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Berlin. 5. Juli. Eine freie wirtschaftliche Bereinigung (Schutzzöllner). zunächst aus Kon­servativen. Freilonservativen und einigen Natio- Miberalen bestehend, hat sich heute im Reichs­tag gebildet. Sie beauftragte eine Kommission B der Ausarbeitung einer Geschäftsordnung. Die Zahl der Mitglieder ist noch unbestimmt. Hauptsächlich ist der Bund der Landwirte dabei

treibende Kraft.

Berlin, 6 . Juli. Wie verlautet, ist die -weite Lesung der Militärvorlage erst Ende der nächsten Woche zu erwarten. Vorher sollen Anträge aus dem Hause zur Beratung aelangen, insbesondere besteht das Zentrum aus der Beratung des Antrages zur Zurückberufung der Jesuiten am kommenden Mittwoch. Es verlautet ferner, die Fraktionen beabsichtigen, bei der ersten Beratung der Militärvorlage nur einem Redner von jeder Partei das Wort zu geben. Zuverlässig wird versichert, die Polen würden für die Militärvorlage stimmen. Die Nationalliberalen brachten einen Antrag ous möglichste Beschränkung der Manöver in den von der Futter not heimgesuchten Gegen­den ein. Ein Antrag betr. Reform der Militär­gerichtsbarkeit ist in Aussicht genommen.

Altona. 6 . Juli. Gestern abend 8 Uhr ist ein großes Feuer in der Elbstraße ausge­brochen, und zwar auf dem vierten Boden der Kafseesortieranstalt von Stücken und Andresen. Der Brand verbreitete sich nach beiden Seiten und ergriff den großen Getreidespeicher von Georg Wönnert und andere Nebenhäuser. Um Mitternacht war Weiterverbreitung verhindert. Von Hamburg sind mehrere Dampfspritzen her- beigceilt. Der Schaden wird auf mehrere Millionen geschätzt. Morgens 6 Uhr rückte die Hamburger Feuerwehr wieder ab; 2 Altonaer Feuerwehrleute wurden schwer verletzt, etwa WPersonen sind beschäftigungslos. Im Innern wild das Feuer noch tagelang brennen, sämtliche Epeicher sind zu Ruinen geworden.

Berlin, 6 . Juli. Gegenüber der Blätter- mldung, die preußische Gesandtschaft in Karls­ruhe sei um 15000 vkL bestohlen worden, erfährt die Post zuverlässig, es seien nur dem Ge­sandten persönlich 1600 vkL entwendet worden. Der Dieb habe die Kanzlei nicht betreten.

Karlsruhe, 6 . Juli. 2 badische Dele­gierte des Konsumverbundes schlossen größere Futterankäufe in Ostpreußen ab.

DieFreis. Ztg." hatte dieser Tage her­ausgerechnet, daß die Militärvorlage wenn einige Secejsionisten, Polen oder Antisemiten versagen sollten mit 197 gegen 196 Stim­men verworfen werden könnte. Darob langt der sozialdemokratischeVorwärts" sich Herrn Eugen Richter und haucht ihn folgendermaßen an: Mo noch immer der Alte geblieben, noch immer unfähig, weiten Blicks große geschichtliche Pro­zesse zu übersehen und ihren Verlauf zu er­messen, noch immer beflissen, durch kleinliche Künsteleien und Winkelzüge sich selbst und seine Anhängerschaft über die eigenen kläglichen Schwachheiten und Fehler hinwegzutäuschen! Nichts gelernt hat er aus der Bankerotterklär­ung des freisinnigen Bürgertums vom 15. und 24. Juni.

Württemberg.

Der Verein zur Hilfe in außerordent­uchen Notstandsfällen auf dem Lande" M gestern wieder eine Sitzung seiner Unter- Mtzungskommission gehalten, in der zahlreiche bringende Bittgesuche für den Notstand auf dem m . .Vorlagen, so daß die dieswöchentlichen «willigungen die Höhe von 6808 vkL erreichten.

Eein freute sich, diese Summe zur Ver­eng zu haben, hofft aber umsomehr auf einen

r." Fortgang der Sammlung, auf ein reiches »oristießeli der Gaben, da nach übereinstimmenden schien seine Inanspruchnahme hauptsächlich L? Herbst bis Frühjahr nächsten Jahres statt- bis ^ ^ daß er in der Lage sein sollte,

flmineln entsprechenden Betrag aufzu-

- Stuttgart, 5. Juli. Der Forstreferendär ein TWildbad, Graf Georg Scheler, i»i-> des Kommandanten von Stuttgart i!i in s, " UüAadjutanten Oberst Graf Scheler, vergangener Nacht im 28. Jahre seines

Lebens hier im elterlichen Hause an Diphtheritis gestorben. Der junge Graf Scheler war mit einer Dame aus Holland verlobt.

