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Krakau, 21. Juni. Das Hochwasser fällt seit gestern langsam aber anhaltend. Der Wasserstand ist 2,6 Meter über Null. Eine neuerliche Ueberschwemmung ist in Anbetracht der Niederschläge der letzten Nächte nicht ausgeschlossen.
Der französisch-siamesische Zwischen- fall ist beigelegt. Die siamesische Regierung zahlt den Hinterbliebenen des ermordeten Inspektors Grosgurin 150000 Fr. als Entschädigung.
Amiens, 18. Juni. Am 14. April wurden 2 Mörder, Hachin und Decon, zum Tode verurteilt, diese Strafe ist jedoch in lebenslängliche Zwangsarbeit umgewandelt. Als dies verkündet wurde und die Mörder das Gefängnis verließen, sammelte sich eine wütende Menge an, warf unter dem Rufe: „Tötet sie!" offene Messer auf die Verbrecher und verwundete hierbei einen Gendarmen schwer. Der Staatsanwalt mußte Truppen zur Herstellung der Ordnung verlangen.
London. 20. Juni. In New-Iork angekommene englische Schiffe melden, daß die Ueber- fahrt mit großen Gefahren verbunden gewesen sei, weil immer noch große Eismassen den atlantischen Ozean von Norden nach Süden durchziehen.
Zlnterhaltender Teil.
Ein Gewiffenskainpf.
Erzählung von E. Ball Witz.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Der Erzähler hörte auf zu sprechen, und blickte ebenso wie Ellen erwartungsvoll auf Lady Rowdey, deren Gesicht noch immer den starren, rätselhaften Ausdruck von vorhin trug. Augenscheinlich hatte dieselbe ihre Umgebung ganz vergessen. Sie hatte die rechte Hand über ihre Augen gelegt und saß, in tiefes Nachdenken versunken, schweigend da. Ellen mußte, wenn ihre Großmutter diese Stellung einnahm, so ging etwas Ernstes in ihr vor. Sie gab Herrn Hillmann einen Wink, sich schweigend zu Verhalten und Beide warteten mit ängstlicher Spannung auf eine Erklärung für das seltsame Benehmen der Großmutter.
Hätten sie einen Einblick in das Innere der wie geistesabwesend Dasitzenden gewinnen können, so hätten sie gesehen, daß dieselbe mit ihren Gedanken in der Vergangenheit weilte, daß die nie verstorbene Erinnerung an eine grauenvolle Nacht und deren Folgen in ihr wachgerufen worden, und daß die verschiedenartigsten Gefühle sich in ihrem Herzen um den Sieg stritten.
Lady Rowdey fühlte sich zurück versetzt in eine schreckensvollc Nacht im Oktober des Jahres 1820. Die Erinnerung in ihr war so lebhaft, daß sie meinte, das Tosen des furchtbaren Orkans wieder zu hören, der die dunklen Wolkenmassen in wilder Jagd über den Himmel trieb und das Meer bis in seine Grundtiefen aufwühlte. Sie meinte wieder zu sehen, wie die Wellen, vom Sturme gepeitscht, sich hoch aufbäumten. sich überstürzten, und wie in zorniger Empörung über die ihnen angethane Schmach ihren weißen Schaum zum Himmel empor schleuderten. Das Donnergetöse der Wogen vereinigte sich damals mit dem Brausen und Heulen des Sturmes zu einem wahrhaft betäubenden Lärm, bei welchem jedes arme Menschenherz in Angst und Schrecken erzittern mußte. Wie viel mehr mußten die armen Menschenherzen erbeben, die sich in dieser schrecklichen Nacht auf dem sturmgepeitschten Meere selbst befanden! Es war die Besatzung des kürzlich noch so stattlichen Dreimasters „Satisfaktion", der in dieser Nacht der Wut der Elemente unterlegen war. Sein Steuer und seine Masten waren gebrochen, und nachdem er eine Zeit lang steuerlos ein Spielball der Wellen gewesen, war er schließlich auf eine Sandbank aufgelaufen. Damit war das Geschick der armen Schiffbrüchigen entschieden) denn das Wrack mußte jetzt nur zu bald eine Beute der gierigen Wogen werden, die es unaufhörlich in wütendem Anstürmen zu vernichten und zu verschlingen drohten.
