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Wahlkreisen können wir dagegen sogar einen Rückgang der sozialdemokratischen Stimmen konstatieren. So in Hamburg I, wo Bebel über 1000 Stimmen, in Hamburg II, wo Dietz über 2000, in Hamburg III, wo Metzger über 4000 Stimmen weniger als 1890 erhalten hat. In der großen Hansastadt hat man bekanntlich so etwas wie ein antisvzialistisches Kartell der Ordnungsparteien in allerdings noch schüchternen Anfängen zu verzeichnen gehabt. Desgleichen haben sich die sozialdemokratischen Stimmen erheblich vermindert in Gera, in Chemnitz, in München (hier um fast 5000 Stimmen). Das beweist denn doch, daß auch in diesem Falle die Bäume noch nicht in den Himmel reichen.

Bekanntlich ist vor der Reichstagswahl aus Frankreich ein Aufruf nach Elsaß-Loth­ringen geschickt worden, worin die Wähler der Reichslande in ausreizender Sprache zum Eintreten für die protestlerischen Kandidaten auf­gefordert wurden. Dieser über die Grenze ge­schmuggelte Aufruf wurde während der Nacht in lothringischen Ortschaften an den Häusern angeklebt, außerdem soll er massenhaft in Brief­form nach dem Elsaß gegangen sein. Der Auf­ruf trägt die Ueberschrift: Den Elsaß-Loth­ringern; seine Sprache ist so bezeichnend, daß sie geeignet ist. noch manchen, der fest an die Friedfertigkeit der Franzosen glauben möchte, die Augen über ihre wahren Absichten zu öffnen. Es heißt in diesem schändlichen Machwerk: Ewig kann die Herrschaft der rohen Gewalt nicht währen; ein Tag wird kommen, da die Gerechtigkeit wieder siegen wird. Eure franz. Brüder haben euch nicht vergessen, mit ganzem Herzen sind sie bei euch. mit tiefem Schmerz empfinden sie nur Betrübnis und schwere Be­drückung. In aller Stille arbeiten sie daran, den Tag zu beschleunigen, der euch in den Schoß des alten franzö­sischen Vaterlandes zurückführen wird. Glaubt nur den Deutschen nicht, die euch sagen, daß Frankreich euch vergesse! Das ist nicht wahr. Mehr als jemals denkt es an euch und sinnt auf Mittel, euch den deutschen Krallen zu entreißen. Frankreich hegt Vertrauen zu euch, ein volles »nd unbegrenztes Vertrauen, denn es weiß, daß ihr ihm nicht untreu werdet" u. s. w. Der Aufruf schließt:Schreitet alle zu den Wahlurnen! Keine Enthaltungen! Und wenn euer Gewissen euch nicht erlaubt, für einen Kandidaten zu stimmen, so gebet weiße Zettel ab. Noch einmal, keine Enthaltungen! Stimmt für Frankreich, für Elsaß und Lothringen! Es lebe Frankreich! Es lebe Elsaß-Lothringen! Die Elsaß-Lothringer, wenigstens ein unbe­trächtlicher Teil derselben, haben aus diesen Aus­ruf die schönste Antwort, die sich denken läßt, gegeben. Sie haben durch ihre Wahl bewiesen, daß sie mehr als je entschlossen sind, sich all­mählich dem deutschen Baterlande anzugliedern und sich in seinen Dienst zu stellen. Die Franzosen freilich, verblendet und fanatisch wie sie sind, werden behaupten, nur der Druck der Regierung habe dies Wahlergebnis zu Stande gebracht, sie werden nicht aushören, zu rüsten wie seit vielen Jahren, denRachekrieg" gegen uns vorzubereiten.

Im Auslande hat man den Verlauf der deutschen Reichstagswahlen mit kaum geringerer Spannung verfolgt, als dies in Deutschland selbst geschehen ist. Die ausländischen Preßstimmen hierüber heben namentlich die relativ großen Wahlerfolge der Soziaidemokratie hervor, indessen giebt sich in der Beurteilung der politischen Tragweite der sozialistischen Er­folge teilweise eine augenscheinliche Verkennung der deutschen Verhältnisse kund. Die franz. Blätter thun natürlich, als ob jetzt der Zerfall des deutschen Reiches herangekommen sei Phantastereien, welche bei den eigentümlichen Anschauungen der meisten französischen Blätter über die deutschen Dinge freilich nicht weiter überraschen können.

