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Tuttlingen, 25. Mai. Den hiesigen Bäckern ist in der von Kunstmüller Köhler in der „Papiermühle" eingerichteten „Brotfabrik" eine nicht liebsame Konkurrenz erwachsen. Die Errichtung dieser Fabrik hängt, wie man hört, damit zusammen, daß die Kunstmühle bei den hiesigen Bäckermeistern eine zu sparsame Kundschaft fand. Die Produkte der Brotfabrik sind in verschiedenen Filialen käuflich zu haben.
Leutkirch, 24. Mai. Prälat v. Kalch- reut er und seine Frau Gemahlin begingen gestern hier im Hause ihres Sohnes, des Stadtpfarrers Kalchreuter, in aller Stille das Fest der goldenen Hochzeit. Die kirchliche Feier fand im Betsaale deS Pfarrhauses statt, bei welcher Pfarrer Laisle von Ochsenhausen, ein Verwandter, die Weiherede hielt. Das Jubelpaar, welches im 82. beziehungsweise im 76. Lebensjahr steht, hat in Cannstatt seinen Wohnsitz.
M annheim, 24. Mai. Bei einem Ball in End in gen schlugen die servierenden Kellnerinnen auf Grund eines geheimen Uebereinkommens eigenmächtig mit den Weinpreisen auf, indem sie für die Flasche Wein, die auf der Weinkarte mit 1 Mark verzeichnet stand, 1.20 forderten und für die Flasche von 1.20 ^ 1.50 Das Schöffengericht fand diese Handlungsweise gemeingefährlich und verurteilte die Kellnerinnen Anna M a y er und Gabriele Kiefl zu 14 und 6 Tagen Gefängnis. Die Kiefl legte Berufung ein, wurde aber von der Strafkammer abgewiesen. Das Gericht erblickte in jener Uebervorteilung einen ganz gemeinen Betrug.
Bremerhaven, 24. Mai. Der Nordd. Lloyd zahlte dem Steward Magers, der s. Z. die an Bord des Kaiser Wilhelms des Großen gestohlenen Goldbarren wiederfand, 3000 -/L. Für die Entdeckung der Diebe wurde eine Prämie von 7000 -A. ausgesetzt. Dazu wird der K. Z. noch gemeldet: Unter dem Verdacht des Diebstahls eines Goldbarrens auf dem Dampfer Kaiser Wilhelm der Große ist Steward und Kapellmeister Magers heute verhaftet worden.
Berlin, 24. Mai. Ein kleiner Reisender, ein Knabe von vier Jahren, kam gestern von Köln in Berlin an. Der Kleine, der vor kurzem seine Mutter verloren hatte, war von seinem Vater, einem Arbeiter, nach Berlin geschickt worden, weil der Mann nicht selbst das Kind erziehen konnte. Der Vater hatte dem Knaben eine Papptafel um den Hals gehängt und ihm Reisegeld in ein Taschentuch gewickelt. Die Eisenbahnbeamten sorgten unterwegs für das Kind und übergaben es in Berlin einem Schutzmann, der es wieder der Obhut eines Pferdebahnschaffners anvertraute, da die Großmutter in Weißensee wohnt. Der Schaffner überlieferte den Knaben dem Amtsbureau in Weißensee, und von hier aus wurde der „Weltreisende" zu seinen Verwandten geführt.
Berlin, 25. Mai. Aus Hamburg wird dem Lokal-Anzeiger telegraphiert: Gestern Abend brach auf der Schiffswerft am Reiherstieg eine heftige Feuersbrunst aus, die zum Glück bewältigt wurde. Der Brand entstand auf dem fast vollendeten Neubau eines West-Jndjenfahrers für die Amerika-Linie, griff auf das Baugerüst und den Geleitschlitten über und vernichtete das Baugerüst zum größten Teile. Das Schiff ist wenig beschädigt, der Schaden ist aber trotzdem bedeutend. Als ein großes Glück ist es zu betrachten, daß der Geleitschlitten nicht ganz zerstört worden ist, weil dann der Schiffsrumpf umgefallen wäre.
Berlin, 25. Mai. Aus Rom wird telegraphiert: Bresci hinterließ auf einem Blatt Papier folgende Zeilen: Ich fluche der ungerechten Monarchie, Fluch denen die ihr als Werkzeug dienen. Es lebe der Communismus. Der Erniedrigung meines Lebens, das mir nicht mehr gehört, ziehe ich den Tod vor, da ich zu sehr die Freiheit liebe. Hoch der anarchistische Communismus. Heute findet die Bestattung Brescis auf dem Begräbnisplatz der Insel statt.