Stuttgart, 29. Juni. Kurz vor der diesmaligen Reichslagswahl stellte der Kandidat der Sozialdemokratie, Bürgerausschußmitglied Kloß, bei den bürgerlichen Kollegien Stuttgarts folgende Anträge: 1 ) sämtlichen städtischen Arbeitern eine Lohnerhöung von 5 10 °/o zu gewähren; 2) die Arbeitszeit auf das Maximum täglich von 10 Stunden herunterzusetzen; 3) den Arbeitern die auf die Wochentage fallenden Fest­tage zu vergüten; 4) sämtliche städtischen Arbeiten nur Unternehmern zu übergeben, die sich zur Einhaltung eines lOstündigen Normal­arbeitstages verpflichten. Wie sich die Arbeiter selbst zum Stadlbaurate äußerten, hat Herr Kloß die Anregung dem Stadtrat gegenüber aus eigener Initiative gemacht. Der Gemeinde­rat hat nun di: Forderungen auf ihre Konse­quenzen für die Privatunternehmer geprüft und ist zu dem Beschlüsse gekommen, die sämtlichen An­träge abzulehnen, ausgenommen die mit Rücksicht auf die gegenwärtigen hohen Lebensmittelpreise gerechtfertigte Lohnerhöhung. Um allen Ar­beitern gleichmäßig diese Wohlthat zukommen zu lassen, wurde die Erhöhung sämtlicher Löhne um 10 4 Z pro Arbeitstag beschlossen. Der An­trag des Stadtschultheißen Rümelin auf eine Lohnerhöhung um 20 mit Ausnahme der schon jetzt besser bezahlten Arbeiter ist mit allen gegen die Stimme des Herrn Payer abgelehnt worden. Im übrigen lehnt es der Gemeinderat aufs entschiedenste ab, daß die Stadt mit Ein­führung eines Normalarbeilstages vorangehe und daß sie ferner einen Boykott über alle Unternehmer ausspreche, die von einem Normal­arbeitstag nichts wissen wollen, wie sie gleicher­maßen keinen Arbeiter ausschließen will, der mit erlaubten Mitteln seinem politischen Standpunkt Ausdruck giebt. Außerdem würde es die Stadt­verwaltung lieber sehen, wenn sich die Arbeiter durch Vermittlung der gewählten Arbeiteraus­schüsse direkt an die Kollegien mit ihrem Anliegen wendeten, statt dieselben durch sozialistische Agi­tatoren besorgen zu lassen. Um der Leistungs­fähigkeit der städt. Arbeiter endlich möglichst gerecht zu werden, dürfte in Stuttgart nach dem Vorgang anderer Großstädte demnächst die Ein­teilung aller Bediensteten nach Lohnklassen er­folgen.

Gechingen, 5. Juli. Gestern Abend ereignete sich hier ein bedauerlicher Fall. Die Witwe Heim, welche auf dem Wege in's Feld sich auf einen Wagen gesetzt hatte, fiel dadurch, daß die angespannten Kühe durchgingen, herab und erlitt so schwere Verletzungen, daß sie fünf Stunden später den Geist aufgab.

Crailsheim, 2 . Juli. Ein billiges Pferd kaufte ein hiesiger Bierbrauer von einem aus­wärtigen Bauern; der Preis wurde nach dem Gewicht des Pferdes festgesetzt, der Zentner zu 50 4 Z. Das Pferd wog netto 8 Zentner und mußte zu 4^ abgegeben werden.

Ravensburg, 1 . Juli. Ein junger Mensch aus Weingarten, welcher anfangs April im Oberschwäb. Anz." eine gefälschte Verlobungs- Anzeige einrücken ließ, wurde heute von der Strafkammer zu 5 Tagen Gefängnis verurteilt.

Nagold, 3. Juli. Anläßlich der Ver­sammlung des württ. Gerbervereins am gestrigen Sonntag in Altensteig hatte der Gewerbeverein in Metzingen auch unserer Stadt einen Besuch zugedacht, um unsere jüngsten Neuerungen in der Stadt, Elektrizitätswerk, Wasserleitung rc. zu beaugenscheinigen. Ueber 50 Mitglieder jenes Vereins kamen um */-11 Uhr pr. Bahn hier an und begaben sich sofort an den Ort, von wo aus die Kraft der elektrischen Leitung geführt wird und wo der Besitzer, Herr Klingler, in bereitwilligster Weise denselben die nötigsten Er­klärungen im Einzelnen gab. Auch das Säge­werk von Klingler und Barthel wurde hierauf besichtigt. Unter Führung mehrerer hiesiger Gcwerbevereinsmitglieder und des Ortsvorstandes wurde auch die hiesige Wasserleitung und einige Privat-Etablissements besichtigt und sprachen sich die werten Gäste überall mit hoher Befriedigung und Anerkennung über das Gesehene aus. Mittags Bahnfahrt nach Altensteig. Nach der Retour­

fahrt vergnügten sich die Gäste im Schwarzen Adler im Verein mit hiesigen Gewerbevereins­mitgliedern u. a. in heiterster, animiertester Weise bis zur Stunde der Heimfahrt.

