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AeiLclge zu Ar. 74 des AnzthuLers.

Neuenbürg, Sonntag den 13. Mai 1894.

Württemberg.

Besteigung des Ulmcr Münsters. Der im Jahre 1890 aiisgebaute und s, Zt. durch das große Jubiläum cingeweihte 161 Mir. hohe Münsterturm, welcher nach dem Eifelturm das höchste Bauwerk der Erde ist (Washington Monument 159 Mlr., Kölner Dom 156 Mtr., Pyramiden von Gizeh 151 Mtr.), kann vom 1. Mai d. I, ab bestiegen werden. Bisher waren die großen Schönheiten des Turmes wenig sichtbar, der Gerüste wegen, die zur Fertigstellung innerer Bauten nötig waren. Jetzt aber steht er in überwältigender Pracht und Größe da. Die nunmehrige Eröffnung dieser hervorragenden Sehenswürdigkeit wird eine besondere Anziehungskraft auf die Reisenden ausübcn. Das Münster kann auf bequemen Wendeltreppen in 3 Abstufungen bestiegen werden; jede derselben bilde: einen Ruhe- und Aussichtspunkt; die untere Partie führt auf 382 Stufen vom Fuße bis zur Vierecksgallerie empor, die zweite auf 168 Stufen vom Beginn des Achtecks bis zum Helmanfang und die dritte auf 208 Stufen von hier bis zur obersten Gallerte unter der Kreuzblume; die Besteigung dauert 3040 Minuten. Die Kranzgallerie der Pyramide, welche noch etwa 10 Personen fassen kann, befindet sich in der Höhe von 143 Metern, 18 Mtr. unter der sich verjüngenden Spitze, während die Kölner Türme nur auf die Höhe von 96 Mtr. bis zum Fuß der Helme besteigbar sind und keinen freien Standpunkt gewähren, Bon der Höhe des Ulmer Turms hat man zunächst einen höchst eigenartigen Ein­blick in die alle Donaustadt mit ihren engen Gäßchen, die an alte längstvergangene Zeiten mahnen ; sodann dehnt sich vor den Blicken eine weite Ausschau über das.Jllerthal, die Ebene von Oberschwaben und die Alpen vom Säntis bis zur Zugspitze aus, die bei klarem Himmel in ewigem Schnee erglänzen. Von der schwindeln­den Höhe des obersten Kranzes bietet sich dem Beschauer ein Bild von überraschender Groß- arligkeil, wie nur von wenigen bevorzugten Punkten. Dazu kommt noch, daß man beim Besteigen des Turms, besonders des Helms, cine klare Einsicht in die architektonischen und mathe­matischen Verhältnisse des Baues erhält. Die Annehmlichkeit und Sicherung der Wanderung wird dadurch gefördert, daß für den Auf- und Abstieg bis zum Achleckskranz zwei verschiedene Wendeltreppen vorhanden sind, wodurch das Zusammentreffen der Auf- und Absteigenden verhütet wird. Schließlich sei noch besonders auf die während der Reisezeit vom 1. Mai bis 30. Oktober täglich von 11 bis 12 Uhr bei freiem Eintritt stattfindenden Orgelkonzerte ver­wiesen, welche so vielen Fremden einen unver­geßlichen Eindruck hinterlassen.

Stuttgart. fLandesproduktenbörfe. Bericht vom 7. Mai von dem Vorstand Fritz Kreglinger.) Die Stimmung am Weltmärkte war in abgelausener Woche für alle Cerealien flau und lustlos. Die süd­deutschen Märkte melden die Preise zu Gunsten der Käufer. Die heutige Börse ist schwach besucht. Ge­schäft ohne Bedeutung. Wir notieren pr. 100 Kilogr.: Weizen, La Plata, 15 ^ 25 bis 15 ^tL 75 bahr. 15 ^kL 50 fränk. 14 50 -j, russ. 15 bis 15 ^kL

50 4, Eupatoria 17 ^ 25 Kernen, sränk. 14-4L 50^, Dinkel, beregnet 10 -4L, unberegnet 10 60 Hafer,

Land 15 -4L, Prima Alb 17 -4L 50 dto. Königsberger 11 -4L 25 Donau-Mais 12 -4L 25

Von de» Geld- und Warenbörsen.

