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unvollkommen ausgebildet werden, also auch ent­weder hinter dem Ösen sitzen bleiben oder erst an den Feind kommen können, wenn die älteren, zumeist Familienväter, ihr Blut bereits vergossen haben. Also: WirmüssenunsereOrgani- sation verbessern.

Um uns von Frankreich nicht in der Zahl der ausgebildeien Soldaten überholen zu lassen, müssen wir ebenso wie Frankreich die allge­meine Wehrpflicht durchführen. Die Vor­lage fordert eine Erhöhung der Friedensstärke des Heeres um 72 037 Gemeine. Die gesamte Präsenz soll künftig mit Unteroffizieren 570 877 (-j- 83 894), ohne Unteroffiziere 492 068 (-j- 72 037) betrogen, und zwar soll die letztere Zahl nicht die höchstens zulässige Stärke sondern die Durchschnittsstärke während des Jahres be­zeichnen. Die Umwandlung der Maximalstärke in Durchschnittsstärke ist notwendig, damit die Militärverwaltung gleich bei der allgemeinen Rekruteneinstellung die Ersatzleute für die während der Dienstzeit wegen Todes, Krankheit rc. Aus- scheidenden mit einstellen kann. Daß der soge­nannte NKHersatz erst im Laufe des Jahres nach Bedarf herangezogen wird, ging allenfalls bei der dreijährigen Dienstzeit an. Bei der zwei­jährigen Dienstzeit aber würde die Dienstzeit der im Laufe des Militärjahres nachträglich ein­gestellten Mannschaften in unzulässigem Maße verkürzt werden

DieFreisinnige Zeitung" und ähnliche Blätter geben die geforderte Erhöhung der Präsenzzahl, um sie recht hoch erscheinen zu lassen, nicht auf 72 000 Gemeine an, sondern schlagen noch 19 370 Mann zu, eben weil die Präsenzzahl nicht als Maximal-, sondern als Durchschnittszahl verlangt wird. Aber das läuft nur auf Irreführung hinaus; denn die Rckrulen- zahl bleibt ganz dieselbe, ob ein Teil der Mann­schaften im Laufe des Jahres oder gleich am allgemeinen Einstellungstermin eingezvgen wird, nur die Zahl der Verpfiegungstage im Jahre steigt.

Wie viel Rekruten zur Aufstellung eines Friedensheeres von 492 068 Gemeinen erforder­lich find, das hängt davon ab, wie lange die Dienstzeit dauert, wie viel Jahrgänge bei den einzelnen Waffen in Dienst sind. Daß die ver­stümmelte dreijährige Dienstzeit der Infanterie, bei der die Mehrzahl 22'/s Monat, eine Min­derheit 34^/s Monat dient, nicht aufrecht er­halten werden kann, darüber sind alle Sachver­ständigen einer Meinung; sie bringt Härten und Unbilligkeiten mit sich, die in der Bevölkerung immer mehr empfunden werden. Es konnte sich also nur handeln um Rückkehr zur vollen drei­jährigen Dienstzeit oder um Einführung der zweijährigen Dienstzeit. An sich ist vom rein militärischen Standpunkt aus die dreijährige Dienstzeit vorzuziehen. Wollten wir aber zur Erreichung des Hauptzweckes volle Ausnutz­ung der nationalen Wehrkraft alle tauglichen Leute drei Jahre einstellen, so müßten viel mehr als 492 000 Gemeine jährlich unterhalten und neue Verbände in entsprechendem Umfange ge­schaffen werden, d. h. die Kosten würden in ganz außerordentlichem Maße anschwellen. Er­weist sich dagegen die zweijährige Dienstzeit unter besonderen Einrichtungen für sie als durch­führbar, so wird das jährliche Rekrutenkonlingent nicht nur um so viel Köpfe, als nötig sind, um 72 037 Gemeine dauernd mehr bei der Fahne zu halten, sondern auch um den Ersatz für den dann wegfallenden dritten Jahrgang erhöht werden, d. h. die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht verbilligt sich.

Zur Unterhaltung der geforderten Präsenz­stärke müssen bei zweijähriger Dienstzeit der Fußlruppen 235 000 Rekruten (ohne Nachersatz, 248 000 mit Nachersatz) jährlich ausgehoben werden, das ist 60 000 mehr als bisher. Das bedeutet bei 24 Jahrgängen und unter Abrech­nung von 25 Proz. für Abgänge eine Erhöh- uung der Kriegsstärke um 1 080 000 Streiter.

Württemberg.