Berlin, 27. Mai. Aus unbekannter Ursache hat sich gestern die 46jährige österreichische Gräfin Anna von Ugaste erschossen.
Waldenburg (in Schlesien), 24. Mai. Heute Nachmittag brach in einem Häuschen über dem Luftschacht des fürstlich Pleß'schen Hermann- schachtes „Hammer" Feuer aus, das sich durch den Luftschacht nach unten ausbreitete und die dort arbeitenden Bergleute gefährdete. Einer wurde bereits tot heraufgeschafft, Abends wurden noch 10 Personen vermißt. Die Rettuugsarbeiten sind in vollem Gange. — Zu dem Brand wird weiter vom 25. gemeldet: Bis heute früh wurden 4 weitere Leichen, also im Ganzen 5 geborgen, darunter die von 2 Bergleuten, die bei den Rettungsarbeiten ums Leben gekommen sind. Vermißt werden noch 18 Bergleute, die kaum noch am Leben sein dürften.
Budapest, 27. Mai. Ein ungarisches Blatt bringt neuerdings die Meldung, daß die Königi n von Serbien einen Selbstmord habe begehen wollen und daß es König Alexander nur mit Mühe gelang, ihr den Revolver zu entreißen. Die Kammerzofe, welche den Revolver beschafft hatte, soll sich vergiftet haben. Die Meldung wird von Belgrad aus dementiert.
Rom, 23. Mai. Der Minister des Innern sandte den Generalinspektor der Gefängnisse zur Feststellung der Umstände des Selbstmordes Brescis nach Santo Stefano. Ebenso reisten dorthin von Neapel der Untersuchungsrichter und ein Amtsarzt ab. Ein Wächter will gesehen haben, wie Bresci mittels eines Handtuches an der 2 Meter über dem Boden befindlichen Gitterstange sich erhängte. Der Wärter sei sofort hingeeilt, habe ihn aber bereits sterbend vorgefunden.
Stuttgart, 23. Mai. Am Schluffe des Monats März sind in Württemberg in 10 Gemeinden 88 Gehöfte von der Geflügelcholera verseucht geblieben. Hiezu kamen im Monat April in 31 Oberämtern 42 Gemeinden mit 226 Gehöften, die einen Bestand von 2833 Hühnern, 75 Gänsen, 120 Enten und 269 Tauben hatten. Hievon sind gefallen 1932 Hühner, 5 Gänse und 8 Enten, während auf Veranlassung der Besitzer 30 Hühner, 2 Gänse und 8 Enten getötet wurden. Ende April waren noch 195 Gehöfte in 31 Gemeinden, die sich auf 21 Oberämtcr verteilen, verseucht.
Heilbronn, 21. Mai. sLedermarkt.j Tic Zufuhren zum heutigen Markt betrugen ca.
1300 Zentner, wovon 1117 Zenter verkauft und der Rest als unverkauft zurückgenommen wurde.
Ter Verkauf ging anfangs flau, es wurde jedoch später etwas lebhafter zugegriffen mit einer Preisermäßigung von ca. 5 Prozent, wozu Wohl die trockene Witterung beigetragen haben mag. Die Klagen der Gerber sind vollauf berechtigt, zumal die hohen Häutepreise gegenüber dem fabrizierten Leder immer noch nicht im Einklang stehen. Bessere Sorten Wildoberleder und Kalbleder erzielten die Preise vom letzten Markt, auch gute Qualitäten Sohlleder waren angenehm, dagegen konnten untergeordnete Sorten nur mit einem Preisabschlag an den Mann gebracht werden. Deutsches Rindsleder und Zeugleder konnten letztere Preise nicht aufrecht erhalten; während Schafleder ihren Preis erzielen konnten.
Crailsheim, 24. Mai. Bei lebhafter Nachfrage und nicht völlig ausreichender Zufuhr nahm der heutige Schweinemarkt einen raschen Verlauf. Zu signalisieren ist ein merkliches Anziehen der Preise. Läufer kosten 60—75 Milchschweine
40—48 das Paar. Der Zudrang seitens auswärtiger Händler war Wider Erwarten groß.
Mergentheim, 24. Mai. In hiesiger Stadt passierte gestern vormittag ein aufregendes Ereignis. Die beiden Söhne des Zieglers Schwab gerieten gestern aus unbekannter Ursache auf dem Felde in Streit, im Verlauf desselben griff der ältere seinen jüngeren Bruder an, letzterer zog hierauf das Messer und brachte ihm einen heftigen Stich in den Unterleib bei. Der Thäter ist verhaftet. An dem Aufkommen des Verletzten wird gezweifelt.
