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besonderen Z'entrumssraktion wird es, da im Herbst oder kurz nach Neujahr 1895 allgemeine Landtagswahlen vorzunehmen sind, nicht kommen, es müßte denn das Trifolium Gebrüder Hauß- mann und Payer auf die gemäßigten Mitglieder der seitherigen Linken einen Druck in der Richtung der sogen, schärferen Tonart auszuführen suchen, was nicht gerade wahrscheinlich ist, da der neugewählte Landtagsabgeordnete für die Stadt Reutlingen sich wohl hüten dürfte, seine Rolle als Parteiführer damit einzuleiten, daß er die Fraktion der Linken auseinandersprengt.
Die Volkspartei in Ulm hat nunmehr gegenüber dem freisinnigen Kandidaten, aller Parteien, Kommerzienrat Engel, in der Person des Kommerzienrat Mayser einen Gegenkandidaten gegenübergestellt. Engel hat sich nämlich nicht dazu bereit erklärt, ohne weiteres der Fraktion Payer-Haußmann beizutreten und sich als eine willenlose Puppe dieser 3 Führer im Landtag zu zeigen. Der Wahlkampf dürfte sich, da die „Ulmer Zeitung" ohnehin gerne im Dreschflegeltakt schreibt, recht hitzig gestalten; doch fehlt diesmal den Ulmer Demokraten der hitzigste Heerrufer im Wahlkamps, der frühere Reicksbankbeamte Maier, welcher mit Frau und 2 Söhnen vom Judentum zum Protestantismus übergetreten ist.
3'/,"/o Württemb. Staatsanleihe von 1894. Auf die am 22. Februar zur Zeichnung aufgelegten 10 Mill. genannter Anleihe sind mehr als 100 Mill. gezeichnet worden, so daß eine ganz erhebliche Reduktion der einzelnen Anmeldungen stattfinden muß.
Stuttgart. Die Gesamteinnahmen der Venelianischen Messe betragen rund 43 000 Mark, so daß bei etwa 10 000 Mk. Kosten mindestens der Betrag von 32 000 Mk. für das Lehrerinnenheim bleiben dürfte.
Anstand.
Der Kaiser von Oesterreich ist nach Mentone an der Riviera abgereist, um dort mit seiner Gemahlin nach vielmonatlicher Trennung wieder zusammenzutreffen. Die Kaiserin Elisabeth reist nämlich immer in der Welt umher und fühlt sich überall glücklicher als in Oesterreich und überall besser zu Hause als in Wien oder Gödöllö.
Rom, 28. Febr. Die Morgenblätter besprechen lebhaft die Verhandlungen über den russischen Handelsvertrag im deutschen Reichstag. Die „Tribuna" erklärt, Caprivi habe durch seine gestrige Rede die Schlacht gewonnen.
London, 28. Februar. Die verbreiteten Gerüchte über den Rücktritt Gladstones treten immer bestimmter auf und werden nunmehr auch von den Gladstone nahestehenden Blättern n'cht mehr in Abrede gestellt.
London, 28. Febr. Ein Petersburger Brief der „Times" betont, daß für den Fall der Verwerfung des deutsch°,russischen Handelsvertrages durch den deutschen Reichstag der russische Finanzminister schon einen Plan weiterer Repressalien vorbereitet habe, der vor einiger Zeit vom Stadtrat ausgearbeitet worden sei. Darunter befindet sich das Verbot der Grenzüberschreitung für russische Bauern und Arbeiter, wodurch die Landwirte Ostpreußens der billigen russischen Arbeit beraubt werden sollen. — Nach einer Mitteilung des „Standart" aus Odessa bestellte die russische Regierung 2000 Bahnwagen und 50 Lokomotiven für die Südwestbahn zu Transportzwecken.
AusAmerika,27. Febr. Wie aus New- Jork gemeldet wird, herrschten starke Schneestürme in Nordamerika, und die Kälte ist sehr groß. In Newyork erfroren mehrere Leute auf der Straße. Auf dem Ozean ist es sehr stürmisch.
Telegramme an den Enzthälck.
Die erste Lesung des deutsch-russischen Handelsvertrags endigte mit Verweisung der Sache an eine 28gliedrige Kommission; gegen Kommissionsberatung stimmten Sozialdemokraten und Freisinnige.
