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MeiLcrge zu Wr. 193 des KnzLküters.

Neuenbürg, Sonntag den 10. Dezember 1893.

Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

Wildbad, 7. Dez. Die heute Morgen hier eingetroffene Nachricht von dem Hinscheiden des Stoatsministers v. Schmid, des Ehren­bürgers unserer Badestadt, hat hier allgemein Trauer hervorgerufcn; haben wir doch dessen energischem Eintreten in der Ständekammcr unser neues Bad mit zu verdanken. Der Gemeinderat trat sofort zusammen, verfertigte ein Beileid­schreiben und beauftragte eine Abordnung der bürgerlichen Kollegien, am Grabe des Dahin- geschiedenen einen Lorbeerkranz mit den Stadt- sarben und Widmung niederzulegen. Unser Stadtvorstand ist verhindert, sich daran zu be­teiligen, da er seit 4 Wochen ebenfalls an In­fluenza krank an das Zimmer gefesselt ist.

(S. M.)

Vom hintern Wald, 5. Dezbr. Die Wasserversorgungsfrage in unserer Gegend macht Fortschritte. 33 Orte und Höfe (darunter auch einige auf badischem Gebiet) mit wohl 10 000 Einwohnern sollen zu einer Wasserversorgungs­gruppe vereinigt werden, die die größte im Lande sein wird. Baurat Ehmann von Stutt­gart war heute auf der Agenbacher Sägmühle, um die dortigen Quellen nach ihrer Lieferungs­stärke zu untersuchen. Von Agenbach aus sollen sämtliche Orte der Gruppe mit Wasser versehen werden. Die meisten der Ortschaften haben ihren Beitritt zur Gruppe schon erklärt.

Pforzheim, 5. Dez. Wie schon erwähnt, hat der frühere Handelskammerpräsident und seitherige Abgeordnete der Stadt Pforzheim für den badischen Landtag, Edelsteinhändlcr Hermann Gesell, heute sein Abgeordneten-Mandat nieder gelegt. Dieser Verzicht geschah ohne Zweifel in der Verstimmung darüber, daß Herr Gesell, ein sonst beliebter und verdienter Mann, bei der jüngsten Handelskammerneuwahl nur eine ver­hältnismäßig geringe Zahl von Stimmen auf seinem Namen vereinigte. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß er das Vertrauen seiner Landtagswähler verloren hat, und der Ausfall der Handelskammcrwahl und die mit denselben verbundene Mißstimmung hätte unseres Erachtens Herrn Gesell kaum berechtigt, die Stadt Pforz­heim den Aufregungen einer Neuwahl auszu setzen.

Calw, 7. Dez. Viehmarkt. Zugeführt 499 Stück Rindvieh, meist schöne Ochsen. Da­runter 1 Paar zum Augebot von 1200 ülL, das nicht verkauft wurde und mehrere Paare zu 10001100 ^ Handel wenig belebt, Preise etwas gedrückt. Zu hochträchtigcn und neu- melkigen schönen Kühen waren Liebhaber vor­handen , aber wenig Tiere vertreten. Der Schmeinemarkt wies 60 Körbe Milchschweine und 79 Stück Läufer auf. Elftere wurden zu 2030 Mark pro Paar verkauft, letztere zu guten Preisen rasch abgesetzt. Zufuhr an Pferden 38 Stück, Handel flau.

Pforzheim, 6. Dez. Der am 4. Dez. hier stattgehabte Viehmarkt war mit 164 Pferden. 389 Stück Großvieh und zwar mit 83 Ochsen. 238 Kühen, 17 Kalbinnen und 51 Stück Jungvieh, sowie mit 18 Kälbern befahren. Der Handel war ziemlich lebhaft; die Preise für sämtliche Viehgatlungen hielten sich auf gleicher Höhe wie beim vorletzten Markt. 22 Ochsen Per Zentner lebend Gewicht 38^6, 48 Kühe, Durchschnittspreis 170-^, 38 Stück Jungvieh. Durchschnittspreis 13(H 7 Kalbinnen, Durch­schnittspreis 165-^, 18 Kälber 3438°^ per Stück. Auf dem Schweinemarkt am 6. Dez. kosteten bis zu vier Wochen alte Ferkel 13 bis 14,50 ältere 16 bis 19 --kL das Paar. Wenige Käufer. Das Paar Läufer wurde zu 40 vlL angebolen. Lebende Gänse wurden zu 3,40 bis 4,80 ^ Per Stück abgesetzt.