Der frühere Hamburger Sozialistenführer Hartmann hat soeben eine Broschüre veröffent­licht, die vielleicht noch rechtzeitig erscheint, um für die bevorstehenden Stichwahlen Manchem die Augen zu öffnen. Sie richtet sich gegen

die bekanntesten Führer der deutschen Sozial­demokratie, Bebel, Liebknecht, Auer u. a. und läßt die Uneigennützigkeit derselben in be­denklichem Lichte'erscheinen. Für einen erheb­lichen Teil dieser bemerkenswerten Enthüllungen werden Belege beigebracht.

Potsdam, 19. Juni. Heute Nacht ent­stand im neuen Proviantamt der hiesigen Gar­nison Feuer, welches das Gebäude niederlegte. Ungefähr 600 Zentner Brot sind verbrannt, sowie ein großer Posten Heu. Der Schaden ist ziemlich bedeutend. Die hiesige Feuerwehr war bis morgens 5 Uhr in Thätigkeit, darauf rückte zur Hilfeleistung eine Kompagnie Gardejäger auf die Brandstelle.

Friedrichsruh, 19. Juni. Bei der gestrigen Fahrt der Mecklenburger zum Fürsten Bismarck beteiligten sich etwa 4000 Personen. Ansprachen an den greisen Fürsten hielten Dr. Stichler-Wismar, Dr. Hillmann- Güstrow, und Grospit-Hamburg, in plattdeutscher Sprache. Fürst Bismarck antwortete in einer etwa halbstündigen Rede, in welcher er sich gegen den Partikularismus und die Fraktionspolitik aussprach. Fürst Bismarck schloß mit einem Hoch auf den Großherzog von Mecklenburg.

Schneidemühl, 18.Juni. Gestern und heute sind wieder weitere Häuser eingestürzt. Die Gesammtsenkung beträgt jetzt 80 Centimeter. Das Pflaster zeigt weite Erdspalten, die Fuß­steige sind aufgeriffen und mit Mauersteinen bedeckt mehrere Häuser sind dem Einsturze nahe, andere werden niedergerissen. Ein Kommando des Eisenbahnregiments trifft heute Nacht hier ein. Der Schaden beläuft sich auf mehrere Millionen.

Bingen, 17. Juni. Die Blüte des Wein­stocks nahm einen sehr guten Verlauf Die Stöcke hängen besonders in besseren Lagen sehr vollkommen. Ein ausgiebiger Regen ist zur gedeihlichen Entwicklung sehr nötig.

Amanweiler, 17. Juni. Heute früh wurden die Ueberreste der Gefallenen vom 1. Garderegiment auf deutschen Boden überführt. Ein katholischer und evangel. Militärgeistlicher predigten bei der Uebernahme und Einsenkung. Zur Uebernahme waren 6 Offiziere des Garde­regiments erschienen; sie wurden vom Komman­deur des französischen 6. Korps begrüßt. Letzterer geleitete die Ueberreste, schritt die Front der deutschen Ehrenkompagnie ab und wurde sodann von General v. Häseler bis zur Grenze wieder zurückbegleitet.

Darmstadt. 17. Juni. Trotzdem der Landtagsschluß bereits erfolgt ist, steht wegen der Futter- und Streunot ein Zusammen­treten der Stände in naher Aussicht behufs Bereitstellung mehrerer Millionen zu mäßig ver­zinslichen Vorschüssen an ärmere Landwirte unter Bürgschaft der Gemeinden.

Der bekannte Harfenkünstler Adolf Sjöden ist im Spital zu Biel gestorben.

Württemberg.

Se. Maj. der König hat den Präsidenten der Regierung des Neckarkreises v. Häberlen zum Vorsitzenden des Vorstands der württtemb. Jnvaliditäts- und Altersversicherungsanstalt und den seitherigen Inhaber der letzteren Stelle, Regierungsdirektor v. Riekert, zum Präsidenten der Regierung des Neckarkreises, sowie den Re­gierungsrat Magi not bei dem Verwaltungsrat der Gebäudebrandversicherungsanstalt zum Mini- sterialassessor im Ministerium des Innern er­nannt.

Stuttgart, 20. Juni. Eine Abordnung, bestehend aus dem Kammerpräsidenten v. Hohl, Vizepräsident Dr. Göz, Landtags-Abgeordneter Stockmayer, begaben sich dem Vernehmen nach heute Nachm, zu dem Minister des Innern, um Maßregeln in Anregung zu bringen, welche geeignet sind, der Notlage der Landwirt­schaft. hervorgerufen durch Futtermangel, ab­zuhelfen. Auf Veranlassung des Staats­ministers v. Schmid wird morgen Vorm, im Ständehause eine Sitzung stattfindcn, in welcher eine größere Anzahl von landwirtsch. Vereins- Vorständen und Oberamtmännern mit der Zentral­stelle für Landwirtschaft zusammentreten werden,

um über die durch die große Futternot her. vorgerufene Notlage der Landwirte zu beraten Heute Nachm, sind eine Reihe Landtag abgeordneter mit erfahrenen Landwirten im Hotel Dierlamm zusammengetreten, um wegen des Notstands der Landwirtschaft zu beraten Die Versammlung hat die Maßregeln beraten die in der morgen im Ständehaus zusammen tretenden Sitzung ins Nähere erörtert werden sollen.