Berlin, 1. März. Zu Ehren des deutschen und des österreichischen Kaisers sendet Italien drei große Kriegsschiffe, welche vor Fiume Anker werfen.
Berlin, 1. März. In dem Vororte Groß- Lichterfelde wurden heute früh zwei junge Männer, der Prokurist Dettloff und der Gärtner Kurz auf der Chaussee tot aufgefunden. Beide hatten mehrere Stichwunden. Es ist noch nicht aufgeklärt, ob Mord oder Totschlag vorliegt. Ein der Thal verdächtiger Gärtner namens Helbig wurde verhaftet.
Bern, 1. März. Die beiden Deutschen, die mit schweizerischen Offizieren in Airolo in Streit geraten waren, sind nicht Offiziere, wie einzelne deutsche Blätter gemeldet haben, sondern Kaufm. Groß aus Schorndorf in Württemberg und sein Schwager Arnold, ebenfalls Kaufmann. Bei der Gesandtschaft in Bern ist keine Klage von ihnen eingereicht noch irgendwelche Mitteilung dort abgegeben worden.
Paris. 1. März. Der „Gaulois" veröffentlicht eine Aufsehen erregende Depesche aus Petersburg, der zufolge ein französischrussisches Bündnis während der Pariser Russenfeste paraphiert und unterzeichnet worden ist. Einzelheiten des Vertrages sollen zwischen den Generalen Obrutcheff und Brideffre vereinbart worden sein. Vor allem soll man die Anzahl der beiderseits ins Feld zu stellenden Truppen, sowie die Aktion der beiderseitigen Geschwader bis in alle Einzelheiten für den Fall eines Angriffs von Seiten des Dreibundes festgestellt haben.
Unterhaltender Heil.
Die Enthauptete.
Erzählung aus der französischen Revolution von C. Matthias.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung l.)
Dieses reizende Geschöpf stand zitternd neben dem Manne, lautlos abwartend, was er über sie beschließen werde.
„Armes Kind," sprach er leise, ganz zufällig sein mütterliches Idiom, die deutsche Sprache gebrauchend. „Was soll ich mit Dir beginnen?"
Da kam Leben in ihre Gestalt. Ihre Glieder erbebten. Die bleichen Lippen, welche bisher fest geschloffen gewesen, öffneten sich, indeß ein leichter Rosenschimmer über ihr Gesicht huschte.
„Sie sind ein Landsmann, mein Herr," fragte sie erregt. „O wie glücklich es mich macht, deutsche Worte zu hören!"
„Ich bin ein Elsässer, also Franzose, ich beherrsche aber das deutsche, gewiß Ihre Muttersprache."
„Ich verstehe sie nur allein, und spreche leider nicht französisch," erwiderte sie befangen.
„O nun begreife ich, daß Sie meine Zurufe nicht beantworteten," meinte der junge Mann mit wiederkehrendem Humor. „Jetzt verschwindet auch alles spukhafte Beiwerk bei Ihrem Auffinden. Aber ich beschwöre Sie, wie kamen Sie unter jene schauderhafte Treppe?"
„Ich wollte mich verbergen." entgegnete das junge Mädchen ängstlich. „Ich fürchtete, verfolgt zu werden und da ich den ganzen Tag über gelaufen bin. schlief ich dort ein."
„Sie schlummerten an jenem Platze? Unbegreiflich," sprach er schaudernd. „Sie wußten wohl nicht, wo Sie sich befanden."
„Nein, aber ich besinne mich, daß ich dort einen bösen Traum hatte. Man kam, mich zu ergreifen, ich wurde eingekerkert und zum Tode geschleppt. Ach, mein Herr, ich befand mich in entsetzlicher Angst und Todesfurcht."
„So schluchzten Sie also im Traume und der Ton lockte mich auf Ihre Spur," fragte er verwundert. „Dann hatte er doch auch sein Gutes. Vor allen Dingen müssen wir nun die Frage erörtern, wohin ich Sie führen soll, um Sie in Sicherheit zu bringen."
„Ich weiß es nicht, mein Herr."
„Nennen Sie mich Bürger Jean Lanz. Ich bin Maler und Schüler der Akademie — soweit in dieser bewegten Zeit von Studien die Rede sein kann — Student der schönen Künste, und Sie will ich Grethchen nennen."
„So heiße ich auch, mein Herr."