Ebingen, 21. Mai. Aus Anlaß der unlängst im „Saalbau" hier abgehaltcnen imposanten Burenversammlung wurde dieser Tage der Grund zur Bildung einer Ebinger Ortsgruppe der deutschen Friedensgesellschaft gelegt. Gestern abend nun hat sich genannte Ortsgruppe im im Gasthof zum „schwarzen Adler" mit 44 Mitgliedern konstituiert. Es ist beabsichtigt, im Laufe dieses Jahres noch eine größere Versammlung abzuhalten und Stadtpfarrcn Umfrid in Stuttgart um die Uebernahme eines Referates zu bitten.
Matt erhob sie die schweren Augenlider, sah ihn mit trübem Blick, ohne ihn zu erkennen, an und flüsterte kaum hörbar: „Danke, ich bin nicht krank — ich brauche nichts —."
Mit mitleidvollem Ton entgegnete er: „Es thut mir furchtbar leid; hätte ich ahnen können, daß wir uns hier treffen würden, ich wäre sicher nicht hier."
Jetzt kam ihr die Besinnung zurück; Jane erkannte, wer mit ihr sprach, und mit einer Anstrengung, die schmerzlich mitanzusehen war, erhob sie den müden Kopf und versuchte etwas Stolz in ihre Antwort zu legen. Es gelang ihr schlecht, sie konnte nur in demselben leisen, bebenden Ton sagen: „Unsere Begegnung heute abend ist Zufall, es soll und wird nicht wieder Vorkommen, meine Anwesenheit hier kann sie nicht stören."
„Wie ist ein Ausweichen möglich, wenn ich hier bleibe? Wir sind Gäste in demselben Hause!"
„Ich bin kein Gast hier; ich bin die Gouvernante!"
Er zuckte heftig zusammen, und dunkle Röte überflog sein Antlitz: „Die Gouvernante! — dann waren Sie heute auch auf —" Er stockte, als ob ihm etwas die Kehle zuschnürte.
„Auf dem Tennisfest? ja, ich war dort, ganz in Ihrer Nähe, aber Sie sahen mich nicht."
„Sie sind so verändert, so entsetzlich verändert."
„So, bin ich das? Nun ja, ein Jahr verändert viel, besonders —"
Sie brach kurz ab, sein Mitleid wollte sie nicht erregen.
„Sie haben sich nicht verändert," fügte sie matt lächelnd hinzu.
Ter junge Mann war erschüttert, er hätte sein Gesicht verbergen mögen, nur um nicht das blaffe, leidende Mädchen ansehen zu müssen.
„So, habe ich mich nicht verändert?" sagte er. Dann nach einer kurzen
Pause fuhr er fort, und seine Stimme wurde hart und heiser: „Die Welt muß doch sehr klein sein, Sie waren die letzte Person, die ich hier zu treffen glaubte.
Ich habe nie Ihren Namen von Miß Durham gehört. Natürlich nicht, da Sie verheiratet sind — ich weiß den Namen nicht —"
„Ich bin nicht verheiratet!"
„Aber Sie sind in Trauer; ich hoffe, nicht um Ihren Bräutigam?"
„Nein, um meinen Bruder." Ihre Stimme war allmählich sicherer geworden, vor diesem Mann, welcher einst vorgegeben hatte, sie zu lieben, durfte sie keine Schwäche zeigen, mußte sie standhaft bleiben.
„Ihr Bruder! — o, das wußte ich nicht — ich habe nie davon gehört — das thut mir unendlich leid, es muß ein schrecklicher Verlust für Sie gewesen sein, sagte er ernst mit weichem Ton.
Jane erwiderte nichts, von dem Tode ihres Bruders konnte sie noch immer nicht ruhig sprechen.
„Aber Sie sehen so leidend aus, sind Sie krank gewesen?" fragte Sir «
Harry weiter.
„Nein, ich bin ganz munter."
„Doch nicht, wie mir scheint," entgegnete er, seine Augen auf ihrem Gesicht ruhen lassend, auf diesem schönen Gesicht, welches soviel von seiner früheren Frische und Anmut verloren hatte, auf ihrer Figur, welche viel schlanker und behender geworden, und auf den schmalen, kleinen Händen, welche kraftlos an ihrer Seite herabhingen.
„Ich bin müde heute abend," sagte sie lässig; „es war ein langer Tag. Doch da erschallt die Glocke, welche zum äiner ruft. Sie werden zu spät kommen."
„Und Sie.?" fragte er eifrig." .
„Ich? ich bin die Erzieherin hier, ich speise nicht mit der Familie." (Forts, f.)