Pforzheim, 6. Dezbr. Auf dem letzten Viehmarkt verkaufte ein Bauer ein paar Ochsen um 900 Mark. Bis er vom Markt in die Stadt kam. bemerkte er den Verlust der ganzen Summe.

Ob er das Geld verloren hat oder ein Diebstahl vorlicgt ist nicht nachzuweisen, abgeliefert wurde dasselbe bis jetzt nicht.

Deutsches Weich.

Die dem Reichstage vorliegenden Steuer- Vorlagen sind Teile der vorgeschlagenen Reichsfinanzreform und können daher nur vom Gesichtspunkte der Notwendigkeit und Durch­führbarkeit dieser Reform beurteilt werden. Keine einzige der Steuervorlagen ist für sich selbst Zweck und keine Steuer wird für die Vertreter des Volkes soviel Verlockendes haben, daß sie dieselbe annehmen sollten, ohne von der finanz­politischen Notwendigkeit einer solchen Annahme überzeugt zu sein. Wenn daher bei der am Dienstag eröffnten Steucrdebatte im Reichstage mit der Börsen steuer begonnen wurde, so machte das den Eindruck, als ob die Steuer ab­sichtlich aus ihrem Zusammenhänge mit dem ganzen Finanzplan gerissen und zuerst auf die Tagesordnung gesetzt war, um mit um so größerer Leichtigkeit dieser Steuer als solcher recht viel Schlechtes nochsagen zu können. Diese Art und Weise der Behandlung des Materials war einem Beschluß zu danken, den das Zentrum mit Hilfe der Sozialdemokraten und freisinnigen Volks­partei herbeigeführt hatte. Eine solche Mojoritäts- bildung eröffnet allerdings schlimme Aussichten für den Erfolg der Steuervorlagen. Es erregt auch Verdacht, dieselbe Gruppierung bei Beginn der Steuerdebatten zu finden, die bei Annahme des Jesuitengesetzes wahrzunchmen war. Die Vermutung eines beobchtigten Handelsgeschäfts liegt darum nicht fern. Hat das Zentrum die Entscheidung in seiner Hand, so wird es die Steuerreform nur gegen Aufhebung desJesuiten- Gesetzes gewähren. Die beiden radikalen Par­teien würden freilich zum Dank für die dem Zentrum geleisteten Handlangerdienste die Geleimten sein. Sie hätten die Jesuiten die sie im Grunde nicht haben wollen und sie hätten die neuen Steuern, die sie erst recht nicht haben wollen. Der Plan, gleich beim Beginn der Debatten über die Einzelheiten der Börsen- und Quittungssteuer die Gemüter zu erhitzen und das Ganze des Steuerplans darüber zu vergessen, wurde dadurch vereitelt, daß der Finanzminister Bayerns, Freiherr v. Riedel, zuerst das Wort ergriff, um in längerer Rede die Vorlagen zu verteidigen, wofür er den besonderen Dank des Reichskanzlers einheimste, der ihm herzlich dis Hand schüttelte. Herr Eugen Richter trat als zweiter Redner auf und zersetzte mit gewöhn­licher dialektischer Schärfe die Börsen- und Quittungssteuer, wie überhaupt alle Steuervor­lagen und erklärte überhaupt keine neue Steuern und kein Geld bewilligen zu wollen. Dagegen war er nicht abgeneigt, einen Wechsel auf die Liebesgabe" auszustellen. Der Staatssekretär des Reichsschatzamtes, Graf Posadowski-Wehner, hielt Herrn Richter vollständig die Wage, indem er jeden einzelnen Einwand des letzteren wider­legte und seine rein sachlich gehaltenen Aus­führungen mit umfangreichem Zahlenmaterial belegte. Das Haus war mäßig besetzt und der erste Tag der Steuerdebatte verlief ebenso lang­weilig als ergebnislos.

. Berlin, 7. Dez. Deutscher Reichs- a g. Fortsetzung der ersten Lesung des Stempel- abgabengesetzes. Dr. Dietrich-Hahn (nat.-lib.) der heule zum erstenmal vor dem Reichstage spricht, tritt namens seiner Partei für die Börsen­steuer ein. In Betreff der Quittungs- und Frachtbriessteuer habe er gewisse Bedenken, weil dieselben eine Belästigung des Publikums und des Verkehrs darstellten. Als Redner sodann auf den hannoverschen Spielerprozeß übergeht, wird er vom Präsidenten zur Sache verwiesen und läßt sich des näheren über die Börsensteuer aus. Redner fährt fort, die jetzige stille Ge­schäftszeit müsse man zu Reformen benutzen, auch über Mittel möge man Nachdenken, wie den Emissionsbanken der Depositenverkehr zu ent­