Nagold, 6 . Juli. Daß Lehrer Köbele in Klein-Popo sein Nagold in gutem An­denken hat, beweisen nicht nur die Grüße, die er mit jedem Brief an seine Freunde und Bekannten schickt und die hiemit summarisch ausgerichtet sein sollen, sondern auch die Lehrmittel, womit er die Sammlung der Seminarschule bereichert. Die letzte Sendung hat eine Anzahl von schönen interessanten Tieren in Spiritus gebracht: eine etwa 1 m lange junge Riesenschlange aus der Gattung Python (afrikanische Felsenjchlange mit prächtigen Flecken), eine in Kamerun in Gemein­schaft mit Christaller eigenhändig gefangene etwa 80 om lange Hornviper mit runder schöner Färbung und stattlichen Giftzähnen, eine etwa 1 w lange stattliche Warneidechse (Monitor) und ein kleineres Exemplar derselben Gattung, ein etwa 60 om langes afrikanisches Krokodil, eine kleine Schildkröte, einen schönen Skorpion, einige Scolopender und asselartige Tiere, Nas­hornkäfer. Prachtkäfer u. a. m. Diese Tiere werden ausgestellt und der Schuljugend nach Ucbereinkommen mit den Herrn Lehrern beson­ders gezeigt.

Nagold, 3. Juli. (Viehmarkt.) Derselbe war sehr stark befahren, da durch die anhaltende Trockenheit die Viehbesitzer genötigt sind, ihren Viehbestand aufs äußerste zu reduzieren. Es entwickelte sich rasch ein sehr lebhafter Handel, veranlaßt durch eine große Anzahl fremder Händler, besonders Pfälzer und Alt-Bayern. Mit einem Viehsonderzug sind 10 Wagen nach der Pfalz abgegangen. Im Ganzen wurden mit der Bahn 21 Wagen verfrachtet. Gegen­über dem letzten Markl waren die Preise durch­schnittlich 2030 pro Kopf höher.

Ausland.

In der französischen Hauptstadt ist die Maitressenwirlschaft, insbesondere auch unter den Studenten zu einer so bedenklichen Höhe angewachsen, daß die Regierung ein Stttlichkeits- gesctz bei der Kammer und dem Senat einzu­bringen beabsichtigt. Dies veranlaßte die Stu­denten zu einer Kundgebung gegen die Polizei, wobei sich auch der berühmte Pariser Janhagel kräftig beteiligte. Bei dem Zusammenstoß des Exzedenten mit der Polizei erhielt ein unbe­teiligter Commis namens Nuger einen rötlichen Steinwurf mit einem schweren Zündholzbehälter an dem Hinterkopf, welchem er erlag. Dies entfachte die Wut der Exzedenten erst recht, es kam zu erbitterten, mehrtägigen Nachlkämpfen zwischen ihnen und der Polizei, welche durch Militär verstärkt, gleichwohl mehrfach zurückge­schlagen wurde. Die Manifestanten stürzten Pferdebahnwagen, Omnibusse u. s. w. um, er­richteten Barrikaden, schlugen alle Straßen­laternen einiger Stadtteile zusammen, verbrannten mehrere Zeitungskioske u. s. w.. und die Re­gierung, welche die größte Not hat, einen förm­lichen Aufstand niederzuhalten, mußte die Leiche Nuger's bei Nacht und Nebel heimlich aus Paris entfernen, weil die Beerdigung des Toten in Paris selbst die bedenklichsten Folgen hätte haben können. Bei den bisherigen Straßen­kämpfen sind weit über 300 Personen, darunter auch viele Polizisten verwundet worden zum Teil sehr schwer; die Zahl der Toten ist noch nicht genau feitgesteüt. Ein Pariser Schutzmann, der sich auf seinen Posten begeben wollte, wurde von der wütenden Menge niedergeschlagen und buchstäblich zerstampt. Wie so oft in Frankreich, heißt es auch bei diesen schweren Ausschreitungen vst la komme" (wo ist das Weib)? Am Mittwoch Abend mußte wieder Militär den Magentaboulevard räumen, wobei 30 Personen verwundet wurden. In der Schulstraße machten Kürassiere eine Attake; 25 Schwerverwundete. Das Militär wurde mit Revolvern beschossen. Die Menge tränkte die Pferdebahnwagen mit Petroleum und suchte sie anzuzünden. Im Laufe der Nacht und heute Morgen sind noch 25 Bataillone Infanterie und abermals sechs Kavallerie-Regimenter in Paris eingerückt. An» sichts der ungeheuren Entfaltung militärischer