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Wahlen zum Landtag. Minister Eisenlohr erklärte, die Regierung werde demnächst dem Landtag einen Gesetzentwurf zur Einführung der direkten Wahlen mit Proportionalvertretung vor­legen. Seine Aeußerungen in der Kommission seien seine persönliche Meinung gewesen. Der Landtag wird am nächsten Donnerstag vom Großherzog persönlich geschlossen.

Nach übereinstimmender Meldung mehrerer Zeitungen hat die englische Regierung in der deutsch-englischen Streitfrage wegen der Grenzabänderung im Vertrage vom 12. Mai nachgegeben. England ist bereit, den Artikel 3 dieses Vertrages, der von der Pachtung eines 25 km breiten Gebietsstreifens handelt, fallen zu lassen. Da gleichzeitig von Brüssel gemeldet wird, die Kongoregierung habe Frankreich die Abtretung des streitigen Gebiets am Ubangi-Uölle angeboten, so ist ein diplomatischer Rückzug auf der ganzen Linie zu konstatieren. Der deutschen Diplomatie aber kann zu ihrem Erfolge nur Glück gewünscht werden.

Zu Schönin gen im Herzogtum Braun­schweig erkrankten plötzlich die 4 Jahre alten Zwillingssöhne eines Schuhwaarenhändlers an Vergiftnngserscheinungen. Es stellte sich heraus, daß die Ander Schoten des Goldregens ge­gessen hatten. Das eine Kind ist bereits ge­storben, bei dem anderen ist wenig Hoffnung auf Erhaltung des Lebens.

Malsch, 21. Juni. Kürzlich hat die 16- jährige Dienstmagd des Bürgers L. hier, welcher die Kinder desselben zur Obhut anvertraut waren, das bildschöne 3jährige Knäblein mit einem Besenstiel erschlagen. Die Leiche ist schreck­lich zugerichtet. Die Person ist verhaftet.

Württemberg.

H e i l b ro n n, 21. Juni. In der heutigen Gemeinderatssitzung kam es nach dem Bericht derNeckarztg." zu Auseinandersetzungen zwischen den demokratischeu resp. sozialdemokratischen Ge­meinderäten und dem Oberbürgermeister Hegel­maier. Den Wortführer mußte der Gemeinderat Haag machen, welcher erklärte, der Gemeinderat sei durch die Erklärung des Hrn. Hegelmaier vom 14, d. Mts., wonach er sein Pensions- Anerbieten zurückziehe, sehr überrascht gewesen, er verwahre sich dagegen, daß er seinerseits ehr­lich Frieden zu halten versprochen habe. (Das war von den Gesinnungsgenossen Haag's auch gar nicht behauptet.) Ebenso unwahr seien die Verlautbarungen der Blätter, daß der Heilbronner Gemeinderat sich mit dem abweisenden Bescheid des Oberamtes auf sein Demissionsgesuch be­ruhigen werde. Der Oberbürgermeister erwiderte unter anderem, die diesbezüglichen Verlautbar­ungen in der Presse hätten ihn nicht zum Ur­heber, er, Hegelmaier, habe allerdings der Ueber- zeugung sein müssen, daß der Gemeinderat sich mit dem ablehnenden Bescheid des Oberamts be­ruhigt habe, da innerhalb der im Verwaltungs- Edikt vorgeschriebenen Frist von 8 Tagen eine Beschwerde des Gemeinderats gegen die Ent­scheidung des Oberamtes bei der Kreisregierung nicht erfolgt sei und nun auch nicht mehr er­folgen könne. Haag erwiderte, in der Rechts­belehrung des Oberamtes sei über die 8 tägige Frist nichts gesagt, worauf Hegelmaier ant­wortete, der Gemeinderat habe sich ia selbst auf den ß 17 des Verw.-Edikts in seiner Eingabe berufen und in dem gleichen Paragraph sei auch die Präklusivfrist für etwaige Beschwerden ent­halten. Der Oberamt habe also voraussetzen können, daß der Gemeinderat den betr. Para­graph ganz gelesen habe! Der sozialistische Ge­meinderat Kitller meinte dann noch, das Südd. Korrespondenbureau müsse seine Nachricht von dem Verzicht des Oberbürgermeisters auf seine Pensionierung von letzterem selbst erhalten haben (eine dreiste Unterstellung!), Hegelmaier erwiderte, er sei bezüglich der Frage, was er nun mit seinem Pensionsgesuch zu lhun gedenke, von ver­schiedenen Leuten gefragt worden und habe aus seinen Absichten kein Hehl gemacht, übrigens sei er, sobald eine Anregung seitens des Gemeinde­rats erfolge, bereit,, sein Pensionsgesuch zu er­neuern. Hienach sind also die demokratischen

und sozialistischen Gegner des Hrn. Hegelmaier nicht gewillt, ehrlich Frieden zu halten, sie wollen im Gegenteil die Streithändel mit allen mög­lichen und unmöglichen Mitteln fortsetzen.

