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Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

S e. Maj. der König hat das Oberamt Neuenbürg dem Verweser desselben, Regier- ungsosscssor Maier, gnädigst übertragen.

Landwirschaftliche Versammlung in Feldrennach. (Schluß). Der Redner kam nun auf die Streufrage zu sprechen und führte aus, daß der Staat in dieser Be­ziehung bei dem großen Notstand der Land­wirtschaft in liberalster Weise entgegengekommen fei. namentlich sei hervorzuheben die Oeffnung des Waldes, gewissermaßen auf Kosten desselben. Allein die Not sei so groß, daß eben auch der Wald Opfer bringen müsse und sei man darauf angewiesen, nach allem zu greifen, -was von Seiten des Waldes geboten werde. Dabei soll man nicht mehr eine so große Abneigung gegen die Nadelstreu, die in anderen Bezirken, z. B. Calw und Nagold, auch genutzt werde, an den Tag legen. Selbstredend dürfe man die For­derung an den Wald nicht überspanncn, da der Wald zunächst für sich selbst da sei und über­dies nicht vorauszusehen sei, ob man im nächsten Sommer nicht wiederum der Waldüreu benötige. Wenn Seitens der K Focstverwaltung in diesem Sinne eine weise Sparsamkeit geübt werde, so sei dies ihre ernste Pflicht und volle Verant­wortung. Die Laubstrcu bilde für die Tiere zwar ein weiches und warmes Lager, gebe aber keinen guten Dünger ab. Besser stünde es mit der Erdstrcu, wenn nicht im hiesigen Bezirk die Abneigung hiegegen eine zu große wäre. Die Verwendung der Erdstreu sei zwar beschwerlich, die guten Erfahrungen, die man mit derselben in anderen Bezirken schon gemacht habe, sollten aber ermutigen. Namentlich habe die Erdstreu den Vorzug, daß sie den Pflanzennährstoff binde. Der Redner gelangte nun zu dem Berminlungs- Vorschlag, wenigstens den wenigen Dünger auf den Düngerstälten schichtenweise mit Boden zu verbessern und dadurch den Pflanzennährstoff zu halten. Torsstreu (nicht Mull) wäre freilich das beste Streumittel, da dieselbe z. B. lOmal das eigene Gewicht an Flüssigkeit aufsaugen könne, während dies beim Stroh nur 3mal zutrcffe, solche könne aber selbst um hohe Preise nicht mehr bezogen werden. Um die Nährkraft des Futters, namentlich des Strohs, voll auszunützen, wurde empfohlen, dasselbe möglichst zu schneiden. Mit dem direkten Ankauf von Heu im Ausland sei vorsichtig vorzugehen, da einerseits Preis und Nährwert nicht im Verhältnis stehen zu dem Wert der gemischten Kraft- und Skrohfütter- ung und andererseits bei) einem Heukauf nach Muster eine wesentliche Werlsdifferenz riskiert werde. Zum Schluß ermahnte Redner, daß der Gedanke, das Vieh möglichst zu erhalten und durch den Winter zu bringen, als Richtschnur dienen müsse, und daß umsomehr mit der Weiterveräußerung des wertvollen Viehstandes zugewartet werden könne, als in vielen Landes­gegenden Aussicht auf einen ordentlichen zweiten Futterschnilt vorhanden sei. Namentlich seien die überstürzten Verkäufe einzustellen, nachdem die Panik nachgelassen habe. Sodann solle nicht immer das beste Stück aus dem Stall gegeben werden, denn es sei geradezu jammerschade, wenn das wertvollste Material außer Landes gehe, vollends, wenn man bedenke, daß die Wiederherstellung des alten Standes das dop­pelte und dreifache kosten werde. Mit der innigen Bitte, für Erhaltung des Biehstandcs zu thun, was möglich sei und mit der Mahn­ung, jetzt zu schaffen mit allen leiblichen, geistigen und Geldeskräften, nur so komme jeder seinen Pflichten als Viehbesitzer. Haushalter u. Staats- bürger nach, schloß der Redner seinen inter­essanten ^/istündigen Vortrag.

Der Vorstand des landw. Bezirksvereins, Hr. Oberamtsverweser Maier, nahm hierauf Veranlassung, dem Redner für seinen klaren, verständnisvollen, für die hiesigen Verhältnisse Angeschnittenen Bortrag den Dank des landw. Bezirksvercins, auf dessen Ersuchen der Vortrag stattfand, durch ein dreifaches Hoch, in welches die Versammlung begeistert einstimmte, auszu­sprechen.

