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Berlin, 20, Drz. Die Neuerungen Württembergs im Verkehrswesen geben der Voss. Ztg. zu folgenden Bemerkungen Anlaß: Vor einem Menschenalter hieß es, Preußen müsse in Deutschland moralische Eroberungen machen. Preußen wolle, ohne sich dessen zu rühmen, an der Spitze der Zivilisation marschieren. Heule überläßt Preußen auf dem wichtigen Gebiet des Verkehrs den Vortritt dem Schwabenland und, dank Hrn. v. Stephan und Hrn. Thiele kann Württemberg in Preußen moralische Eroberungen machen. Sollte der Plan des Reichsverkehrsministeriums noch einmal ausgenommen und ausgeführt werden, so wird es nützlich sein, sich einen Leiter für diese Verwaltung aus Stuttgart zu verschreiben.
Berlin, 20. Dez. Der Kaiser hat sich über den Verlauf des Leipziger Spionage-Prozesses durch den Staatssekretär Hollmann und dem Kapitän Senden-Bibran Vortrag halten lassen. Ueber diesbezügliche Entschließungen an höchster Stelle ist auch in wohlunterrichteten Kreisen nichts bekannt.
Leipzig, 20. Dez. Die französischen Spione wurden heute nach der Festung Glatz überführt.
Frankfurt a, M.. 20. Dez. In einer von fast 2000 Personen besuchten sozialdemokratischen Versammlung für Männer und Frauen sprach gestern Abend der frühere Kanditat der Theologie Th. v. Wächter über das Thema: „Der Kampf der Sozialdemokratie gegen jede Herrschaft im wirtschaftlichen, politischen und geistigen Leben." Redner legte seine bekannten Anschauungen über die Stellung der Sozialdemokratie zum Christentum dar, indem er besonders betonte, daß das christliche Bruderreich schon hier auf Erden realisierbar sei und zwar durch die Sozialdemokratie. Wächter führte dann weiter aus, daß der Uebergang vom Kleinbetrieb zum Großbetrieb in der Entwicklung zum sozialistischen Zukunftsstaat notwendig sei. Die einzige Ursache der Kriege sei der internationale Wirtschaftskampf der Völker. Den Schluß der Rede bildete die eindringliche Ermahnung, stets den Grundsatz hochzuhalten: „Religion ist Privatsache." Durch ein solches Verhallen ermögliche man auch gläubigen Christen, in die Sozialdemokratie einzutreten. In der Debatte kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Sozialdemokraten und Mitgliedern des evang. Arbeitervereins.
Frankfurt a. M., 20. Dez. Wie der „Franks. Generalanz." erfährt, sind aus dem 160000 Mitglieder zählenden Bunde der Landwirte 50000 ausgetreten. Man glaubt, daß der Verein in Kürze eingehen wird, sowie ferner, daß der Deutsche Bauernbund, der sich vor wenigen Monaten mit seinem ganzen Vermögen dem Bunde der Landwirte anschloß, wiederbegründet werden soll.
Württemberg.
Stuttgart, 21. Dez. Der neue Staatsminister v. Pischek ist bis jetzt politisch und parlamentarisch nicht an die Oeffentlichkeit getreten; doch werden ihm große Fähigkeiten und liebenswürdige Umgangsformen nachgerühmt! Die von seinem Vorgänger ausgearbeiteten Gesetzentwürfe, welche der Kammer bereits vorliegen, wird Herr v. Pischek wohl ebenso durchzubringen suchen als mehrere andere Gesetzentwürfe, welche noch nicht in das Stadium der parlamentarischen Behandlung sind. Ein Wasserrechtsgesetz soll namentlich vollständig ausgearbeitet vorliegen.
Stuttgart. Die K, Stadtdirektion hat entsprechend dem Antrag des Gemeinderats vom 7. d. für Sonntag den 31. ds.: 1) die Beschäftigung von Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitern im Handelsgewerbe, mit denen kein Laden verbunden ist, von 11 Uhr vormittags bis 1 Uhr nachmittags, 2) die Beschäftigung von Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitern und den Gewerbebetrieb in allen andern Handelsgeschäften von 7—9 Uhr vormittags und von 11 Uhr vorm, bis 7 Uhr abends gestattet. (Anm. d. Red.: Es dürfte ein bezügl. Gesuch auch bei uns angezeigt sein.)