Ständisches. Bekanntlich konnte, so­lange das einstweilige Schicksal der Militär- Vorlage noch nicht entschieden war, die Höhe

des Matrikularbeitrags Würtcmbergs noch nicht festgesetzt worden. Nunmehr ist derselbe, während er 1892/93 15 700000 ^ betrug, pro 1893/94 auf 15545 229 und pro 1894/95 auf 16 800 000 normiert worden. Für den Fall, daß späterhin durch den Reichshaushaltsetat eine Erhöhung des Matrikularbeitrags bestimmt ivürde, bleibt die Einbringung eines Nachtrags- etals Vorbehalten. Es sind für diesen Fall 914 625 ^ aus der Restverwaltung reserviert worden. Der Anteil Württembergs aus den Zöllen, der Tabak- und Branntweinsteuer und den Reichsstempelabgaben ist mit je 14 388 830 Mk. in den Etat pro 1893/95 eingestellt gegen 14 109 910 ^ pro 1892/93. Der schon seit längerer Zeit bestehende Plan, daß der Staat der K. Zivillisteverwaltung das Marstallgebäude an der Königsstraße abkaufen will, ist nunmehr Thatsache geworden, indem die Regierung vor­behältlich der Genehmigung der Stände das Areal für 1 700 000 -/lL übernehmen will, und zwar gegen 8 Vierteljahrsraten von je 212 500 Mk. zunächst aus Mitteln der Grundstocksver­waltung. Die Zahlung der ersten Rate soll am 1. Januar 1894, die der letzten am 1. Oktober 1895 erfolgen. Hingegen verpflichtet sich die K. Zivillisteverwaltung ' eine neues Marstallgebäude auf dem Platze des Schloß­baues (Akademie) zu errichten. Die Regierung befürwortet weiter, das Betriebs- und Vorrats­kapital der Staatshauptkasse von 6 Millionen auf 7 Millionen Mark zu erhöhen, da ein Be­dürfnis hiefür vorliegt. Bei der Deckung des Fehlbetrages für die neu zu gründende Pcnsions- kaffe für Körperschastsbeamte handelt es sich nicht, wie schon irrtümlich angegeben wurde, um ein Eintreten des Staates, sondern der Fehlbetrag soll durch Umlage auf diejenigen Körperschaften, in deren Dienst die der Kasse angehörcnden Beamten stehen, nach Maßgabe des Betrags der jeweiligen pensionsberechligtcn Bezüge der ketzeren beschafft werden.

Stuttgart, 25. Mai. Abgeord­netenkammer. Heute begann die Kammer der Abgeordneten mit der Beratung der Eisen­bahnpetitionen, welche Berichterstatter v. Leib­brand mit allgemeinen Bemerkungen über die Fortsetzung des Lokalbahnboues einleitete, wobei er, an seinen früheren Standpunkt in dieser Frage erinnernd, den Ausbau des Lokalbahn­netzes, ohne Rücksicht darauf, ob Restmittel vor­handen seien oder nicht, aus wirtschaftlichen Gründen empfahl. Minister v. Mittnacht be­tonte dagegen, daß die Regierung dabei an dem Vorhandensein der Restmittel festhalten müsse. Sie habe, da keine solche vorhanden sind, auf die anfänglich beabsichtigte Einbringung der Vor­lagen betr. den Bau der Bahnen Schussenried Buchau und LaustenGüglingen für jetzt ver­zichten müssen, behalte sich dies aber für den Herbst oder Winter vor. Eine prinzipielle Ent­scheidung über die Fortführung des Lokalbahn­baues herbeizuführen, sei ohne Anwesenheit des Finanzministers nicht wohl angängig. Sehr energisch plaidierte Gröber in Anlehnung an die Ausführungen des Berichterstatters, für die Fortführung des Lokalbahnbaues und empfahl namentlich den Bau der Bahn BuchauSchuffen- ried. Uebcr die Bahn NagoldAltensteig teilt der Ministerpräsident mit, daß sie das An­lagekapital von 625 000 -M zu 4 pEt. verzinse. Bankdirektor v. Schlierholz betont, daß die Grunderwerbungen für die Altensteiger Bahn nahezu 71000 mehr kosten als der Vor­anschlag betrug. Dazu kam noch die Verteuer­ung der Preise für eiserne Schwellen und Schienen um 81 000 -4L. Auch der Mehrauf­wand für Altensteig wird genehmigt.

