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in Cowes sprechen aber deutlich genug dafür, daß dort nicht blos Sportfragen und Familienangelegenheiten zur Erörterung gelangen, sondern auch sehr wichtige politische Dinge. Allerdings ist der französisch-siamesische Streit überraschend schnell geschichtet worden. Aber daß in dieser, Großbritannien so nahe berührenden Sache bereits das letzte Wort gesprochen sei, ist kaum anzunehmen. Jedenfalls hat der Vorgang den britischen Staatsmännern wieder einmal die Schattenseite der vielgerühmten Politik der freien Hand gezeigt. Sie war berechtigt und hat ihre Früchte getragen. so lange die Mächte des europäischen Festlandes derselben Politik huldigten und jede einzelne ihren eigenen Weg ging. Bon dem Augenblick an ober, als sich drei große Staaten Mitteleuropas zu einem fest umschriebenen Bündnis zusammenfanden und auf der anderen Seite Rußland und Frankreich sich die Hände zu gegenseitiger Unterstützung reichten, wurde die englische Unabhängigkeit nach allen Seiten zu einer bedenklichen Vereinsamung und mußte schlimme Früchte zeitigen. Die siamesische Schlappe bildet anscheinend nur ein Vorspiel zu weiteren ähnlichen Niederlagen Großbritanniens, das allein gegen ein russisch-französisches Bor- gehen nichts ausrichten kann. Man bedarf keines besonderen Scharfsinns, um zu erkennen, daß die jüngsten Vorgänge in Siam nur gleichsam die Generalprobe zu einem größeren und bedeutsameren Drama bildeten, das sich in absehbarer Zeit in Egypten abspielen dürfte. Gelänge es den Franzosen, die Engländer aus dem Nil- lünde zu vertreiben, so würde die Rückwirkung auf Italien nicht ausbleiben können und der Dreibund ganz ernstlich bedroht erscheinen. Es wäre eine große Kurzsichtigkeit, wollte man vor solchen Möglichkeiten die Augen verschließen. Es ist leicht gesagt, daß Deutschland kein Interesse daran habe, Englands Weltmachtstellung zu sichern. Richtig ist daran nur, daß die Zeiten wohl endgiltig vorüber sind, wo England seine Schlachten durch die Truppen der Festlandsmächte schlagen lassen konnte. Niemand denkt auch daran, daß ein förmlicher Anschluß Englands an den Dreibund erfolgen könnte. Dazu fehlt es so ziemlich an allen Vorbedingungen, wie sie von Deutschland. Oesterreich - Ungarn und Italien erfüllt werden. Wohl aber ist es mög- lich, daß England mit dem Dreibund Hand in Hand geht , wie es unter dem Ministerium Salisbury, sehr zum Vorteil der englischen Politik, der Fall gewesen ist. Man darf die Macht Großbritanniens doch auch nicht unter- schätzen. Seine Flotte ist noch immer ein bedeutender Faktor und würde in einem künftigen europäischen Kriege unendlich schwer in die Wagschale fallen. Man darf dabei zum Maßstabe seiner Schätzung nicht einen vereinzelten Unglücksfall, wie den Untergang der „Viktoria", oder eine Schlappe, wir sie das Kabinet Glad- stone gewohnheitsmäßig zu erleiden pflegt, wählen. Gute, freundschaftliche Beziehungen zu England sind für uns immer noch von hohem Wert und können nur dazu beitragen, den Frieden zu sichern oder doch den Ausbruch eines Krieges hinauszuschieben.
Wilhelmshaven, 7. August. Der Kaiser trifft morgen vormittag in Helgoland ein, um dort den stattfindenden Schießübungen beizuwohnen, und wird voraussichtlich über Wilhelmshaven nach Berlin Weiterreisen.
Helgoland» 8. Aug. Der Kaiser ist heute Vormittag 9 Uhr an Bord der „Hohen- zollern" hier eingetroffen.
Berlin, 8. Aug. Der Kaiser wird von Helgoland am Donnerstag morgen in Kiel erwartet.
Kiel, 8. Aug. Prinz Heinrich tritt seine Reise nach Italien am 12. Aug. an.
Berlin, 7. Aug. Der „Reichsanzeiger" meldet : Nach einer amtlichen Mitteilung der russischen Botschaft beabsichtigt die russische Regierung. auch den sinn ländischen Zolltarif Deutschland gegenüber um 50 Prozent zu erhöhen.
