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und in der Nordsee zugefügt hat, giebt die neueste Verlustliste des „Germanischen Lloyd" Aufschluß. Danach sind von dem genannten Institut in dem erwähnten kurzen Zeitraum nicht weniger 373 Seeunfälle registriert worden. 15 Dampfer und 89 Segelschiffe gingen verloren, 124 Dampfer und 145 Segelschiffe erlitten mehr oder minder starke Havarie. Was die Totalverluste anbelangt, so verunglückten u. a. 9 Dampfer und 58 Segler durch Strandung, 5 Dampfer und 8 Segelschiffe sanken und 18 Segler mußten verlassen werden.
Unterhaltender Teil.
In letzter Stunde.
Eine Dorfgeschichte von E. Eibejn.
(Fortsetzung 2.)
(Nachdruck verboten.)
Der Staatsanwalt nannte in seiner Anklagerede unter Ausdrücken der Entrüstung diese Beteuerung eine „beispiellose Frechheit", die von der sittlichen Verrohung des Angeklagten zeuge, und fand darin einen Erschwerungsgrund für die Beurteilung des Falles.
Was die Verteidigung zu Gunsten des Angeklagten vorbrachte, verhallte machtlos unter dem Eindruck, welchen die Beweisführung auf die Gemüter hinterlassen hatte.
Die Geschworenen sprachen einstimmig das „Schuldig" aus unter Ausschluß mildernder Umstände und verhängte darauf der Gerichtshof über den Angeklagten die Todesstrafe.
Ruhig und gefaßt nahm der Förster das Urteil auf, wonach er das Leben verwirkt haben sollte.
„Ich bin dennoch unschuldig!"
Mit feierlichem Ernste klangen diese Worte durch die tiefe Stille im Saal — es waren Herzenstöne der Unschuld, die sich nimmer preis giebt und ob auch eine Welt sie verdamme! —
Er kehrte zurück in seine Zelle — das Haupt erhoben wie ein Mann! —Längst schon hatte er die Verzweiflung überwunden, deren Macht ihn einst darniederbeugte.
Die Presse schilderte ihn als einen verlorenen Menschen, in dessen Herzen jedes menschliche Gefühl erstorben sei. Daß er seine Unschuld bis auf die letzte Minute beteuert hatte, das verzieh man ihm nicht. Anstatt darin einen Beweis für die Möglichkeit seiner Unschuld trotz aller Gegenbeweise zu erblicken, rechnete man ihm das als Verstocktheit an. Und doch hätte sich der nicht blos oberflächlich prüfende Mann sagen müssen, daß der Förster nicht zum Tode verurteilt worden wäre, wenn er die That eingestanden haben würde. Niemand war zugegen gewesen. Der Mord brauchte nicht mit Vorbedacht vollführt zu sein. Der Förster konnte, von dem als streitsüchtig bekannten Bauern schwer gereizt, von ihm bedroht worden sein und in der Aufregung auf seinen Gegner geschossen haben, ohne die Folgen zu bedenken. Wenn der Förster sich in diesem Sinne für schuldig bekannt hätte, man hätte ihn nie zum Tode verurteilen können, nur zu einer mehrjährigen Zuchthausstrafe. Daß er dies aber nicht that, sich zum Tode verurteilen ließ — hätte mindestens Zweifel an seiner Schuld auf- kommen lassen sollen. Aber die Geschworenen erklärten ihn für schuldig und der Gerichtshof mußte der Strenge des Gesetzes freien Lauf lassen.
II.
Annaliese. die Mühlhofbäuerin, liebte ihren Mann nicht — sie war zu der Ehe gezwungen worden — das Glück wohnte nicht in ihrem Hause. Zwar hatte ihr Mann in der ersten Zeit eine leidenschaftliche Zärtlichkeit für sie empfunden — aber diese war bald verschwunden, wahrscheinlich, weil sie dafür keine Erwiderung hatte. Die Blume der Schönheit in ihrem Antlitz verwelkte und das Feuer der Augen erlosch unter dem heimlichen Weinen um den verlorenen Jugendgeliebten. Ihr Mann begegnete ihr aber nie rauh, ließ sie schalten und walten wie sie wollte, und dafür war sie ihm dankbar. War er auch anderwärts als streit- und händelsüchtig bekannt, zu Hause wurde sie
nichts davon gewahr. Wahrscheinlich fühlte er das Unrecht, das er gegen sie begangen hatte, als er sie zum Altar zwang, schwer auf seiner Seele lasten und versuchte es dadurch zu sühnen, daß er ihren Lebensweg freihielt von Dornen.
Als sie die Nachricht von seinem jähen Tode erhielt, erschrack sie bis ins innerste Herz und heiße Thränen entstürzten in aufrichtiger Trauer ihren Augen. Als sie aber vernahm.