Stuttgart. Regierungsdirektor v. Gaupv hat sich am Montag zum Besuch der Pforzheim« Bijouterie-Ausstellung nach Pforzheim begeben.

Am 21. Juni kommen 10 Millionen 3'/z. prozentige württembergische Staatsschuld- Verschreibungen zum Kurse von 100'j, zur Subskription. Die Anleihe dient zur Bestreitung des Aufwandes für die Fortsetzung des Eisen- bahnbaues. Die Schuldverschreibungen sind ein­geteilt in Abschnitte zu 2000, 1000. 500 und 200 ^ und mit halbjährigen, am I. Januar und 1. Juli des Jahres fälligen Coupons ver­sehen. Die Anleihe wird vom 1. April 1883 ab innerhalb 50 Jahren getilgt, wobei antizi­pierte und außerordentliche Tilgungen vor dem 1. April 1903 ausgeschlossen sind.

Ausland.

London, 17. Juni. Die Morgenblätter besprechen die deutschen Reichstagswahlcn, den Zusammenbruch der Richter'schen Partei und das Anwachsen der Sozialdemokratie. Die Times" betont den Widerspruch, daß der Reichstag auf die Militärvorlage hin aufgelöst wurde, während die Wahlen bis jetzt auf die Militäroorlage keine Antwort gegeben hätten. Das Blatt warnt übrigens vor allzu großem Pessimismus, vielleicht auch führe das gefährliche Anwachsen der Sozialdemokratie zur Bildung einer festen Gegenpartei. DerStandard" findet, daß betreffs der Militärvorlage der neue Reichstag vom alten nicht wesentlich verschieden sei. Fürst Bismarck hätte vielleicht mit rück­sichtsloser Strategie die Parteizerklüftung zim Vorteil der Regierung ausgenützt, während die Parteizerklüftung jetzt der Krone schwerlich zu statten kommen werde. DerStandard" warnt vor einer neuen Reichstagsauflösung und hofft, daß die Regierung andere Mittel finden werde, den Vorrang der deutschen Armee zu erhalten.

London, 19. Juni. Die günstige Wendung der Reichstagswahlen für die Militärvorlage wird allgemein hervor­gehoben. DieDaily News" sagt, es sei kein Zweifel mehr, daß der Reichskanzler Gras v. Caprivi die Schlacht gewonnen habe und die Militärvorlage durchgehen werde.Standard" bemerkt dazu, Deutschland ohne eine entsprechende Armee würde nicht mehr Deutschland sein, und ein Hohenzoller, dem das Parlament die ge­forderten Truppen abschlägt, wäre ein ent­thronter Hohenzoller. Die vorgestrige Szene bei der Ueberführung der im französischen Kriege 1870/71 gefallenen Offiziere und Mann­schaften des 1. Garderegiments auf deutschen Boden rief, obgleich sie eine freundliche Begeg­nung war, doch die furchtbare Wirklichkeit der, augenblicklichen Lage ins Gedächtnis; kein Wunder, daß der Kaiser bei dem Ausbruch eines Krieges gewappnet zu sein wünscht. Gegen die anhaltende Dürre wurden gestern m den Kirchen der Grafschaft Kent öffentliche Geme abgehalten. In manchen Dorfdezirken ward da Trinkwasser mit 3 Pence für den Eimer bezahlt. Man rechnet auf Heueinfuhr aus Ameria, Die Ernteaussichten sind schon jetzt bedenkuch-

Jn der internationalen Jury der Chi^' goer Weltausstellung wir dasDeutsY Reich mit 43 Preisrichtern vertreten sein, -v Richter sollen am 15. Juli in Chicago zlfiamni ' treten. Die deutschen Mitglieder erhalten e Entschädigung von 750 Dollars.

Alexandria. 19. Juni. Einer M-Mng des Reuterschen Bureaus zufolge sind zu fls . in der Zeit vom 13. bis 16. Juni 317 Todes" fälle an der Cholera vorgekommen.

Redaktion, Druck und Verlag von Ehr». Meeh i» Neuenbürg.