in Lugano lebenden Häuptern der Nihilistenpartei erfahren haben.
Washington, 1. Nov. Dem Vernehmen nach wird Präsident Cleveland dem Kongresse bei dessen Zusammentritt Anfang Dezember die Abschaffung der speziellen Taxe von l —10 Cent pro Pfund empfehlen, welche durch das gegenwärtige Tarifgesetz auf allen von Prämie zahlenden Ländern kommenden Zucker gelegt ist.
Die Engländer haben sich in West- afrika eines Hebelgriffes gegen die dortigen deutschen Besitzungen schuldig gemacht. Nach Mitteilungen des deutschen Afrikareissnden Gottlob Adolf Krause ist das Hinterland von Togo seitens der Engländer besetzt worden. Im Speziellen sollen sich dieselben auf der neutralen Zone von Balaga, die in dem Afrika-Abkommen zwischen Deutschland und England vom Jahre 1888 vereinbart worden ist, fortgesetzt haben, so daß eine direkte Vertragsverletzung von eng
lischer Seite vorläge. Sollten sich die von Krause gegen die Engländer erhobenen Beschuldigungen bewahrheiten, so steht wohl zweifellos zu erwarten, daß die deutsche Regierung energische Schritte in London zur Wahrung ihrer Interessen thun wird.
Vermischtes.
Berlin, 2. Nov. Ein nichtsnutziger Streich hat. wie die „Nat.-Ztg " berichtet, zwei alte gute Damen in der Wilhelmstraße in große Aufregung versetzt und beinahe zu einem Straßen« auflauf geführt. Klingeln da gestern zahlreiche Leute, welche „eine gut erhaltene Weiße Perücke" kaufen wollen, von der sie durch Inserat wußten. Sie wurden mit der Bemerkung zurückgewiesen, daß ein Irrtum vocliegen müsse. Aber noch sind die alten Damen im Gespräch über die Unzuverlässigkeit der Zeitungen, als die Glocke abermals ertönt und ein Dutzend Masseure ihre Dienste anbieten. Auch ihnen wird erklärt, daß sie durch einen Druckfehler irre geführt sein müßten. Schlimmer wurde es, als der Nachmittag herankam, den die alten Damen gewöhnlich durch ein Schläfchen zu ehren pflegen. Da nahte nämlich die Schar der durch Inserat gesuchten Aufwartefrauen. Auch sie mußten dahin verständigt werden, daß ein grober Irrtum vorliege. Aber da kamen die alten Damen schön an: Die Frauen verlangten Schadenersatz für Omnibus, Pferdebahn u. s. w., sodaß schließlich die Polizei benachrichtigt werden mußte, um die Hausbewohner vor Angriffen zu schützen. Als nun gar aber die Stunde heranrückte, wo der Anzeigenauszug für Slellensuchendc vom Berliner Jntelligenzblatt herausgegeben wird, worin Anstreicher, Zimmermaler, Laufburschen und Packer verlangt wurden, da brach eine wahre Völkerwanderung über die unschuldige Wohnung herein, so daß vier Schutzleute für Ruhe und Ordnung sorgen mußten. Bei einer Anfrage auf der Expedition des Blattes stellte es sich heraus, daß noch weitere Anzeigen Vorlagen, die für gestern Vormittag neuen Besuch in Aussicht stellten. Natürlich wurden diese sofort abbestelll. Der Urheber solcher Mrssethat soll ein naher Verwandter der Damen sein.
Brand des Brautschleiers. In der katholischen Kirche in Kottbus geriet in dem Augenblick, als der Geistliche eine Trauung vornahm, der Schleier der Braut, die eine brennende Kerze in der Hand hielt, in Brand. Die Braut war bald in Flammen gehüllt. Der Geistliche und die anwesenden Trauzeugen leisteten zwar rasch Hilfe, doch trug die Braut lebensgefährliche Brandwunden davon und wurde bewußtlos aus der Kirche geschafft.
Saarbrücken, 4. Novbr. Eine echte Amatigeige ist, der „Dudweiler Ztg." zufolge, in einem Trödlerladen in Dudweiler entdeckt worden. Der 22jährige Sohn eines dortigen Graveurs hatte vor etwa fünf Jahren dem Inhaber des Trödlerladens für 100 eine alte Geige abgekauft. Vor kurzem übergab er das Instrument einem Geigenmacher zur Ausbesserung, und dieser erkannte in demselben sofort ein Kunstwerk des Cremonesers Nicola Amatie aus dem 16. Jahrhundert. Die Geige wurde nun für 6000 von einem Kammermusiker erworben, der den Weiterverkauf trotz eines Gebotes von 10 000 »IL ablehnte.
Dem „Jüngeren Militärvercin" in Crimmitschau i. S.. der dem Kaiser die Festschrift zu seinem 25jährigen Stiftungsfest übersandt hatte, ist nunmehr im Aufträge des Kaisers durch den königlich preußischen Gesandten in Dresden, Grafen Dönhoff, ein goldener Fahnennagel und eine seidene Schleife übersandt worden.