Liebenzell, 21. Dezbr. Wie bekannt, wurde in der Nacht vom 10. Okl. Löwenwirt
Faas in Liebenzell im Hausgang seines Anwesens ermordet aufgefunden. Man glaubte nun allgemein, die wegen Verdachts der Thäter- und Mitthäterschaft am gleichen Tage verhaftete Ehefrau werde in der 4. Quartalssitzung des Schwurgerichts Tübingen zur Aburteilung kommen, dem ist aber nicht so. Die Sitzungen in Tübingen wurden am letzten Montag beendigt und die Geschworenen wurden unter Dankes- bezcugung von dem Schwurgerichtspräsidenten in ihre Heimat entlassen. Wie man erfährt, leugnet die immer noch verhaftete Ehefrau die Thal verübt zu haben; sie habe auch keine Ahnung gehabt, daß die That vollbracht wurde. Ein Verweisungsbeschluß ist gegen sie noch nicht ergangen und ob die Verdachtsmomente hiezu auSreichen, ist immer noch fraglich. Ein sehr großer Teil der Einwohner von Liebenzell will nicht daran glauben, daß die Frau die That begangen hat. oder daß sie Mitwisserin ist.
Horb, 18. Dez. Welch gefährliches und halsbrecherisches Geschäft das Brechen von Tannenzapfen ist, hat sich heute wieder gezeigt. Drei Männer von Salzstetlen waren diesen Morgen mit Tannenzapfenbrechen beschäftigt. Um nun das mühsame und beschwerliche Auf- und Absteigen zu ersparen, faßten sie die Aeste der nächststehenden Tanne u. schwangen sich, Eichhörnchen gleich, hinüber; aber sie erreichten ihren Zweck nicht, sondern stürzten hoch herab zu Boden; einer war sofort tot, die beiden andern liegen lebensgefährlich verletzt darnieder.
Merrderungen im Württ. Posttarif.
Hj Wie im amtlichen Teil des Staatsanzeigers bekännt gegeben worden ist, werden am 1. Jan. itzSI, an welchem Tage die Uebereinkünfle mit den Amtskörperschaften des Landes in Betreff der Landpost außer Kraft treten, Aenderungen im Posttarif eintreten.
Im Wesentlichen betreffen dieselben den Postortsverkehr (Verkehr innerhalb des Ortsbestellbezirks der Aufgabepostanstalt), für welchen sich teilweise namhafte Portoermäßigungen ergeben.
Es gelangen zur Erhebung für Briefe, frankiert, bis 15 K 3 L, seither 5
über 15—250 § 5 wie seither,
unfrankiert, bis 15 § 10 wie seither,
i über 15—250 § 15 seither 10
Postkarten, einfache . . . 3 seither 5
Drucksachen, bis 15 s . . 2 ^s*) seither 3 über 15—50 § 3 ^Z*) seither 3 über 50—250 Z 5 ^)*) seither 5 über 250—1000 § 10 ^) seith. 10 *) je mit Ermäßigung um 25 "io bei gleichzeitiger Einlieferung von mehr als 50 Stück gleichlautender Drucksachen für die 50 Stück übersteigende Stückzahl.
Warenproben, bis 250 § 5 wie seither.
Im Verkehr mit den einer Postanstalt zugeteilten Landorten (Landbezirksverkehr), im Verkehr zwischen verschiedenen Orten eines und desselben Oberamtsbezirks (Oberamtsverkehr) und im Verkehr zwischen Postanstalten, welche bis 10 km einschließlich von einander entfernt sind (Nachbarschaftsverkehr) bleibt die seitherige ermäßigte Taxe von 5 ^ unter Beschränkung auf den einfachen frankierten Brief bis zum Gewicht von 15 § bestthen. Auch treten Aenderungen in den ermäßigten Taxen für Drucksachen und Warenproben nicht ein.
In dem Umfang, in welchem seither ein besonderes Porto von 15 für Päckereien bis zum Gewicht von l'/r KZ im Frankierungsfall berechnet worden ist, wird ein solches auch künftig, jedoch mit Beschränkung auf Packele im Gewicht bis zu 1 KZ, zur Erhebung gelangen. Sonstige Abweichungen vom allgemeinen Päckerei- tarif werden künftig nicht mehr stattfinden, es wird vielmehr durchweg das Porto der I. Zone (auf Entfernungen bis 10 Meilen) des internen Posttarifs erhoben werden.
Die Taxen für Postanweisungen bleiben dieselben.
