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Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

Wildbad, 25. Juni. Wegen der gegen­wärtigen anhaltenden großen Fulternot waren aus heute mittag die hiesigen Viehbcsitzer zu einer Beratung betr. Maßregeln zur Abwehr derselben vom Stadlvorstand eingeladen; es folgten der Einladung ca. 100 Viehbesitzer von hier und den Parzellen. Nach einem eingehen­den Bericht des Stadlvorstands über die hiesigen Verhältnisse kam die Versammlung zu dem Be­schluß, von einer Inanspruchnahme der Ge­meinde durch Abgabe von unverzinslichen Vor­schüssen vorerst abznsehen, dagegen an die zu­ständigen Regierungsbehörden die dringende Bitte zu richten, wenigstens über die Zeit der allergrößten Futternot die Waldungen des Staats und der Stadt zum Waideouslrieb des Viehes wieder zu eröffnen. (W. Chr.)

In Höfen ereignete sich ein bedauerlicher Unglücksfall. Am letzten Mittwoch spielten Knaben auf einem Bauplatz; ein jüngerer Ar­beiter, durch jene erregt, warf nach den Knaben mit einem kleinen Stein; einer der Knaben erwiderte den Wurf, traf aber einen Maurer, worauf dieser einen handgroßen Stein nach dem Knaben warf, der dadurch am Kopf getroffen wurde. Der Knabe, ein 13jähriger Schüler, konnte noch nach Hause gehen und den Hergang erzählen; nach 6 Stunden trat Bewußtlosigkeit ein und am Samstag Abend 4 Uhr ist er ge­storben. Sehr zu bedauern ist der ohnedem schon schwergeprüfte Vater des verunglückten Knaben. Der Thäter, am Donnerstag Abend verhaftet, bereut bitterlich seine unüberlegte Thal.

Herren alb, 26. Juni. Gestern abend ging ein Luftballon, mit welchem eine Dame in Baden-Baden aufgestiegen war, in der Nähe der hiesigen Stadt nieder. Derselbe blieb leider in den Tannen hängen und wurde ziemlich be­schädigt. Die Luftschiffen» selbst war am Fuß des Merkur mittels eines Fallschirmes nieder- gcgangen. Dem Kur Konnte in Baden wurde der Ballon heute früh wieder zugesührt.

Unterreichenbach, 25. Juni. Vom Ortsvorsteher hier war auf heute Nachmittag eine Versammlung der Viehbesitzer einberufen, um über Maßregeln zur Abhilfe der Futternot zu beraten. Hierbei wurde festgestelll, daß. unter der Voraussetzung, daß von jetzt ab nor­male, für das Wachstum der Futterkräuter günstige Witterung eintritt, ein Bedarf von Rauh- und Kraftfutter im Wert von 6000 hier erforderlich ist, um den bisherigen Ausfall zu decken und den Viehstand zu erhalten. Ganz besonders soll darauf Bedacht genommen werden, das Vieh jetzt nicht zu Schleuderpreisen zu verkaufen, sondern unter allen Umständen zu halten. Sodann wurde einstimmig beschlossen, von Mittwoch ad die Milch nicht unter 16 L per Liter (seither 12 zu verkaufen, auch soll der Verkauf nur nach Liter und nicht nach Häfen" stattfinden.

88 U n t e r r e i ch e n b a ch, 27. Juni. B r and­un glück. In vergangener Nacht brach im Doppelwohnhaus von Säger Peter Rotfuß Feuer aus, welches das ganze Anwesen niederlegte. Die Feuerwehr griff thatkräftig ein. Das neben anliegende Gasthaus z. Lamm, das gefährdet war, konnte gerettet werden. In dem abge­brannten Anwesen wohnten noch drei weitere Familien, von denen zwei nicht versichert sind. Der Gesamtschaden beträgt etwa 12 000 Mark. Das Feuer soll in einer Holzkammer ausge­brochen sein, sonst ist über die Entstehungsursache nichts bekannt.

Pforzheim, 26. Juni. Se. Kgl. Hoh. der Großherzog erfreute heute die hies. Stadt mit einem Besuche, welcher der gegenwärtigen Bijouterie-Ausstellung galt. Der hohe Gast er­schien nach 9 Uhr mit kleinem Gefolge und wurde von Geh. Reg.Rat Pfisterer und Ober­bürgermeister Habermchl, dem Konnte der Bi­jouterie-Ausstellung und des Gartenbauvereins am Bahnhof bcwillkommt. Nach Besichtigung des Kaiser Wilhelmdenkmals, welches in der un­mittelbaren Nähe des Bahnhofs eine besondere Zierde unserer Stadt bildet, fuhr der Landcs- sürst sofort zur Ausstellung und besichtigte die­