Stuttgart, 10. Mai. Die lustlose Stimmung der europäischen Geldbörsen hat sich von der Vorwoche auch aus die ganze abgelaufene Berichtswoche über­tragen, ohne daß äußerlich erkennbare Gründe dafür Vorgelegen hätten, wenigstens ist das Konversionsgeschäft des ruß. Finanzministers mit den Orientanleihen durch­aus erfolgreich abgelaufen, und ebenso sind auch bei dem ersten Bezugstermin für die Zeichnungen auf die neue Reichsauleihe im Betrag von 160 Millionen sehr große Beträge gleich ganz einbezahlt und die Stücke voll bezogen worden. Einigermaßen verstimmend mag allerdings der Umstand gewirkt haben, daß der deutsche Handelsvertrag mit Spanien keine Aussicht habe, von

der spanischen Volksvertretung angenommen zu werden, und ebenso wirkten die ungünstigen Berichte über die Lage des Kohlen- und Eisenmarktes verstimmend auf die deutschen Börsen, und am letzten Tag der Berichts­woche auch in gleicher Weise die Nachricht von der Ablehnung der Ehegesetzvorlage seitens des ungarischen Magnatenhanses auf die Wiener Börse, weil man dort einen Rücktritt des Ungar. Kabinets Wekerle befürchtet. Unter dem Eindruck günstiger Berichte über den Stand der Wintersaaten aus allen Teilen Europas und Amerikas verkehrten die Getreidebörsen in sehr stiller Haltung bei wesentlich niedrigeren Preisen; nur der Hafer, welcher m manchen Gegenden schlecht auf- I gegangen sein soll, weist höhere Preise aus. Aus den Baumwollmärkten ist, nachdem im Anfang der Berichts­woche die flaue Stimmung noch immer angehalten hatte und die Preise noch weiter zurückgegangen waren, wieder eine etwas festere Stimmung eingetreten. Ebenso auf den Zuckermärkten. Auf den Kaffee« Märkten hat sich die schwache Stimmung der Vorwoche noch verschärft; bei äußerst stillem Geschäft sind die Preise noch weiter zurückgegangen.

Ausland.

Budapest, 11. Mai. Aus Großwardein wird hiesigen Blättern telegraphisch gemeldet, daß in der Pustha in Nägydahnum ein Land­mann gestern unter verdächtigen Symptonen erkrankt sei. Dem Ministerium wurde Anzeige erstattet.

Edinburgh, 10. Mai. Das deutsche Geschwader, bestehend aus den Panzerschiffen Baden, Bayern, Sachsen, Württemberg und dem Aviso Pfeil, ist heute im Firth of Forth cingc- laufen.

Unterhaltender Teil. Fröhliche Pfingsten!

Es prangt die Erde im Festgewaud,

Und rings durchs schimmernde Blütenland Klingt Helles Singen und Läuten!

. In Feld und Wald der jubelnde Saug,

Von Berg zu Thal der fromme Klang Willfröhliche Pfingsten" bedeuten.

Nun laß das bittere Klagen sein Und rüste dich, Herz, im Maienschem Den neuen Geist zu empfangen,

Der hoffnungssreudig und glaubensvoll Und liebestrahlend verbannen soll Der Seele heimliches Bangen!

Die Welt so schön, und die Brust so weit!

O fröhliche, selige Pfingstenzeit!

Fahrt wohl, ihr Grillen und Sorgen!

Von Blume zu Blume der Waldquell springt;

Und Freude um Freude das Herz durchdringt Am goldenen Maienmorgen!

Und neue Treue und neuer Mut Und neuer Eifer durchglüht das Blut Zum hastigen Alltagsringen.

Das sei der Pfingsten wahrer Geist,

Der Glaube, Liebe, Hoffnung heißt,

Der soll die Herzen darchdrmgen.

Drum prangt die Erde im Fcstgewand,

Drum klingt durchs schimmernde Bliitcnland Ein Helles Singen und Läuten!

In Feld und Wald der jubelnde Sang,

Bon Berg zu Thal der fromme Klang Willfröhliche Pfingsten" bedeuten!

Pfingsten und Pfingstgebräuche.

Sieben Wochen nach dem Passahfestc feierten die Juden ein Fest zur Erinnerung au die Ge­setzgebung auf Sinai.; es war gleichzeitig das erste Erntefest des Jahres. Beim einem jüdischem Pfingstfeste waren die Jünger des Herrn alle einmütig beieinander und geschah die Ausgießung des heiligen Geistes. Mit höchster Wahrschein­lichkeit haben die ersten Christen dieses Fest in alljährlicher Wiederkehr gefeiert und festlich be­gangen und so allmählich in der Christenheit eingeführt, wenn auch nicht als offizielles kirch­liches Fest; denn cs ist nicht erwrescn, daß die Feier des Pfingstfestes von ebenso hohem Aller ist, wie die Feier des Osterfestes, welches schon zu Zeiten der Apostel stattgefunden haben soll.