„Sagen Sie nicht Herr. Vermeiden Sie diesen Ausdruck, den das Volk von Paris, seitdem die Sklaverei abgeschafft, glühend haßt. Bürger klingt auch recht hübsch und obgleich ich nicht Burg noch Haus besitze, nenne ich mich so mit Stolz. Also Sie wissen nicht, wohin Sie Ihre Schritte lenken sollen?"
' „Nein, mein Herr, ich weiß es nicht."
„Nun denn, so wollen wir vor allen Dingen diesen häßlichen Platz verlassen," jagte er gutmütig lächelnd. „Lassen Sie uns in die kue äo In kolio äo UeiZnauIt einbiegen. Sie führt geradeswegs nach meiner bescheidenen Junggejellenwohnung und unterwegs wollen wir über Ihre Situation beraten."
Indem er ihre Hand behutsam unter seinen Arm schob, nötigte er sie. ihm zu folgen und bog in die schmale, öde Gaffe ein.
Trotzdem die Fremde jung und geschmeidig war, lehnte sie sich schwer auf ihren Begleiter und setzte nur mühsam einen Fuß vor den andern. Sic mochte wohl sehr müde sein.
Mitleidsvoll schaute Jean ihr in das Gesicht, auf welchem der volle Schein des Mondes glänzte.
Es war wieder bleich, fast starr in der zauberhaften Beleuchtung, nur die blitzenden Augen verrieten Leben und das klopfende Herz, welches Jean an seinem Arme schlagen suhlte.
„Einen Gasthof in jetziger Stunde aufzusuchen, ist gefährlich," begann er nach einer Pause, in welcher er auf den Schall ihrer schweren Schritte gehorcht. Ueberall lauern Aufpasser der Konvenlsregierung und Deutsche werden leicht als Spione aufgegriffen."
„Ich bin keine Spionin, mein Herr, ich versichere Sie."
„Ich glaube es Ihnen auch ohne Versicherung, allein die Mouchards sind mißtrauischer als ich. Sie sperren'Sie ein und ein Menschenleben ist gegenwärtig keinen Sou wert. Also müssen Sie ein Unterkommen für die Nacht haben, gleichviel wo. Nennen Sie mir Ihre Wohnung oder die Ihrer Freunde. Ich bin bereit, Sie dorthin zu bringen, mag es auch noch so weit sein."
„Ich habe keine Wohnung und keine Freunde," entgegnete das bleiche Mädchen, „ich bin fremd in dieser großen Stadt."
„Ah," entfuhr es Jeans Munde. „Sie wohnen gar nicht? So sind Sie wahrscheinlich vom Himmel herabgefallen oder Sie gehören dem Elfengeschlechte an, mit welchem Sie große Familienähnlichkeit haben. Wie nur kamen Sie nach Paris?"
„Ich reiste aus Schwaben mit der Gräfin Boutler hierher und wir stiegen vor vier Tagen in einem Vorstadthotel ab. Welches der Zweck unserer Reise war, darf ich Ihnen nicht Mitteilen. Genug, am Tage unserer Ankunft ließ sich Herr von Larinbauld, ein Vetter der Gräfin, melden und beide verließen das Hotel, um nicht wiederzurückzukehren. In meiner Herzensangst lief ich davon und fuchte meine Gebieterin. Aber Niemand vermochte mir Auskunft zu geben, Niemand verstand mich und bald hatte ich mich in den Straßen von Paris derart verirrt, daß ich nicht mehr zurückfand. Seitdem wandere ich obdachlos umher, halvtot vor Furcht und erschöpft vor Mangel."
„Also Sie sind schon seit zwei Tagen ohne Unterkunst und Nahrung?"
(Fortsetzung sotgt.1
(Neues Wort.) Der deutsche Sprachverein ist schon lange in Sorge, wie er unseren würt- tembergischen Kollaboratoren einen deutschen Titel verschaffen soll, hat aber allem Anschein nach noch nicht das richtige Wort entdeckt. Um nun die Sorge der glühenden Hasser der Fremdwörter abzukürzen, macht ein launiger Gymnasial» rektor den Vorschlag, unierc Kollaboratoren zu verdeutschen in — „Mitstrapazer." — So übel wäre die Anrede nicht: „Guten Tag, Herr Mitstrapazer!"
Auf den Knzthäler
wolle man für den Monat März abonnieren.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.