selbe bis gegen 1 Uhr. Nach einem Frühstück im Stadtgarten fuhr Se. Kgl. Hoheit wieder nach dem Bahnhofe zurück, um noch vor dem Abgang des Zuges die neue katholische Kirche und die evangelische Schloßkirche, die Ruhestätte der alten Markgrafen von Baden, zu besichtigen. Se. K Hoh. sprach den Leitern der Ausstellung seine höchste Befriedigung über die gewonnenen Eindrücke von der hiesigen Industrie aus und kehrte. auf der Fahrt zum Bahnhof von einer jubelnden ungeheuren Menschenmenge herzlichst begrüßt, mit dem 2 Uhr-Schnellzuge wieder in die Residenz zurück. Der Großherzog erregte in der hiesigen Bevölkerung durch seine Rüstig keit und gesundes Aussehen die innigste Freude.'

88 Pforzheim, 27. Juni. In heutiger Schöffengerichtssitzung wurde über eine nahezu beispiellose, rohe und verwerfliche That ver­handelt. In der Nacht vom Pfingstsonntag auf Montag wurde der 48 Jahre alte ledige Tag- löhner und Korbmacher Philipp Schmidt ge­bürtig von Jspringen, wohnhaft in Brötzingen, auf dem Heimwege schwer mißhandelt. Die beiden ledigen, heule auf der Anklagebank sitzenden Gvldarb. Zentner und Dienstknecht Kautz, beide von Jspringen, hatten den ahnungs­los Dahingehenden meuchlings überfallen und mit Prügelschlägen und Messerstichen derart zuge- gerichtet, daß er am Montag Morgen bewußtlos im Felde aufgefunden wurde. Unter Anwend­ung des 8 223 a R.St.G. und unter Ausschluß mildernder Umständen wurden heute den Ange­klagten je eine Gefängnisstrafe von 4 Monaten zudiktiert und dieselben wegen Fluchtverdachts so­fort abgeführt.

Deutsches Weich.

Die Stichwahlen sind in Berlin so ausgefallen, wie man es nach dem Ergebnisse des ersten Wahlganges fast allgemein voraus­gesagt hat. Während die Freisinnigen im letzten Reichstage noch vier von den sechs Berliner Reichstagsmandaten inne hatten, haben sie dies­mal nur mehr den ersten Wahlkreis mit Dr. Langerhans retten können. Alles andere ist von der sozialistischen Sturzwelle verschlungen worden. Virchow, Baumdach und Munckel, sie sind alle gegen Männer unterlegen, die außerhalb Berlins, wo man ihre Namen zuweilen in den Zeitungen liest, niemand kennt und schwerlich jemals kennen lernen wird. Virchow, der hochangesehene Gelehrte und allerdings anzweifelbare Politiker, ist von einem Schriftsetzer besiegt worden, der auf den nicht ganz ungewöhnlichen Namen Schmidt hört. Baumbach kann sich wieder mit uneingeschränktem Elfer den Bürgermcisterei- geschäften von Danzig widmen. Vielleicht be­nutzt er seine unfreiwillige Muse dazu, um seine jüngst bemängelten Kenntnisse im Französischen derart zu vermehren, daß er in einem zukünftigen Gespräche mit dem Botschafter Herbette diesen wenigstens nicht anders verstehen wird, als Herbette selber wünscht. Munckel kann sich über den Verlust des Berliner Reichstags­mandates damit trösten, daß man ihn in dem schlesischen Wahlkreise Grünberg gewählt hat. Anstatt des BerlinerUngegipsten" mag er jetzt ein Glas Grünbergcr zur Stärkung seines beißen­den Witzes trinken. Allerdings ist Grünberg nicht jedermanns Geschmack, aber die freisinnige Volkspartei ist überhaupt nicht mehr in der Lage, sich die Marken nach ihrem Geschmack auszu­wählen, sondern muß eben auskosten, was man ihr noch übrig gelassen hat. Im allgemeinen ist es übrigens den Freisinnigen um Richter in den Stichwahlen bisher wenigstens besser er­gangen, als sie wahrscheinlich selber erwartet hatten. Insbesondere hat sich ihnen Schlesien ziemlich treu erwiesen. In Berlin hatten sie das Vergnügen, daß viele hohe Reichs- und Staatsbeamte, darunter der Reichskanzler Graf v. Caprivi selbst, in der Stichwahl für den frei­sinnigen Kandidaten stimmten, um dadurch zu bekunden, daß sie den Freisinnigen im Verhält­nis zum Sozialisten doch für das kleinere Nebel halten und es lieber gesehen hätten, daß z. B. Virchow durchgekommen wäre als Herr Schmidt. Professor Virchow kann doch unter allen Um- Umständen Berlin nicht unwürdig repräsentieren, während man dies von Herrn Schmidt noch

