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Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

Neuenbürg, 1. Dez. Das vormals Alb. Lutz'schen Bierbrauereianwesen des Hrn. Julius Bleyer ist nunmehr (zunächst pachtweise) von der Bachner'sche Brauerei, Aktiengesellschaft in Stuttgart übernommen worden. Die Ver­tretung der Firma und die Wirtschaftsführung ist dem Restaurateur Emil Gastpar aus Lndwigsburg, früher Braumeister in Pilsen. Magstadt rc. übertragen, welcher am 15. d. M. hier aufzieheu wird.

Wildbad, 1. Dez. Die Verlegung der Diensträume des hiesigen K. Postamts von den bisherigen Dicnstgelassen im Hotel Post in die im Erdgeschoß des Bahnhof-Verwaltungsgebäudes befindlichen 2 Gelasse findet in der Nacht vom Z. aus den 4. d Mts. statt.

Calw, 30. Nov. Sonntag den 1. Advent von abends 5 Uhr ab wird der hies. Kirchen­gesangverein in der Stadtkirche unter Mit­wirkung von Frl. A. Federhaff aus Stuttgart und Hrn. A. Staiger lowie der Kapelle des 7. Infanterieregiments Nr. 125 (Hr. Musikdirektor Prem) aus Stuttgart das OratoriumIsrael in Aegypten" von Händel, zur Ausführung kommen.

Nach demGesellschafter" in Nagold hat der dortige Gewerbeverein in seiner letzten Versammlung eine Eingabe an den Reichstag beschlossen und dieselbe bereits abgehen lassen. Nach den in der Versammlung zum Ausdruck gekommenen Ansichten über die neuen Steuer- Projekte ist man dort wie anderorlsgegen eine lästige und unbequeme Quiltungs- und Frachl- briefsteuer." Das Tabaksteuergesetz kam nicht zur Sprache, dagegen zeigte man Geneigtheit für Einführung der progressiven Einkommen­steuer und der Zxitungssteuer, sowie der Erb- schafts- und Wchrsteuer.

Neuenbürg, 1. Dez. Beim heutigen Schweinemarkt wurden Milchjchweine zu 13 bis 18 vkL und Läufer zu 3035 bezahlt. Ver­kauf lebhaft.

Deutsches Weich.

Berlin, 30. Nov. DieNordd. Allgem. Ztg." teilt zu dem Attentatsversuch Folgendes mit:Ein Privattelegramm meldet uns aus Paris, ä ä. 29. November: DieAgence Havas" meldet aus Orleans, es existiere dort keineRue Boutlong", von welcher aus der Brief an den deutschen Reichskanzler Grafen Caprivi gerichtet worden sein sollte; ebenso wenig findet sich unter den Einwohnern von Orleans ein solcher namens Dechanteau. Bisher hätten die angestellten polizeilichen Recherchen nicht dazu geführt, eine Spur einer auf der Eisenbahn oder anderwärts aufgegebenen, an den Grafen Caprivi adressierten Sendung ausfindig zu machen; die Anarchisten, welche zuerst Plakate revolutionären Inhalts angeschlagen haben, hatten Orleans ver­lassen, ohne daß es möglich gewesen wäre, ihre Persönlichkeit testzustellen. Gewisse Anzeichen ließen darauf schließen, daß die Urheber der doppelten Sendung Ausländer von der Inter­nationale seien, die, von London gekommen, sich in Paris aufgehalten hätten und später einige Zeit in Orleans verweilten." Es wird hier nicht verstanden, weshalb man sich in Frankreich so außerordentliche Mühe giebt, die Verantwort­lichkeit für die in Orleans ausgeheckten Buben­stücke von den französischen Anarchisten weg auf anarchistische Ausländer zu schieben. Es erscheint dies hier um so weniger verständlich, je geringeres Gewicht hier überhaupt jener Verbrecherthat bei- gemesfen wird.

Berlin, 30. Nov. (Deutscher Reichstag.) Zimmermann (Antis.) tritt warm für den Mittelstand ein, spricht gegen die Konsum- und Offiziersvereine sowie gegen das Alters- und Jn- validitätsgesetz, das hauptsächlich den Mittelstand belaste. Die Börsensteuer sei noch viel ertrag­reicher zu gestalten. Auf die Vorgänge gelegent­lich des Hannoverschen Spielerprozesses näher eingehend, bezeichnet Redner den Antisemitismus als eine durch das ganze Land gehende Kultur­bewegung. Man solle einmal gegen das Juden­tum und die Börse ebenso scharf Vorgehen, wie die Regierung es gegenüber den Landwirten,

