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länger hätte er in die schwarzen Augen sehen mögen, aber der Schläfer hatte sich gleich müde auf die andere Seite gewendet. Ilnd aus den Gedanken wurden Personen, die Schatten gleich an den dunklen Wänden dahinhuschten, Bilder erweckend aus der Vergangenheit und für die Zukunft. Unheimlich leuchten dazwischen immer wieder zwei dunkle, nachtschwarze Augen, wie er sie nur bei Einem gesehen — bei —
Christoph springt aus dem Bette und eilt zur Thür. Er fühlte nach dem Riegel, er ist verschoben.
Hat er Angst, er, der Lindenwirt, der mit seinen Fäusten — pa! er wirft sich aufs Lager und zieht die Decke über vie Ohren. Aber da sind sie schon wieder, die schattenhaften Gestalten. Hollen, sie reiten zum Heidenstein und er rennt und flüchtet.-
Er wirft die drückende Decke zurück.
„Der neue Wein ist doch stärker, als die vorige Sendung, mußt Dich in Acht nehmen beim Trinken, Christoph, kannst aber auch etwas mehr nehmen für solche Sorte, wird gern bezahlt und kannst Ehre einlegen damit, wenn über acht Tage der Kroncnwirt mit seinem Sohne zu Dir auf die Brautschau kommt.
Lauschend hebt er den Kopf. Was ist das für ein Rascheln? Sind Mäuse in der Stube? Er hat doch lange keine gespürt. Wieder das Rascheln! Er klopft an die Bettstelle. Sollten die frechen Gesellen im Stroh stecken?
Doch das ist kein Mäuschen. Eine schwere Hand hat sich an seine Kehle gelegt. Er will empor, will rufen, er fühlt sich niedergedrückt, die Kehle ist ihm wie zusammengeschnürt, der Mund ihm trocken.
„Guten Abend, Christoph!"
„Lude, Du?" An der Stimme hat er den Angreifer erkannt.
„Ich bin's, und Du trautest schon heute Nachmittag nicht, Lindenwirt, Du schlichst um die Brände, als müßtest Du wissen, wer ich sei. Doch Du wähntest mich sicher hinter Schloß und Riegel. Aber warum denn so erschrocken, Freund, warum so ängstlich, oder hast Du noch etwas, was man Gewissen nennt Christoph?"
„Wie bist Du hier herein gekommen." frug der Wirt statt aller Antwort und suchte sich von dem festen Griffe des Wilddiebs zu lösen. Sein Mühen war umsonst. Die Kraft des Wilderers war so groß, daß er spielend den nicht gerade schwachen Mann niederhielt.
„Wie ich hereingekommen bin? Nun, durch die Thür, nur etwas früher als Du. Aber unter Deinem Bette ist ein härteres Lager als draußen im Walde, mußt mir nachher ein weicheres schaffen."
„Was willst Du von mir?" frug der Wirt vor Anstrengung keuchend.
„Ich persönlich will von Dir nichts, Freund, wenn ich noch einmal komme, geschieht^ im Interesse Deiner Tochter."
„Um die habe ich mich allein zu kümmern!"
„Gemach, ich weiß, daß mein gut gemeinter Vorschlag von damals Dich in Helle Wut versetzt hat, kann aber nichts nutzen, Kind, wirst Dich fügen müssen."
„Nie, nie gebe ich mein Kind einem Forstmann, das hast Du früher auch gut geheißen, und nun?"
„Umstände verändern die Sache."
„Bei mir so leicht nicht, laß mich jetzt los, oder ich rufe das ganze Haus zusammen, und Du kommst wieder hin, wohin Du gehörst!"
„Und wo noch ein Plätzchen für Dich ist, Verräter!"
„Verräter, ich?" Also doch durchschaut. Wäre es nicht dunkel gewesen, man hätte sehen können den Wirt bis in die Lippen erbleichen. Nicht blos Interesse an Rosel, auch Rache war's, die Lude antrieb. Dicke Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn.
„Ja, Du, Verräter, ruf nur, ruf! Zweimal hast Du sie gerufen, die Häscher, rufe zum dritten, aber Du wunderst mit, auf mein Wort!"
(Fortsetzung folgt.)