Vergangenen Sonntag fand in Bei Ist ein, wie schon berichtet, unter dem Vorsitz des Hell­brauner Oberbürgermeisters eine sehr zahlreich besuchte, von allen interessierten Gemeinden be­schickte Versammlung statt, worin beschlossen wurde, die Agitation zur Weiterführung der Schmalspurbahn von Beilstein nach Heilbronn mit allem Nachdruck wieder aufzunehmen. Aus der Versammlung heraus wurde der Wunsch ge­äußert, die nächste Versammlung im Herbst möge in dieser Angelegenheit in Heilbronn selbst ab­gehalten werden, worauf Hegelmaier unter stürmischer Heiterkeit mit großem Humor den Vorschlag machte, einen Tag auszuwählen, an welchem in Heilbronn eine Herbstfeier statlsinde.

Von de« Geld- und Warenbörsen,

Stuttgart, 21. Juni Auf den Geldbörsen und namentlich auf den deutschen lastet noch immer der Druck einer nahezu unheimlichen Gefchäftsstille, und wenn der Ausweis über den Ertrag der deutschen Börsensteuer pro Monat Mai weit hinter dem Voran­schlag zurückgeblieben ist, so wird auch der Juni in dieser Beziehung kein besseres Erträgnis liefern. Zu dieser Geschäftsunlust im allgemeinen kamen noch die Unsicherheit über den Bestand des neu konstruierten ungarischen Kabinets und die förmlich pessimistische Auffassung über die Finanzlage Italiens, ferner die ungünstigen Nachrichten über die Wirkungen der naß­kalten Witterung auf den Saatenstand von ganz Europa, sowie die Meldungen über die großartigen Ueberschwem- mungen in Ungarn. Rur in Kohlenaktien fanden noch einige Umsätze und zwar bei etwas gebesserten Kursen statt uno auch in einigen sogen. Getreideimportbahnen; im übrigen war das Geschäft äußerst still bei abbröckeln­den Kursen. 3°/ßige Reichsanleihe ging von 90.50 auf 90.30 zurück; auch die übrigen deutschen Staatsfonds sind nur schwach behauptet, Italiener konnten sich auf dem vorwöchigen Kurse halten, weil die Gründung einer deutsch-italienichen Bank und die Einführung eines Alkoholmonopols in Italien gesichert erscheinen. Infolge der seit Anfang Juni in ganz Europa für den Saatenstand so ungünstigen Witterung hat sich an den Getreidemärkten ein lebhaftes Geschäft entwickelt, und die Preise sind beträchtlich in die Höhe gegangen. Weizen pro Juni stieg in Berlin von 136.50 auf 145.50, pro Septbr. von 139.20 auf aus 147.70, Roggen pro Juni von 120.50 auf 129.50, pro August von 121.20 auf 129.50 und pro Septbr. von 114.70 auf 120.75, Weizenmehl von 15 aus 15.50, Roggenmehl von 15.20 aus 16.25. Nach der vorwöchigen Hausse ist auf den Zuckermärkten wieder eine Erschlaffung eingetreten, und die Preise erfuhren nicht unwesentliche Abschwächungen.

Ausland.

In Böhmen dauern die jungtschechischen Hetzereien gegen alles, was deutsch heißt, noch immer fort. Der letzte Beschluß des Prager Gemeinderats wegen der Anbringung nur tschechischer Straßentafeln in Prag wurde durch die kaiserliche Statthalterei von Amts wegen außer Kraft gesetzt. Bemerkenswert ist deshalb eine Rede des jungtfchechischcn Abgeordneten Spindler über den Niedergang des Tschechentums, den er den Untugenden der Tschechen zuschreibt. Als solche Untugenden nannte er die fürchter­liche Unverträglichkeit, den gänzlichen Mangel an Achtung vor fremder Ueberzeugung, den leichtsinnigen Größenwahn der Tschechen und deren niedrige Verläumdungssucht. Spindler wird aber wohl tauben Ohren gepredigt haben.