ziehen sei. Die Börsensteuer werde von keinen nachteiligen Folgen begleitet sein. Der große nationale Aufschwung von 1870 sei ebenfalls von einem geschäftlichen Aufschwung begleitet gewesen, an dem Börse, Städte und Handel profitiert hätten. Man möge deshalb auch aus Börsenkreisen ein Opfer auf den Altar des Vater­landes legen. Liebermann v. Sonnenberg (deutsch-soz. Anlis.) freut sich feststellen zu können, daß er mit dem Vorredner in vielen Punkten übcreinstimme, Hahn habe sich leider noch nicht zur vollständigen antisemetischen Anschauung durchgcrungen. Redner wirft dem Abg. Singer vor. derselbe hätte bei seiner letzten Rede weniger die Agrarier und lieber die ihm (Singer) nahe­stehenden Banquiers wie Hugo Löwy kritisieren sollen. (Singer: Unterzeichner von verfallenen Ehrenscheinen stehen solchen Leuten näher.) Liebermann: Sie sind ein Kollege jener Wucherer. (Singer: Unverschämte Frechheit.) Vizepräsident v. Buol ruft den Redner zur Ordnung. Liebermann verbreitet sich alsdann in Ausfällen gegen die Börse, v. Komierowski (Pole) erklärt namens seiner Partei, daß die­selbe, einige Abänderungen vorbehaltend, für die Vorlage eintrete. Staatssekretär v. Bötticher will das Aktenmaterial der EnquLtekommission der Kommission für die Steuervorlagen über­weisen. v. Plötz (Bund der Landw.) erklärt, daß die Börsensteuer eine Programmforderung des Bundes der Landwirte darstelle und wünscht eine besonders scharfe Besteuerung der Emission. Dadurch könne vielleicht die Quittungs- und Frachtsteuer in Wegfall kommen. Nachdem Staatssekretär v. Posadowski die Gründe aus­einandergesetzt hat, aus welchen eine Besteuerung der Emission nicht angängig sei, erklärt Abg. Osann (nat.-lib.), daß sich seine Partei keines­wegs mit dem Abg. Hahn identifiziere, besonders teile seine Partei nicht dessen antisemitischen An­schauungen. Redner empfiehlt die Annahme der Vorlage mit Ausnahme der Quittungssteuer. Zu einer Reichseinkommen-, Luxus- und Erb­schaftssteuer werde man ja doch noch kommen. Nachdem noch Meist (Soz.), Gräfe (Reichsp.) und Graf Arnim (Reichsp.) gesprochen und v. Posadowski und v. Bötticher kurze Erklärungen abgegeben haben, wird die Vorlage einer Kom­mission überwiesen. Nächste Sitzung: Samstag Alters- u. Jnvaliditätsversicherung.

Berlin, 7. Dez. Ahlwardt, welcher gegenwärtig in Plötzensee seine Strafe von fünf Monaten verbüßt, will eine nochmalige Ver­handlung des Judenflintenprozesses herbeiführen und hat bereits einen Antrag um Wiederauf­nahme des Verfahrens gestellt. Er glaubt, durch nachträglich erhaltene Beweismaterialien die Richtigkeit der seiner Zeit erhobenen Behaupt­ungen beweisen zu können.

Württemberg.

Staatsminister Karl v. Schmid 4-

Nach einer unerwartet rasch verlaufenen Krankheit ist am Abend des 6. Dezember ein Mann gestorben, der hoch hinausragend über Viele, vielfach mißkannt und angefeindet, seinem König und Heimatland wie dem deutschen Vater­lande nicht nur mit felsenfester Treue diente, sondern sich auch dauernde und hervorragende Dienste erwarb, die seinen Namen tief eintragen in die ehernen Tafeln der Geschichte.

Geboren am 4. März 1832 zu Munder- kingcn als Sohn des Gerbers und Hirschwirts Schmid daselbst, besuchte der nunmehr Entschlafene zuerst das Gymnasium Ehingen, dann die Uni­versität Tübingen und Freiburg. Nach glänzend bestandenen juristischen Examen und kurzer Richterlaufbahn ließ er sich zuerst in Rottenburg dann in Riedlingen als Rechtsanwalt nieder. 1861 wurde er von seiner Vaterstadt Münder- kingen als Stadtschultheiß gewählt, als welcher er sofort seine glänzenden Fähigkeiten bethätigte obgleich er auch die Advokatur-Praxis weiter betrieb und zwar in einer Weise, daß er bald