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An alle Eltern und Vormünder, welche ihre Söhne öezw. Wffeglinge einem Kandwerks- öerufe zuführen wollen.
Berichtigung.
In verschiedenen Tageszeitungen des Landes erschien in letzter Zeit eine Warnung an Eltern und Vormünder, die der Schule entwachsenen Söhne und Pfleglinge die Bäckerei nicht erlernen zu lassen.
Begründet ist diese Warnung mit der Behauptung, das Bäckergetverbe sei mit Lehrlingen und Gehilfen überfüllt, so daß die Gehilfen der Arbeitslosigkeit preisgcgeben und eine spätere Selbständigkeit nicht zu ermöglichen wäre. Ferner wird in dem Aufrufe behauptet, die regelmäßige Arbeitszeit dauere täglich 14—15 Stunden, bei einem Wochenlohn von nur 2 bis 4 Mark, und anderes mehr.
Demgegenüber stellen wir zunächst fest, daß diese Warnung von dem sozialistischen Bäckerverband, der seinen Zentralsitz in Hamburg hat, dem jedoch nur ein ganz kleiner Bruchteil der deutschen Bäckergehilfen angehört, herrührt, und mithin das Publikum sich schon von vornherein einen Begriff von der Lauterkeit dieser Warnung machen kann.
Wie sehr aber die betreffende Warnung der Wahrheit widerspricht, ja sogar vollste Unwahrheiten enthält, möge den Eltern und Vormündern schon der Umstand beweisen, daß im Bäckergewerbe nicht ein Arbeitcrüberfluß, sondern thatsächlich ein Arbeitermangel vorhanden ist. Selbst in größeren Städten müssen viele Meister wochenlang Zusehen, bis ein freigewordencr Platz wieder besetzt werden kann. In den Provinzstädten ist der Mangel an geschulten Bäckereiarbeitskräften aber geradezu eine Kalamität geworden. Ein Blick in die gelesenen Tagesblätter, wie z. B. den „Schwarzwälder Boten", der fast in jeder Nummer eine Anzahl Bäckergehilfengesuche enthält, bestätigt diese unsere Behauptung aufs treffendste. Allerdings ist eS Thaffachc, daß in den großen Städten, wie Berlin, München, Stuttgart re. stets eine Anzahl beschäftigungsloser Bäckergehilfen zu finden ist. Dieselben wollen aber teils gar nicht arbeiten, andererseits ist ihre technische und moralische Beschaffenheit öfters eine derartige, daß sich jeder Meister aus naheliegenden Gründen wohl hüten wird, solche „Arbeitskräfte" einzustellen. In anderen Gewerben findet man diesen bedauerlichen Zustand gerade so. Er bildet eben eine Signatur unserer Zeit.
Thatsache ist also, und das werden Eltern und Vormünder, welche der Schule entwachsene Söhne oder Pfleglinge haben, bei einer Umschau auch allenthalben bestätigt finden, daß Wohl kaum in irgend einem Gewerbe so leicht und dauernd Arbeitsgelegenheit zu finden ist, wie gerade im Bäckergewerbe. In diesem ist es aber auch, wie in kaum einem andern Gewerbe, so leicht gemacht, selbständig zu werden. Jeder strebsame und rechtschaffene Bäckergehilfe, der mehrere Jahre fleißig als Gehilfe arbeitet, seinen Lohn, statt denselben in leichtfertiger Gesellschaft zu vergeuden, zusammcnhält, kann mit seinen Ersparnissen gegenwärtig eine eigene Existenz gerade noch so gut begründen wie dies vor Jahren möglich gewesen. Waren doch die heutigen Bäckermeister in weitaus überwiegender Anzahl alle mehr oder minder mittellos, als sie in die Lehre kamen. Durch Fleiß und Sparsamkeit während ihrer Gesellenzeit haben sie cs dann doch zur Selbständigkeit gebracht. Wenn diese auch nicht immer ein glänzendes Dasein bietet, so kann sie doch meistens als eine zufriedenstellende bezeichnet werden. Besser ist es jedenfalls ohne Zweifel, ein eigenes, wenn auch kleines Geschäft zu haben, als zeitlebens in einer Fabrik in untergeordneter, jederzeit kündbarer Stellung sein Leben hinbringen zu müssen.
Was die behauptete übermäßige Arbeitszeit betrifft, so ist durch das Arbeiterschutzgesetz so gut gesorgt, namentlich für Lehrlinge und jüngere Gehilfen, daß für das körperliche Wohl derselben in keiner Weise etwas zu befürchten ist. Man sehe sich doch einmal das heitere, gesellige Treiben in den Bäckergehilfenvereinen an, um sich zu überzeugen, daß den Angehörigen des Berufs Frohsinn und Lebenslust nicht ermangelt.
Wenn schließlich noch behauptet wird, daß ein jüngerer Gehilfe nur 2—4 Mark Wochenlohn erhalte, so ist das ebenfalls nicht der Wahrheit entsprechend. In Wirklichkeit erhält ein Gehilfe bei einiger Brauchbarkeit, neben vollständig freier Station, in der Regel 5—10 Mark Wochenlohn. Daß dabei noch ganz nennenswerte Nebenverdienste den Bäckergehilfen erwachsen, die zeitweise in der Woche allein oft bis 10 Mark ausmachen, sei nur noch nebenher bemerkt. Rechnet man Kost und Wohnung pro Woche nur zu 12 Mark an, so kann behauptet werden, daß der durchschnittliche Wochenlohn eines Bäcker- gchilfen mindestens 24 Mark beträgt. Das ist gewiß kein zu geringer Lohn für Arbeitskräfte im Alter von 18 bis 30 Jahren. Aeltere Gehilfen stellen sich überdies meist weit höher.
Der geschättstützrende Vorsitzende des Würltemöergischen Väckerverbandes.
I. A.: Fr. Sch latterer.
Ter Vorstand
der Freien Bäckergenostenschaft Calw:
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