Frankfurt a. M., 22. Sept. Von dem verstorbenen Dichter des „Struwelpeter",
Geh. Sanitätsrat Dr. Hoffmann, frischt die „Franks. Ztg." einige Geschichten auf, die zwar zum Teil schon früher bekannt geworden sind, aber grade jetzt beim Hinscheiden Hoffmanns wieder gern gelesen werden. Als Hoffmann im Jahre 1840 um die Hand von Therese Donner anhielt, fragte ihn sein Schwiegervater in sp6 als vorsichtiger Mann: „Was für Aussichten haben Sie denn?" — „Ei, ich spiele ein Achtelchen in der Frankfurter Lotterie", lautete die Antwort, und auf diese Aussicht hin erhielt er seine Therese zur Frau, die ihm 54 Jahre getreulich zur Seite stand und ihm zuletzt die müden Augen zudrückte. — „In den fünfziger Jahren", so erzählte er gerne, „war ich ein gefürchteter Mann. Wenn ich in die Mainlust kam und mich ein Senator schon von weitem sah, trank er seinen Schoppen aus und machte, daß er fortkam." — Warum denn? — „Weil er Angst hatte, daß ich mit ihm über den Neubau der Irrenanstalt reden wollte." — Sein achtzigster Geburtstag am 13. Juni 1889 wurde ganz besonders gefeiert, und unter anderen erschien auch eine Abordnung des von Hoffmann mitbegründeten ärztlichen Vereins, deren Sprecher in wohlgesetzter Rede die Verdienste hervorhob, die sich der Herr Geheimrat in seinem langen arbeitsreichen Leben erworben habe. Der Jubelgreis, der erst ein Jahr vorher in den Ruhestand getreten war, hörte aufmerksam zu und sagte dann lächelnd: „Ja, meine Herren! Die erste Hälfte des Lebens liegt jetzt hinter mir." — Bekannt ist, daß er in den letzten Jahren auf die Frage: „Wie gehts?" gern antwortete: „Abwärts, aber bequem." — Auch auf dem Krankenbette blieb ihm dieser Humor treu. Als er vor einigen Jahren ziemlich schwer an einem Karbunkel litt und sich ein Bekannter besorgt nach seinem Befinden erkundigte, erwiderte er: „Das Billet ins Jenseits habe ich schon; ich weiß nur noch nicht, wann der Zug abfährt."
fAus dem Gerichtssaal) Angeklagter (nachdem er verhört worden, zu seinem Verteidiger): „No Sie, wenn ich jetzt die Wahrheit gesagt hätt', da wären Sie schön 'reingefallen!" — (Erkannt.) Bauer (der soeben sein Gehöft versichert hat, zum Versicherungsagenten): „Was krieg' i' jetzt, wenn's nächste Woch' scho' bei mir brennt?" — Versicherungsagent: „Nun, da können Sie schon drei bis vier Jahre Zuchthaus kriegen!" — (Auch ein Toast.) Hausfreund (der aufgefordert wird, einen Toast auf das Geburtstagskind auszubringen): „Verehrte Anwesende, ich bin kein Freund vieler Worte .... Kurz und gut. ich schenke meinem Freunde hiermit die zwanzig Mark, die ich noch von ihm kriege! Das Geburtstagskind lebe hoch!"
(Kleiner Irrtum.) Fräulein A.: Sehen Sie nur, wie wild mich die Kuh anguckt. — Bauernmagd: Das macht Ihr roter Sonnenschirm, Fräulein. — Fräulein A.: Allmächtiger Gott! Er ist ja etwas aus der Mode, aber ich glaubte nicht, daß die Kuh das merken würde!
(Doch Etwas.f Förster (zu seinem Nebenmann. der auf einen Hasen geschossen): „Na, getroffen?" — Lieutenant: Das zwar nicht, aber — aus seiner früheren Richtung Hab' ich ihn doch geschlagen!"
(Kasernhofblüte.) Unteroffizier (zu einem recht mageren Rekruten): „Mensch, Sie sehen ja aus wie ein Abreißkalender am 31. Dez !"
Telegramme.