. daß ihn Förster Stolzenberg erschossen haben sollte, daß dieser verhaftet worden sei — da trat die Trauer um den Tod des Gatten in ihrer Seele zurück vor der neuen, ihr viel schrecklicheren Kunde! — Sie war im tiefsten Herzen davon überzeugt, daß der Förster keines Mordes fähig sei. und zweifelte keinen Augenblick an ihm. Die Liebe zu ihm, die noch heimlich in ihrem Herzen fortglimmte, loderte wieder auf in Hellen Flammen und sie bangte um ihn wie um das Teuerste auf Erden! — Aber was konnte sie thun, ihn zu retten? — Ach. sie sah ihre Ohnmacht ein, mußte müßig die Hände in den Schoß legen, das Schicksal seinen unerbittlichen Gang gehen lassen, durfte nicht mal in den Busen einer Freundin ihr Leid, ihre Befürchtungen und Hoffnungen ausschütten, man hätte mit Fingern auf sie gewiesen, daß sie Partei für den nahm, den man allgemein für den Mörder ihres Mannes hielt. —
Sie hatte der Schwurgerichtsverhandlung, worin der Stab über den Förster gebrochen werden sollte, anwohnen wollen, doch als der Tag erschien, fühlte sie sich krank vor fieber- Hafter Aufregung und mußte sich zu Bett legen. Aber sie sandte einen Knecht hin mit dem Aufträge, ihr sofort nach Bekanntmachung das Urteil mitzuteilen.
Müde bis zum Tode lag sie mit geschlossenen Augenlidern auf dem Bette, aber sie schlief nicht
— der Geist war wach. Die Vergangenheit wurde wieder lebendig vor ihrem inneren Auge und sie erlebte alles noch einmal . . .
Sie war wieder ein junges Mädchen, ein fröhliches Herz, das trunken von seliger Liebe in die Welt hineinjauchzte . . . Sie kehrte heim von einem Stelldichein mit dem Geliebten, trat ein in das Stübchen ihres alten Vaters.
Gramgcbeugt saß er am Tische und neben ihm Jensen's Paul, der reiche Bauerssohn. Aber auch noch ein Anderer war da, den sie fürchtete von Kind auf — der berüchtigte Wilderer Hans Mohr. Wie kam der in das Haus ihres Vaters? Was hatte er da zu suchen? — Ach, nur zu bald sollte sie es zu ihrem Leid erfahren! —
Als sie eintrat, erhob der greise Vater das Antlitz. So alt wie jetzt, so entstellt von tiefen geheimen Seelenleiden hatte sie es noch nie gesehen . . .
„Kind!" sagte er und nahm ihr Händchen zwischen seine beiden Hände. „Annaliese, willst Du Deinen Vater retten vor einer schweren Schmach?"
Der Atem stockte in ihrem Busen — kaum konnte sie ein Wort über die erbleichenden Lippen bringen.
„Ja!" stieß sie endlich hervor. „Sprich, Vater — was ist es? Wer bedroht Dich?"
Und ihr Auge streifte scheu den Wilderer.
„Ich hoffe, Du wirst Dein Wort halten, Kind, mag es Deinem Herzen auch schwer fallen", fuhr der Vater leise fort. „Höre mich an! Das, was ich Dir sage, verschließe aber in Deinem Busen — das Geheimnis sei Dir heilig wie dem Priester die Beichte! — Es ist eine Schuld, die der Vater dem Kinde bekennen muß, so bitter es ihm auch wird. Nur zwei wissen bis jetzt darum — der Paul und der Hans!
— Ich hoffe, die Schuld ist längst gesühnt vor
Gott durch die bittere Reue, die mich Tag und Nacht nicht verließ, sich selbst in meine Träume stahl!" (Fortsetzung folgt.)
