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Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

UNeuenbürg, 16. Nov. Von Seiten der Behörde für vaterländische Altertumsforschung beauftragt, hat heute ein Sachverständiger die in der hiesigen Kirchhofkapelle befindlichen Frescogemälde untersucht, welche anläßlich der Renovation rechts und links vom Eingang in das Kirchlein entdeckt worden sind. Nach dem Urteil dieses Kenners haben die Malereien einen hohen Kunstwert und sollten deshalb die Kosten nicht gescheut werden, um dieselben wieder her- zustellen. Leider zeigte es sich, daß durch das Schaben unverständiger Personen an den Wand­gemälden manches verdorben worden isi, was uns die Bitte an die Besucher der Kapelle richten läßt, solches zu unterlassen, damit die Arbeit der Wiederherstellung nicht noch mehr erschwert wird.

Neuenbürg, 15. Novbr. Heute abend kurz nach 5 Uhr ertönte zum ersten Male das Geläute der neueingesetzten Glocken der in der Vollendung begriffenen Kirche in Höfen. Bon einem dortigen Freund unseres Blattes telephonisch darauf aufmerksam gemacht, konnten wir das Geläute in unserer Redaktionsstube hier eine gute Stunde thalabwärts durch das Telephon deutlich vernehmen, so deutlich, als ob es auf hiesiger Stadtkirche gewesen wäre.

k. Birken seid, 15. Nov. Kirchen­heizung. Infolge der strengen Kälte des ver­gangenen Winters wurde hier der Wunsch laut, auch eine Kirchenheizung zu bekommen. Es wurde deshalb im Laufe des Sommers eine Sammlung freiwilliger Beiträge veranstaltet. Bereits ist die Summe von 800900 bei­

gesteuert worden. Die Kirchengemeinde hofft noch in diesem Jahr die ersehnte Kirchenheizung zu bekommen und die Wohlthat einer solchen genießen zu dürfen.

Calw, 13. Nov. Am Sonntag den 12. d. Mts. wurde eine Luther-Feier im Badischen Hof veranstaltet. Die Gedächtnisrede hielt Rektor Dr. Weizsäcker. Mit der Feier verband sich der Abschied des nach Ulm beförderten Stadt­pfarrers Eitel.

Grafen Hausen, 14. Nov. Auf der ge­stern hier abgehaltenen Jagd wurden 30 Hasen, 4 Rehe (3 Böcke) und 1 Fuchs zur Strecke ge­bracht.

Pforzheim, 15. Nov. Die gestrige Ver­sammlung des Kunstgewerbe-Bercins im Adler­saal erfreute sich eines sehr zahlreichen Besuches. Herr Dr. Richter verbreitete sich in fesselnder und anschaulicher Rede über die Elektrizität auf der Chicagoer Ausstellung. Hierauf besprach Herr Oberbürgermeister Hab er mehl kurz und klar die Beweggründe und Projekte, welche für Errichtung des hiesigem Elektrizitätswerks maß­gebend sind, über Ort, Größe, Kosten und Art der Anlage. Zum Schluß verbreitete sich Herr Handelskammerpräsident Gesell über die prak­tischen Vorteile, welche der elektrische Betrieb dem einzelnen gewähre, welche Maschinen er­fahrungsgemäß schon damit betrieben wurden und in welcher Weise die Anwendung erfolgte. An der Hand genauen Zahlenmaterials mußte sich Jeder von der Rentabilität und Annehm­lichkeit des elektrischen Betriebes überzeugen. Es handelt sich bei diesem Projekte nicht um die Schaffung einer Licht-Zentrale. sondern um eine Kraft-Zentrale und insofern ist das Vor­gehen Pforzheims in Deutschland bis jetzt ohne analogen Vorgang. Wie verlautet, haben die Mitglieder des Handelskammer-Vor­standes in Folge des Nolte-Skandals demis­sioniert. Am Montag fand eine Versammlung der Handelskammer-Wahlberechtigten statt, bei der es zu äußerst heftigen Auseinandersetzungen und zu schweren Vorwürfen gegenüber dem Vorstände kam. Hierin dürfte wohl der Anlaß zum Rücktritt desselben zu suchen sein.

Deutsches Weich.

Berlin, 16. Nov. Die Reichstags- Eröffnung fand im weißen Saale des königl. Schlosses statt. Es waren etwa 150 Abgeordnete anwesend. Die Bundesratsmitglieder erschienen unter Führung des Reichskanzlers Grafen Eaprivi; darauf betrat der Kaiser, mit dies­

maligem Hoch begrüßt, den Saal, bestieg den Thron und verlas mit weithin vernehmlicher Stimme die Thronrede, deren Absatz über die guten friedlichen Beziehungen mit lebhaftem Bei­fall ausgenommen wurde. Der Reichskanzler erklärte darauf die Tagung für eröffnet. Die Feierlichkeit schloß mit erneutem Hoch auf den Kaiser.