Herr Oberförster Hirzel von Schwann betonte, daß von Seiten der K. Forstverwaltung

alles geschehen sei, was geschehen konnte, inso­fern mit Ausnahme einiger Hektare, für deren Kultur befürchtet wurde, wenigstens im Revier Schwann, sämtliche Schläge der Futter- und Streunutzung geöffnet worden seien; es sei je­doch zu wünschen, daß nun nicht ausschließlich Waldstreu, sondern nebenbei hauptsächlich die bisher verwendete Sägmchlstreu fortvcrwendct werde. Redner empfahl dann noch die Nadel- und Erdstreu, sowie die Tresterfütterung. Auf dessen Anfrage, was in der in hiesigem Bezirk zur Verwendung kommenden Moos- und Heide- streu zu halten sei. erwiderte Hr. Landwirt- schaftsinspeklor Dr. Wiedersheim, daß die Moos­streu zwar jeder andern Streu vorzuziehen sei, indem dieselbe ein wärmeres Lager für die Tiere bilde und die Feuchtigkeit besser aufzusaugen im Stande fei, daß es aber schwer Halle, eine ent­sprechende Quantität aufzubringen. Was die Heide- und Heidelbeerstreu anbelange, so sei diese weniger zu empfehlen. weil solche in dem Ackerfeld verhältnismäßig sehr langsam verwese und selten eine rasche Wirkung zeige.

Herr Gutsbesitzer Weiß von Ottenhausen zweifelte an dem Erfolg der Stoppelrübensaat, namentlich im Hinblick auf die Neberhandnahme des Ungeziefers und empfahl mehr die Anpflanz­ung von Mais, mit welchem er (Redner) Heuer bereits gute Erfahrungen gemacht habe.

Herr Pfarrer Fechter von Feldrennach drückte sein Bedauern aus über die schwache Beteiligung an dem wichtigen Vortrag, spornte zu regerer Teilnahme an der Bestellung von Kraflfuttermitteln, gerade für Feldrennach, an und wünschte, daß die heute gehörten guten Ratschläge durch einen ergiebigen Regen in der Hauptsache ersetzt werden möchten. Herr Landw.- Inspektor Dr. Wiedersheim führte noch aus. daß die Viehställe bei Eintritt der Futternot vielfach überstellt gewesen seien und daß über das Ver­hältnis zwischen Viehstand und Ackerfläche nicht hinausgegangen werden sollte, denn wenig Vieh gut gefüttert, sei weit vernünftiger, als viel Vieh, schlecht gefüttert. Herr Oberamtsverw. Maier legte zum Schluß den anwesenden Inte­ressenten noch ans Herz, zu ihrem Teil für möglichste Verbreitung der gehörten Ratschläge unter ihren Mitbewohnern zu sorgen und so dem Ganzen zu dienen. Wir bedauern ebenfalls den schwachen Besuch des Vortrags, umsomehr, als der landw. Bezirksverein bekanntermaßen stets bestrebt ist, den Landwirten mit Rat und That zur Seite zu stehen und den gegenwärtigen Notstand mit allen Kräften zu lindern. (H.)

Sprollenhaus, Gemeindebez. Wildbad. (Unlieb verspätet.) Am 17. d. Mts. wurde da­hier die Wahl der schon länger erledigten Stelle eines Anwalts unter Leitung des Hrn. Stadl­schultheißen Bätzner vorgenommen. Die Mehr­heit der Stimmen (29) fiel auf Hrn. PH. Jakob Haag. Holzhändler von hier, während August Keller (vorher in Wildbad) nur 14 Stimmen erhielt. Elfterer ist somit gewählt und man ist nun wieder allgemein beruhigt.

Pforzheim, 27. Juli. Bei der heute stattgefundenen Stadtverordnetenwahl der 2. Klasse siegte der Vorschlag der bürger­lichen Vereinigung über den Anhang des Bank­direktors Kayser und die Sozialdemokraten. Da in der 1. Klasse voraussichtlich ebenfalls der Vorschlag der bürgerlichen Vereinigung Erfolg haben wird, so dürfte der bisherige große Ein­fluß des Obmannes des Bürgerausschusses, Bank­direktors Kayser. als erloschen zu betrachten sein.

Deutsches Weich.