nicht weiß. Vielleicht legt aber auch Hx Schmidt keinen besonderen Wert auf eine solche Auffassung der Vertretung der Reichshauplstadt Daß Eugen Richter in Hagen gesiegt ha,' wird man immerhin um ein Erkleckliches bei- fallswürdiger finden, als den elivanigeu Sieg seines sozialdemokratischen Gegners, der von allen Unbekannten der Unbekannteste ist. Euaen Richter gehört doch nun einmal in den Reichs, tag, und es wäre nur zu wünschen, daß er mehr Wert darauf legte, dort nützlich zu wirken oder wenn man es persönlicher ausdrücken will, r» gefallen. Die freisinnige Vereinigung ha, sich im ganzen ziemlich herausgerappelt, und beide Gruppen werden zusammen doch wohl auf 36 (bish. 66) Mitglieder kommen. Eugen Richter hatte allerdings für seine Partei allein über zweihundert als ernsthaft ausgegebene Kandi­daturen aufgestellt. So arg wie diesmal hat sich dieser Rechenkünstler wohl noch niemals ge­täuscht. Die Nationalliberalen machen im ganzen Lande gute Geschäfte. So haben sie z. B. Herrn Stöcker aus Siegen verdrängt. Essen, das bisher für unbczwinglich galt, erobert, und vieles andere mehr. Die Sozialdemo­kraten haben manches verloren, was ihnen be­sonders lieb war, wie Bremen und Lübeck, da­gegen anderes gewonnen, was auch nicht zn verachten ist, so Stettin, das seinen Brome! nicht mehr durchzubringen vermochte, und als ganz besonders auffallende Eroberung den bis­herigen früheren Zentrumsabgeordncteu Dr. Porsch (Reichenbach Neurode). Nach einer vor­läufigen Berechnung sind bei den Hauptwahlen am 15. Juni rund 1800000 sozialdemo­kratische Stimmen abgegeben worden. Das bedeutet immerhin einen Zuchwachs von 375009 Stimmen gegenüber den Hauptwahlen von 1890, aber das Ergebnis bleibt doch um ein beträcht­liches hinter den Hoffnungen der Sozialdemo­kraten zurück. Als die ersten Wahlnachrichlen bekannt wurden, schien es noch, als ob das Triumpfgeschrei desVorwärts", daß seine Partei 2 Millionen Stimmen aufbringen werde, der Berechtigung nicht entbehre. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß einstweilen auch die sozial­demokratischen Bäume noch nicht in den Himmel wachsen. Für heute sei noch auf das bedeutende Anwachsen der Antisemiten im Königreich Sachsen hingewicfen. Nach einer vorläufigen Berechnung haben im ganzen Reiche die Anti­semiten um rund 450000 Stimmen zuge­nommen. Das ist eine Erscheinung, an der man nicht achtlos vorübergehen kann.

Berlin, 27. Juni. Die Wahlergebnisse sind jetzt bis auf 5 bekannt. Die Mehrheit für die Militärvorlage beträgt 208 (unter 397 Abg.), wenn man die Polen, die Antise­miten und die Mitglieder der Freisinn. Ber­einigung sämtlich cinrechnet, die sog. Freihändigen unter den ZcntrumSmitglieder» aber hiebei un­gerechnet laßt. Von allen Parteien erhielte» die Nationallibcralen den stärksten Zuwachs, dann die Antisemiten, die Sozialdemokraten und die Konservativen.

Der neugewählte Reichstag wird selbst­verständlich in der Militärfrage vollkommen von Neuem anzufangen haben. EinenAntrag Huene" giebt cs nicht mehr, wohl aber wird der neue Entwurf eines Militärgefetzes, nachdem der Reichskanzler im Namen der verbündete» Regierungen eine entsprechende Erklärung öffent­lich abgegeben hat, genau jenem Anträge gleichen.

Die neue Vorlage wird sich demnach von der im Dezember v. I. eingebrachten in folgenden Punkten unterscheiden: Die Fnedenspräjenzstam toll von 486 983 auf 567 000 (anstatt 57087r Gemeine und Unteroffiziere gesteigert werden, die Zahl der Offiziere von 20 500 auf 22 M (anstatt 22 638). Die dauernden Lasten werden sich durch diese Abstriche von 65 aus etwa öo Millionen ermäßigen. Während die frühere Militärvorlage die zweijährige Dienstzeit nu der Wendung,daß die Mannschaften der Ms truppen im Allgemeinen zu einem zw^ jährigen aktiven Dienst bei der Fahne herangk' zogen werden", nur fakultativ machen wou, wird diese Bestimmung in der neuen Borlag (nach dem Antrag Huene) folgende bestunm Fassung erhalten:Während der Dauer