Berlin, 16.Nov. Erste Sitzung des Reichstags. Präsident v. Levetzow als pro­visorischer Präsident beruft die provisorischen Schriftführer. Der Namensaufruf ergiebt 215 Anwesende, also ein beschlußfähiges Haus. Ein­gegangen sind u. a. drei schleunige Anträge, von Förster auf Einstellung des Strafverfahrens gegen Ahlwardt, von Lotze auf Einstellung des Strafverfahrens gegen Förster, von Manteuffel auf Einstellung des Strafverfahrens gegen Hammerstein. Nächste Sitzung Freitag 12 Uhr: Präsidentenwahl, Beratung schleuniger Anträge.

Wie die letzten Reichstagswahlen, so brachten auch die preußischen Landtagswahlen der deutsch-freisinnigen Volkspartei Eugen Richters eine schwere Niederlage. Seine Fraktion ist von 29 auf 14 Mann zusammengeschrumpft, er selbst ist in seinem bisherigen Wahlbezirk Hagen durchgefallen, und nun muß die freisinnige Volkspartei, um überhaupt noch als Fraktion auftreten und selbständige Anträge stellen zu können, mit den 7 Abgeordneten der deutsch­freisinnigen Vereinigung, die das Richter'sche Organ so maßlos bekämpft hatte, in engere Fühlung treten. Damit ist der Anfang vom Ende Eugen Richters gekommen. Die Anhänger des Deutschfreisinns in ganz Preußen sind mit ihrem bisherigen Parteityrannen umsomehr un­zufrieden, als er den allgemeinen Ruf nach neuen Männern völlig mißachtete und in Berlin die Wiederwahl der alten politischen Nullen, Knörcke, Parisius u.s.w. durchsetzte. Den Haupt­gewinn bei den preußischen Landtagswahlen errangen die Deutsch-Konservativen; auch die Nationalliberalen eroberten einige weitere Sitze, das Zentrum sieht seinen Besitzstand in Schlesien ernstlich und dauernd bedroht, und der Zentrums­führer Dr. Lieber findet in der Niederlage des Dr. Fußangel nur einen schwachen Trost. Eine bemerkenswerte Erscheinung bei den letzten preußischen Landtagswahlen ist namentlich auch der Umstand, daß weder Ahlwardt noch sonst irgend ein Antisemit gewählt wurde.

Berlin, 16. Novbr. Heute mittag um I Uhr fand in Anwesenheit des Kaisers die Vereidigung der neueingezogenen Truppen Lustgarten statt, wozu ein Altar zwischen Kanonen und militärischen Abzeichen aufgestellt war. Nachdem der Kaiser die Fronten abgeritten hatte, hielten der evang. Feldprobst Richter und der katholische Probst Jahnel Ansprachen. Sodann leisteten die einzelnen Truppenteile den von Offizieren vorgesprochenen Eid. Eine kurze An­sprache des Kaisers, welche die Truppen mit dreimaligem Hurrah erwiderten, beendete die Feier.

Kaiser Wilhelm erhielt den Besuch des russischen Großfürsten Wladimir, was zwar politisch ohne Belang, den Franzosen aber sicher unangenehm ist.

Das Schwurgericht in Rudolstadt hat am Mittwoch den Handarbeiter Baumgarten, der sein kleines Kind, weil es schrie, mit der Faust derart auf den Kopf geschlagen hatte, daß das Blut in das Gehirn eingedrungen und dadurch der Tod des unschuldigen Kindes ein­getreten war, zu 5 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Ehrenverlust verurteilt.

Württemberg.

Nach der am letzten Freitag erfolgten Heim­kehr des Deutschen Kaisers von der prächtig verlaufenen Jagd im Schönbuch ist I. Maj. die Königin, welche ihre Gemächer wegen des be­schränkten Raumes in Bebenhausen dem Kaiser und seinem Gefolge abgetreten hatte, von dem Besuch ihrer hohen Verwandten auf Schloß Hohenburg in Bayern nach Bebenhausen zurück- gekehrt, wo die K. Familie noch immer weilt.