Berlin, 26. Juli. Der Beginn des Zollkrieges, den Rußland erklärt hat, wird durch einen Vorgang von persönlichem und pikantem Reize begleitet, der allzu treffend die ganze politische Lage kennzeichnet, als daß er unbeachtet vorübergehen sollte. Just in der­selben Stunde meldete heute Nachmittag der offizielle Draht, der Bruder des deutschen Kaisers, Prinz Heinrich, werde den italienischen Flotten­manövern beiwohnen, und über London kam die Botschaft, der Zar Hab den drei russischen Kriegsschiffen, die von Amerika zurückkehren, den Befehl erteilt, nach Toulon zu gehen und der franz. Manöverflotte sich anzuschließen. In beiden

Fällen hat man es gewiß nicht mit einer großen politischen Haupt- und Staatsaktion zu thun- aber wie schon bemerkt, solche Arabesken sind immerhin für die richtige Anschauung von dem Bilde der internationalen Beziehungen nickt ohne Wert. Die wirtschaftpolitische Maßnahme der Petersburger Regierung beweist vor allem daß der Finanzminister Witte, der von Anfang an alle Hebel zur Vereitelung einer Handels- polnischen Verständigung zwischen dem deutschen Reich und Rußland in Bewegung gesetzt hatte, die Oberhand behalten hat. Seinen Bemühungen ist es gelungen, alle Bedenken des Zaren zu zerstreuen und die Inkraftsetzung der russischen Maximaltarifs zum 1. August durchzusetzen. Der Beifall aller Pauilavisten ist ihm hierfür sicher und er mag hoffen, für diese Thal eine Zeit lang von dieser Seite Nachsicht sür seinen deutschen Namen und seine deutsche Abstammung zu finden. Ob er aber auch seinem Vaterlande, damit einen wahren Dienst geleistet hat. ist eine Frage, die außerhalb des engen Kreises pan- slavistischer Fanatiker sicher nicht bejaht werden dürfte. Wenn er darauf gerechnet haben sollte, daß die deutsche Regierung es gar nicht auf die Anwendung einer solchen Zwangsmaßregel ankvmmen lassen, sondern schon vorher zu Kreuze kriechen würde, so sieht er wohl bereits jetzt seinen Jrtum ein. Aber auch darin wird er sich täuschen, wenn er glauben sollte, daß Deutsch­land notgedrungen, schon im Interesse der Er­nährung seiner ärmeren Bevölkerung eine Er­mäßigung der Gclreidezölle gegenüber Rußland in diesem Jahre eintretcn lassen werde. Weder der deutsche Ernte-Ausfall, noch die gegenwärtige Lage des Weltgetreidemarktes sprechen dafür, daß Deutschland zu einem solchen Schritte sich genötigt sehen könnte.

Berlin, 27. Juli. Der Auffassung der russischen Regierung, daß Deutschland die Ein- fuhr russischen Getreides nicht entbehren könne, widersprechen den Ziffern der Handels­statistik vollständig. Danach wird jetzt bereits ein großer Teil des deutschen Bedarfs aus Rumänien gedeckt; im ersten Viertel des laufen­den Jahres betrug die Getreideausfuhr aus Rumänien mehr als das Doppelte derjenigen aus Rußland.

Berlin, 28. Juli. Der Bundesrat wird heule zusammcntreten, um über Verhal­tungsmaßregeln gegenüber dem russischen Maxi­maltarif zu beraten. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Frhr. v. Marsch all, hat sich vorgestern Nachmittag nach Kiel begeben. Man nimmt an. daß diese Reise mit der Wen­dung in den deutsch-russischen Handelsbezieh­ungen zusammenhängt.

Berlin. 28. Juli. DieNordd. Allg. Ztg." meldet: Dem Vernehmen nach stimmte der Bundesrat heute dem Entwürfe der Verordnung zu, betr. die Erhebung eines Zoll­zuschlags für aus Rußland kommende Waren.

Berlin, 28. Juli. Die deutsche Re­gierung hat das Petersburger Kabinet davon verständigt, daß sie den Vorschlag zum Zusam­mentreten von Sachverständigen zur weiteren Beratung des deutsch-russischen Handelsvertrages annimmt. Sie hat als Tag der Zusammenkunft den 1. Okt., als Ort Berlin vorgeschlagen.

Berlin. 28. Juli. Die Nordd. Allg. Ztg. weist, als jeder Begründung entbehrend, den Vorwurf russischer Blätter, die deutsche Re­gierung suche die handelspolitischen Verhand­lungen hinauszuziehen nnd habe die rusitscher Seits vorgeschlagenen kommissarischen Berat­ungen unter dem Vorwand der Uebermudung der beteiligten Beamten auf Herbst verschoben, zurück. Die Nordd. Allg. Ztg. stellt fest, ver Vorschlag, die kommissarischen Verhandlung erst am 1. Oktober beginnen zu .kaffen, .1 deutscherseits erfolgt, weil die bisherigen schM ' lichen Verhandlungen eine Einigung über wese ' liche Punkte nicht erzielten, daher die »um! - bare Anknüpfung der kommissarischen Beratungen auf gleicher Basis nur eine abermalige Ko-m° lierung bestehender Differenzen aber unmog u, ein positives Resultat ergeben konnte.

Berlin. 28. Juli. Eine Anstag des preuß. Handelsministers bei den wMschaf H