Berlin, 30. Sept. Die „Post" berichtet unter Vorbehalt, daß gestern Abend etwa 183 Unteroffiziere von der Oberfeuerwerkerschule in der Jnvalidenstraße verhaftet worden und mittelst Sonderzuges heute früh 2 Uhr 50 nach Magdeburg transportiert worden sind. Begleitet wurden dieselben von den Mannschaften des 4. Garderegiments mit aufgepflanztem Seitengewehr. Als Grund für den sensationellen Vorfall wird aus angeblich sicherer Quelle angegeben, daß es sich um Teilnahme an politischen Umtrieben handeln soll. Genauere Einzelheiten sind noch nicht bekannt, da die Untersuchung
militärischerseits streng geheim gehalten wird. — Ein weiteres Telegramm besagt: 1. Oktbr. 11 Uhr. Auf Allerhöchsten Befehl wurden 183 Schüler der Oberfeuerwerkerschule Samstag Abend verhaftet und mittelst Sonderzugs Sonntag früh nach der Citadelle in Magdeburg transportiert. Der Grund der Verhaftung ist bei schwerem Vergehen gegen die Disziplin. Als Samstag Nachmittag kurz nach dem Appel der Direktor der Schule Major v. Stetten mit einigen Offizieren im Hofe stand und mehrere Schüler in strengem Tone zur Rede stellte, soll plötzlich ein Fenster des zweiten Stockwerks geöffnet und von einem bisher nicht ermittelten Schüler laut in den Hof gerufen worden sein: „Es lebe die Anarchie". Die Verhafteten sind zumeist Unteroffiziere. Das 2. Bataillon des 4. Garderegiments war in der Nacht zum Sonntag allarmiert worden.
Leipzig, 30. Sept. Der Probstzella'cr Schieferbruch ist eingestürzt. Fünf Personen blieben tot, sieben sind gerettet. Eine Leiche wurde geborgen. Die Bergung der Uebrigen ist wegen der Gesteinsmassen erst nach Wochen möglich.
Ravensburg, 1. Okt. Der vierte oberschwäbische Parteitag der deutschen Volkspartei, der heute Vormittag im Gasthof zum Lamm hier abgehalten wurde, war von etwa 300 Parteimitgliedern besucht. Den Vorsitz führte Landtagsabgeordneter Mayser-Ulm. I. Sauter-Hirschlatt sprach über das neue Zentrumsprogramm, Beck-Mengen über die bevorstehenden Landtagswahlen. Die Redner äußerten sich insgesamt sehr scharf gegen das Zentrum und gaben bezüglich der Volkspartei den Wunsch und die Hoffnung zu erkennen, daß sie auch im Oberland mehr und mehr Fuß fasse. Nachmittags fand in der Turnhalle unter dem Vorsitz von A. Betz-Wangen eine von etwa 700 Personen besuchte öffentliche Versammlung statt, in der Friedrich Haußmann-Stuttgart über Vokspartei und Zentrum sprach. Gegner meldeten sich nicht zum Worte.
Gmünd, 1. Okt. Am letzten Samstag nachts 10 Minuten nach 10 Uhr brach in dem großen, vor 15 Jahren neu erstellten Saalbau des Gasthofs zum „Rad" hier, auf bis unaufgeklärte Weise Feuer aus, welches das ganze Gebäude einäscherte, während das Hotelgebäude selbst gerettet werden konnte. In dem abgebrannten Teil spielte seit einigenTagen dieTheatergesellschaft Sternfeld. Leider kostete der Brand ein Menschenleben, indem der Feuerwehrmann Söll, ein wackerer Arbeiter und Familienvater beim Einstürzen einer Mauer begraben wurde; derselbe konnte noch lebend hervorgezogen werden, starb aber bald darauf. Mehrere Feuerwehrmänner erhielten Verletzungen.
Amsterdam, 30. Sept. Das „Handcls- blad" meldet aus Batavia, daß Metram erobert worden ist. Ein Offizier und 12 Mann find gefallen. Drei Offiziere und 48 Mann wurden teils schwer verwundet. Die Gegner hatten große Verluste.
Paris, 30. Sept. Eine Depesche des „Journal de Debats meldet: Ein Cyklon zerstörte die Hälfte der Stadt San Domingo.
London, 1. Okt. Nach einer Meldung aus Shanghai ist der englische Dampfer Tathan, welcher durch ein chinesisches Kriegsschiff beschlagnahmt war, weil Kriegsmunition an Bord vermutet wurde, von den Chinesen bedingungsweise wieder freigegeben. T>er Dampfer soll nach Shanghai abgehen unü wird vielleicht neuerdings durchsucht.
London, 1. Okt. Der Vizekönig Li Hung Tschang ist noch nicht in das Hauptquartier ab gereist, man glaubt, er werde so lange in Tientsin bleiben, als gegen ihn beim Kaiser intrigiert wird. Die Times meldet aus Shanghai: Durch ein kaiserliches Dekret wird zur Führung des Krieges eine Spezialkommission ernannt, welcher der Onkel des Kaisers King-Kung und die Präsidenten des Tsungleahmen und der Admiralität angehören.
Pitts bürg, 29. Sept. Sämtliche Weiß- blechsadriken werden in Folge der Lohnstrcitig- leiten heute Nacht geschloffen.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.