Das lang erwartete freudige Ereignis in der Familie des Herzogs Alb recht von Würt­temberg ist. am Dienstag früh 4 Uhr durch die

glückliche Geburt eines kräftigen Prinzen eingetreten.' Der Vater der Frau Herzogin Albrecht, Herzog Karl Ludwig, war tags zuvor auf wenige Tage nach München abgereist, um der Hochzeit der Prinzessin Augusta, zweiten Tochter des Prinzen Leopold von Bayern und Enkelin des Kaisers von Oesterreich mit dem Erzherzog Josef Augustin von Oesterreich bei­zuwohnen. Der Neugeborene, welcher am näch­sten Freitag getauft wird, wird, falls König Wilhelm II. ohne männliche Nachkommenschaft bleibt, dereinst berufen sein, den württ. Thron zu besteigen.

Stuttgart, 16. Nov. Auch der Kriegs­minister Frhr. Schott v. Schottenstein befindet sich seit einigen Tagen in Berlin, so daß gegen­wärtig drei württ. Minister daselbst in amtlichen Angelegenheiten thätig sind: die Staatsminister Dr. Frhr. v. Mittnacht, Dr. v. Riecke und Frhr. v. Schott.

Die Notstandskommission hielt gestern eine Vollsitzung. Im Mittelpunkt der Berat­ungen stand die Frage über die Beschaffung von Streu material. Der Kommission stehen noch einige Wagen holländischer Torfstreu zur Verfügung, welche zu vorteilhaft billigem Preise abgegeben werden. Da die Gewinnung von Laubstreu mit Eintritt des Winters zu Ende geht, so wird seitens der Landwirte für Rind­vieh in erster Linie auf Nadelreisstren Bedacht zu nehmen sein. Zwei bei der Notstandskom­mission ein gereichte, Streuabgabe betreffende Eingaben wurden der Kgl. Forstdirektion mit warmer Befürwortung übermittelt. Nicht unbe­merkt blieb die Erfahrung, daß. obwohl in diesem Jahr viel Stroh verfüttert werden muß, doch mehr Mais gekauft wird, als die proteinreichen Futtermittel, wie Oelkuchen, Kleie, Malzkeime u. s. w.

Aalen, 16. Nov. Eine Petition um Auf­hebung des Jmpfzwanggesetzes ging heute mit 325 Unterschriften von hier an den deutschen Reichstag ab. Gestern abend '/s9 Uhr legte sich der 20 Jahre alte Schuhmachergeselle Albert Gaisert von hier, zuletzt in Stuttgart in Arbeit, in selbstmörderischer Absicht auf die Schienen, wurde vom Zuge überfahren und getötet.

Reutlingen, 15. Nov. Die bei dem Raubmord in der Nacht vom letzten Samstag auf Sonntag schwer verwundete Frau Bertsch ist heute nachmittag ihren Verletzungen erlegen, ohne wieder das Bewußtsein erlangt zu haben.

Backnang, 10 Nov. Eine nach Oehr« lagen gefallene Erbschaft von 100000 Franks, welche den Erben, den dort wohnhaften Tag­löhner Frönzler nicht mehr unter den Lebenden antraf, fällt nun dessen zwei Kindern zu. von denen ein Sohn mit seiner Familie hier wohn- ist. Derselbe hat sich auf die sehr willkommene Nachricht hin sofort ein geräumiges neues Wohnhaus erworben.

Ausland.

In Oesterreich ist das neue Ministerium Windischgrätz nunmehr glücklich zu stände gekommen. Graf Ta affe zieht sich nach 14jähr. Mißregierung, bei welcher er allen Parteien vor den Kopf gestoßen und nicht einmal die Tschechen befriedigt, die Deutschen aber schwer beeinträch­tigt hat, ins Privatleben zurück. Eine Thräne wird ihm in ganz Oesterreich wohl kaum jemand nachweinen. Im ungarischen Abgeordneten­hause beginnen dieser Tage die Verhandlungen über die kirchenpolitischen Vorlagen speziell daS Zivilehegesetz, zu welchen der ungarische König Franz Josef nunmehr seine Zupimmung gegeben har. Die Annahme dieser Vorlagen im Abge­ordnetenhause ist mit großer Mehrheit gesichert; man hofft, daß auch das Magnatenhaus, wenn auch mit kleiner Mehrheit, die Vorlagen ge­nehmigen werde.

In Paris ist die französische Deputierten­kammer wieder zusammcngetreten und hat gleich am ersten Tage eine Resolution angenommen, worin die Kammer ihre Freude über den Besuch der russischen Flotte und deren Offiziere in Toulon bezw. Paris ausspricht.

Das italienische Königspaar empfing letzter Tage in Monza den Besuch des österr.» ungarischen Ministers des Auswärtigen, Grafen