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„Ja, das arme Fräulein! Bald nachdem sie. es müssen nun drei Jahre sein, aus dem See- bad zurückkamen, wurde Frau Gebert krank und starb nach wenigen Tagen. Wir wohnten damals da drüben in dem kleinen Hause, und meine Frau ist öfter zu Hilfe geholt worden, da hat sie den ganzen Jammer mit erlebt. Der Schmerz von Fräulein Rosa soll herzzerbrechend gewesen sein. Der Herr Kanzleirat ließ sich darauf pensionieren, und da bei ihm eine Lähmung eintrat, verordneten ihm die Aerzte eine Kur und reiste mit seiner Tochter fort, wohin weiß ich nicht."
„Fräulein Rosa hat sich dann verheiratet, nicht wahr?"
„So?" — erwiderte der Mann auf Huberts Frage, „davon ist mir nichts bekannt. Nach dem Tode des Vaters war sie hier mit einem älteren Herren, wahrscheinlich ihrem Vormunde, dem sie den Verkauf des Grundstücks übergeben hat, das ich nun seit dem vorigen Jahre von dem Eigentümer gepachtet habe.
„Wann war Fräulein Gebert zum letzten Male hier? fragte Hubert atemlos.
„Nun, es mag so etwas über ein Jahr her sein. Ich hörte darauf, sie sei nach England gereist, das ist alles, was ich weiß."
Hubert stand da wie erstarrt, seine Gedanken wogten durcheinander und sein Kopf glühte fieberhaft. Er that noch mehrere Fragen, doch der Mann hatte ihm alles was er von der Familie Gebert wußte, mitgeteilt, und da sein ferneres Verweilen nur unnütz war, grüßte er und dankte für die ihm erteilte Auskunft, dann schlug er zu Fuß den Weg nach der Stadt ein. Wie im Traume ging er dahin, er konnte keinen Ausweg aus dem Labyrinth seiner Gedanken finden. Seine Seelenstimmung war vergleichbar mit dem Gewirr der Straßen, in das er geriet, planlos irrte er umher in der ihm fremden, großen Stadt, von dem Menschengewühl immer weiter getragen und doch ohne Interesse für alles, auf was sein Auge fiel. Seine ganze Ruhe war plötzlich wieder erschüttert durch das Dunkel, das sich um Rosas Geschick wob. und die Ungewißheit, in die er durch die Worte des Gärtners gestoßen war, verursachten ihm eine namenlose Pein.
Nach mehrstündigem Umherlaufen kam er endlich in einem weniger belebten, eleganteren Stadtteil an und trat erschöpft in ein Gasthaus, um einige Erfrischungen zu sich zu nehmen.
Er blieb geraume Zeit da, um allmälig seine Gedanken wieder zu sammeln und über die Schritte, die er einzuschlagen gedachte, nachzudenken. Ihm war eingefallen, daß der Kanzleirat einen Bruder erwähnt hatte, der auch in B. lebte und war, wenn er nicht irrte, Bankbeamter. Er ließ sich das Adreßbuch geben und suchte den Namen Gebert auf.
Richtig, das mußte er sein. „Gebert, Rechnungsrat bei der König!. Bank." Hubert schrieb sich die Adresse genau in sein Notizbuch und nahm sich vor, den Herrn den andern Vormittag aufzusuchen.
In einer der Hauptstraßen von B. lag das Haus, in welchem der Rechnungsrat Gebert wohnte. Es war eine stattliche Front von Fenstern, die man mehrmals in der Woche glänzend erleuchtet sah, denn die Frau Rätin liebte es, oft Gesellschaft in ihren Räumen zu sehen.
Die Frau Rätin hatte es auch durchzusetzen gewußt, daß ihr einziger Sohn die militärische Laufbahn einschlug, und sie hatte nun die Genug- thuung, ihn in der ihn vortrefflich kleidenden Ulanenuniform zu sehen. Dieser Sohn verlieh den geselligen Zirkeln des Hauses erst jetzt den rechten Glanz und es konnte nicht fehlen, daß die Tochter, die inzwischen herangewachsen war, auch mit von dem Glanz beschienen wurde und sehr bald von den Freunden des Bruders umflattert wurde. Zu ernsten Anträgen kam es jedoch vorläufig noch nicht, denn noch wurde keiner der Herren von dem stolzen Auge der Frau Rätin für würdig befunden, ihrer Tochter die Hand anzutragen. Sie hatte im Sinn, den Adel, den sie selbst geopfert hatte, in der Tochter wieder aufzusrischen. Daß ihr dies gelingen würde, davon war sie fest überzeugt. Mit den Verwandten ihres Mannes kam sie sehr selten
in Berührung und der Tod des Kanzleirats und seiner Frau, der den Rechnungsrat sehr ergriff, verstimmte sie nur insofern, als sie durch die Familientrauer gezwungen war. einige Soireen absagen zu lassen. Sie entschädigte sich und ihre Tochter jedoch durch kleine Familienzirkel, zu denen die auserwählten Offiziere eingeladen wurden, und endlich hatte die Frau Rätin den rechten Mann für ihre Tochter gefunden; er war Hauptmann und zugleich von altem Adel und als er seinen Antrag machte, wurde er mit Freuden angenommen und die Verlobung alsbald gefeiert.