Zur Frankierung der einfachen Postkarten des Postonsverkehrs, für welche vom 1. Januar
1894 an die Taxe auf 3 ermäßigt wird, ferner der Drucksachen des Postortsverkehrs bis zum Gewicht von 15 Gramm, für welche die Taxe 2 ^ beträgt, sind besondere Postkartenformulare zu 3 ^ und Freimarken zu 2 erstellt worden, welche von den Postanstalten schon in den letzten Tagen des laufenden Monats bezogen werden können. Um der bei den Drucksachensendungen des Postortsverkehrs im Fall der gleichzeitigen Einlieferung von mehr als 50 Stück eingeräumren Portoermäßigung von 25°/o teilhaftig zu werden, müssen die betreffenden durch Aufkleben von Freimarken vollständig frankierten Drucksachen bei den Postanstalten besonders vorgezeigt werden, von welchen sodann hinsichtlich der 50 Stück übersteigenden Stückzahl die Erstattung des Betrages von 25°/o des ordnungsmäßigen Frankos gegen Bescheinigung in bar erfolgt. Handelt es sich um Mengen von mehr als 100 Stück Drucksachen, so hat die Vorzeigung in Bunden von je 100 Stück zu geschehen.
Die Stuttgarter Privatstadtpost wird infolge der von der Staatspost vorgenommenen Tarifändcrungen vom 1. Januar 1894 an das Porto für Briefe und Postkarten von 3 ^ auf 2 ^ zu ermäßigen.
Ausland.
Paris, 20. Dez. Der Finanzminister Burdeau brachte eine Gesetzentwurf ein, der die Stadt Paris ermächtigt, vom 1. Januar bis 31. Dezember 1894 von jeder Flasche Schaumwein 50 Centimes zu erheben. Man hofft hieraus einen Ertrag von 600000 Francs zu erlangen.
Das neue französische Kabinet Casimir Perier hat in der Deputtertenkammer in den letzten Tagen beachtenswerte Erfolge errungen. Der vom Kabinet bekämpfte Antrag des Sozialisten Basly in Angelegenheiten des nordfranzösischen Bergarbeiterstreiks wurde mit großer Mehrheit abgelehnt, und weiterhin wurden mit noch größerer Mehrheit die von der Regierung vorgeschlagenen Ausnahmegesetze gegen dieAnarchisten angenommen. Die französifche Regierung geht nunmehr gegen die Anarchisten mit Ausweisungen vor und hat auch schon angeordnet, daß die Deputierten und Senatoren gurch enge vor den Tribünen angebrachte Drahtnetze gegen künftige Bombenattentate gesichert werden. Ueber den Antrag Spaniens auf eine iniernationale Vereinbarung zur Bekämpfung des Anarchismus hat sich die sranz. Regierung noch nicht schlüssig gemacht.
In Italien hat sich das neue Ministerium Crispi nunmehr konstituiert. Wie es der herrschenden Finanznot ohne eine starke Erhöhung der bestehenden Steuern und ohne eine wesentliche Herabminderung der Heeresstärke Italiens abhelfen will, bleibt der Zukunft Vorbehalten. Vorerst hat Crispi als Minister des Innern alle Energie aufzubreten, um der sozial- revolutionären Agitation in Sizilien Herr zu werden. Es muß weit gekommen sein, wenn ein Bürgermeister des sizilianischen Städtchens Monreale das Heer als einen Henker des Volkes bezeichnet und dessen völlige Abschaffung verlangt und überdies sämtlichen Grund und Boden in seiner Gemeinde gleichmäßig verteilen will. Der biedere sozialdemokratische Bürgermeister wurde abgesetzt.
Die Frage, von welcher Macht denn die behauptete Anregung zu einem internationalen Feldzuge gegen die Anarchisten ausgegangen sei, wird jetzt dahin beantwortet, daß Spanien diesen Schritt gethan habe. Die spanische Regierung hatte ihre diplomatischen Vertreter bei den Großmächten beauftragt, die betreffenden Kabinele zu sondieren, ob und inwieweit dieselben zu Vorbesprechungen über gemeinsame Maßregeln zur Bekämpfung des Anarchismus bereit seien. Anscheinend sind hierbei der spanischen Regierung überall Körbe erteilt worden, teils direkt, teils indirekt. Speziell heißt es von der englischen wie von der französischen Regierung, daß sich beide kühl und ablehnend gegenüber dem von Spanien angeregten Projekte erhalten hätten. Demnach dürfte trotz der furchtbaren Mahnung in Gestalt