thue. Die Politik des neuen Kurses erinnere an die Zustände vor der französischen Revolution. Liebknecht (Soziald.) läßt sich über den An­tisemitismus aus. Der Antisemitismus sei keine Kulturbewegung und könne auch den Mittelstand und die Bauern nicht retten. Das könne nur die Sozialdemokratie. Im Hannoverschen Spieler­prozeß seien auch ältere Offiziere verwickelt, was auf weitere Verbreitung des Spielübels deute. Er polemisiert gegen die Rede des Kriegsministers, der dem Reichstage die Kritik an der Armee verbieten wolle, wo die Armee vom Reichstag ab­hängig sei u. der sich verächtlich über den Reichs­tag geäußert habe. (Redner wird vom Präsidenten v. Buol zur Ordnung gerufen.) Den Rat des Abg. Frege die Allentatsversuche gegen Kaiser und Kanzler von uns abzuschütteln, brauchen wir nicht zu befolgen. Wir haben keine Ge­meinschaft mit solchen Wahnsinnigen. Die Bourgeoisie bedient sich nur der Anarchie um die Sozialdemokratie zu bekämpfen. Pultkamer habe einmal behauptet ein Anarchist sei ihm lieber als ein Sozialdemokrat. Reichskanzler von Caprivi wendet sich gegen die Ausführ­ungen der sozialdemokratischen Vorredner. Die Sozialdemokratie trage die Verantwortung für das Aufkommen des Anarchismus. Der Anti­semitismus sei die Vorfrucht des Sozialismus, o. Ploetz polemisiert gegen die Handelsver­träge und greift die Regierung wie die Linke scharf an. Nachdem noch die Antisemiten Fo erster und Zimmermann zu Wort ge­kommen, findet der Schluß der Sitzung statt.

Berlin. 1. Dez. (Deutscher Reichstag). Die erste Lesung des Jejuiten-Antrags hal die Zenlrumsfraktion, die Polen und Elsässer fast vollzählig herbeigesührt. Graf Hompesch (Zentr.) tritt für die Annahme des Antrags ein, der ein Recht des Volkes und der katholischen Kirche sei. Ein Wiedererwecken des alten Kultur­kampfes liege ihm fern. Die Jesuiten, welche > man grundlos verleumdte, würden verfolgt, während Atheisten und Anarchisten fiel predigen könnten, was sie wollten. Frhr. v. Manteuffel (kons.) verliest eine Erklärung, der zufolge die Mehrzahl der Konservativen gegen den Antrag stimmen wird. Die Austreibung der Jesuiten sei nicht als ein Kulturkampfgeseß anzusehen und im Interesse des konfessionellen Friedens aufrecht zu erhalten. Die Aufhebung des Ge­setzes würde in weiten Kreisen der evangelischen Bevölkerung große Beunruhigung Hervorrufen. (Widerspruch im Zentrum). Eine ähnliche Er­klärung verliest Merbach - Freiburg im Namen der Reichspartei und spricht den Wunsch aus, im konfessionellen Frieden von einer Debatte Abstand zu nehmen. Auch Marquardsen giebt im Namen der Nationalliberalen eine scharf gehaltene Erklärung desselben Inhalts, v. Holle uff er (kons.) erklärt, er wie einige seiner Freunde würden im Interesse des reli­giösen Feiedens für den Antrag stimmen. Lotzc (Antis.) macht die Eröffnung, daß seine Partei die Abstimmung dem einzelnen überlasse. Schröder (Frs. Verein., Führer des Protestantenvereins) polemisiert in scharfer Weise gegen Graf Hompesch und empfiehlt die Ablehnung des Antrags.

Berlin, 1. Dez. (Reichstag.) Der An­trag auf Aufhebung des Jesuitengesetzes wurde mit 173 gegen 136 Stimmen angenommen. Am Montag beginnt im Reichstage die Steuergesetzdebatte.

Württemberg.

Stuttgart, 1. Dez. Wegen der bevor­stehenden Gcmeinderatswahlen in Stuttgart dauern die ziemlich erregten Auseinandersetzungen zwischen der Volkspartei und den Sozialdemo­kraten fort. Allem Anscheine nach hat diesmal die deutsche Partei große Chancen, ihre Kandi­daten durchzubringen. Auf dem Stuttgarter Rathaus kam es dieser Tage zu einer in diesen Räumen seit Jahren nicht erhörten lebhaften Auseinandersetzung zwischen dem Oberbürger­meister und einigen Gemeinderäten. Ersterer machte den wiederholten Versuch, die Ausführ­ung des Elektrizitätswerkes in Stuttgart einer Aktiengesellschaft zu übertragen. begegnete aber dabei einem derartig gereizten Widerspruch, daß er mit Wortentziehung drohte.