(Fortsetzung folgt.)
Berlin, 25. Juli. Das Gericht hatte hier kürzlich die welterschütternde Frage zu lösen: „Dürfen Angestellte während der Geschäftszeit Blumen im Knopfloch tragen?" In einem großen Modewarengeschäft in Berlin bediente ein Commis eben eine Dame, als der Chef an ihn herantrat mit der Aufforderung, er solle die Blume, die er im Knopfloch stecken hatte, entfernen. In der Geschäftsordnung sei vorgeschrieben, daß die Herren im dunklen Anzuge zu erscheinen hätten; daß Blumen getragen werden dürften, sei nirgends erwähnt. Der Angestellte erklärte, es sei aber auch nicht vorgeschrieben, daß Blumen nicht getragen werden dürften, und befolgte trotz mehrmaliger Aufforderung nicht den Wunsch seines Chefs. Die Folge war, daß er wegen Gehorsamsverweigerung sofort entlassen wurde. Der junge Mann klagte nunmehr auf Gehaltsentschädigung für sechs Wochen, wurde aber mit seinen Ansprüchen vom Gerichte abgewiesen, „weil der Angestellte im Geschäft sich den Anordnungen des Chefs zu fügen hätte".
Der Eiffelturm, dieses Hauptanziehungsmittel der Pariser Weltausstellung von 1889, wird jetzt wahrscheinlich von der Bildfläche des Marsfeldes verschwinden. Der Ausschuß für die Weltausstellung für 1900 hat sich nämlich nicht für die Erhaltung des Turms ausgesprochen. Die Verehrer des Turms suchen ihn noch zu astronomischen Zwecken oder als dereinstige Station für die Luftschifffahrt zu empfehlen. Doch finden sie damit wenig Anklang. Vielmehr scheint man des Turms gründlich überdrüssig zu sein. Als Anziehungsmittel für die Weltausstellung, so heißt es jetzt, sei der Eiffelturm ganz gut gewesen; nach Schluß der Ausstellung aber habe er keine Daseinsberechtigung mehr, denn er sei ein Bauwerk ohne Schönheit und ohne jeden sonstigen idealen oder praktischen Wert. Je eher man desselben entledigt werde, desto besser sei es. Dies ist die Ansicht des Journal des Debats. 8io trausit Zloria munäi!
sWaschwasser gegen Sommersprossen.j Sommersprossen lassen sich nicht gänzlich vertreiben, wohl aber entfärben; sie kommen alle Jahre wieder zum Vorschein. Fein geriebener Merrettig in einer Glasflasche mit scharfem Weinessig übergossen und so 24 Stunden wohl verpfropft stehen gelassen, wird mit Erfolg angewendet. Bestreicht man die Sommersprossen hiermit vor dem Schlafengehen, so werden genannte Flecke nach 14tägigem Gebrauche sicher verschwunden sein.
Es ist wiederholt behauptet worden, daß der Storch zu den schädlichen Tieren gehöre. Dem entgegen berichtet die Zeitschrift „Natur" über den Inhalt des Magens und Kropfes eines bei Berlin geschossenen Storches. Dieser Inhalt bestand aus 141 Libellenlarven,
3 Wasserkäfern, 4 Schwimmkäfern, 1 Aaskäfer, 1 Laufkäfer. 3 Grassröschen, den Knochen von
4 anderen Fröschen, 8 Molchen und einer Knoblauchskröte. Libellenlarven und Schwimmkäfer gehören zu den schlimmsten Fischräubern.
(Gut gedient.) Ehemann: „Warum heiraten sie eigentlich nicht, Fräulein Müller? Sie müssen sich dranhalten, ein Bissel ein spätes Mädchen sind sie ja schon!" — Fräulein Müller: „Wenn ich so anspruchslos wäre, wie ihre liebe Frau, dann wäre ich längst verheiratet."
Telegramme.