Mit Bezug auf den in diesen Blättern (Nr. 182 v. 21. Nov.) enthaltenen Artikel betreffend das von Herzog Ludwig Eugen von Württemberg im Jahr 1793 erlassene Verbot gegen das Hazard spiel wird uns von befreundeter Seite ein vergilbtes Schriftstück über
geben. welches ein Bittgesuch um Wiedergeffattung der Spiele während der Badsaison in Wildbad darstcllt. Dasselbe wurde an den Chursürsten Friedrich von Frau Marie Keppler zum Bären Joh.Pcter Kurz z. Spieß und Fried. Göttlich Riethmüller z. Grünen Baum aus Wildbad äa statt) 29. April 1805 cingereicht. In dem Gesuch wird Klage darüber geführt, daß viele reiche Fremde, die sich seit einigen Jahren aus dem Ausland in Wildbad eingefunden hatten und vieles Geld verzehrt haben würden, sobald sie hörten, daß Spiele nicht erlaubt seien, nach nur eintägigem Aufenthalt sich teils nach Baden teils nach Jmnau, wo die Erlaubnis des Spielens damals noch uneingeschränkt war, begeben haben. Noch nie habe das benachbarte Baden so äußerst viele und Wildbad so äußerst wenige Badegäste aufzuweisen gehabt als seit zwei Jahren, weil das Spielen nicht gestaltet sei. Seine Churfürstliche Durchlaucht waren aber gar nicht geneigt, das Verbot des Glückspiels aufzuheben, erteilten vielmehr mittelst Dekrets an das Churfürstliche Oberamt Wildbad sto stato Ludwigsburg, 3. Mai 1805 den gestrenge» Befehl, die Supplikanten mit ihrem „unverschämten polizeywidrigen" Gesuch abzuweisen und auf die gegen das Spielen ergangenen höchsten Verordnungen ernstlich zu verweisen. — Das Harzardieren ist in Frankreich seit 1839, in Deutschland 1848 vom Parlament verboten, dann wieder geduldet, durch die norddeutsche Bundesgesetzgebung 1867 wieder verboten, aber bis zum Ablauf der Verträge hie und da gestattet. Seit 1873 ist es im ganzen deutschen Reich verboten.
Noch Prof. Rud. Falb ist auch noch in der nächsten Zeit trübes, feuchtes und warmes Wetter zu erwarten, so lange, bis nach einer Krisis mit sehr starken Niederschlägen ausge- breiteler bedeutender Schneefall eintreten und die ganze Wetterlage vollständig umgestalten wird. Soweit der Mond dabei in Betracht gezogen werden muß. könnte dies erst nach dem 16. Dezember, wahrscheinlich unmittelbar vor Weihnachten geschehen, während wir um den 2. und 8. noch warmen Regen erwarten.
Zum Advent.
(Eingesandt.)
Das Adventfest ist der Anfang des Kirchenjahres. Nicht im Lärm des Sylvesterabends, nicht im Arbeitsstrudel, den der Abschluß des bürgerlichen Jahres mit sich bringt, sondern in stiller Zeit, noch vor der Hochflut des Weihnachtsgeschäfts, begeht die Christenheit ihren kirchlichen Neujahrstag.
Wenn die kirchlichen Ordnungen, die kirchlichen Fest- und Feiertage den Fluß des bürgerlichen Jahres unterbrechen und aufhalten, so soll das eine Aufforderung sein: mache Halt im ruhelosen Umtrieb des Lebens, halte Einkehr in die Welt des Gemüts! Warum haben unsere Vorfahren ihre Dome gerade an die belebtesten Plätze gestellt, an den Markt, an die Kreuzung der wichtigsten Straßen. Einen Jeden der aus- und einging zur Stadt, sollte das hochragende Bauwerk Zurufen: Menschenkind, vergiß des Ewigen nicht im Wechsel der Zeit!
Aber wenn das Kirchengebäude, wenn das Kirchenjahr so mitten hineingestellt ist in Welt und Zeit, nicht in den Winkel, sondern recht in's bewegte Leben hinein, so richtet sich, zumal am Beginn eines Kirchenjahres, immer wieder eine neue Frage an die Kirche selbst, an Alles, was Christ heißt : thut ihr auch genug, um eurer hehren Aufgabe zu genügen? Ihr redet von einem Gottesreich, das kommen soll, darin Gerechtigkeit herrscht und Friede unter den Menschen, da ein jeder, der Menschenantlitz trägt, sich seines Adels freuen darf, den ihm Gott gegeben hat, wie er ihn schuf nach Iftuem Bilde, — kommen wir diesem Zustand näher oder nicht? Wann kommt dieses Reich? Wie soll es kommen.
Das Gute braucht Zeit, und das Vollkommene zu schauen ist uns in dieser vergänglichen Welt nicht vergönnt. Wer glaubt, durch Mehrheitsbeschlüße, durch einige, vielleicht gewaltsam durchgeführte Ordnungen die alte Erde zum Paradies umzuschafsen, der träumt. Das Christentum will reformieren, aber von innen heraus, durch Umbildung von Menschenherzen — ein lang- samer, aber sicherer Weg! Schärfung des Gewissens, wo sittliche Verwilderung droht, Veredlung des Charakters, wo Gemeinheit und niedrige Gesinnung herrscht, Uebung selbstloser Liebe in einer Welt voll Eigennutz, Schaffung von Recht und Sitte, die auch dem Geringen ein wahrhaft menschenwürdiges Dasein gewährleistet das sind die alten, großen, ewig neuen Aufgaben, deren
Lösung schrittweise dem christlichen Zukunstz>elentgegem
führt. Das Beste dazu muß der große Gott selber thun, aber daß wir diesen Aufgaben mit y^nem I in's Auge sehen, und ein Jeder an seinem ^eue H anlege im Sinn Jesu Christi, dazu ruft der Anfang des neuen Kirchenjahres aus. __.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.