Das englische Oberhaus hat den all­jährlich wiederkehrenden Antrag auf Abschaffung des Verbots der Verheiratung von Verschwägerten untereinander mit 9 Stimmen Mehrheit wieder­holt abgelehnt, obgleich sich die Königin für diese Abschaffung lebhaft interessiert und auch der Prinz v. Wales im Oberhaus dafür gestimmt hat. Die 21 englischen Bischöfe im Oberhaus stimmten geschloffen für die Aufrechterhaltung des Verbots. Der englische Ministerprä­sident hat mit einem Rennpferd bei einem Wettrennen den ersten Preis davongetragen. Das nehmen ihm nun seine muckerischen Partei­gänger so übel, daß sie öffentliche Protestver­sammlungen gegen die Sündhaftigkeit Roseberys abhalten. Sehr naiv gebärdet sich die englische Presse gegenüber den deutschen Reklamationen gegen den englisch-belgischen Kongovertrag. Diese Blätter meinen bei den Sympathien des deut­schen Kaisers für England sei der Protest Deutschlands nicht sehr ernst zu nehmen. Darüber sind sie nun inzwischen eines Besseren belehrt

worden, und nun jammern sie darüber, daß die deutsch-ostafrikanische Gesellschaft die Vorschüsse der Regierung bereits zurückzahlen könne, sich also auf dem Wege des Gedeihens befinde. Der russische Großfürst-Thronfolger befindet sich gegenwärtig in England, seine Braut die Prinzessin Al ix von Hessen nimmt bereits Unterricht in der russisch-orthovoxen Religion zum Zweck des Konfessionswechsels. Der russische Zar hat neuerdings um- ' fassende Anordnungen betr. seiner persönlichen und der kaiserlichen Schlösser Sicherheit ge­troffen. Er kommt also offenbar aus der Todes­angst nicht heraus.

In den südamerikanischen Republiken Para­guay. Peru, Chile usw. hört die Gärung nicht auf. In Paraguay ist eine offene Revo­lution ausgebrochen, in Peru und Chile fürchtet man deren stündlichen Ausbruch, in den südlichen Teilen von Brasilien hört sie überhaupt nicht auf. Kurz, der bekannle Satz:Geh weg und laß mich hin" bleibt in diesen Republiken wie auch in den europäischen der oberste Grundsatz aller Staalsweisheit.

Berlin, 18. Juni. Aus Freiberg (Sachsen) hat die hier erscheinende Deutsche Verkehrsztg. die Nachricht erhalten, daß daselbst ein kürzlich verstorbener nicht verheiratet gewesener Rentner aus seinem beträchllichen Vermögen u. A. auch für zwei Briefträger, welche die Bestellung im Hause des Erblassers ausgeführt haben, Legate in Höhe von je 300-/A ausgesetzt hat.

Wettervorhersagungder Meteor. Zentr.- Station Hohenheim, Freitag den 22. Juni, nachm. 4 Uhr. Der Hochdruck über Mitteleuropa hat sich seit gestern verstärkt, dagegen ist er über Irland und Schottland und auch über Italien etwas zurückgegangen. Im allgemeinen hat sich aber die Wetterlage seit gestern wenig verändert. Sonach ist für morgen vorwiegend heiteres und warmes Wetter in Aussicht zu nehmen.

Auflösung des Rätsels in Nr. 93.

Kleid, Leid, Eid.

Betonungs-Rätsel.

Berühmter Componist,

- sein Vornam' ist.

Wie ist sein Spiel zugleich und Feuer reich.

Telegramme.

Berlin, 22. Juni. Zur Verhaftung des Zeremonienmeisters v. Kotze wegen anonymer Verleumdung wird gemeldet, daß der Kaiser den Befehl zur Verhaftung am Sonntag kurz vor der Grundsteinlegung des Domes erteilte. Als dem Kaiser nahegelegt wurde, daß die Verhaft­ung einen ungeheuren Skandal Hervorrufen werde, antwortete der Monarch:Gleichviel, ihm soll der Prozeß gemacht werden, wie jedem gemeinen Verbrecher."

Berlin, 23. Juni. In der Angelegenheit des verhafteten Zeremonienmeisters v. Kotze, teilt das Kl. Journal mit: Nach der Inter­nierung Kotzes sind zu einer Zeit und unter Umständen, welche die frühere Anfertigung durch Kotze unmöglich erscheinen lassen, neuerdings 4 anonyme Briefe derselben Art und mit der­selben Handschrift an Mitglieder der Hofgesell­schaft gelangt. Ueber 400 dem Kotze zuge­schriebene Briefe befinden sich in den Händen der Behörde

Lissabon, 23. Juni. In Folge der Ver­fügung des Ministers wurde das Lager der ausständischen Bäcker, welches dieselben außer­halb der Stadt aufgeschlagen haben, von der Polizei eingeschlossen. 3000 spanische Bäcker wurden an die Grenze geschafft, die portugiesischen zerstreut. Die Militärbäcker versorgen die Stadt mit Backwaren.

London, 23. Juni. Das Reuter'sche Bureau meldet: In den Städten Aokohama und Tokio verursachte gestern nachmittag ein heftiges Erdbeben große Zerstörungen. Durch einstürzende Häuser wurden mehrere Eingeborene getötet und viele verletzt. Das Eigentum der angesessenen Europäer hat großen Schaden ge­litten.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.