Darum galt es einen letzten Versuch, um mit dem Boote Rettung zu suchen. Mit dem Todesmut der Verzweiflung arbeiteten die wetterharten Männer daran, das Boot klar zu machen, d. h. es in das Wasser hinab zu lassen, ohne daß es dabei zerschmettert würde. Ein Stoßgebet für das Gelingen dieser Arbeit war damals aus dem Herzen der Lady Rowdey zum Himmel empor gestiegen, die als einziger Passagier des Schiffes alle Schrecken jener Nacht mit erlebt hatte.
Sie hatte als junge Witwe auf dem Schiffe, das von England kam, die Fahrt nach Petersburg machen wollen, um dort Verwandte zu besuchen. Da es damals noch keine Eisenbahnen gab, war es daher keine Seltenheit, daß weite Reisen auf einem Segelschiff unternommen und zurückgelegt wurden. So hatte auch Lady Row- dcy auf der „Satisfaktion" nach Petersburg reisen wollen. Aber ihre feste Hoffnung, von ihr sicher und wohlbehalten an ihr Reiseziel gebracht zu werden, war hier an der fremden Küste elendiglich zu Schanden geworden.
Doch sie ließ kein Wimmern oder Jammern in dieser Unglücksnacht hören, — äußerlich ruhig und gefaßt, unterwarf sie sich willig allen Anordnungen des Kapitäns. Wie es schien, flößte ihr Benehmen in diesen Stunden des Schreckens sogar den rauhen Männern, von denen sie umgeben war. eine gewisse Ehrerbietung ein. Diese zeigte sich besonders deutlich in der Bereitwilligkeit der Leute, ihr Beistand zu leisten, als sie. vom Kapitän geführt, das Boot bestieg; Von ihren vielen Gepäckstücken hatte sie nichts weiter mit sich genommen, als einen kleinen, einfachen, hölzernen Kasten, den sie sorgsam in ihren Händen festzuhalten bemüht war.
Als alle Mann im Boot waren, versuchten sie vom Wrack frei zu kommen. Nachdem ihnen das auch glücklich gelungen, arbeiteten sie mit allen Kräften, um durch Rudern den rettenden Strand zu erreichen, den sie in der fahlen Morgendämmerung in nicht zu großer Entfernung vor sich auftauchen sahen. Bei dem Anblick desselben zog neuer Mut in ihre verzagten Herzen, und neue Hoffnung erfüllte sie Alle, als sie sahen, daß sie sich dem Lande mit jeder Minute mehr näherten.
Schon glaubten sie, aus aller Gefahr zu sein, als eine Riesenwelle sie überholte und, sich überschlagend, das Boot mit seinen Insassen unter sich begrub. Gleichzeitig schleuderte sie aber Alles, was in ihrem Bereich war, mit solcher Gewalt dem Lande zu, daß die Männer dasselbe mit verhältnismäßig geringer Anstrengung erreichen konnten. Auch Lady Rowdey war, wenn auch in bewußtlosem Zustande, dem Ufer so nahe gekommen, daß sie mit geringer Mühe gerettet werden konnte. Durch ihre Leidensgefährten war sie bald wieder ins Leben zurückgerufen worden, und da hatte ihre erste Frage dem kleinen Kasten gegolten, der bei der letzten Katastrophe ihren Händen entglitten war.
Derselbe enthielt nämlich den von Generation auf Generation vererbten, sehr wertvollen Familienschmuck der Rowdey's. Bei ihrem großen Reichtum hätte Lady Rowdey den etwaigen Verlust der kostbaren Juwelen immerhin verschmerzen können, nicht aber den einzelner Schmuckgegenstände, die als Geschenke ihres heiß geliebten, so früh verstorbenen Gatten für sie einen unersätzlichen Wert hatten. Ganz besonders schmerzlich war ihr der Gedanke gewesen, das einzige Bild ihres Gatten, das in Medaillonform unter den Kleinoden war, verloren zu haben. (Schluß folgt.)
Bei nunmehriger eingetretener Kirschenzeit dürfte die oft wiederholte Warnung vor dem Mttverschlucken der Kerne am Platze sein. Durch diese Unsitte sind schon öfters schwere Krankheiten und selbst Todesfälle hervorgerufen worden. Mögen daher die Eltern es an eindringlicher Warnung bei ihren Kindern nicht fehlen lassen.
(Ein Vorsichtiger.) Kellner, bringen Sie mir rasch ein Butterbrot!" — „Aber, Heinrich, Du sollst ja gleich zu Müllers zum Abendessen." — „Ganz recht, das hatte ich ganz vergessen! Kellner, dann bringen Sie gleich zwei!"