Als das Christentum dann später in Deutsch­lands Gauen bei unseren heidnischen Vorfahren seinen Einzug hielt, galt es vor allen Dingen, die Feste der heidnischen Gottheiten, die zumeist große Opferfcste waren, abzuschaffen, was aber

bei der Anhänglichkeit an alte und liebe Ge­bräuche und Sitten gerade ein Ding der Un­möglichkeit war. So zogen cs denn die christ­liche Kirche und ihre Vertreter vor, die fest ein gewurzelten heidnischen Feste zu christian'siercn, indem man christliche Feste an Stelle der heid­nischen setzte und diese allmählig in jene über­führte, indem ihre Bedeutung langsam verwischt wurde. So ist auch das Pfingstfest einem alten heidnischen Opferfcste aufgepfropft, dem Maifeste, an dem die Vermählung Wotans mit Freya stattfand.

Die anmutige Jahreszeit, in welche das Pfingstfest fällt, bringt es mit sich, daß dasselbe reich ist an Volksbelustigungen und heiteren Ge­bräuchen, ist es doch ein reines Naturfest, an dem sich der Mensch erwärmt, erfreut, ergeht und erholt am Brautschmuck der Natur! So hat sich in fast allen Gegenden der schöne Brauch erhalten, am Pfingstfeste Thüren und Fenster mit Blumen und Birken zu schmücken, ursprüng­lich zu Ehren der Göttin Maja, von welcher der Sonne- oder Maimonat und die Weißbirkc (Maie) sogar auch ihre Namen erhalte» haben. Der Göttin zu Ehren wurden Spiele und Tänze im Freien aufgcführt und die Hütten mit Birken­reis geschmückt.

Während die Heiden an ihrem Majaseste Stcchkampfspiele und Schwertertänze aufsührte», trat nachher das Bolzenschießen ein, dessen Ziel ein Adler war. Daraus wurde das Pfingst- schießen, welches zum erstenmale als öffentliches Volksvergnügen im Jahre 1286 von Herzog Bolislaw von Schweidnitz angeordnet wurde. Nach Erfindung des Schießpulvers wurde dann aus dem Vogelschießen meistens ein Scheiben­schießen und ist es geblieben bis auf den heutigen Tag. Eines der beliebtesten ländlichen Volks­feste zu Pfingsten war das Pfingstdier. An vielen Orten, wo man heute das Fest kaum noch dem Namen nach kennt, mögen die Urväter einst fröhlich beim Pfingstdier geschmaust haben. Junge Baucrnburschen legten das Pfingstdier auf und luden dazu förmlich ein. Auch jeder Fremde hatte freien Zutritt. Noch vor wenig Jahren feierte die Salzsieder-Brüderschaft der Halloren in Halle ihr Pfingstdier 2 Tage lang.

Im Mai steht die Sonne im Sternbilde des Stier, deshalb opferte man den Göttern einen solchen, der vorher überreich mit Blumen und Bändern geschmückt durch die Straßen geführt wurde. Die Redensart:Geputzt wie ein Pfingstochse" erinnert noch deutlich an diesen weitverbreiteten Brauch.

Im Elsaß finden sich die Burschen an Pfingsten zu einem Umzug zusammen, bei dem sie eine geschmückte Birke von Haus zu Haus tragen und singen:

Es kommen die Maienknecht',

Sie haben gern ihr Pfingstrechk,

Drei Eier und ein Stück Speck,

Von der Mehre Seit er weck,

Ein halb Maß Wein In den Kübel 'nein,

Da wollen die Maiknecht zufrieden sein.

Nach dem Umzuge finden sich die Maikuechte mit den Dorfschönen zusammen, welche die Eier mit dem Speck backen, worauf alles in schönster Harmonie verzehrt wird und ein fröhlicher Tanz das hübsche Fest beschließt.

Ein hübscher Brauch besteht da und dort noch. Die Männer stellen den Frauen, die jungen Burschen den Jungfrauen schön geputzte Malbäume vor die Thüre, d. h. nur den sitt­samen wird diese öffentliche Huldigung zu Teil, die keinen tugendhaften Wandel führen, bekommen Häcksel vor die Thüre gestreut eine Volks­erziehung, die ihresgleichen sucht.

Der Maikäfer ist der Frühlingsbote der Götter. Den Mädchen ist er ein Liebesbote, denn in der Richtung, nach welcher der erste Maikäfer aus ihrer Hand fortfliegt, wohnt ihr Zukünftiger.

Unzählige Gebräuche ließen sich auffühlen, die dem alten Maifesle entsprossen sind und auf