Stuttgart, 26. Mai. Die neueste Blüte, welche das moderne Gigerltum in seiner nie rastenden Entwicklungskraft getrieben hat, ist bekanntlich ein kleines abgerichtetes Ferkel, das bei seinem Herrn die Stelle des HundeS vertreten muß. Heute morgen hatten die zahl­reichen Passanten der Königsstraße das Ver­gnügen, einen solchen neuesten Gigerl in Be­gleitung eines solchen Borstentierchens mit eigenen Augen erfahren zu können. Die wahrhaft klassische Seelenruhe des mit einem Prügel von

gewaltigem Durchmesser bewaffneten Gigerls ebenso den ironischen Bemerkungen wie dem Gelächter der Umgebung Trotz. Das FM benahm sich übrigens wie ein gut dressiertes Hündchen.

Ausland.

Antwerpen, 20. Mai. Bon der Antwerpener Weltausstellung des nächsten Jahr^ hört man alle Augenblicke neue Wunderdinge Nachdem ein hiesiger Genie-Offizier den lenh baren Luftballon erfunden hat, der während der Ausstellung fungieren soll, tritt jetzt Baron Sadoine, der bekannte frühere Generaldirektor der Cockerill'schen Werke, mit einem neuen, das allgemeinste Aufsehen erregenden Plane vor die Oeffentlichkeit. Herr Sadoine macht sich näm­lich anheischig sofern ihm von der Stadt und dem Staate gewisse Bidingungen zugestanden werden bis zur Eröffnung der Ausstellung über die Schelde eine massive eiserne Brücke zu erbauen, die in ihrer Art ein wahres Kunstwerk werden soll. Diese Brücke würde sich 42 Meter oder ca. 150 Fuß über den höchsten Wasser- stand der Schelde erheben und mithin selbst bei Hochfluth den Seedampfern die Durchfuhrt ge- statten. An den beiden Endpunkten dieser für Fußgänger und Fuhrwerke bestimmten Brücke würde je ein prächtiger Turm aus Stahl gebaut werden, während in der Mitte ein außerordent­liches starkes elektrisches Licht die Schelde und die Stadt auf eine weite Strecke hin beleuchten würde. Man könnte die ganze Idee, in Zeit von weniger als einem Jahre eine solche Brücke über den 800 Meter breiten Strom zu erbauen, einfach für eine überspannte oder phantastische ansehen, wenn nicht der ganze Charakter sowie das oft erprobte fachmännische Talent des Herrn Sadoine eine solche Unterstellung von vornherein ausschließen müßte. Gelangt der kühne Plan, wie man hier allgemein hofft, zur Ausführung, so wird diese Brücke üu clo sioelo sicherlich zu den merkwürdigsten Bauten der Neuzeit rind zu dem Interessantesten, das Antwerpen während der Ausstellung bieten kann, zählen dürfen.

Telegramm an den Enzthäler.

Paris, 29. Mai. Ungefähr 2000 Sozia­listen besuchten die Gräber der 1871 erschossenen Communards auf dem Friedhof Pore Lachaise. Rote Fahnen wurden entfaltet und mehrere Reden gehalten unter Hochrufen auf die Com­mune und die soziale Reform. Zwischen den Manifestanten kamen einige Konflikte vor, doch entleerte sich der Friedhof ohne Zwischenfall. Die Polizei schritt nicht ein.

Vermischtes.

Der Selbstmord eines Kindes erregt in Neumarkt (Oberpfalz) Aufsehen. Das 13jährige Mädchen des Gerbers Nxustüdter sin

Markstück. Die Mutter, die das Kind überhaupt hart behandelt haben soll, soll es heftig ge­schlagen und ihm harte Strafen von seiten des abwesenden Vaters in Aussicht gestellt haben. Das Kind machte sich erneut mit Freundinnen auf die Suche nach dem Geldstück, ohne dieses zu finden, und erhängte sich alsdann auf dem Dachboden des Elternhauses.

(Eigensinnig.)Als Mädchen war meine Frau herrlich sag' ich Dir: in der Kleidung I" eigen, in ihren Briefen so sinnig . . !" nun als Deine Frau?"Beides zusammen."

(Fatales Versprechen.) Der verkrachte Be­sitzer eures Bandwarengeschäftes widmet sich der Bühne. Bei seinem ersten Auftreten, als er nur die Worte zu sagen hat: Ach, alles Gum ist wandelbar!" ruft er aber:Ach, alles GliM ist Bandelwar'!" (Fl. Bl.) ^

Auf den KnHäl'er

wolle man für den Monat Juni bei den sM' anstalten und Postboten und bei der Geschäft stelle des Blattes abonnieren. _^

Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.