Stuttgart, I.Dez. Landgerichtspräsident a. D. v. Fi rnhaber entfernte sich gestern Abend aus seiner Wohnung, um, wie seine An­gehörigen glaubten, einen Spaziergang zu machen; er kehrte aber nicht mehr zurück, weshalb die hiesigen Blätter eine Notiz der geängstigken Familie veröffentlichten. Heute Vormittag wurde nun der Vermißte bei Münster O/A. Cannstatt als Leiche aus dem Neckar gezogen. Firnhaber war 77 Jahre alt, als er diesen Sommer um seine Pensionierung nachsuchte. Trotz wieder­holter Erkrankung hatte er vorher sein überaus schwieriges Amt immer wieder mit einer Energie ausgenommen, die in einem so hohen Alter ebenso selten als bewunderungswert ist. Es ist keine Frage, daß Firnhaber infolge jahrelanger geisti­ger Uebcranstrengung so übermüdet wurde, daß schließlich eine völlige geistige Umnachtung über ihn kam. Das Mitleid mit der Familie wie mit Herrn Firnhaber selbst, der ein ebenso vor­trefflicher Richter als Familienvater war, ist allgemein.

Stuttgart, 1. Dez. Die vor. mehrere» Wochen in einem Teil der würtlemb. Presse erhobenen Beschwerden über die unzureichende telephonische Verbindung zwischen Stuttgart und Ulm, wofür dre beiden bisher bestehende» Leitungen selbst dann kaum ausreichen, wenn beide Leitungen ordnungsmäßig funktionieren, was leider manchmal nicht der Fall ist, sind an das Ohr unseres Herrn Ministerpräsidenten ge­drungen und haben denselben veranlaßt, die sofortige Erstellung einer 3. Telephonleitung zwischen Stuttgart und Ulm anzuordnen. Mit dem Bau derselben ist man gegenwärtig mit solchem Nachdruck beschäftigt, daß man die neue Leitung wohl noch vor Ablauf dieses Jahres in Benützung wird nehmen können. Sehr zu bedauern bleibt, daß die bayrische Verwaltung sich bis jetzt hat noch nicht entschließen können,

, eine zweite Telephonleitung von München nach Ulm zu bauen. Die einzige vorhandene ist ungeheuer belastet; giebt doch eine einzige Stutt­garter Firma für ihren Telephonverkehr nach Bayern tagtäglich 15 bis 20 vkL aus. Die Stadt Ebingen ist mit einer erklecklichen Anzahl Tele­phonteilnehmern nun gleichfalls in das württ. Telephonnetz einbezogen worden. In den Städten Kirchheim u. T., Biberach und Göppingen sind die Vorarbeiten schon sehr weit gediehen, so daß auch die Einbeziehung dieser 3 Städte in das Telephonnetz binnen wenigen Wochen zu er­warten ist.

Stuttgart, 1. Dez. Strafkammer. Infolge eines Streites unter jungen Leuten ver­setzte am Sonntag den 29. Oktober in einer Wirtschaft zu Untertürkheim der 22 Jahre alte Hafnergehilfe Lausterer von Münsingen dem 18 Jahre alten Weingartner Neef von Unter­türkheim einen Messerstich ans rechte Auge, wel­cher den Augapfel derart traf, daß der Inhalt des Auges sich entleerte, worauf in der Augen­klinik von Professor Dr. Schleich hier ei» Glasauge eingesetzt wurde. Infolge dessen war Lausterer heute eines Verbrechens der schweren Körperverletzung angeklagt und wurde zu der Gefängnisstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verur­teilt. So endigen die Händel der Raufbolde und Messerhelden.

Altenstaig, 30. Nov. Auf dem hiesigen Viehmarkt hatte ein Mann von Fünfbronn ein Stück Vieh um 180 verkauft. Leider brachte er weder Geld noch Geldbeutel nach Hause. Ein geschickter Langfinger halte ihm beides aus der Tasche genommen. Den Geldbeutel fand man nachher in der Nähe einer hiesigen Wirt­schaft; er enthielt noch 40

Ausland.

Paris, 1. Dez. Es ist jetzt erwiesen, daß die Pulversendungen für den deutschen Kaiser und den Grafen Caprivi in Orleans auf die Post gegeben worden sind.

Rouen, 1. Dezbr. Zwei Depeschensäcke, die angeblich einen Wert von 300 000 Fr. ent­hielten. wurden am Bahnhof in Oissel gestohlen.

Ueber den Schaden, welchen der verheerende Norost sturm in der Zeit vom 16. bis 22. Nov. der Schifffahrt im Atlantischen Ozean, im Kanal