Berlin. 8 Aug. Der „Reichanzeiger" veröffentlicht das Gesetz betreffend die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres vom
3. Aug. 1893, sowie eine Verordnung betreffend die Einführung der Reichsgesetze auf Helgoland vom 24. Juli 1883.
Frankfurt a. M.. 8. Aug. Die heutige erste Sitzung der Beratung der Finanzminister dauerte vier Stunden. Die nächste Sitzung findet morgen statt. — Finanzminister Dr. Miquel soll in der Audienz, die er heute Vormittag den Vertretern des Wechselmaklersyndikats gewährte, die Börsen st euer als unvermeidlich bezeichnet haben; dieselbe sei die einzige volkstümliche Steuer, ohne deren Einführung sei auf Gewährung anderer Steuern nicht zu rechnen.
Das schreckliche Unglück an Bord des Kriegsschiffes „Baden" ist. wie es heißt, zurückzuführen auf das Steckenbleiben eines Geschosses und auf eine rückläufige Keilverschlußexplosion, bei der 97 Pfund Pulver explodierten.
Saarbrücken, 6 Aug. Die Erinnerung an die Schlacht von Spichern wurde heute im Ehrenthal sowie zu St. Johann am Kriegerdenkmal auf dem alten Friedhofe durch entsprechende Feierlichkeiten würdig begangen. — An der Partie nach dem Schlachtfeld? von Wörth beteiligten sich eine große Anzahl ehe- maliger Soldaten aus ganz Baden darunter viele Pforzheimer; auch Reservisten aus Basel waren mit einer Fahne erschienen. Die Feier selbst, welche der Erinnerung an den glorreichen Tag galt, verlief in erhebendster Weise und war insofern von hohem Interesse als durch eine großartige Veranstaltung der Gang der Schlacht veranschaulicht wurde. Ein großes Feuerwerk fand Abends statt.
Karlsruhe. 8. Aug. Der Reichskom- missar für Deutschland in Chicago. Geh. Regierungsrat Wermuth, ist gestern hier eingetroffen. — In der Nacht vom 28. zum 29. Juni d. I. wurde bei dem preußischen Gesandten v. Eisendecher hier ein größerer Gelddiebstahl ausgeführt. Die dringendsten Verdachts- gründe richteten sich auf einen früheren Diener des Gesandten, namens Jacob Ehinger. Derselbe ist nunmehr in Belgien festgenommen, von der belgischen Regierung ausgeliefert und in der vorletzten Nacht hierher gebracht worden. Der „Bad. Landeszeitung" zufolge hat er ein unumwundenes Geständnis abgelegt. Von dem gestohlenen Gelde fanden sich noch 1400 bei ihm vor.
Karlsruhe. 7. Aug. Der Bau der neuen Eisenbahnlinie ist jetzt auf Beiertheimer Terrain in Aussicht genommen worden; der erste Spatenstich geschah in voriger Woche auf der Wiesenfläche in der Nähe des Beiert- heimer Bahnwärterhäuschens, wo einerseits die Linie Röschwoog-Karlsrühe dem hiesigen Hauptbahnhofe zugeführt wird andererseits die neue Güterbahn Mühlburg-Rangierbahnhof sich von der Hauptlinie gegen den Durchlacher Wald hinüberzieht.
Freiburg. 7. Aug. (Kreisturnfest.) Die Pforzheimer Turner haben große Triumphe davongetragen. Bei der soeben stattgehabten Preisverkündigung erhielten der „Turnverein" und „Tunerbund" in der ersten Abteilung Preise. Desgleichen der Turnverein Brötzingen. Beim Einzelnturnen erhielt Hipp (Turnverein) mit 69 Punkten den ersten Preis; außerdem erhielten noch etwa 18 Turner vom Turnverein reise. In der 2. Abteilung erhielten Preise urnverein Dietlingen und Neustadt-Brötzingen, in der 3. Abteilung Turnverein Eutingen und Huchenfeld. Die Aufführung der Pyramide seitens des Turnvereins in der Festhalle hatte einen so gewaltigen Applaus hervorgerufen, wie solcher hier kaum noch erlebt wurde. — Leider sollte das Fest nicht ohne Unfall ablausen. Heute Nachmittag machte ein Brötzinger Turner am Reck Uebungen und fiel dabei so unglücklich, daß er in die benachbarte Klinik verbracht werden mußte, woselbst er nach einigen Stunden den Geist aufgab.
Anstand.