Wettervorhersagung der Meteor. Zentr. Stat. 21. Juni, nachmittags 4 Uhr. Von Nord- osten her ist ein Minimum bis gegen die Ostsee hin vorgedrungen und hat den Hochdruck wieder etwas nach Westen zurückgedrängt. Dafür hat sich dieser aber bedeutend verstärkt und auch über Großbritannien ausgebreitet. Auch von Italien her ist wieder hoher Druck im Anzug. Sonach haben wir auch für morgen ziemlich heiteres, vorwiegend trockenes und warmes Wetter zu erwarten.
Telegramme.
Berlin, 22. Juni. Der „Lokal-Anz." teilt aus Paris mit: Ein Unbekannter warf in Rambouillec über die Mauer der Besitzung des früheren Deputierten Viau eine Bombe, welche explodierte, aber niemand verletzte.
Berlin, 22. Juni. Das „Berl. Tagebl.« meldet aus Graudenz: Heute wird das Hoch. Wasser erwartet. Das Getreide im Außenteich gilt für verloren.
Leipzig, 21. Juni. Heute Nacht brach in dem Hause Klostergasse 8 Großfeucr aus. Das Gebäude brannte total aus. 9 Personen wurden mit Lebensgefahr von der Feuerwehr gerettet, 2 werden vermißt. — Von den Ber- mißten wurde der eine, der 60jährige Maurer Schmidt, tot unter den Trümmern hervorgezogen.
München, 22. Juni. Die Neuesten Nachr. waren vom Redakteur Der deutschen Wacht in Dresden, Zimmermann, verklagt worden wegen eines Artikels vom April u. zwar beim Dresdener Amtsgericht. Letzteres erklärte sich für nicht zuständig. Eine Zeitung müsse am Ort ihres Erscheinens verklagt werden.
Mannheim, 21. Juni. Das Urteil im Prozeß Maas lautet gegen Wilhelm Maas auf zwei Jahre, Dr. Max Maas auf 14 und Eugen Maas auf 8 Monate Gefängnis. Die Verurteilung erfolgte wegen Bankerots.
Pest, 21. Juni. Unter starkem Polizei- Aufgebot und bei gedrängten Galerieea, von wo das Publikum mit größter Spannung den Beratungen folgte, haben heute im Magnaten- ^ Hause die Verhandlungen über die Zivilehevorlage begonnen. Der Ausgang war bis zum letzten Augenblick unbestimmbar. Die Re- ! gierung hoffte auf höchstens vier, die Opposition - auf acht Stimmen Mehrheit. Das Haus nahm den Entwurf thatsächlich mit 128 gegen 121. also mit vier Stimmen Mehrheit zur Grundlage der Einzelberatung an. — Das ist noch kein Sieg ^ des Ministeriums Wekerle und der Zivilehe. ! auch keine große Mehrheit, aber ein Anzeichen, , daß die Lehren der jüngstvergangenen Wochen in den Kreisen der Magnaten nicht unbeachtet geblieben sind. — Ucbrigens sind mehrere klerikale Magnaten und orientalische Bischöfe abgereist, so daß die Mehrheit der Regierung in der Einzelberatung bedeutend geworden ist.
Pest, 21. Juni. Die Nachricht, daß das Magnatenhaus die Zivilehevorlage mit vier Stimmen Mehrheit angenommen hat, erregte im Publikum grenzenlose Begeisterung. Lawinenartig wälzten sich die Rufe „Eljen Wekerle!" die Straßen entlang.
Wien, 21. Juni. Die Annahme der Zivilehe-Vorlage durch das Magnatenhaus macht auch hier einen großen Eindruck. Das „Vaterland" schrieb noch im heutigen Abendblatt, , das gläubige Ungarn liege seit frühem Morgen betend auf den Knieen und mit aller Bestimmtheit werde die abermalige Ablehnung erwartet.
Budapest, 21. Juni. Auf der viele Meilen weit mit Wasser bedeckten Schütt-Insel ist eine große Anzahl Menschen umgekommen. Die ganze Ernte ist vernichtet, so daß sich der Schaden nach Millionen berechnet.
Rom, 22. Juni. Der Prozeß gegen den Attentäter auf Crispi beginnt in der zweiten Hälfte des Juli.
London, 22. Juni. Das österreichische Petroleumschiff „Alece" ist mit 16 Mann untergegangen.
Tanger, 21. Juni. Abdul Aziz gab den Befehl, Spanien die fällige Entschädigungsrate aus der Melilla-Angelegenheit sofort auszuzahlen.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.