Wien, 3. Nov. In einer Gerichtsverhandlung gegen einen 50jährigen Mann, der seine 36jährige erst kurz gefreite Gattin wiederholt mißhandelt hatte, charakterisierte der Staatsanwalt den Angeklagten „als ein im Gebrauche des Ochsenziemers ergrautes Individuum." Diese Kennzeichnung würde ohne Zweifel den Beifall des alten Polonius gefunden haben.
Elektrische Reinigung von Abwässern. In Rio de Janeiro sind Versuche angestellt worden, die städtischen Abwässer auf elektrischem Wege zu reinigen. Diese Versuche sollen durchweg befriedigende Resultate ergeben haben, jedoch konnte sich die Stadtverwaltung zur Einführung des Systems nicht entschließen. weil sich die Kosten als zu hoch erwiesen. (Mitgeteilt vom Patcntburcau von Otto Wolfs rn Dresden.j
sZur Mode.j Dame: „Dieser Hut ist süperb — nur paßt er leider nicht zu meiner Haarfarbe!" — Kommis: „Aber eine andere Haarfarbe könnten gnädige Frau doch sehr leicht bekommen! — (Gemütlich.) Schaffner (zum Passagier): „Warum zogen sie die Notleine?" — Passagier: „Ach Herrjeeses, ich sah Sie nämlich am Bahndamm so ä reizendes Pilzchen stehen, und das wollt' ich mir holen!"
Telegramme.
Berlin, 7. Novbr. Da der verstorbene Zar Alexander ü la suite der kaiserlichen Marine stand, werden sich zufolge der „Voss. Ztg." zu den Beisetzungsfeierlichkeiten auf Befehl des Kaisers nach Petersburg der kommandierende Admiral Frhr. von der Goltz und weitere Marine-Offiziere begeben.
Berlin, 7. Nov. Durch Verfügung des Kultusministers wurden die höheren Lehranstalten angewiesen, in den oberen Klassen die Dichtung des Kaisers „Sang an Aegir" zum Gegenstand der Besprechung zu machen.
Hußt (Ungarn), 7. Nov. Hier kam es anläßlich der Weigerung der Bevölkerung, die an der Cholera Verstorbenen auf dem Cholera- Friedhof zu beerdigen, zu einem Zusammenstoß mit der Gendarmerie, welche auf Durchführung der Anordnung der Behörde bestand. Die aufgeregte Menge stürzte sich auf die Gendarmerie und versuchte derselben die Waffen zu entreißen. Die Gendarmerie mußte die Schußwaffe gebrauchen. Ein Bauer wurde getötet, viele verwundet. 60 Verhaftungen (darunter 20 Weiber) wurden vorgenommen. Die Aufregung dauert fort.
Wien, 7. Nov. Der Kommandant des siebenbürgischen Armeekorps in Hermannstadt, Feldmarschall-Lieutenant Galgotzy, ist beim Reiten mit dem Kopfe gegen die Mautstange gestoßen. Er stürzte blutend vom Pferde und erlitt eine Gehirnerschütterung.
Paris, 6. Nov. Oberstlieutenant Villemet, attachiert dem Generalstabe des 11. Ameekorps in Nantes, wurde im Expreßzug von Bordeaux nach Nantes das Opfer eines Mordanschlages; ein Mitreisender brachte ihm mit einem Rasiermesser eine schwere Verletzung am Halse bei. Der Mörder ist geflohen. — Die hiesigen Blätter verlangen immer energischer die Eroberung von Madagaskar.
London, 6. Nov. „Daily News" meldet: China hat sich, beunruhigt durch die Erfolge Japans, entschlossen, die Vermittelung Europas nachzusuchen. Der chinesische Gesandte teilte gestern der englischen Regierung diesen Wunsch seiner Regierung mit und reiste gestern Abend nach Paris, wo er mit dem Minister des Aeußern Hanotaux und dem Präsidenten Casimir-Perier eine Zusammenkunft haben wird.
Petersburg, 7. Nov. In der Peter- Paul-Kathedrale, woselbst die Gräber der kaiserlichen Familie sich befinden, werden Vorbereitungen für eine feierliche Beerdigung des Zaren Alexander getroffen. In der Mitte der Kathedrale ist ein riesiger mit der goldenen Kaiserkrone geschmückter Katafalk errichtet, zwischen Thür und Katafalk ist eine Galerie von Pflanzen und Blumen gezogen. Der Sarg ist zu Füßen derjenigen der Eltern Alexanders aufgestellt. Der Leichnam wird in Moskau 3 Tage ausgestellt, ebenso in Petersburg in der Peterpaulkirche.
Warschau, 7. Nov. Es verlautet, der Generalgouverneur Gurka verlasse bestimmt seinen Posten und werde durch einen Großfürsten ersetzt. Man erwartet eine umfassende Amnestie für politische Verbrecher.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.