Der internationale Sozialistenkongreß in Zürich ist am Sonntag programmgemäß zusammengetreten. Derselbe verspricht sehr „be
wegt" zu verlaufen, denn gleich der Beginn des Kongresses har den scharfen Gegensatz zwjsch^ den deutschen fraktionellen Sozialisten und den „Unabhängigen" hervortretcn lassen. Unter stürmischen Scenen wurde in einer Gruppen- Versammlung der ersteren beschlossen, keine Un. äbhängigen anzuerkennen, den gleichen Beschluß faßten auch die schweizerischen Delegierten. Die Unabhängigen wollen sich diesem über sie ver- hängten Bann natürlich nicht fügen, sie haben deshalb an den Gesamtkongreß appelliert, was hitzige Verhandlungen in Aussicht stellt. An- läßlich der Eröffnung des Sozialistenkangresses fand ein Fcstzug statt, an dem ca. 8000 Per- sonen teilnahmen. Bei dem sich anschließenden großen Meeting sprachen die Sozialisteniührer Greulich (Schweiz), Volders (Belgien), Hogson (England), Bebel (Deutschland) und Turati (Mailand)
Die schon wiederholt verschobene feierliche Eröffnung des Kanals von Korinth hat am Sonntag endlich stattgesunden. Nachdem vom Metropoliten der Gottesdienst abgehalten worden war. hielt König Georg eine Ansprache, woraus die Königin zum Zeichen der Eröffnung ein quer über den Kanal gespanntes Seil zerschnitt. Die Aacht „Sphakleriön" mit dtni König, der königlichen Familie, dem diplomqti- schen Corps, den Ministern und dem greisen General Türr an Bord, passierte als erstes Schiff die neue Wasserstraße, Ihm folgten viet bvm Prinzen Georg kommandierte Torpedoboote, bin russisches und ein englisches Kriegsschiff, sowie mehrere die übrigen Festgäste tragende griechische Passagierdampfer. — Die Eröffnung des Kanals von Korinth hat ein Unternehmen zum definitiven Abschluß gebracht, dessen Uranfänge in die altgriechische Zeit zurückreichen, doch erst der Gegenwart ist es Vorbehalten geblieben, die seit vielen Jahrhunderten erstrebte direkte Verbindung des Aegäischen und Jonischen Meeres mit einander durchzuführen.
Aus Oesterreich, 6. Aug. Ein furchtbarer Wolkenbruch zerstörte die Ernte von Mittel-Steiermark. Das Dorf Gösting bei Graz ist überschwemmt, zahlreiche Häuser sind dort eingestürzt, Einwohner unter den Trümmern begrabend. Der an Gösting vorbeifließedne Bach trat so schnell aus, daß sämtliches Vieh in den Ställen ertrunken ist.
vermischtes.
Nürnberg, 4. Aug. Der „Franks. Ztg." wird von hier folgendes hübsche musikalische Intermezzo mittgeteilt: Bor dem hiesigen Landgericht sollte heute zur Aburteilung eines Diebes geschritten werden und man suchte unter den auf dem Gerichtstisch aufgestapelten Gegenständen nach dem oorpus äelicti, einem Ring. Als derselbe nicht sogleich gefunden wurde, griff der Richter nach einem Zigarrenbehälter und öffnete ihn, worauf der mit einem Spielwerk versehene Kasten sofort musikalische Klänge ertönen ließ. Da es aber niemand im Saale verstand den Mechanismus abzustellen, so mußte man unter allgemeiner Heiterkeit, in die auch die Richter einstimmten und der Dieb (wenn auch letzterer mit etwas sauersüßem Gesicht) geduldig adwarlen, dis die Spieluhr einige Male wiederholt die Weise des schönen Volksliedes gespielt hatte: „Ach wie ist's möglich dann .... Hab dich von Herzen lieb" u. s. w.
(Verschönerung.) Bäckermeister (auf dem Balle): "Gestalten Sie. mein Fräulein, baß ich mich Ihnen vorstelle. Mein Name ist Taver Hörndl, Semmel-Techniker!"
(Backfisch-Optimismus.) Tante: „Traue den Männern nicht, Emma — sie lügen alle. — Nichte: «Aber so — nett!"
Briefkasten. E. «. Einges. Notiz findet unter
Diskretion Aufnahme; jedoch nur, wenn Sie z»v ihren vollen Namen der Redaktion Mitteilen. ,
«L" Niemand, der nach Pforzheim kommt, versäume die bei Ludwig Becker vorm. Ehr. Hardt in den Schaufenstern ausgestellten stM mit den unglaublich billigen Preisen anzuscy^-
«tdaktwn. Druck und «erlag von Thr». M-7h tu Neuenbürg.