Berlin. 2. August. Der Reichsanzeiger teilt mit: Nach amtlicher Meldung Hot die japanische Regierung die Vertreter der Mächte in Tokio in Kenntnis gesetzt, daß sie sich als mit China im Kriegszustände befindlich betrachte. Die chinesische Regierung hat die auswärtigen Vertreter informiert, daß, nachdem Japan die Feindseligkeiten eröffnet habe, China sich zur Verteidigung gezwungen sehe. Die Kriegserklärung wurde heute Vormittag 10'/, Uhr in Shanghai bekannt, worauf sofort die Flagge auf dem japanischen Konsulat gestrichen wurde. Die japanischen und chinesischen Passagierdampfer werden unter neutrale Flagge gestellt.
London, 2. August. Die „Times" meldet aus Shanghai von gestern: Der chinesische General Aeh besiegte am 29. Juli die Japaner in der Nähe von Asan. Die Japaner hätten sich aus Söul zurückgezogen. Ein chinesisches Heer von 20 000 Mann überschritt die Grenze Koreas von der Mandschurei aus.
Lüneburg, 3. August. Der Kassier der Armen- und Krankenkasse hat sich nach erheblichen Jahre langen Unterschlagungen geflüchtet.
Lyon, 2. Aug. Die Ueberführunz des Mörders Caserio nach dem Justizpalast fand heute früh 5 Uhr ohne irgend einen Zwischenfall statt. Vor dem Palast hatte sich schon zu früher Stunde eine große aufgeregte Menge versammelt. Ein Regiment Infanterie umgiebt den Justizpalast. Alle Thüren zum Gerichtssaale sind von Polizei besetzt. Eintritt haben nur diejenigen erhalten, die im Besitz einer Eintrittskarte sind. Um 9 Uhr tritt der Gerichtshof in den ziemlich kleinen Sitzungssaal ein. Hieraus wird der Angeklagte hereingeführt, an den Händen mit Ketten gefesselt, von 2 Gensdarmen geleitet, denen noch vier folgen. Nach Verlesung des Anklageaktes, der Caserio teilnahmslos zuhört, beginnt das Verhör. Der Vorsitzende beginnt die Aussagen des Angeklagten zu besprechen und sucht ihn zu überführen, daß er die Unwahrheit spreche und nichts aussagen wolle. Er greift Caserios Erklärungen an und sucht dar- zuthun, daß seine Beziehungen zu den Anarchisten im ganzen Lande eine ausgedehnte Verbindung beweisen. Die Antworten Caserios gehen zusammengefaßt dahin: Ich kann keine Aufklärungen über die Anarchisten geben; ich gehöre nicht zur Polizei, und da ich Anarchist bin, konnte ich die bürgerliche Gesellschaft nicht besuchen. Ich kenne nur Genossey. Das ist aber auch alles, was ich sagen kann. Ich habe kein Vaterland. Mein Vaterland ist die ganze Welt. Caserio bleibt im ganzen sehr ruhig und scherzte bisweilen. Schließlich erklärt Caserio, er stimme allem zu. nur der Aussage des Soldaten Leblanc nicht. Er billige das Vorgehen Vaillants und Ravachols und der anderen Anarchisten. Seine That habe er ohne Genossen vollführt. Der Präsident sagt zu ihm, er habe nicht nur ein Staatsoberhaupt, sondern auch einen ausgezeichneten Gatten und Vater getötet. Caserio antwortete, auch die Hingerichteten Anarchisten hätten Familie gehabt. Dann wird das Verhör geschlossen.
Toulon, 3. August. In einer Werkstatt des Arsenals wurde in letzter Nacht unter einem Haufen Körben eine brennende Schwefelschnitte entdeckt.
London, 3. August. In einem Güterdepots einer hiesigen Eisenbahngesellschaft wurde eine eiserne Bombe mit Zunder gefunden.
Minsk. 3. August. Ein furchtbares Feuer legte gestern ein ganzes Stadtviertel i" Asche. Der Schaden ist sehr beträchtlich; auch einige Personen werden vermißt. Brandstiftung wird vermutet, da seit Wochen anonyme Drohbriefe kursieren.
Der Dampfer Ratuvajal von Well- manns Nordpol-Expedition wurde am 20. Mai in der Nähe der Tafelinsel vom Eise zerdrückt. Aus den Trümmern wurde zum Schutze der Mannschaft ein Häuschen errichtet. Diese Nav richt überbrachte der Kapitän des Ratuvajau der mit 3 Personen von der Bemannung E einem Walfischboot hier eintraf. Ein neues für die Expedition wird ausgeführt. Well man nie? mit einigen Mann die Wanderung übersEch^.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.